Hannes Opfermann, verhaltenstherapeutischer und systemischer Psychotherapeut, erzählt aus der Praxis:
Ich betrachte jedes Paar, das zu mir kommt, als eigenständigen Organismus. Als einen Organismus, der aus dem Gleichgewicht geraten ist. Mir ist dabei wichtig, beiden ein gutes Gefühl zu geben, beiden zu vermitteln: Ich höre dir zu. Deshalb lasse ich die Paare in der Therapie eher zu mir sprechen als untereinander, frage jeden: „Wie ist das aus deiner Perspektive?“ Der Anlass, warum Leute zu mir kommen, ist…
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frage jeden: „Wie ist das aus deiner Perspektive?“ Der Anlass, warum Leute zu mir kommen, ist ganz oft ein Gefühl der Ungerechtigkeit. So auch bei einem jungen Paar mit zwei kleinen Kindern – sie ist Psychologin, er Lehrer. Beide hatten den Eindruck: Meine Partnerin beziehungsweise mein Partner sieht nicht, was ich leiste.
Fünf positive für jede negative Botschaft
Als sie zum ersten Mal zu mir kommen, erkenne ich sofort, wie eingespielt sie sind. Er schaut nach oben, weil er nachdenkt, und sie sieht ein Augenrollen. Sie holt nur tief Luft, und er erwartet schon die nächste sorgenvolle Äußerung. Solche Kleinigkeiten werden im Stress des Alltags zum Trigger für den nächsten Streit. Dagegen gab ich ihnen zu Beginn das Time-out an die Hand – ein Stoppsignal, das den Streit unterbricht, bevor die Gefühle wieder hochkochen. Denn sonst besteht die Gefahr, dass sich schädliche Muster immer wieder von neuem abspulen und die Beziehung weiter beschädigen. In der verhaltenstherapeutischen Paartherapie arbeitet man verstärkt mit praktischen Methoden der Verhaltensänderung.
Neben dem Time-out ist eine konkrete Strategie das „5:1-Prinzip“. Aus der Forschung weiß man nämlich: Im Schnitt braucht es fünf positive Botschaften, um eine kritische Bemerkung auszugleichen.
Aber natürlich reichen solche Maßnahmen nicht – die Probleme gehen viel tiefer. Das Paar und ich schauten uns deshalb an, welche Bedürfnisse eigentlich hinter den Konflikten steckten: Sie wünschte sich eine liebevolle Kommunikation, vor allem in Phasen, in denen er sich sehr in die Arbeit stürzte. Er hätte in diesen Zeiten gerne mehr Support von ihr erhalten – dass sie ihm den Rücken stärkt, statt Probleme bei ihm abzuladen. In der Therapie konnte er das zum ersten Mal so benennen.
Intimität und Liebe müssen kultiviert werden
Viele Menschen haben etwas Entscheidendes nie gelernt, weil es ihnen zu Hause nicht vorgelebt wurde: Beziehungen sind Verhandlungssache. Man muss seine Bedürfnisse aussprechen, statt zu erwarten, dass die andere Person Gedanken lesen kann. Die Frau wünscht sich eine liebevolle Kommunikation: Dann sollte sie das sagen! Sie darf sich dafür einsetzen, dass sie bekommt, was sie braucht, und mit ihrem Mann aushandeln, wie das aussehen könnte. Und umgekehrt genauso. Wenn man in der Therapie offen spricht, kommen häufig auch Missverständnisse zutage: Wenn die Frau Probleme mit ihrem Mann teilt, denkt er immer, sie erwarte von ihm eine schnelle Lösung – und das setzt ihn unter Druck. In Wahrheit wünscht sie sich aber vor allem Zuwendung.
Ich habe gute Erfahrungen damit gemacht, die Identität der Menschen anzusprechen: Wer sie als Partnerin oder Partner sein möchten. Als ich das bei diesem Paar tat, kam der Frau das Wort „gnädig“ in den Sinn. Der Mann musste an Mahatma Gandhi denken und wir überlegten, wie sich Gandhi in heiklen Momenten verhalten hätte. Was ich als Paartherapeut vor allem anregen kann, ist ein Perspektivwechsel – auch einmal mit den Augen des anderen zu sehen. Verständnis, Intimität und letztlich Liebe sind Dinge, die man kultivieren muss, damit sie nicht verlorengehen.
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Hannes Opfermann ist verhaltenstherapeutisch und systemisch ausgebildeter Psychotherapeut in Köln. Er arbeitet mit Paaren, Familien, Gruppen und Einzelpersonen. Als Supervisor berät er andere Therapeutinnen und Therapeuten für ihre Arbeit.