In langjährigen Partnerschaften sammeln sich oft Kränkungen an, die zu Distanz und Misstrauen führen. Paartherapeutin Friederike von Tiedemann erklärt, warum es wichtig ist zu verzeihen – und reinen Tisch zu machen.
Sie schreiben über Versöhnung in der Paartherapie. Warum ist das Thema für Paare in der Krise wichtig?
Die meisten Paare melden sich aus anderen Gründen: Sie erhoffen sich durch die Begleitung mehr emotionalen Kontakt, wollen Konflikte lösen, möchten anders als bisher kommunizieren. Dennoch frage…
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mehr emotionalen Kontakt, wollen Konflikte lösen, möchten anders als bisher kommunizieren. Dennoch frage ich immer auch nach, ob es wichtig sein könnte, einander bestimmte Verletzungen zu verzeihen. Nach meiner Erfahrung ist das entscheidend für den Fortbestand der Partnerschaft. Ich werbe regelrecht dafür, denn verzeihen zu können ist eine Beziehungskompetenz.
Das müssen Sie erklären.
Auch wenn wir in der Liebesbeziehung gern stets fair und liebevoll wären – wir können für den Partner oder die Partnerin nicht immer ideal sein. Man verletzt einander gelegentlich, wenn man länger zusammen ist. Das ist eine wichtige Erkenntnis. Der sichere Raum der Beratung ist hilfreich, um einander wirklich zuzuhören und nachspüren zu können, wenn der Partner erzählt, wo er sich verletzt fühlt, und der andere sich dafür mitfühlend interessiert, statt sich zu rechtfertigen. Beide haben dann eher den Mut, sich auch mit kleinen Kränkungen zu zeigen, die sich über die Zeit aufsummiert haben.
Heißt das, Paare wissen nicht, womit Sie einander verletzen?
Es gibt offenkundige Kränkungen, mit denen Paare in Therapie kommen, etwa eine Affäre oder aggressive Streitszenen. Darüber hinaus gibt es jedoch viele kleinere, scheinbar alltägliche Situationen, in denen ein Partner etwas in guter Absicht tut, was den anderen kränkt. Wenn Paare die Themen für einen Versöhnungsprozess sammeln, kommen oft präzise Szenen ans Licht, zum Beispiel ein bestimmter Satz, der bei der Hochzeit gesagt wurde, oder die fehlende Anerkennung für Geleistetes. Auch Situationen rund um die Geburt der Kinder sind oft mit Verletzungen verbunden, etwa wenn der Mann in bester Absicht den Kreißsaal verlässt, um etwas zu holen, die Frau aber das Gefühl hat, sie wurde im Stich gelassen. Es ist gut, sich das alles noch mal anzuschauen – und die verletzende Wirkung anzuerkennen.
Was ist ganz praktisch nötig, damit Partnerin und Partner einander dann auch verzeihen können?
Versöhnung ist ein Prozess. Bevor ein Ritual rund ums Verzeihen sinnvoll ist, sollte das Paar erst einmal eine positive Gegenseitigkeit finden, aus destruktiven Interaktionen und Vorwurfsschleifen rausfinden. Andernfalls wäre es so, als würde jemand sein Hemd öffnen, obwohl er Angst haben muss, einen Dolch in die Brust zu kriegen. Erst wenn so eine Befürchtung nicht mehr besteht, kann man über Versöhnung reden und diese auch in einem Ritual angehen.
Die Partner schreiben auf Karten, was ihnen an Verletzungen nachgeht, ordnen diese nach Schwere. Man liest sich abwechselnd die Zettel vor, beginnt mit einfachen Kränkungen, der andere hört zu, nimmt es an, sagt zum Beispiel: „Ich habe dich in der Situation nicht unterstützt, das tut mir leid.“ Wenn die Entschuldigung angekommen ist, wird die Verletzungskarte durchgerissen oder man vereinbart einen Akt der Wiedergutmachung. Das Ritual ist aber nur ein letzter Schritt, Reue und Vergebung müssen gefühlt werden.
Manchmal steht man allein vor den Trümmern einer Beziehung. Geht Versöhnung auch ohne Gegenüber?
Ja, denn Verzeihen ist eine aktive Entscheidung, die wir unabhängig von der Person treffen können, die uns verletzt hat. Es ist dennoch meistens ein großer Schritt. Denn solange man grollt und hadert, hält man die Verbindung zum anderen noch aufrecht. Wer bewusst sagt: „Ich verzeihe dir“, löst sich von der alten Geschichte und wird frei für Neues.
Wollen Sie mehr darüber erfahren, wie Sie vergangene Krisen aufarbeiten können? Dann lesen Sie gerne folgende Artikel aus derselben Ausgabe:
Vier Wege, Verletzungen loszulassen in Ich bin mehr als die Krise, die hinter mit liegt
Drei Schreibübungen, um vergangene Last loszuwerden in Schreibend die Vergangenheit loslassen
Friederike von Tiedemann ist Psychologin und Ausbilderin für Paartherapeuten am Hans-Jellouschek-Institut. Sie ist Herausgeberin des Buches Versöhnungsprozesse in der Paartherapie (Junfermann).