Gefangen im Jammerzirkel

Virtuelle Meetings führen häufig zu Frustration und Stress, so die Organisationspsychologin Nale Lehmann-Willenbrock. Wie müssen sie gestaltet werden?

Die Illustration zeigt eine Gruppe von Personen bei einem Meeting an einem Tisch und alle langweilen sich
Fehlt Meetings die nötige Struktur, eröffnet das einen Raum für destruktive Verhaltensweisen. © Shenja Tatschke für Psychologie Heute

Wenn Besprechungen schlecht organisiert sind, schaden sie dem psychischen Wohlbefinden der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Warum?

Fehlt einem Meeting die notwendige Struktur, ist destruktivem Verhalten Tür und Tor geöffnet. Dann macht sich beispielsweise einer der Teilnehmenden so richtig schön Luft und fängt an zu nörgeln und zu klagen. Der oder die nächste nimmt den Faden auf, jemand schließt sich an. So entsteht ein Jammerzirkel, der gefühlt kein Ende nimmt. Die Akteurinnen und Akteure fühlen sich nach…

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ein Jammerzirkel, der gefühlt kein Ende nimmt. Die Akteurinnen und Akteure fühlen sich nach dem Frustabbau gut, der Rest der Teilnehmenden durfte alles schlucken und hat schlechte Laune. Unsachliche Kritik, kleine Spitzen und Seitenhiebe haben denselben Effekt. All das sollte nicht passieren, wenn die Sitzung kompetent geleitet wird, jeder weiß, warum er dabei ist und was er oder sie Konstruktives beitragen kann. Eine fehlende Struktur bedeutet: Ich lasse viel Raum für Dinge, die dort nicht hingehören.

Das ist sicher nervig und demotivierend. Sie sehen darin aber auch einen Risikofaktor für Burnout.

Wir reden nicht von einem Meeting, sondern von sehr vielen Meetings, die unzufriedenstellend verlaufen und Zeit schlucken. Niemand sagt: Ich hasse meine Teamsitzungen und will da nicht mehr hin, nur weil ein Termin unstrukturiert war oder nicht gut gelaufen ist. Aber wenn das normale Verhaltensmuster ist, dass ich in der Besprechung nur meine Zeit absitze und mich eigentlich mit etwas anderem beschäftigen möchte, dann wird das Meeting zum Stressfaktor.

Starten und enden diese Termine unpünktlich, beeinflusst das den gesamten Arbeitstag. Muss ich mich dann noch bei meinen Kolleginnen und Kollegen im Anschlusstreffen für meine Unpünktlichkeit entschuldigen, belastet mich das weiter. Daraus entsteht eine Abwärtsspirale im Arbeitsalltag, die in Dauerstress münden kann.

Wie verbreitet ist das Problem?

Für viele Arbeitnehmerinnen und -nehmer entwickelt sich die Meetingkultur zunehmend zu einem Problem, weil sehr viel Arbeitszeit in Sitzungen wandert. Es kommt natürlich auf den Beruf an, aber viele Arbeitende in der sogenannten Wissensgesellschaft müssen immer komplexere Aufgaben lösen, dadurch erhöht sich der Abstimmungsbedarf. Wir sprechen in der Psychologie von Salienz: Je präsenter etwas ist, je mehr Zeit ich damit verbringe, desto stärker kann es mich beeinflussen, im positiven wie im negativen Sinne.

Wie können wir geschäftliche Treffen sinnvoll gestalten?

Indem man sagt: Für uns als Organisation ist es wichtig, dass Arbeitszeit effektiv genutzt wird. Wir wollen, dass diejenigen, die ein Meeting einberufen, sich erst mal fragen, ob sie wirklich die Arbeitskraft von mehreren Personen für eine Stunde binden müssen oder ob das Anliegen auch asynchron, beispielsweise per Mail oder Chat abgestimmt werden kann. Zudem können Organisationen Regeln für ihre Meetingpraxis festlegen, etwa über die maximale Anzahl der Besprechungen am Tag und die Pausen dazwischen, in denen man sich regenerieren kann.

