Definition: Was ist Narzissmus?
Im Volksmund wird Narzissmus oft als Selbstverliebtheit aufgefasst. In der Mythologie beschreibt etwa der römische Dichter Ovid einen wunderschönen Jüngling namens Narziss. Der junger Mann hat viele Verehrerinnen und Verehrer, doch er interessiert sich nur für sich selbst. Als er sich in der Spiegelung des Wassers erblickt, verzehrt er sich so sehr nach sich selbst, dass er vor lauter Verlangen stirbt. Zurück bleibt nur die gelbe Blume, die seinen Namen trägt: die Narzisse.
Narzissmus aus wissenschaftlicher Sicht
Aus psychologischer Perspektive greift das Bild des selbstverliebten Narziss zu kurz. Echten Narzissten genügt ihr Spiegelbild nicht: Sie halten sich für so grandios, dass sie von anderen bewundert werden möchten. Diese Selbstüberhöhung wirkt auf den ersten Blick oft faszinierend. Narzisstinnen und Narzissten sind oft charismatisch, ehrgeizig, wirken interessant und attraktiv. Zudem halten sie sich häufig für überdurchschnittlich – ob in Intelligenz, Aussehen oder Humor.
Doch wenn man sie etwas länger kennt, zeigen sich auch Schattenseiten: Egozentrismus oder die Tendenz, andere auszubeuten. Dabei hilft ihnen, dass sie sich auf eine kühle Weise gedanklich durchaus in andere hineinversetzen können. Die sogenannte kognitive Empathie ist bei narzisstischen Menschen nicht beeinträchtigt. Narzissten und Narzisstinnen neigen zu Dominanz, Selbstüberschätzung und Überempfindlichkeit gegen Kritik.
Aus Sicht der wissenschaftlichen Psychologie wird unter Narzissmus eine Mischung von drei Kernmerkmalen verstanden:
Gefühl von Großartigkeit (im Verhalten oder in der Fantasie)
starkes Bedürfnis nach Bewunderung
Mangel an Empathie
Persönlichkeitsmerkmal oder narzisstische Persönlichkeitsstörung?
Der Narzisst in uns allen
Narzissten sind nicht nur die anderen – wir alle tragen narzisstische Anteile in uns. Dazu gehören wichtige und vorteilhafte Aspekte. Etwas Selbstbewusstsein, Selbstbezogenheit, Durchsetzungsfähigkeit und Erfolgsorientierung können uns helfen, unsere Wünsche und Ziele zu erkennen und diese durchzusetzen.
Treten bestimmte Eigenschaften zusammen auf und führen zu einem charakteristischen Verhalten – besonders in zwischenmenschlichen Situationen – spricht man von einem Persönlichkeitsstil. Im Fall von Narzissmus kann sich dieser unter anderem in einer Anspruchs- und Leistungsorientierung, aber auch extremer Kränkbarkeit zeigen. Das ist nicht zwangsläufig problematisch: Narzissten sind in unserer Gesellschaft oft erfolgreich und anerkannt.
Schwierigkeiten bekommen sie – oder ihr Umfeld – jedoch, wenn ihr Persönlichkeitsstil das Ausmaß einer Persönlichkeitsstörung annimmt.
Diagnose: Narzisstische Persönlichkeitsstörung
Ist der Persönlichkeitsstil einer Person so markant, dass diese normverletzend und sozial unflexibel wird, kann es sich um eine Persönlichkeitsstörung handeln – eine klinische Diagnose. Um sie zu diagnostizieren, muss neben dem Persönlichkeitsstil mindestens eines der folgenden Kriterien erfüllt sein, schreiben Peter Fiedler und Sabine Herpertz in ihrem Buch „Persönlichkeitsstörungen“:
Die Person leidet unter sich selbst.
Es besteht ein persönlichkeitsbedingtes Risiko der Entwicklung einer substanziellen psychischen Störung.
Es kommt zu erheblichen Konflikten mit sozialen oder rechtlichen Normen, die auf die Persönlichkeit zurückgeführt werden können.
Der Übergang vom Persönlichkeitsstil zur Störung ist fließend. Entscheidend für eine Diagnose: Die Persönlichkeitsmerkmale führen dauerhaft zu innerem Leiden oder zu deutlichen Schwierigkeiten im sozialen Miteinander.
