Sie erforschen den Zusammenhang zwischen Zielen und unserer persönlichen Entwicklung. Wodurch unterscheiden sich Ziele von Wünschen?
Sprechen wir über Ziele, haben wir meist die großen Lebensträume im Sinn: Ich will die Welt verbessern. Oder eine Stufe darunter: Ich möchte eine wunderbare Ehe führen. Dabei können Ziele in den verschiedensten Größenordnungen und Abstraktionsstufen daherkommen. Sie können sich aus übergeordneten Werten ableiten und von großer Bedeutung sein; oder eben klein und situativ, etwa:…
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sich aus übergeordneten Werten ableiten und von großer Bedeutung sein; oder eben klein und situativ, etwa: pünktlich zu meinem Meeting erscheinen. Ziele beschreiben einen erwünschten Zustand und einen Weg, diesen zu erreichen. Diese Kopplung zwischen Zustand und Weg ist wichtig, denn wenn ich nur einen erstrebenswerten Zustand im Kopf habe, handelt es sich um einen Wunsch. Wenn man Glück hat, gehen Wünsche in Erfüllung – meist durch andere Menschen oder Umstände –, aber Ziele verfolgen und erreichen wir selbst.
Für unsere Ziele, die hochambitionierten wie die winzigen, müssen wir aktiv werden, dadurch werden sie handlungsleitend. Will ich einen Schulabschluss erreichen, muss ich in die Schule gehen und lernen. Ich stehe jeden Morgen auf und gehe nach dem Frühstück in die Schule, ohne konkret dabei täglich an mein Ziel „Abitur“ zu denken. Aber mein Ziel bestimmt, welche Handlung ich unter Myriaden von möglichen Alternativen ausführe. Ziele steuern auch unsere Aufmerksamkeit, die Interpretation und die Bewertung von Situationen. Unsere Ziele strukturieren unser Wahrnehmen, Denken, Fühlen und Handeln. Sie sind ungemein bedeutsam für die Lebensgestaltung und unsere Entwicklung.
Was passiert, wenn ich keinen Plan habe?
Dann fehlen uns Organisationsstrukturen. Wir brechen die großen Ziele in Unterziele und Kleinstziele herunter. Ohne eine klare Ausrichtung mache ich mal dies und mal jenes, abhängig davon, was sich mir situativ anbietet. Das hat eine Willkürlichkeit, durch die alles zerfasert. Dann flottieren wir richtungslos durch das Leben. Ohne Ziele fehlt die Motivation, etwas zu tun, was über die momentane Bedürfnisbefriedigung hinausgeht. Kann ich meine Handlungen nicht mit übergeordneten Zielen und Werten verbinden, stellt sich irgendwann das Gefühl ein: Warum tue ich das alles überhaupt? Unser Handeln scheint uns dann sinnentleert.
Wie beeinflusst unser Umfeld, was wir anstreben?
Persönliche Ziele kommen nicht aus dem Nichts. Auch wenn es uns häufig nicht bewusst ist, basieren sie immer auch auf sozialen Erwartungen und Normen, sowohl auf gesellschaftlichen als auch auf jenen aus unserer direkten sozialen Umgebung, die natürlich auch immer gesellschaftlich eingebunden ist. So werden die gesellschaftlichen und auch die Erwartungen meiner Familie in einer restriktiven, wenig liberalen Gesellschaft, einer tight culture deutlich enger sein. Auch meine persönlichen Ziele werden stärker in Einklang mit den normativen Erwartungen sein als in einer loose culture wie der unsrigen, in der die Erwartungen deutlich lockerer sind.