Der Unternehmensberater Patrick Lencioni konstatiert in seinem Ratgeberbuch Tod durch Meeting, dass Langeweile die Hauptursache dafür sei, dass Menschen in ihrem Beruf frustriert sind. Umfragen belegen, dass während Videocalls häufig E-Mails geschrieben, online geshoppt, gekocht oder sogar geduscht wird. Lencioni rät Führungskräften zu dramatischeren Inszenierungen, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Überzeugt Sie das?

Nun ja, vielleicht sieht das die eine oder andere Führungskraft als Inspiration und schneidet sich ein ganz kleines Scheibchen ab, denn der grundsätzliche Ansatz, die Langeweile zu bekämpfen und für mehr Partizipation und Engagement in Digitalsitzungen zu sorgen, ist nicht verkehrt. Die Idee des Dramas erscheint mir für die meisten professionellen Kontexte allerdings unpassend. Wir wollen ja keine Show veranstalten, sondern gemeinsam produktiv sein. Führungskräfte sollten sich aber durchaus fragen, woran es liegt, wenn die Leute abdriften und keiner etwas sagt.

Wie lässt sich die Beteiligung steigern

Beispielsweise indem ich das typische Meetingformat aufbreche, das häufig wie folgt aussieht: Eine Person berichtet sehr lange, hält Monologe und die anderen hören zu. Das Ziel besteht darin, dass gemeinsam Verantwortung für die Zeit übernommen wird und nicht alles an der leitenden Person hängt. Wenn man vorab festlegt, dass alle Teilnehmenden mitbestimmen, was auf der Agenda steht, und ihre eingebrachten Punkte auf der Tagesordnung dann auch moderieren, wird die Gestaltung auf mehrere Schultern verteilt. Das ist ein besserer Ansatz, als einer Person die Gestaltung und damit auch den Erfolg des Meetings zu überlassen.

Sie haben die positive Wirkung von ­Humor in Meetings erforscht. Was lässt sich daraus ableiten?

Humor wird gerne als sozialer Klebstoff bezeichnet, der viel kitten und über nervige Situationen hinweghelfen kann. Ein ganz zentraler Befund, den wir immer wieder in verschiedenen Kontexten sehen, ist, dass die Leitung da eine Art Vorbildfunktion hat. Wenn ich selbst mal scherze, schaffe ich ein bestimmtes Klima, in dem auch Probleme eher angesprochen werden und Freude aufkommt. Die Besprechung ist eine gute Lupe, die zeigt, wie Teams ticken und wie Führungskräfte sich ihrem Team gegenüber verhalten.

Nicht alle verfügen gleichermaßen über ein humoristisches Talent.

Richtig. Ich plädiere dennoch dafür, der informellen Kommunikation Raum zu geben. Die geht besonders bei virtuellen Meetings oft flöten. Die Sitzung beginnt und es geht gleich los mit Punkt eins. Das ist eigentlich nicht das, was wir aus Präsenzveranstaltungen kennen, und auch nicht hilfreich, um ein gutes Klima herzustellen. Denn die ersten zehn Minuten setzen den Ton und stellen die richtigen Weichen.

Typisch ist bei Face-to-Face-Meetings ja, dass ich mir einen Platz suche, es sind schon zwei, drei Leute da und die beginnen schon mal zu plänkeln: Wie geht es denn so? Was hast du diese Woche auf dem Zettel stehen? So kommen die Teilnehmenden langsam rein. Damit diese informelle Kommunikation nicht verlorengeht, kann man bei virtuellen Meetings beispielsweise zu Beginn reihum kurz fragen, was gerade ansteht, wie eine Art Blitzlicht. Wir wissen, dass gerade die stilleren Teilnehmenden, die Introvertierten diese Warmlaufphase brauchen, damit sie sich im Meeting mehr beteiligen und hinterher sagen: Das war sinnvoll verbrachte Zeit für mich.

Laut der Homeoffice-Studie der Universität Konstanz empfindet jede und jeder dritte Befragte hybride Meetings, bei denen ja ein Teil der Belegschaft am Konferenztisch und ein Teil am heimischen Schreibtisch sitzt, als belastend. Weshalb?