Narzissmus als Beziehungsstörung
Einige Therapeutinnen verstehen Narzissmus im Wesentlichen als Beziehungsstörung. Denn die narzisstische Dominanz, Suche nach Bewunderung und die Tendenz, andere für die eigenen Zwecke zu missbrauchen, erschweren echte Nähe – und machen es Narzissten schwer, in aufrichtige, gegenseitige Beziehungen zu treten.
Liebe ich einen Narzissten? Narzissten und Paarbeziehungen
Mitunter verliebt man sich schnell in Narzisstinnen und Narzissten, denn sie sind oft faszinierend. Da sie besonders und bewundert sein wollen, treten sie originell, charismatisch oder humorvoll auf. Sie sind kreativ, unterhaltsam und sorgen für besondere Erlebnisse. Gerade diese Eigenschaften machen sie beim Dating anziehend. Doch im Beziehungsalltag entstehen häufig Probleme.
Die Psychotherapeuten Claas-Hinrich Lammers und Gunnar Eismann nennen typische Schwierigkeiten in Partnerschaften mit narzisstischen Personen:
Er muss immer im Mittelpunkt stehen: Die Bedürfnisse und Interessen des Narzissten beanspruchen oft so viel Aufmerksamkeit, dass man als seine Partnerin nahezu hinter ihm verschwindet.
Es muss immer nach ihren Wünschen gehen: Viele Partner von Narzisstinnen fühlen sich nicht nur nicht gesehen, sondern fremdbestimmt, da ihre Partnerin gerne möglichst alles bestimmt. Widersprechen sie ihr, drohen Nichtbeachtung oder Ablehnung.
Er muss immer der Bessere sein: Extreme Narzissten schenken besonderen Eigenschaften, Fähigkeiten oder Erfolgen ihrer Partnerin oft wenig Beachtung, da sie nicht gut damit zurechtkommen, wenn andere etwas besser können als sie selbst. Manchmal geben sie jedoch auch vor anderen mit den Vorteilen ihrer Partnerin an, allerdings weniger mit ihren Eigenschaften und eher mit ihrer äußeren Attraktivität.
Kritik ist unmöglich: Kritisiert man eine Narzisstin, kann man damit rechnen, dass sie gekränkt, beleidigt oder verärgert ist. Sie wird sich wahrscheinlich rechtfertigen oder zum Gegenangriff übergehen. Das führt dazu, dass man als Partner irgendwann keine Lust mehr hat, Kritik anzusprechen.
Man muss Abstand wahren: Narzissten meiden echte Nähe und sprechen ungern über Gefühle. Ihre Angst, sich schwach zu zeigen, verbergen sie hinter einer distanzierten Art. Als Partnerin ist das unzufriedenstellend. Es fehlt an Geborgenheit und Intimität.
Sie ist unehrlich: Affären und flüchtige sexuelle Bekanntschaften sind für Narzisstinnen ein Weg, sich Bestätigung zu suchen. Dies wird nicht nur problematisch, wenn es um das Thema Treue geht. Auch für die bloße Selbstdarstellung nutzen sie Übertreibungen oder erfinden Geschichten, etwa über ihre Erfolge.
Man fühlt sich ausgenutzt: Im Extremfall sehen Narzissten ihre Partnerin nicht als eigenständigen Menschen mit eignen Wünschen und Bedürfnissen, sondern als Objekt zur Befriedigung ihrer eigenen Ziele. Sie nutzen ihre Attraktivität zur Aufwertung ihres Selbst, ihre gesellschaftliche Stellung zum Erreichen beruflicher Ziele oder gebrauchen sie für ihre sexuellen Wünsche.
Allerdings sind nicht alle Narzisstinnen und Narzissten persönlichkeitsgestört und es gibt durchaus Konstellationen, die funktionieren können. Einerseits beispielsweise Paare mit zwei narzisstischen Menschen – die Partner werten sich dann quasi gegenseitig auf. Andererseits können sich eher selbstunsichere Partnerinnen bei Narzissten wohlfühlen. Die dominante Art von Narzisstinnen kann unsichere Personen entlasten, etwa weil sie ihnen Entscheidungen abnehmen kann. Wer die Eigenheiten des anderen akzeptiert, kann mitunter gut in einer Beziehung mit einer narzisstischen Person leben. Wenn man sich aber dauerhaft nicht wertgeschätzt und respektiert fühlt, wenn die eigenen Bedürfnisse nie erfüllt werden oder der Partner den eigenen Selbstwert gefährlich ankratzt, lohnt es, sich zu überlegen, ob man sich nicht trennen sollte. Oft fällt dies schwer.