Solche Erwartungen beziehen sich oft darauf, was man zu einem bestimmten Alter erreichen sollte: In der Kindheit und Jugend gilt es, einen Schulabschluss zu erzielen, daran schließt sich Ausbildung oder Studium im jungen Erwachsenenalter an, gefolgt von Familiengründung und Berufseintritt und so weiter. Die sozialen Erwartungen beeinflussen auch die individuelle Zielsetzung stark, unter anderem aufgrund der Unterstützung und Wertschätzung, die man erhält, wenn man ihnen entspricht. Natürlich unterscheiden sich Menschen darin, wie sie damit umgehen, aber selbst wenn man sich dagegen entscheidet, bestimmte Erwartungen zu erfüllen, setzt man sich zumindest damit auseinander.
Was, wenn wir trotz aller Bemühungen dabei scheitern, unsere Ziele zu erreichen?
In der Reflexion gilt es zunächst herauszufinden, ob das Ziel überhaupt im Rahmen der Möglichkeiten realistisch war. Mit fünfzig kann man nicht mehr Weltmeisterin im 100-Meter-Lauf werden, da macht der Körper nicht mit; nicht ich bin dann gescheitert, sondern das Ziel war zu hoch gesteckt und konnte gar nicht erreicht werden. Das kann eine Chance sein, ein neues Ziel zu setzen, das meinen Möglichkeiten besser entspricht.
Wenn ein Ziel im Prinzip hätte erreicht werden können, lohnt es sich, darüber nachzudenken: Wie bin ich vorgegangen? Wie könnte ich es besser machen? Dazu lohnt es sich, auch andere Leute einzuladen, deren Meinung und Erfahrungen zu hören. Dann kann ich es beim nächsten Mal besser machen. Das Scheitern ist dann kein Misserfolg, sondern eher eine Herausforderung, einen besseren Weg zu finden.
Endgültige Misserfolge bei den größeren Lebenszielen sind schwer. Eine gescheiterte Ehe wird wohl von den wenigsten als eine Herausforderung oder eine Chance erlebt, zumindest nicht gleich. Stattdessen muss man anerkennen: Diese Beziehung ist gescheitert. Man muss anerkennen, dass da in erster Linie ein großer Schmerz ist. Die Frage ist dann, was der nächste Schritt ist: Sehe ich das Scheitern als eine Lernmöglichkeit an, was ich in der nächsten Beziehung besser machen kann, oder als Resultat meines Unvermögens, weil ich halt nicht beziehungsfähig bin?
Wer sein Scheitern auf seine unveränderlichen Eigenschaften zurückführt, hat der Psychologin Carol Dweck zufolge ein fixed mindset, also ein statisches Selbstbild. Wer hingegen glaubt, neue Kompetenzen erwerben zu können, verfügt über ein growth mindset, ein wachstumsorientiertes Selbstbild.
Ich gehe stark davon aus, dass ein Wachstumsmindset sich vorteilhaft auswirkt. Es gibt gute empirische Evidenz dafür, dass man mit einem fixed mindset bei Schwierigkeiten früher aufgibt, weil man sich als in den Möglichkeiten begrenzt wahrnimmt. Leider sind die Trainings hin zu einem wachstumsorientierten Mindset nicht effektiv; es ist schwierig, tiefverwurzelte Überzeugungen über die eigenen Fähigkeiten und Eigenschaften zu verändern.
Wie flexibel sind unsere Ziele?
Sie sind nicht statisch, ich formuliere sie nicht einmal, und dann gelten sie als gesetzt. Was ich will, verändert sich, je mehr ich darüber weiß und je mehr ich dafür getan habe. Auch ohne ständig darüber zu reflektieren, passen wir unsere Ziele ständig den Gegebenheiten an, und so verändern sie sich über die Zeit, auch ohne dass wir das merken. Ziele sind also wichtig dafür, wie wir unser Leben gestalten, aber sie sind auch das Produkt unserer Lebensweise.
Dr. Alexandra M. Freund ist eine schweizerisch-deutsche Psychologin mit einer Professur für Entwicklungspsychologie im Erwachsenenalter an der Universität Zürich. Ihr Interesse gilt der motivationalen Entwicklung über das Erwachsenenalter hinweg, sie hat eine Vielzahl an wissenschaftlichen Artikeln dazu publiziert.
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