Weil eine technologische Spaltlinie durch das Team verläuft. Eine Subgruppe ist dabei vor Ort, sieht sich und kann so eine Vielzahl nonverbaler Signale wie etwa Körpersprache oder Blickwechsel wahrnehmen. Anders als die Subgruppe, die via Bildschirm teilnimmt. Dadurch können viele Missverständnisse entstehen und auch das Thema Inklusion aller Mitarbeitenden und Teambildung ist dabei mit einem großen Fragezeichen versehen.

Eigentlich sollte das hybride Setting die Inklusion fördern, weil es eine Flexibilisierung für die Arbeitnehmenden ermöglicht und gleichzeitig die Möglichkeit bietet, sich unabhängig vom Arbeitsort am gemeinsamen Wissensaustausch zu beteiligen. Andererseits besteht bei dem hybriden Setting auch schnell die Gefahr der Exklusion, weil sich die virtuell Zugeschalteten schnell ausgeschlossen fühlen können, da sie teilweise nicht richtig mitbekommen, was im Raum passiert.

Wie geht es den Anwesenden?

Die sind vielleicht genervt, weil sie sich die Mühe gemacht haben, ins Büro zu kommen, während die Videocallkollegen und -kolleginnen sich das gespart haben. Dazu kommt für die vor Ort Anwesenden die Herausforderung, die sozialen Signale im Raum wahrzunehmen und gleichzeitig die Signale auf dem Bildschirm zu verarbeiten. Hybride Settings können daher insbesondere für die vor Ort Anwesenden zu kognitiver Überforderung führen.

Wie lässt sich das verhindern?

Wir haben dazu letztes Jahr ein Paper in Personal Quarterly veröffentlicht, gemeinsam mit Beraterinnen und Beratern aus der organisationalen Praxis. Eine Quintessenz ist: Die gelungene Leitung eines hybriden Meetings ist zu viel für eine Person, stattdessen sollte diese Funktion auf mehrere Schultern verteilt werden. Idealerweise moderiert vor Ort eine Person, eine andere hat im Blick, wie die virtuell Teilnehmenden eingebunden werden können, und achtet darauf, dass diese auch zu Wort kommen.

Sie hatten vorhin kurz die introvertierten Persönlichkeiten erwähnt. Nur noch 20 Prozent aller Besprechungen finden in Präsenz statt. Geraten zurückhaltende Menschen beruflich vermehrt ins Abseits, weil Extravertierte sich besser in Videocalls präsentieren können?

Das kann passieren, wobei sich die Introversion allerdings in allen kommunikativen Settings und nicht nur in einem Videocall auf die Wahrnehmung der Teilnehmenden auswirken kann. Bei den hybriden Arbeitsmodellen sind die Introvertierten jedoch nicht zwingend im Nachteil. Das ist jetzt spekulativ, weil wir hierzu noch keine Studien haben, aber: Es könnte sogar sein, dass Introvertierte gerne mal einen Tag remote arbeiten, weil sie das entlastet und entspannt. Vielleicht ist es dann für introvertierte Teilnehmende auch leichter, sich virtuell einzubringen, wenn sie nicht schon den achten Teeküchenplausch am Tag hinter sich gebracht haben.

Außerdem würde ich nicht davon ausgehen, dass jemand, der auf der Extraversionsskala einen hohen Wert erzielt, die neue Arbeitsweise durchweg positiv erlebt. Viele Extravertierte genießen die reichhaltige soziale Interaktion vor Ort, und wenn es davon immer weniger gibt, dann kann das durchaus zum Belastungsfaktor werden. Nicht selten orientieren sich die Anwesenden in hybriden Meetings zum Bildschirm hin, weil dieser unsere Aufmerksamkeit wie ein Magnet auf sich zieht – selbst wenn die Person, die gerade spricht, im Raum anwesend ist. Das kann durchaus zulasten der Extravertierten gehen.

Sie beschäftigen sich am Lehrstuhl auch mit virtuellen Meetings: Werden wir künftig in der Jogginghose mit VR-Brille zu Hause sitzen und mittels unseres gestriegelten Avatars im Metaversum über die neue Strategie diskutieren?

