Die Psychologie des Dreiers

Sex zu dritt ist die beliebteste erotische Fantasie – und psychologisch gesehen sehr komplex. Eine Paartherapeutin erklärt, was dabei geschieht.

Die Illustration zeigt einen Mann mit zwei Frauen, wobei eine der Frauen nackt ist
Der Dreier zählt zu den häufigsten sexuellen Fantasien – und ist psychologisch betrachtet hochkomplex. © Karsten Petrat

Nils hört das Klacken an der Haustür, als Julia den Schlüssel dreht, da steht sie auch schon vor ihm, schweißgebadet und mit roten Wangen. Seine Julia, zurück vom Joggen. Wie nebenbei, während sie sich bückt und ihre Laufschuhe aufschnürt, fragt sie: „Nils, du sagtest letzte Woche, ich könnte mir zu meinem Fünfzigsten etwas Besonderes wünschen. Meintest du das ernst?“ Ihr Blick haftet immer noch an den Schnürsenkeln. „Na klar!“, meint Nils von der Couch. Dann fallen die Worte, die er nie hören wollte: „Ich…

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Dann fallen die Worte, die er nie hören wollte: „Ich möchte einen Dreier“, sagt Julia.

Diese Situation berichtete ein Paar in meiner sexualtherapeutischen Praxis und setzte sie fort, indem Nils äußerte: „Sex mit anderen als meiner Frau? Niemals.“ Sehr häufig wird es in einer festen Partnerschaft zur unangenehmen Überraschung, wenn der Wunsch nach einer dritten Person beim Sex auftaucht. Wenn auch mit Vorsicht angesprochen – das Eingeständnis, darauf Lust zu haben, löst Verunsicherung aus, versteht der andere doch nicht selten: Ich genüge nicht mehr.

Fragen reihen sich aneinander: Was genau ist eigentlich ein Dreier? Wer macht das? Warum überhaupt? Ist das Liebe? Bedeutet es womöglich auch Trennung?

Dreierkonstellationen sind schon lange ein Faszinosum, ob sexuell oder platonisch. Über den deutschen Lyriker Friedrich Schiller schrieb beispielsweise Der Spiegel 2009: „Ein Popstar der Literatur und begehrt bei den Damen“ – Schiller, im Freundeskreis für einen Draufgänger gehalten, lebte in einer Dreiecksbeziehung mit den adeligen Lengefeld-Schwestern, mit denen er 1788 einen Sommer im verträumten Residenzstädtchen Rudolstadt verbrachte.

Nachdem er Charlotte geheiratet hatte, blieb seine Beziehung mit der drei Jahre älteren Schwester Caroline bestehen. Inwiefern diese intensive Dreierverbindung auch sexuell wurde, dazu gibt es nur Vermutungen.

Der Gedanke daran aber übt bis heute Anziehungskraft aus. Gerade sexuelle Dreierbeziehungen sind verboten, verrucht und verheißungsvoll. Wir erhoffen uns von ihnen flammende Leidenschaft. Die Vorstellung, Sex vor den Augen des eigenen Partners oder der Partnerin zu haben oder selbst beim Sex zuzusehen, kann in der Tat äußerst erregend sein. Die Möglichkeit, Momente einer neuen sexuellen Freiheit zu spüren, frei von dem Skript, welches ansonsten den Sex choreografiert.

Und dann ist da dieser Gegensatz: die langjährige feste Beziehung mit jemandem, die sich doch so gut und geborgen anfühlt. Der Gedanke daran, die geliebte Person mit anderen zu teilen, ist kaum zumutbar. Auch die Empirie bestätigt dies: Die meisten Menschen sind nach einem Dreier enttäuscht – und zugleich ist er einer der häufigsten erotischen Wünsche.

Mit dem Alter steigt das Interesse

Zur Verbreitung in Deutschland sind explizit akademische Studien rar. Eher finden sich amerikanische Erhebungen oder populärwissenschaftliche Ergebnisse, wobei sich die Befunde insgesamt sehr ähneln. Im Schnitt haben etwa 10 bis 20 Prozent von uns Erfahrungen mit Sex zu dritt. Auffällig ist, dass Männer dreimal öfter als Frauen diese sexuelle Variante für sich entdecken.

Dieses Ergebnis einer Studie der Psychologinnen Ashley Thompson und Sandra Byers zeugt aber eher von dem Angeben der Männer und einer angelernten Scham der Frauen, werden doch Letztere in sexuellen Angelegenheiten härter beurteilt als Männer. Sie sollen nach wie vor sexuell zurückhaltender sein. Das ist ausreichend in der Literatur beschrieben und drückt die sexuelle Doppelmoral aus. Denn mit wem haben diese Männer ihre Dreier, wenn es die Frauen dazu nicht gibt?

