Schreibend die Vergangenheit loslassen

Manche Krisen halten uns lange fest. Therapeutin Carmen Unterholzer zeigt Ihnen drei Schreibübungen, um vergangene Verletzungen loszulassen.

Die Illustration zeigt einen Mann, der mit einem Stift in der Hand schreibend am Tisch sitzt und über seine Vergangenheit schreibt
Dieser eine Vorfall geht Ihnen nicht aus dem Kopf? Vielleicht hilft es Ihnen, alles in Briefform aufzuschreiben. © Matt Rota für Psychologie Heute

Denken Sie an eine mittelgroße Krise, die noch nachwirkt, zum Beispiel eine Trennung, einen Konflikt im Job oder mit den Eltern. Was genau belastet Sie? Nehmen Sie sich an drei Tagen hintereinander Zeit für eine kleine Schreibübung. Jede dauert etwa eine halbe Stunde.

Übung: Nichts verändern

Denken Sie an das Thema, von dem Sie nicht loskommen. Stellen Sie sich vor, was wäre, wenn sich in den nächsten sechs Monaten daran nichts verändern würde. Wenn alles so bliebe, wie es jetzt ist. Schreiben Sie darüber…

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sechs Monaten daran nichts verändern würde. Wenn alles so bliebe, wie es jetzt ist. Schreiben Sie darüber einen Text: Beschreiben Sie das Gefühl, das sich bei der Vorstellung einstellt. Spüren Sie Unmut, Unruhe, Traurigkeit? Etwas anderes?

Beschreiben Sie, was Sie denken und fühlen, wo Sie die Gefühle im Körper wahrnehmen. Notieren Sie auch, welche Vorteile es für Sie hat, im Bekannten steckenzubleiben – und welche Nachteile. Malen Sie sich abschließend konkret aus, wie Ihr Alltag verlaufen wird, wenn alles so bleibt, wie es ist. Lesen Sie dann alles noch einmal. Lassen Sie es auf sich wirken – und ändern Sie nichts.

Übung: Feindin und Freundin

Denken Sie wieder an das Thema. Gucken Sie, ob es ein damit verbundenes Gefühl gibt, das Ihnen keine Ruhe lässt, zum Beispiel Ärger, Angst, Traurigkeit, Ohnmacht, Verwirrung. Schreiben Sie nun zwei Briefe. Den ersten schreiben Sie an das Thema/Gefühl, als wäre es eine Freundin. Wichtig ist, dass Sie die Briefform einhalten und schreiben: „Liebe Freundin, heute schreibe ich dir, um zu sagen…" Folgende Fragen können helfen: Wie lange kennen Sie sich schon? Wie hat sich Ihre Beziehung entwickelt? Was zeichnet Ihre Beziehung aus? Was schätzen Sie an ihr? Wozu brauchen Sie sie? Wobei unterstützt sie?

Wenn Sie den ersten Brief geschrieben haben, kommt der zweite. Jetzt ist das Gefühl eine Feindin. Schreiben Sie auch ihr einen Brief mit Anrede: „Hallo Feindin, ich wollte dir sagen…“ Folgende Fragen helfen: Wann ist aus der Freundin eine Feindin geworden? Wie beschreiben Sie das Verhältnis? Wo behindert sie Sie? Wo verletzt sie Sie? Was würden Sie tun, wenn sie nicht in Ihrem Leben wäre? Wie würden Sie sich entwickeln? Lesen Sie beide Briefe noch einmal. Lassen Sie die Eindrücke wirken.

Übung: Biografie anders schreiben

Werfen Sie einen Blick auf Ihre Lebensgeschichte. Halten Sie stichwortartig einige Stationen fest. Achten Sie darauf, welche Phase für Sie heute eine Leidensgeschichte ist, an die sie viele ungute Erinnerungen haben. Statt sich in diese Phase zu vertiefen, machen Sie eine 180-Grad-Wende: Suchen Sie nach Ausnahmen und finden Sie Szenen in Ihrem Leben, die nicht zu der bedrückenden, belastenden Geschichte passen. Wenn Sie etwa geschrieben haben: „Im Studium war ich sehr ängstlich“, dann suchen Sie nun nach anderen Momenten in der Phase oder in Ihrem Leben, in denen Sie nicht ängstlich, sondern mutig, lässig oder souverän waren.

Es geht darum, eine wohlbekannte Erzählung zu einer Lebenskrise („Ich bin eben ängstlich.“ „Ich hatte Pech mit Männern.“ „Meine Kindheit war schrecklich.“) mit Situationen zu ergänzen, in denen Sie etwas anderes erlebt haben. Beschreiben Sie nun eine „Ausnahme von der Regel“ so detailliert wie möglich, unter Zuhilfenahme all Ihrer Sinne – je ausführlicher, desto besser. Lassen Sie Bilder und Gefühle entstehen. Schreiben Sie in der Ich-Form und im Präsens. Der neue Fokus hilft, sich selbst anders zu sehen.

Wollen Sie mehr darüber erfahren, wie Sie vergangene Krisen aufarbeiten können? Dann lesen Sie gerne folgende Artikel aus derselben Ausgabe:

Vier Wege, Verletzungen loszulassen in Ich bin mehr als die Krise, die hinter mit liegt

Warum es in der Partnerschaft wichtig ist, Kränkungen nicht anzustauen in "Tut mir leid, dass ich nicht für dich da war"

Alle Übungen stammen aus dem Buch Selbstwirksam schreiben von Carmen C. Unterholzer. Die Therapeutin lehrt am Institut für Systemische Therapie in Wien und arbeitet mit ihren Klientinnen oft mit Schreibprozessen. Das Buch ist bei Carl-Auer erschienen.

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 3/2024: Ich bin mehr als die Krisen, die hinter mir liegen