Teilweise ist die Technologie noch Spielerei, teilweise hakt sie noch, was auch an den noch nicht ganz so realistischen Avataren auf verfügbaren VR-Plattformen liegt. Besonders für kreative Herausforderungen tun sich mit dem Metaversum aber spannende neue Möglichkeiten auf, weil sich die Teilnehmenden wieder wie in einer richtigen Gruppe fühlen können, im Vergleich zum typischen virtuellen Meeting vor dem Bildschirm.

Schwierig wird es teilweise, wenn im Meeting Dokumente geöffnet werden oder im virtuellen Raum ohne gleichzeitige Bearbeitungsmöglichkeit am eigenen Rechner sehr viel notiert werden muss. Insbesondere wenn die Teilnehmenden noch eher wenig Erfahrung mit VR haben, dann ist das Metaversum als Meetingraum eher weniger geeignet. Geht es aber um Brainstorming oder um die Entwicklung von Teamgeist, sind diese immersiven Settings sehr spannend.

Forschende an der Universität Münster haben untersucht, ob Meetings im virtuellen Raum zu mehr Produktivität führen als herkömmliche 2-D-Videomeetings. Sie fanden diesbezüglich keine Vorteile. Die VR-Teilnehmenden berichteten jedoch über große Erschöpfung. Werden wir lernen, damit umzugehen?

Dazu gehört sicher eine individuelle Lernkurve, das sehen wir auch hier mit unseren Studierenden, die an unserer Forschung und Lehre zu Gruppenprozessen im Metaversum teilnehmen. Sicher gibt es auch individuelle Unterschiede, da gibt es einige, die waren vorher noch nie in der virtuellen Realität unterwegs, haben sich die Brille aufgesetzt und fühlten sich damit wohl. Und dann gibt es andere, die sagen: „Boah, war das anstrengend.“ Je realistischer die Avatare, desto leichter fällt es uns, relativ natürlich sozial zu interagieren. Dann entwickle ich das, was die Informatik sense of presence nennt, also das Gefühl, dass ich in dieser Situation präsent bin und dass der virtuelle Raum realistisch ist.

Eine Sehnsucht nach Präsenz brachten in der Konstanzer Homeoffice-Studie nicht wenige Befragte zum Ausdruck – ihnen fehlt der Handschlag.

Ich finde das nicht überraschend, sondern sehr natürlich. Mir persönlich geht es auch so, ich bin überhaupt kein Fan von ausschließlicher Remote-Arbeit und mir fehlt eine wesentliche Dimension bei der Arbeit, wenn ich mein Team über längere Zeit nicht sehe. Ich finde es aber auch toll, die Möglichkeit dieses individuellen Freiraums zu haben. Da wir soziale Wesen sind, brauchen wir auch noch etwas anderes. Selbst mit allen technologischen Möglichkeiten wie Virtual- Reality-Settings, die uns das Gefühl suggerieren, in einer echten Gruppe zu sein, ist das letztlich nicht dasselbe wie persönlicher Kontakt in Präsenz. Deshalb ist es aus meiner Sicht auch nicht ratsam, ganz auf den persönlichen Kontakt zu verzichten.

Nale Lehmann-Willenbrock ist Professorin für Organisationspsychologie an der Universität Hamburg. Ihr Interesse gilt Team-­Prozessen und New Work

Quellen

Fabio Krüger, Nale Lehmann-Willenbrock et al.: Die Herausforderungen hybrider Meetings verstehen und meistern. PERSONALquarterly, 2022, 4, 34–43.

Nale Lehmann-Willenbrock, Joseph A. Allen: How fun are your meetings? Investigating the relationship between humor patterns in team interactions and team performance. Journal of Applied Psychology, 2014, 99(6), 1278–1287.

Nale Lehmann-Willenbrock et al.: The critical importance of meetings to leader and organizational success: Evidence-based insights and implications for key stakeholders. ­Organizational Dynamics, 2018, 47(1), 32-36.

Konstanzer Homeoffice Studie: bit.ly/3N1C399

Patrick Lencioni: Tod durch Meetings. Wiley-VCH, Weinheim 2017

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 8/2023: Das ewig hilfreiche Kind