Wenn Beziehungen mit Narzissten trotzdem funktionieren
Nicht alle narzisstischen Partner sind schwerwiegend gestört – und manche Konstellationen können funktionieren:
Zwei narzisstischen Menschen werten sich gegenseitig auf.
Selbstunsichere Personen fühlen sich mitunter bei Narzissten wohl. Deren dominante Art kann unsichere Menschen entlasten, etwa weil sie keine Entscheidungen treffen müssen.
Wer die Eigenheiten des anderen akzeptiert, kann mitunter gut in einer Beziehung mit einer narzisstischen Person leben. Wenn man sich aber dauerhaft nicht wertgeschätzt und respektiert fühlt, wenn die eigenen Bedürfnisse nie erfüllt werden oder der Partner den eigenen Selbstwert gefährlich ankratzt, lohnt es, sich zu überlegen, ob man sich nicht trennen sollte. Oft fällt dies schwer.
Narzissmus im Beruf
Persönlichkeitseigenschaften wie Dominanz, Ehrgeiz, Charme und Selbstbewusstsein, aber auch die Suche nach Bewunderung führen dazu, dass narzisstische Menschen häufig in Führungspositionen landen. Sie lassen sich nicht leicht einschüchtern, haben Freude am Wettbewerb und verstehen es, andere zu begeistern. Gerade in kompetitiven Umfeldern können diese Eigenschaften durchaus Vorteile bringen.
Allerdings zeigen narzisstische Führungskräfte oft auch eine geringe Kritikfähigkeit, überfordern ihre Mitarbeiter oder verhalten sich arrogant und willkürlich. In stark hierarchischen Unternehmen überfordern sie ihr Umfeld mitunter, reagieren empfindlich auf Widerspruch oder ziehen die Aufmerksamkeit auf sich, selbst wenn es der Sache schadet.
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Sinnkrise, Ärger mit Vorgesetzten oder Kolleginnen oder sogar schon kurz vor der Kündigung? Ein Psychotherapeut teilt Techniken, die helfen in Erste Hilfe gegen Job-Frust: 5 Hacks, die weiterbringen.
Wie gut oder schlecht Menschen mit einer hohen Ausprägung von Narzissmus im Berufsleben zurechtkommen, hängt zudem von inneren und äußeren Faktoren ab. Nicht nur die Regeln im Job können es Narzissten leicht oder schwer machen. Auch ihre weiteren Fähigkeiten, Talente und Eigenschaften haben einen Einfluss. So hat es eine hochintelligente und emotional eher stabile Narzisstin leichter, ihren selbstbewussten Ankündigungen auch Taten folgen zu lassen als jemand, für den der Spruch „große Klappe, nichts dahinter“ zutrifft.
Mein Chef, der Narzisst: Umgang mit narzistischen Vorgesetzten
Bevor man sich beim Unternehmen darüber beschwert, sollte man in Betracht ziehen, wie sehr die Unternehmenskultur von Narzissmus geprägt ist. Ist sie das in hohem Maße, hat man womöglich wenig Chance auf Unterstützung und es ist langfristig klüger, selber zu gehen. Es lohnt sich auch zu überlegen, ob man nur aus finanziellen Gründen Mitarbeiterin eines narzisstischen Chefs ist – und ob diese das Leiden wert sind.
Der Psychoanalytiker Michael Maccoby, der die Vor- und Nachteile narzisstischer Chefs und Chefinnen untersucht hat, empfiehlt, sich eine neue Anstellung zu suchen, wenn dieser Vorgesetzte einen nicht mehr widersprechen lässt. Um kurzfristig damit zurecht zu kommen, helfe es, sich daran zu erinnern, dass die Firma meist seiner Vision folgt und nicht der eigenen. Außerdem gibt er folgende Tipps:
Fühlen Sie mit ihrer Chefin mit. Aber erwarten Sie nicht, dass sie das auch mit Ihnen macht
Versuchen Sie stattdessen, Ihren Selbstwert woanders aufzubauen. Und bemühen Sie sich, zu verstehen, dass hinter ihrem Verhalten eine tiefe Verletzlichkeit steht. Loben Sie, was sie erreicht hat und unterstützen Sie ihre Impulse, wenn Sie diese gut finden. Aber seien Sie ehrlich, eine kluge Chefin durchschaut Schleimer und bevorzugt unabhängige Menschen, die sie ernsthaft schätzen. Zeigen Sie ihr, dass Sie ihren Ruf schützen, innerhalb wie außerhalb der Firma.