Justin J. Lehmiller, ein Sozialpsychologe an dem für Sexualität traditionsreichen Kinsey-Institut an der Indiana University in den Vereinigten Staaten, veröffentlichte 2018 ein Buch mit den häufigsten sexuellen Fantasien (siehe Kasten). Die beliebteste war der Dreier. 89 Prozent der Befragten gaben an, davon schon einmal geträumt zu haben. Auch fand er heraus, dass jüngere Menschen kaum vom Dreier-Sex träumen. Erst im Alter von 40 ist das Interesse daran auf dem Höhepunkt, mit etwa 60 Jahren läuft es wieder aus.

Heterosexuelle Männer bevorzugen den Dreier mit zwei Frauen, ist die dritte Person ein Mann, stürzt ihre Begeisterung geradezu ab. Der mögliche ‚genitale Vergleich‘ und die Sorge, unerwünschte homoerotische Gelüste könnten entdeckt werden, dämpfen womöglich ihre Lust. Manche jedoch scheinen den Dreier geradezu als Gelegenheit zu empfinden, auch mal mit einem Mann zu schlafen, geschützt durch ihre Frau als Alibi, wie die Autorin Nancy Friday in ihrem Buch Die sexuellen Phantasien der Männer schreibt.

Männer mögen den Dreier übrigens mit Frauen, die sie schon kennen, wogegen Frauen kaum Präferenzen für die Dreierkonstellation haben. Sie möchten nur, wenn sie selbst ‚das dritte Rad am Wagen‘ sind, also zu einem festen Paar für den Sex dazukommen, auch eher mit ihnen bekannten Personen schlafen.

Die Motivation: Rache, Frust oder Spaß

Als Nancy Friday vor rund 40 Jahren Bücher über die erotischen Fantasien von Frauen und Männern schrieb, gelangen ihr zwei Weltbestseller. Sex mit mehreren Personen spielte dabei eine große Rolle. Die Interviewpartner und -partnerinnen von Friday beschrieben, wie sie aus Frustration, zur Steigerung der Lust, als Bestätigung oder auch als Experiment an Sex zu dritt dächten. 2020 lieferte Ryan Scoats, Soziologiedozent an der Coventry University, dazu neue Ergebnisse.

Als Motivation nannten die Menschen, die er befragte, Rache für Untreue, Macht oder Spaß, aber auch harmlosere Gründe wie „es einmal abgehakt haben wollen“‚ „durch Alkohol“ oder „es passiert halt mal“ sowie „warum eigentlich nicht?“.

Im Gegensatz zu Fridays Geschichten, die eher von zufälligen Begegnungen leben, scheint heute einiges entspannter. Fridays Bücher spiegelten zwar die sexuelle Revolution wider – und mit ihr die Ablösung der muffigen Sexualmoral vorangegangener Jahrzehnte –, aber die profunde sexuelle Scham war noch bestens in den Akteuren verankert.

Erst in den Jahren danach passierte ein durch den Einzug des Internets und die damit verbundenen fast grenzenlosen Möglichkeiten unspektakulär ablaufender, aber sehr tiefgreifender kultureller Wandel der Sexualverhältnisse und der Sexualmoral. Er wurde von dem Sexualforscher Volkmar Sigusch insgesamt als neo-sexuelle Revolution beschrieben. Weitere moralische Schranken fielen.

Ganz allgemein ist mit dem Sex zu dritt gemeint, dass ein Paar jemanden einlädt oder Leute spontan, zum Beispiel nach einer Party gemeinsam im Bett landen. Was genau man dann aber miteinander macht, ist je nach Situation verschieden, ob nur Küssen, Oralsex oder tatsächlich Geschlechtsverkehr.

Auch bei den Konstellationen sind unterschiedliche denkbar: zwei Männer mit einer Frau (MMF), zwei Frauen mit einem Mann (FFM) oder alle gleichgeschlechtlich. Über den Beziehungsstatus oder Vertrautheitsgrad der Beteiligten zueinander sagt der Dreier an sich nichts aus. Typischerweise ist er ein One-Night-Stand.

Die passenden Partner und Partnerinnen dafür zu finden ist heutzutage recht unkompliziert. Diverse Apps oder Plattformen sorgen dafür, dass Vorlieben und Wünsche verhältnismäßig anonym zum Ausdruck gebracht werden können und erste Treffen bald möglich werden. Gewünscht, gesagt, getan. Wenn es doch nur so einfach bliebe.

Eine Triade oder 3 x 2 nacheinander?

