„Routinen im Alltag entwickeln“

Landleben, Wald und Gärtnern sind regelrecht in Mode gekommen. Umweltpsychologe Mathias Hofmann über Chancen und Gefahren dieser Entwicklung.

Eine Frau fährt Fahrrad auf einer herbstlichen Allee und nähert sich so der Natur an
Mehr Zugang zur Natur? Mit dem Rad zur Arbeit zu fahren ist ein Anfang. © Getty

Herr Dr. Hofmann, auf Bestsellerlisten tummeln sich Titel wie Das geheime Leben der Bäume und Waldbaden. Menschen ziehen aufs Land oder beginnen zu gärtnern. Das Interesse an der Natur scheint riesig. Wie kommt es zu dieser Entwicklung?

Dabei spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Zum einen scheinen Menschen heute an der zunehmenden Beschleunigung und Technisierung zu leiden. Sie sehnen sich nach Ruhe und Abgeschiedenheit und finden diese unter anderem in der Natur oder in Naturthemen.

Zum anderen gibt es die Angst um ­unseren Planeten. Viele spüren die Dringlichkeit, sich um die Natur zu kümmern. Zumindest rational wissen sie: Wir müssen handeln. Das führt dazu, dass man sich von Naturthemen – oft auch ganz diffus – angesprochen fühlt.

Der dritte Faktor hat mit der Umweltpsychologie selbst zu tun: Diese Disziplin wächst, und die Befunde sind beeindruckend. Fachleute wie Laien interessieren sich verstärkt für die Erkenntnisse. Es spricht sich langsam herum, dass die Natur erholsam ist und die körperliche und seelische Gesundheit unterstützt.

Begrüßen Sie die zunehmende Aufmerksamkeit für alles, was mit Natur zu tun hat?

Ich sehe manches auch kritisch. Eine Überhöhung der Natur, eine gesteigerte Sehnsucht nach dem Rückzug ins Private und Beschauliche gab es schon einmal in der Epoche des Biedermeier. Dabei schwingt Weltflucht mit und ein Ausweichen ins allzu Überschaubare. Was ich dagegen begrüße, ist, wenn Menschen sich darüber bewusstwerden, wie wertvoll die erholsamen Effekte sind, die Wälder, Pflanzen und Landschaften haben. Darin liegen Chancen, das eigene Wohlbefinden zu erhöhen und gesünder zu leben.

Nimmt unser Umweltbewusstsein auch zu?

Leider läuft das oft getrennt: Man kann es schön finden, in der Natur zu sein und die Erholung zu genießen, ohne auf der anderen Seite konsequent die Umwelt zu schützen. Salopp gesprochen: Es gibt eine Menge Menschen, die mit dem SUV in den Bioladen oder zum Strand fahren.

Geht es um Umweltschutzthemen, versuchen Psychologen ja eher herauszufinden, wie man Anreize schaffen kann, um konkretes Verhalten wie Recycling oder die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel anzuregen. Es geht da mehr um Motivationsfragen als um Naturliebe oder -erlebnisse. Das hat allerdings auch damit zu tun, dass hier zwei unterschiedliche Strömungen der Umweltpsychologie angesprochen sind: jene, die sich eher mit Umweltschutzverhalten beschäftigt, und ­jene, die eher Erholungsforschung im Blick hat. Diese Themen müsste man mehr zusammenzubringen.

Wie könnte man den Trend zur Natur so lenken, dass positive Effekte für die Gesundheit und den Umweltschutz ­resultieren?

Das Wichtigste ist: mehr Bildung! Es ­würde helfen, wenn mehr Menschen mehr Wissen um ökologische Zusammenhänge hätten. Zum anderen ist es gut, wenn Kinder und Jugendliche durch Waldtage oder Schulprojekte ganz ­konkret die Natur erfahren können und immer wieder spüren, wie es ist, draußen im Grünen zu sein. Botanisches und ­zoologisches Wissen hilft: Wer den ­Vogel, der dort fliegt, benennen kann, oder weiß, welche Blume am Wegesrand blüht, baut automatisch eine Verbindung, vielleicht sogar Liebe zur Natur auf. Diese Art Bildung führt zu einer ­Vertiefung der Beziehung von Mensch und ­Natur.