Geben Sie ihm Ideen, aber wahren Sie sein Ansehen
Versuchen Sie herauszufinden, was er denkt und nehmen Sie es ernst, bevor Sie ihm ihre Ansichten präsentieren. Wenn Sie glauben, dass er nicht recht hat, zeigen Sie ihm einen anderen Ansatz, der in seinem Interesse liegen könnte. Ist das nicht möglich, widersprechen Sie lieber nicht.
Verbessern Sie Ihr Zeitmanagement
Narzisstische Führungskräfte geben ihren Mitarbeitern oft mehr Aufgaben, als diese bewältigen können. Ignorieren Sie die, die keinen Sinn ergeben. Auch ihre Chefin wird sie vergessen. Nehmen Sie sich außerdem nur Auszeiten, wenn sie wissen, dass gerade wenig los ist. Narzisstische Chefinnen fühlen sich frei, Sie jederzeit um etwas zu bitten.
Entwicklungspsychologische Ursachen eines ausgeprägten Narzissmus
Warum Menschen ausgeprägte narzisstische Züge entwickeln, lässt sich nicht auf eine einzelne Ursache zurückführen. Die Forschung geht heute von einem multifaktoriellen Entstehungsmodell aus: Genetische Veranlagung, frühe Bindungserfahrungen und Erziehungsstile wirken dabei zusammen. Es gibt verschiedene psychologische Theorien, die unterschiedliche Aspekte dieser Entwicklung betonen:
Verhätscheln – die Lerntheorie von Theodore Millon: Dieser Ansatz geht davon aus, dass Narzissmus durch übermäßige Bewunderung entsteht. Wenn Kinder unabhängig von tatsächlichen Leistungen als „etwas Besseres“ behandelt und ständig gelobt werden, entsteht ein überhöhtes Selbstbild. Eine Längsschnitt-Studie der Universität Amsterdam stützt diese Sichtweise.
Vernachlässigung – Heinz Kohuts Erklärung: Im Gegensatz dazu sah der Psychoanalytiker Heinz Kohut die Ursache narzisstischer Entwicklungen in einem Mangel an elterlicher Aufmerksamkeit und Zuwendung. Wird ein Kind emotional vernachlässigt, entwickelt es ein überhöhtes Selbstbild – das „Größenselbst“ – um sich vor Scham und Minderwertigkeit zu schützen. Ebenso kreiert es sich ein idealisiertes Bild von den Eltern.
Kohut zufolge ist dieses Größenselbst zunächst ein normaler Teil der kindlichen Entwicklung – eine frühe Form des Selbstwertgefühls, die durch empathische Spiegelung der Bezugspersonen allmählich in ein realistisches Selbstbild überführt werden sollte. Gelingt dies nicht, wirken die Idealisierungen in verdrängter unterbewusster Form weiter. Später äußern sie sich in unbefriedigten Größenansprüchen und beschämenden Minderwertigkeitsgefühlen. Sie sind die Ursachen für die Tendenz, andere abzuwerten. Auf diese Weise fassen Sven Barnow und David Roth Kohuts Theorie im Buch „Persönlichkeitsstörungen: Ursachen und Behandlung“ zusammen.
Borderline-Ähnlichkeit – Otto Kernbergs Theorie: Innerhalb der psychoanalytischen Szene konkurriert die Erklärung Heinz Kohuts mit der Otto Kernbergs. Dieser zufolge ist die Narzisstische Persönlichkeitsstörung der Borderline-Persönlichkeitsstörung sehr ähnlich. Beiden fehle der gesunde Narzissmus im Sinne eines stabilen Selbstwertes; Betroffene haben große Angst, abgewiesen zu werden. Die narzisstische Persönlichkeitsstörung sei jedoch die weniger schwere, weil sie über einen komplexen Abwehrmechanismus verfügt: Hinter Größen- und Unabhängigkeitsfantasien werden die ursprüngliche Borderlinestruktur sowie die zwischenmenschliche Unsicherheit versteckt.