Denn psychologisch gesehen ist das sexuelle Dreier­erlebnis eine reichlich komplexe Sache: In jedem Dreier stecken auch drei Zweier. Wenn ein Kuss, ein inniger Augenkontakt oder zärtliche Gesten zu sehr in eine Richtung gehen, kann sich eine dritte Person ausgeschlossen fühlen. Oder der Dreier läuft völlig unspektakulär ab, als 3 x 2, die hintereinander Sex haben; zu keinem Zeitpunkt sind alle Beteiligten gleichzeitig und voller Genuss bei der Sache.

Sie mögen zwar in einem Bett liegen, aber es entsteht keine Triade im psychologischen Sinn, also kein explizites Beziehungssystem zwischen drei Personen. Eher agieren die Personen in sich abwechselnden Zweierkonstellationen. Eine gelungene Triade zu bilden setzt voraus, dass die von dem Schweizer Psychoanalytiker Ernst Abelin in den 70er Jahren beschriebene und konzeptionierte Triangulierung bei allen Beteiligten funktioniert.

Viele Menschen sind gut trianguliert und halten dennoch zugleich an der Zweisamkeit einer festen Beziehung fest. Die Geschichte von Nils und Julia liefert stellvertretend eine mögliche Antwort: „Ja“, sagt Julia, „ich träume schon lange von Sex mit anderen. Es hat mit meiner Liebe zu dir aber nichts zu tun, Nils. Absolut nichts.“ Julias Stimme entspannt sich. „Ich finde unseren Sex toll, aber mehr Spaß schadet doch nicht…“ Nils schluckt, er glaubt seiner Julia, es ändert aber nichts daran, dass er darauf keine Lust hat. „Ehrlich gesagt, ich habe Angst, dich zu verlieren, Julia.“

Der Dialog zeigt, wie fest das menschliche Bindungsverhalten in unseren Gehirnen verdrahtet ist. John Bowlby, britischer Kinderarzt, Psychiater und Pionier der Bindungsforschung, beobachtete, dass viele Menschen bei Bindung nur an das Verhältnis zwischen Mutter und Kind denken. Doch Beziehungen zwischen Erwachsenen funktionieren nach den gleichen Prinzipien, allerdings mit dem Unterschied, dass sie nicht auf einseitige Bindung angelegt sind, sondern auf Gegenseitigkeit beruhen.

Bei Erwachsenen wird Bindung zur gemeinsamen Aufgabe, die uns emotionalen Halt gibt und hilft, Gefühle zu regulieren. Wer kennt das nicht?: Das Leben war ungerecht, es hat mir heute zugesetzt und dann brachte diese innige Umarmung von meinem Lieblingsmenschen alles wieder in Ordnung. Natürlich kann jeder Mensch mehrere Bindungsbeziehungen haben, jedoch bleiben einige davon wichtiger als andere.

Gefahrenmomente

Weil wir dabei diese Hauptbeziehung, die Menschen in herkömmlichen monogamen Verhältnissen haben, aufs Spiel setzen, fordert uns die Dreierkonstellation in der Paar-plus-eins-Version so heraus. Als Einsatz liegt unsere Partnerschaft mit jemandem auf dem Tisch, da entsteht schnell Verlustangst.

Denn selbst wenn klare Absprachen getroffen und eingehalten werden, bleiben Risiken bestehen und unerwartete Nebenwirkungen können ganz eigene Dynamiken annehmen, die Beziehungen für immer zerstören. Auf der anderen Seite heißt es manchmal: „Du solltest deine Besitzansprüche loswerden, Eifersucht ist keine echte Liebe.“

Beim ersten Überlegen mag sich das plausibel anhören, aber Enttäuschungen und Schmerzen aus der Kindheit werden dabei leicht wachgerufen. Beste Vorsätze reichen meist nicht für ein gutes Gelingen aus, denn sich bemühen zu wollen ist ein bewusster Vorgang. Zu dritt spielen jedoch unbewusste Vorgänge die Hauptrolle.

Erschwerend kommt hinzu, dass das Ausleben eines Dreiers häufig so ganz anders ist, als man es sich vorher in der Fantasie ausgemalt hat. Laut Studien hat diese sexuelle Aktion die höchste Reinfallquote. Kaum jemand hat für den Dreier ein passendes Skript parat, also eine gute Bedienungsanleitung für den Umgang damit. Unsere Sozialisation sieht eher vor, dass es bei nur zwei Liebenden bleibt. 

Letztlich fallen in unserer eigentlich aufgeklärten Gesellschaft auch nach wie vor sexuelle Erlebnisse mit mehreren anderen Personen aus dem Rahmen. Wer freudig erregt davon spricht, erntet laut Studien generell Misstrauen oder erfährt negative Bewertung. So wird zum Beispiel vermutet, dass Leute, die anders als monogam leben, kaum verhüteten oder schlechte Eltern seien.

