„Ich gehe mit schlechtem Gewissen ins Bett“

Ihm ist Nachhaltigkeit sehr wichtig, seinen älteren Vorgesetzen nicht. Wie es einem jungen Architekten geht, dessen Werte nicht zum Unternehmen passen

Die Collage zeigt einen Architekten, der umringt ist von Gebäuden, Blumen und Geodreieck
Ein junger Architekt hat den Traum nachhaltiger Gebäude. Das in alteingesessenen Büros einzubringen, gestaltet sich schwierig. © Christian Barthold für Psychologie Heute

Neulich hat mein Architekturbüro an einem Wettbewerb für die Planung eines großen Forschungszentrums teilgenommen. Als meine Kolleginnen und Kollegen uns ihre Entwürfe vorstellten, erklärten sie beiläufig: „Alle Bestandsgebäude auf der Fläche sollen abgerissen werden.“ Ich war entsetzt und habe gefragt, ob das sein muss. Aber alle anderen fanden es richtig. Das ist typisch. Ressourcen schonen? Materialien wiederverwerten? In meinem Arbeitsumfeld ist das kein Thema. Für mich dagegen schon.

Ein recyceltes Haus

Letztes Jahr habe ich meinen Master gemacht und bin ins Berufsleben eingestiegen. Schon während des Studiums begann ich mich zu fragen, was ich als Architekt für Nachhaltigkeit und Umweltschutz tun kann. Es ist doch absurd: Wir sprechen über Trinkhalme, Plastiktüten, Energiegewinnung, aber nie über das Bauen. Dabei trägt die Baubranche massiv zum CO2-Ausstoß und zum Müllaufkommen bei.

Den letzten Anstoß gab die Masterarbeit. Ich sollte ein Haus aus recycelten Materialien entwerfen. Dabei habe ich gelernt, wie viel man gebraucht kaufen kann, und bin auf einige Architekturbüros gestoßen, die bereits so arbeiten. Das fand ich sehr gut, aber zu diesem Zeitpunkt hatte ich bereits eine Zusage für eine Stelle in einer neuen Stadt, war gerade umgezogen und wollte den Job antreten. Aus Bequemlichkeit bin ich dabei geblieben.

Zeit und Geld sind Ausreden

Das Architekturbüro, für das ich nun arbeite, betreibt Hochbau und Städtebau. Die Architektinnen und Architekten entwerfen sowohl kleine Wohnhäuser als auch große Funktionsbauten und komplett neue Stadtquartiere. Um Nachhaltigkeit geht es nicht. Das ist bei fast allen Büros so. Wenn ich versuche, das Thema einzubringen, höre ich oft: Der Gedanke ist gut, aber wir müssen wirtschaftlich arbeiten. Wir müssen Geld verdienen.

Für mich sind das Ausreden. Natürlich kostet es mehr Zeit und Geld, wenn man zum Beispiel bestehende Gebäude in die Planung einbezieht. Aber ich glaube, es würde sich lohnen.

Möglicherweise ist es ein Konflikt zwischen den Generationen. Je länger man in diesem Beruf arbeitet, desto mehr hat man sich in seiner Komfortzone eingerichtet und tut, was man immer getan hat. Man bekommt Aufträge, erfüllt die Vorgaben, verdient Geld – und dann kommen wir Jungen und stellen alles infrage. Natürlich nervt das.

Ich will den älteren Kolleginnen und Kollegen keinen Vorwurf machen. Es ist eine große Herausforderung, nicht mehr so zu bauen wie bisher, und ein Bewusstsein dafür entsteht gerade erst. Aber ich wünsche mir, dass sie sich darauf einlassen. So kann es doch nicht weitergehen. Und wenn wir Jungen alles verändern müssen, ist das ziemlich viel Verantwortung.

Warum tue ich etwas, das ich nicht gut finde?