Feedbackproblem – Aaron T. Bechs Sichtweise: Für Aaron T. Beck, einen der Begründer der kognitiven Verhaltenstherapie, liegt das Problem in der Art, wie narzisstische Menschen auf Rückmeldung reagieren, heißt es bei Fiedler und Herpertz. Die Hauptprobleme narzisstischer Menschen sehe Beck in zwischenmenschlichen Situationen, etwa einem Mangel an Empathie und extremer Angst vor Kritik. Andere Menschen bedrohten die Narzisstin, wenn sie ihre großartige Ansicht ihrer selbst nicht teilen. Dies führt zu einem Rechtfertigungsdruck und bindet sie umso stärker an ihre überwertigen Überzeugungen. Um ihr Größenselbst zu schützen, wertet sie andere ab.
Diese Theorien widersprechen sich nicht, sondern beleuchten unterschiedliche Facetten der Entwicklung. Moderne Studien zeigen, dass sowohl Überbewertung als auch emotionale Vernachlässigung in der Kindheit narzisstische Tendenzen begünstigen können – je nachdem, wie das Kind diese Erfahrungen verarbeitet.
Und egal, wie man die Entstehung von Narzissmus erklärt: Mit zunehmendem Lebensalter nehmen narzisstische Persönlichkeitsmerkmale ab. Das hat eine umfassende Metaanalyse zur von
Therapiemöglichkeiten: Wie kann eine Narzisstische Persönlichkeitsstörung behandelt werden?
Auch wenn der Gedanke weit verbreitet ist, dass eine narzisstische Persönlichkeitsstörung kaum zu behandeln ist, gibt es positive Therapieverläufe. Viele Betroffenen wollen jedoch nicht in Therapie oder brechen diese nach kurzer Zeit ab. Wenn sie sich überhaupt Hilfe suchen, so in der Regel wegen zwischenmenschlichen Problemen, etwa wenn der oder die Partnerin sie schickt.
Neben Beziehungskrisen können auch andere Krisen dazu führen, dass ein Narzisst eine Therapie beginnt, etwa Statusverlust oder ein (öffentlicher) Misserfolg. Aus Gefühlen von Scham oder Versagen reagieren Narzisstinnen nach solchen Ereignissen oft mit unüberlegten Verhaltensweisen wie übermäßigem Alkohol, Selbstaufgabe (etwa in Form der Kündigung des Jobs) oder dem Kontaktabbruch mit wichtigen Personen. Manchmal kommt es auch zu Suizidgedanken oder -handlungen. Je nach therapeutischer Schule und den individuellen Bedürfnissen und Schwierigkeiten des Patienten gehen die Therapeutinnen in der Behandlung unterschiedlich vor. Dennoch beschreiben Lammers und Eismann Aspekte, um die es in fast jeder Therapie geht:
Einsicht in die eigene Selbstwertregulation: Betroffene lernen Einsicht in ihre Selbstwertregulation zu bekommen. Etwa indem sie sich fragen: „Was versuche ich mit meinen narzisstischen Verhaltensweisen zu erreichen?“ oder „Wie hängen mein grandioses und mein vulnerables Selbst zusammen?“
Arbeit an der Empathiefähigkeit: Es wird an der Empathiefähigkeit gearbeitet, zum Beispiel indem sich die Patienten darin üben, die Perspektive anderer einzunehmen, unter anderem in Rollenspielen.
Biografische Aufarbeitung: Es werden die biografischen Aspekte der narzisstischen Problematik beleuchtet. Zum Beispiel indem man sich fragt „Welche Menschen haben mich geprägt?“
Erleben von Beziehung in der Therapie: In der therapeutischen Beziehung erleben die Patientinnen, wie entlastend es sein kann, sich anderen gegenüber auch mit Schwächen zu zeigen und mit seinen Problemen zu öffnen.
Lammers und Eismann schreiben auch, dass es bei Beziehungsschwierigkeiten und leichten Ausprägungen von Narzissmus hilfreich sein könne, eine Paartherapie zu machen. Handelt es sich um eine manifeste Persönlichkeitsstörung bieten sich spezialisierte Behandlungsansätze an, zum Beispiel die aus der Verhaltenstherapie kommende Schematherapie oder die Übertragungsfokussierte Psychotherapie, ein psychodynamisches Verfahren.