Zugleich jedoch macht sich ein erwachendes Verständnis davon breit, dass es schwieriger ist, als uns vorgemacht wurde, fortwährend glücklich und zufrieden in Monogamie zu leben – wenn es nicht sogar vollkommen unmöglich ist. Hohe Scheidungsraten sprechen hier ihre ganz eigene Sprache. In den paartherapeutischen Praxen wächst der Eindruck, dass es mehr Raum in Beziehungen gibt, über dieses Thema zu sprechen, wenn auch der Gedanke stört, so vieles aushandeln zu müssen, da „richtiger Sex“ doch allgemein spontan und leidenschaftlich zu sein hat.

Wie kann also sexuelle Langeweile mit Neuem wie zum Beispiel einem Dreier ersetzt werden, ohne die Sicherheit der Basisbeziehung zu gefährden? Wesentliche Grenzen im Vorfeld abzustecken ist dabei unabdingbar. Sich einige klärende Fragen zu stellen hilft. „Wie viel Sicherheit brauche ich, um mich geschützt zu fühlen? Was will ich, was nicht? Welche Kompromisse bin ich bereit einzugehen?“

Was auch immer vereinbart wird, für das gute Ende eines Dreiers braucht es empathische, gleichberechtigte und kommunikationserfahrene Partner, die ihre Ängste gut regulieren können. Wem das Ganze jedoch nach wie vor zu viel des Guten ist, der lässt den Dreiergedanken einfach anonym und anregend im sexuellen Kopfkino. Was unsere Hauptdarsteller Julia und Nils aus ihrer Situation machten? Das bleibt geheim, so intim, wie jeder Dreier es auch sein sollte.

Ann-Marlene Henning ist Paartherapeutin, Sexologin und Autorin, unter anderem von Liebespraxis. Eine Sexologin erzählt (Rowohlt 2017)

Literatur

Melanie Büttner u.a.: Ist das normal? Beltz, Weinheim 2020

Angelika Eck: Der erotische Raum. Carl Auer, Heidelberg 2018

Angelika Eck: Sexuelle Fantasien in der Therapie. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2020

Nancy Friday: Die sexuellen Fantasien der Frauen. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2017

Nancy Friday: Die sexuellen Fantasien der Männer. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2017

Julia Haversath u.a.: Sexual behavior in Germany: results of a representative survey. Deutsches Ärzteblatt International 114 (33-34), 2017, 545-550. DOI: 10.3238/arztebl.2017.0545

Peter K. Jonason, Michael J. Marks: Common vs. uncommon sexual acts: Evidence for the sexual double standard. Sex Roles 60 (5-6), 2009, 357-365. DOI: 10.1007/s11199-008-9542-z

Brett Kahr: Sex im Kopf – Alles über unsere geheimsten Fantasien. List Verlag, Berlin 2007

Justin J. Lehmiller: Tell me what you want. Da Capo Lifelong Books, Boston Massachuttes 2018

Amy C. Moors u.a.: Stigma toward individuals engaged in consensual nonmonogamy: Robust and worthy of additional research. Analyses of Social Issues and Public Policy (ASAP), 13/1, 2013, 52–69. DOI: 10.1111/asap.12020

https://www.spiegel.de/kultur/literatur/liebhaber-schiller-der-mann-dem-eine-schwester-nicht-genug-war-a-660390.html

Die beliebtesten sexuellen Fantasien

Über 4000 Amerikaner hat der Sozialpsychologe Justin J. Lehmiller danach gefragt, wovon sie schon einmal erotische Vorstellungen hatten. Hier folgen die häufigsten Nennungen:

1. Sex mit mehreren Personen

89 Prozent der Befragten sagten, sie hätten über einen Dreier fantasiert, 74 Prozent über Orgien.

2. BDSM

In diese Kategorie fallen Praktiken, die sich um Macht, Schmerz und Kontrolle drehen, damit aber auch um Vertrauen. Fesselspiele sind eine mildere und die beliebteste Variante, mehr als drei Viertel der Befragten haben davon schon geträumt. 60 Prozent fantasierten davon, jemandem Schmerz anzutun, 65 Prozent davon, wie ihnen jemand welchen zufügt.

3. Neues und Abenteuer

Rund 20 Prozent der Befragten berichteten von Fantasien, die dadurch gekennzeichnet waren, dass sie Elemente enthielten, die für ihn oder sie noch neu waren. Das umfasste natürlich je nach Person andere Inhalte: ungewöhnliche Orte für den Sex – etwa einen Strand oder ein Flugzeug –, Rollenspiele oder den Einsatz von besonderem Sexspielzeug.

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 10/2020: Die Macht des Selbstbilds