Es belastet mich, in einer Branche zu arbeiten, die die Umwelt immer weiter schädigt. Ich würde das im Büro gern ansprechen, aber ich weiß nicht wie. Ich kann doch nicht ständig die Planungen der Kolleginnen und Kollegen kritisieren. Oder zu meiner Chefin sagen: Ich habe zwar ein Problem mit diesem Vorgehen oder dieser Bauweise, aber keine bessere Idee. Also schweige ich meist und kämpfe allein mit meinem schlechten Gewissen.

Es gibt Phasen, in denen ich mich in die Arbeit stürze und nicht darüber nachdenke. Schließlich arbeite ich gern und ich bin froh, eine Stelle zu haben. Aber sobald der Stress nachlässt, fange ich an zu grübeln. Ist es richtig, dass ich hier arbeite? Warum tue ich etwas, das ich nicht gut finde? Wie kann ich das verantworten? Dann sitze ich im Büro, baue vielleicht gerade ein Modell und bin unzufrieden.

Wenn ich mit meinen Freundinnen und Freunden spreche, beschäftigen mich solche Gedanken besonders. Viele studieren noch und erzählen mir begeistert von neuen Modulen zu nachhaltigem Bauen, von Dozierenden, die sich dafür engagieren oder von umweltfreundlichen Bauprojekten. Im Gegenzug kann ich ihnen nichts Gutes von meiner Arbeit berichten, also spreche ich wenig darüber. Dabei machen sie mir keine Vorwürfe. Den Konflikt trage ich mit mir selbst aus.

Aktiv vorgehen, um die Ideale nicht zu verlieren

Meine Werte und meine Arbeit passen nicht zusammen. Abends telefoniere ich mit Freunden und gehe dann mit schlechtem Gewissen ins Bett. Und morgens um neun sitze ich wieder im Büro und arbeite an Projekten, hinter denen ich nicht stehe. Manchmal denke ich: Mein Gott, das Büro macht das und ich unterstütze es. Sie verdienen mit mir Geld. Ich muss etwas ändern. Jetzt sofort.

Dann wieder versuche ich, mich davon zu lösen, und sage mir: Es liegt nicht an mir, dass die Dinge so sind. Ich muss mich nicht für alles verantwortlich fühlen. Ich kann erst einmal stolz sein, den Abschluss und den Berufseinstieg geschafft zu haben. Ich stehe noch ganz am Anfang und habe Zeit, etwas zu verändern, denn ich bin weder an Arbeitgeber noch an Wohnorte gebunden und muss keine Familie versorgen. Diese Gedanken helfen mir, sonst würde ich mich vollständig im Grübeln verlieren und in eine Krise geraten.

Allerdings habe ich Angst, dass es mir so geht wie vielen Kolleginnen und Kollegen und ich in eine Komfortzone gerate und meine Ideale aufgebe. Das ist der einfachste Weg und ich muss aktiv etwas dagegen tun. Weiterlernen zum Beispiel.

Jeder Beitrag zählt

Privat versuche ich schon, nachhaltig zu leben. Ich habe mein Auto verkauft, in den Urlaub fahre ich mit der Bahn. Beim Kochen achte ich auf regionale Lebensmittel, Möbel kaufe ich gebraucht über Kleinanzeigen. Für unsere WG haben wir bewusst einen Ökostrom-Anbieter ausgesucht. Aber ich trinke zum Beispiel auch Cola aus Plastikflaschen. Ich glaube, dass man nur etwas verändern kann, wenn man gemeinsam daran arbeitet, und nicht, wenn man andere belehrt und wirklich alles richtig machen will. Das kann niemand. Jeder Beitrag zählt.

Beruflich bin ich jetzt an dem Punkt, an dem ich mich nach einem anderen Arbeitgeber umsehe. Wahrscheinlich werde ich kein Büro finden, in dem alles stimmt, aber sicher eines mit Projekten, die ich besser vertreten kann. Mit einem bin ich schon in Kontakt.

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 11/2023: Paartherapie
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