Narzissten erkennen: Symptome richtig deuten
Wie lassen sich Narzisstinnen und Narzissten erkennen? Was viele Menschen unter Narzissmus verstehen, ein dominantes, großspuriges und arrogantes Verhalten, bezeichnen Psychologinnen als „grandiosen Narzissmus“. Solche Personen lassen sich kaum übersehen.
Weniger sichtbar ist der vulnerable oder verdeckte Narzissmus. Manchmal wird er auch als weiblicher Narzissmus bezeichnet, dabei kann er bei beiden Geschlechtern vorkommen. Menschen mit vulnerablem Narzissmus wirken zunächst angepasst, zurückhaltend, manchmal selbstunsicher oder leicht depressiv. Doch hinter der Fassade verbergen sie die gleiche Anspruchshaltung, Selbstbezogenheit und geringe Empathie wie beim grandiosen Typ. Sie trauen sich nur nicht, diese zu zeigen.
Beiden Formen des Narzissmus sind bestimmte Merkmale gemeinsam. Diese liegen bei grandiosen Vertretern offener zutage als bei – der Name deutet es an – verdeckten Narzissten. Zu diesen Merkmalen zählen:
ein großes Bedürfnis nach Bewunderung und positiver Rückmeldung („Ich muss immer im Mittelpunkt stehen“, „Ich muss immer die Beste sein“),
eine überhöhte Selbsteinschätzung („Ich bin anderen überlegen“, „Ich bin etwas ganz besonderes“),
ein starkes Anspruchsdenken, verbunden mit der Erwartung, besser als andere behandelt zu werden („Ich habe es verdient, dass …“).
Selbsttest: Bin ich ein Narzisst?
Narzisstische Persönlichkeitszüge weisen viele Menschen auf – ohne dass gleich eine Persönlichkeitsstörung vorliegt. Die folgende Checkliste basiert auf den Diagnosekriterien des Diagnosemanual DSM 5. Eine narzisstische Persönlichkeitsstörung wird in der Regel angenommen, wenn mindestens fünf der folgenden Merkmale zutreffen:
Man hat ein grandioses Gefühl der eigenen Wichtigkeit (zum Beispiel übertreibt man die eigenen Leistungen und Talente; erwartet, ohne entsprechende Leistungen als überlegen anerkannt zu werden).
Man ist stark eingenommen von Fantasien grenzenlosen Erfolgs, Macht, Glanz, Schönheit oder idealer Liebe.
Man glaubt von sich, „besonders“ und einzigartig zu sein und nur von anderen besonderen oder angesehenen Personen (oder Institutionen) verstanden zu werden oder nur mit diesen verkehren zu können.
Man verlangt nach übermäßiger Bewunderung.
Man legt ein Anspruchsdenken an den Tag (das heißt übertriebene Erwartungen an eine besonders bevorzugte Behandlung oder das automatische Eingehen auf die eigenen Erwartungen).
Man verhält sich in zwischenmenschlichen Beziehungen ausbeuterisch (das heißt, man zieht Nutzen aus anderen, um die eigenen Ziele zu erreichen).
Man zeigt einen Mangel an Empathie: Ist nicht willens, die Gefühle und Bedürfnisse anderer zu erkennen oder sich mit ihnen zu identifizieren.
Man ist häufig neidisch auf andere oder glaubt, andere seien neidisch auf einen selbst.
Man zeigt arrogante, überhebliche Verhaltensweisen oder Haltungen.
Diese Kriterien geben erste Anhaltspunkte. Für eine fundierte Einschätzung sind jedoch auch Faktoren wie Leidensdruck, soziale Funktionsfähigkeit und Kontextabhängigkeit entscheidend. In der modernen Diagnostik wird zunehmend ein dimensionales Modell angewendet, das zwischen gesunden, problematischen und krankhaften Ausprägungen unterscheidet.
Hat Narzissmus auch gute Seiten?
Nicht jede narzisstische Neigung führt zu Problemen. Um die Grenze zwischen gesundem und problematischem Narzissmus zu reflektieren, schlägt der Psychiater Claas-Hinrich Lammers eine Reihe von Begriffspaaren vor, die zur Einordnung dienen können:
Selbstbewusst – oder überheblich?
