Herr Bodenmann, ein fiktives Paar namens Hans und Grete sitzt bei Ihnen in der Paartherapie. Welche Übung machen Sie mit den beiden?
Ich arbeite dabei mit meiner Drei-Phasen-Methode. Grete hat außerhalb der Partnerschaft etwas Stressiges erlebt. Vielleicht im Job. Ich lade sie ein, davon zu berichten und sich emotional dabei zu öffnen. Im Alltag sagen wir ja oft: Ich reiße mich zusammen und mache keine große Sache daraus. Aber wenn sie merkt: „Das macht etwas mit mir“, dann hat es immer etwas mit ihr zu tun,…
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große Sache daraus. Aber wenn sie merkt: „Das macht etwas mit mir“, dann hat es immer etwas mit ihr zu tun, mit einem wunden Punkt, einem Schema oder Konstrukt.
Grete soll anerkennen: Ja, das stresst mich wirklich!
Ja, sie soll offen davon erzählen. 30 Minuten lang. Wir wissen aus Studien, dass Hans dazu neigen wird, schnell eine Erklärung oder Lösung anzubieten. In der Therapie sage ich ihm: Versuchen Sie einfach zuzuhören, zu verstehen, und fassen Sie regelmäßig zusammen, was Ihre Partnerin gesagt hat. Offene Fragen stellen. Es geht nicht um eine schnelle Lösung, sondern darum, wirklich zu verstehen, wie Grete sich fühlt.
Verstehe. Hans soll eine halbe Stunde lang zuhören.
So ist es. Zuhören ist oft die beste Form der Unterstützung. Wir alle haben gelernt, wie man redet. Das Zuhören fällt uns schwer. Wenn Hans das macht, wenn er Raum gibt, kann Grete oftmals erkennen: Hey, da habe ich wirklich ein Thema. Vielleicht hat sie als Kind gelernt: Ich bin nur etwas wert, wenn ich gut bin und etwas leiste. Die beiden haben in dieser halben Stunde sozusagen einen gemeinsamen Tauchgang unternommen und sind diesem Schema auf den Grund gegangen. Das ist ein ganz intensives Erlebnis für beide. Da wird auch viel geweint.
Was passiert nach diesem 30-minütigen Tauchgang?
Dann kommt die zweite Phase, in der ich Hans bitte, Grete zehn Minuten lang zu unterstützen. Und da passiert es ganz häufig, dass man eben nicht mehr etwas Oberflächliches sucht. Dass man nicht mehr sagt: „Das ist doch nicht so schlimm.“ Oder: „Mach doch das und das.“ Hans sagt da oft etwas anderes: „Weißt du, das nimmt mich jetzt auch ganz schön mit.“ Oder: „Es tut mir weh, dass das so für dich ist.“ Dann sieht man eine ganz starke Betroffenheit, eine ganz starke Empathie. Und in allen Studien hat sich gezeigt: Es ist der wichtigste Unterstützungsfaktor überhaupt, dass der andere Empathie, Mitgefühl zeigt. Hans solidarisiert sich mit Grete. Er sagt ihr vielleicht, dass er an sie glaubt. Er macht ihr Mut. Vielleicht nimmt er sie auch einfach in den Arm.
Danach kommt die dritte Phase?
Da frage ich Grete: Wie war diese Unterstützung für Sie? Wie wirkungsvoll? Wie zufrieden sind Sie damit? Was hätten Sie sich anders gewünscht? Und ganz häufig höre ich: „Also, das war so schön, dass ich einfach mal erzählen konnte.“ Denn wer hat schon eine halbe Stunde Zeit, um von seinem Stress zu reden? „Jetzt hatte ich mal die Gelegenheit – und du hast einfach zugehört. Ich merke, dass du auch emotional betroffen bist.“ Das ist extrem bewegend und extrem hilfreich. Und bei der Frage, was man sich noch mehr gewünscht hätte, da kommt ganz häufig der Punkt des Körperkontakts. „Ich wünsche mir, dass du mich hältst, dass du mir das Gefühl gibst, du hast mich lieb.“
Dieser Dreiklang aus intensivem Zuhören, Empathie und Körpernähe – klingt das nicht wie ein sehr intensives Coaching, gemischt mit der Liebe einer Paarbeziehung?
Das ist ein schöner Gedanke. Ich kam ja ursprünglich von dieser Idee: Geteilter Stress ist halber Stress. Und in all meinen Jahren als Forscher und Therapeut habe ich herausgefunden: Das ist zwar wichtig, aber nicht der spannendste Punkt. Das Wichtigste ist dieses Gefühl von Nähe und Verbundenheit. Dass ich spüre: Dieser Mensch, der ist für mich da, der versteht mich. Dyadisches Coping führt eben nicht nur zu Stressreduktion, sondern auch zu höherer Partnerschaftszufriedenheit, höherer Partnerschaftsstabilität, zu mehr Intimität.
Sie haben etwas gefunden, das Sie gar nicht gesucht haben?
Genau. Deshalb arbeite ich noch immer jede Woche als Therapeut. Deshalb schreibe ich meine Bücher. Weil ich meinen Paaren all diese Erkenntnisse verdanke. Es ist meine Aufgabe, das zurückzugeben und den Kreis sozusagen zu schließen.
Wollen Sie mehr zum Thema erfahren? Dann lesen Sie auch das Porträt des Psychologen Guy Bodenmann in Der Paarversteher.
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