Liebe: Drei Bücher, drei Perspektiven

Eine Journalistin, ein Psychoanalytiker und eine Neurowissenschaftlerin schreiben über die Liebe – und überraschen mit verschiedenen Genres und Disziplinen.

Das hätte man so nicht erwartet: Der Psychotherapeut schreibt Erzählungen. Die Neurowissenschaftlerin verfasst eine Biografie. Und die Journalistin zieht zahlreiche Wissenschaftsgebiete heran, von Anthropologie bis Zoologie.

Wolfgang Schmidbauers Die schnelle und die langsame Liebe ist eine Anthologie von Kurzgeschichten. „Als Gymnasiast wollte ich Schriftsteller werden und hatte schon viel Papier beschrieben, ehe ich auf den Gedanken kam, Psychologie als Studienfach zu wählen“, gesteht Schmidbauer. Der bekannte Psychoanalytiker bedient sich in seinem neuen Werk eines gelungenen erzählerischen Schreibstils, um verschiedene Facetten und Herausforderungen der Liebe zu illustrieren.

So handelt die Erzählung „Der Träumer träumt sich fort“ vom Liebesleben des Iraners Cyrus, der in Deutschland Asyl sucht. Zunächst findet er Geborgenheit und Wärme bei Elisabeth, heiratet jedoch die bodenständige Irene. „Cyrus fühlte sich oft sehr allein, ohne zu wissen, warum. Er hatte doch alles! Die Heimat fehlte ihm nicht“, schreibt Schmidbauer. Cyrus träumt „von einer Rückkehr zu Elisabeth, die so liebevoll gewesen war und die er verlassen hatte, weil er fürchtete, es zu gut zu haben bei ihr“. Doch die Ehe mit Irene wird Cyrus immer mehr zur Qual, der er mit selbstzerstörerischen Mitteln zu entkommen versucht, darunter auch mit Drogen.

Ist Liebe noch Liebe, wenn sie nicht auf Gegenseitigkeit beruht?

Schmidbauers Erzählungen handeln nicht nur von der Ehe, sondern auch von leidenschaftlicher Verbundenheit, flüchtigen Affären, der ersten Liebe und nichtehelichen Formen der Paarbeziehung. Sein Buch umfasst acht Erzählungen von unterschiedlicher Länge, die kürzeste ist fünf Seiten lang, die längste über 60. Die Geschichten bauen nicht aufeinander auf – der Autor lässt sie unkommentiert nebeneinander stehen. Dadurch lädt er seine Leserschaft zur eigenen Reflexion über die Liebe ein.

Der Neurowissenschaftlerin Stepha­nie Cacioppo geht es weniger darum, ihre Leserinnen und Leser zur Reflexion anzuregen. Zwar erwähnt sie in ihrem Buch Warum wir lieben spannende Fragen, darunter: Ist Liebe immer noch Liebe, wenn sie nicht auf Gegenseitigkeit beruht? Kann man zwei Menschen gleichzeitig lieben? Aber sie lässt die Fragen gleich wieder fallen.

Auch ihr Buchtitel ist ein Stück weit irreführend. Denn Cacioppos Veröffentlichung ist eher ihren eigenen biografischen Erfahrungen gewidmet und weniger der Forschung. Die Autorin teilt mit ihrer Leserschaft, wie sie im Alter von 37 ihre große Liebe kennenlernte, den 23 Jahre älteren Neurowissenschaftler John Cacioppo. Das Gros ihres Buches ist ebendieser Liebesbeziehung gewidmet, die in eine Ehe mündete und mit dem Tod ihres Mannes ein tragisches Ende fand. Cacioppos Buch ist sicherlich nicht jenen Leserinnen und Lesern zu empfehlen, die gerade um ihren Partner oder ihre Part­nerin trauern: Die Forscherin schildert die Krebserkrankung ihres Ehemannes in schmerzhaften Details.

Ein Buch, drei Zugänge zur Liebe

Cacioppo bietet einige kurze wissenschaftliche Einblicke. So scheint die Liebe aus der neurowissenschaftlichen Perspektive überraschend schlicht gebaut. Während allein die visuelle Wahr­nehmung des Menschen über 30 Gehirnregionen beansprucht, geht Liebe lediglich auf 12 Areale zurück. Dieses „Liebesnetzwerk“ wird sowohl bei der romantischen als auch der freundschaftlichen und der Mutter-Kind-Liebe aktiv: Unterschiedlich intensive Aktivitäten und Aktivitätsmuster in diesem Netzwerk bringen die grundlegend verschiedenen Formen der Liebe zustande.

Wer sich tiefgründige neue Erkenntnisse über die Liebe verspricht, sollte lieber zu Lone Franks Buch Liebe greifen. Die dänische Journalistin nähert sich dem Thema auf drei Arten. Zum einen über ihre eigenen Erinnerungen und Erfahrungen. Diese teilt sie jedoch weniger offen mit ihrer Leserschaft als Cacioppo. Den zweiten Zugang zum Thema findet Frank mithilfe des Psychologen Asger Neumann, eines Spezialisten für romantische Paarbeziehungen. Als dritter Zugang dienen Frank sorgfältig zusammengetragene wissenschaftliche Erkenntnisse, unter anderem neurowissenschaftliche und evolutionspsychologische Erklärungsansätze.

Liebe ist die Grundform unseres Daseins

Franks Buch beginnt mit der Eltern-Kind-Liebe, setzt sich mit dem Verliebtsein als Jugendliche fort und mündet in die Liebe im Erwachsenenalter. Mit ihrer reflektierten Haltung vermeidet Frank jedweden Kitsch. „Man muss akzeptieren, dass die Evolution keine Romantikerin ist“, schreibt sie. Jene Leserschaft, die der Liebe skeptisch gegenübersteht, wird sich in der Autorin wiedererkennen.

Romantische Seelen werden Lona Frank immer mal widersprechen – aber das Buch dennoch genießen können, hauptsächlich weil Franks Gesprächspartner Neumann die Liebe deutlich anders wahrnimmt. „Die Liebe ist ein Phänomen, das eine konstituierende Bedeutung für die menschliche Natur hat. Sie ist die Grundform unseres Daseins“, zitiert Frank den Psychologen.

Obgleich sich Schmidbauer, Cacioppo und Frank der Liebe auf kreative Weise aus drei verschiedenen Richtungen nähern, bleiben zahlreiche Formen und Facetten der Liebe unerschlossen.

Aber eines verdeutlichen alle drei Bücher auf gleichsam gelungene Weise: Die Liebe ist weder ein konkretes Gefühl noch ein abstraktes Ideal. Wie wir andere Menschen lieben – ob sanft, gewaltsam, treu, leichtsinnig –, ist immer­zu ein Ausdruck unserer eigenen Identität. Wir spiegeln uns nicht im geliebten Menschen wider – sondern in der Art, wie wir ihm unsere Liebe schenken.

Wolfgang Schmidbauer: Die schnelle und die langsame Liebe. Vom Scheitern und Gelingen in Paarbeziehungen. Gräfe und Unzer, München 2023, 222 S., € 19,99,–

Stephanie Cacioppo: Warum wir lieben. Eine Neurowissenschaftlerin über Verliebtsein, Verlust und das, was uns verbindet. Aus dem Amerikanischen von Jochen Winter. Ullstein, Berlin 2023, 272 S., € 19,99,–

Lone Frank: Liebe. Vom höchsten der Gefühle. Aus dem Dänischen von Kerstin Schöps. Kein & Aber, Zürich 2023, 271 S., € 25

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