Von sich überzeugt – oder selbstverliebt?
Dominant – oder ausbeuterisch?
Selbstfürsorglich – oder egoistisch?
Eitel – oder arrogant?
Erfolgsorientiert – oder ruhmsüchtig?
Der Übergang zum problematischen Narzissmus beginnt dort, wo andere Menschen unter dem Verhalten leidet – etwa durch mangelnde Rücksichtnahme, Kränkungen oder manipulative Tendenzen.
Narzissten genießen Aufmerksamkeit und suchen nach Gelegenheiten, ihr Können zu zeigen – was ihnen beruflich wie sozial Vorteile verschaffen kann. Narzissmus hat also auch gute Seiten. Die Frage ist nur, für wen: Narzissten und Narzissten führen vielleicht ein glückliches und zufriedenes Leben – hinterlassen aber eine Schneise der Verwüstung in ihrem Umfeld.
Aber das muss nicht so sein. In kompetitiven, leistungsorientierten oder mit medialer Aufmerksamkeit geprägten Kontexten haben narzisstische Persönlichkeitsmerkmale eine wichtige Funktion. Im Sport, in der Wirtschaft oder auch in Kunst und Kultur können Menschen mit ausgeprägt narzisstischer Persönlichkeit andere mitreißen, ihnen vorweg gehen. Studien zeigen, dass narzisstische Führungspersonen unter bestimmten Bedingungen visionär, entscheidungsfreudig und inspirierend sein können – gerade dann, wenn sie emotional stabil sind und strategisch mit ihrer Wirkung umgehen
Zudem kennen Wissenschaftlerinnen auch den sogenannten „kommunale Narzissmus“, also der Wunsch, durch Fürsorge und moralisches Engagement bewundert zu werden. Dies kann positiven sozialen Output erzeugen – etwa in Aktivismus, Gemeinwohlprojekten oder Wohltätigkeit. So betrachtet kann Narzissmus auch als Triebkraft wirken – für Wandel, Innovation und Sichtbarkeit.
Quellen
Mitja Back: Ich! Die Kraft des Narzissmus, Kösel 2023
Sven Barnow (Hg.): Persönlichkeitsstörungen: Ursachen und Behandlung, Hogrefe 2007
Eddie Brummelman u.a.: Origins of narcissism in children. Proceedings of the National Academy of Sciences, 112/12, 2015, 3659-3662.
Carla Bueno-de la Fuente et al.: Relationship Between Leadership, Personality, and the Dark Triad in Workplace: A Systematic Review. Behavioral Sciences, 15/3, 2025, Artikel 297.
Maryam Farzand et al.: Effects of Self-Concept on Narcissism: Mediational Role of Perceived Parenting. Frontiers in Psychology, 12, 2021, Artikel 674679.
Peter Fiedler, Sabine Herpertz: Persönlichkeitsstörungen, Beltz 2016
Ester di Giacomo et al.: The Dark Side of Empathy in Narcissistic Personality Disorder. Frontiers in Psychiatry, 14, 2023, Artikel 1074558.
Claas-Hinrich Lammers, Gunnar Eismann: Bin ich ein Narzisst? Schattauer, Stuttgart 2019
Claas-Hinrich Lammers: Ratgeber Narzissmus. Informationen für Betroffene und Angehörige. Hogrefe, 2024.
Maccoby, Michael: Narcissistic leaders. Contemporary Issues in Leadership 19, 2012
Ulrich Orth, Samatha Krauss, Mitja Back: Development of narcissism across the life span: A meta-analytic review of longitudinal studies. Psychological Bulletin, 150/6, 2024, 643-665.
Ulrich Orth, Richard W. Robins: Is High Self-Esteem Beneficial? Revisiting a Classic Question. American Psychologist. 77/1, 2022, 5-17.
Donaldson-Pressman, Stephanie, Robert M. Pressman: The narcissistic family: Diagnosis and treatment. Jossey-Bass, 1997
Igor Weinberg, Elsa Ronningstam: Narcissistic Personality Disorder: Progress in Understanding and Treatment. Focus: The Journal of Lifelong Learning in Psychiatry, 20/4, 2022, 368-377.