Ist denn unsere Beziehung zur Natur so distanziert?

Schon. Viele Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene aus Großstädten sind von der Natur entfremdet, sie meiden sie und empfinden Furcht vor ihr. Das ist zum Teil verständlich: Die Natur hat immer beide Seiten. Neben der Fähigkeit, uns Erholung und Ruhe zu schenken, gibt es auch eine bedrohliche Seite.

Die Düsternis eines Waldes kann beängstigen, und Gewitter oder Stürme können objektiv lebensgefährlich werden. Das lässt sich nicht leugnen. Es geht aber darum, Naturphänomene genauer zu kennen, vertrauter mit ihnen zu werden. Dann kommen wir der Natur wieder näher. Das, was wir kennen, mögen wir in der Regel auch mehr. Es würde sich lohnen, auf diese psychologische Dynamik zu bauen.

Welche Art von Natur brauchen wir dafür? Müssen wir den Städten den Rücken kehren?

Nein, die zunehmende Urbanisierung hat zu viele Vorteile für unser Leben. Aber stadtnahe Grünflächen, Wälder und Parks können schon wesentlich dazu beitragen, die Bindung zur Natur zu vertiefen. Man kann einfach losgehen.

Doch individuelle Initiative allein reicht nicht aus: Öffentlichkeit und Politik sollten sich für das Thema ebenfalls verantwortlich fühlen. Menschen brauchen Zugang zu Grünflächen, die zu ihren Bedürfnissen passen, Wohnviertel sollten dementsprechend gestaltet sein. Zudem benötigen sie Aufklärung und Wissen darüber, warum es guttut, sich im Grünen zu bewegen. All die Studienergebnisse zur Wirkung von Natur auf die Gesundheit sind toll. Doch diese Effekte sind für das Individuum oft nicht direkt spürbar und zeigen sich eher langfristig.

Darüber hinaus gewöhnen sich Menschen schnell auch an ungünstige Umstände, in denen sie leben müssen, und nehmen diese gar nicht als so problematisch wahr. Wenn jemand etwa in einer tristen Siedlung ohne Grün wohnt, merkt er vielleicht gar nicht, wie sehr das belastet. Daher braucht man gute Regelungen und Rahmenbedingungen, die nur die Politik schaffen kann.

Und wie kann jeder Einzelne die gesunde, stabilisierende Wirkung der Natur konkret für sich nutzen?

Es geht auch hier um Gewöhnung und Annäherung, darum, sich schlicht einen regelmäßigen Zugang zu Naturerlebnissen zu ermöglichen, Routinen im Alltag zu entwickeln. Man könnte zum Beispiel immer mit dem Rad zur Arbeit fahren und dabei eine Strecke nehmen, bei der man an Grünflächen vorbeikommt, selbst wenn man dafür einen kleinen Umweg fahren muss. Oder man geht regelmäßig draußen spazieren. Oder man fängt an, den Balkon zu begrünen, einen Dachgarten anzulegen und zu pflegen. So baut man den heilsamen Kontakt mit der Natur ins Leben ein – und so wird er nach und nach auch zu einer Gewohnheit, auf die man nicht mehr verzichten will.

Dr. Mathias Hofmann ist Umweltpsychologe an der Technischen Universität Dresden. Er erforscht unter anderem die Interaktion zwischen natürlichen und künstlichen Umwelten und die Wirkung auf unser Verhalten und Wohlbefinden. Zudem unterrichtet er an der Fernuniversität Hagen das Modul „Umweltpsychologie“ und ist Mitherausgeber der gleichnamigen Fachzeitschrift.

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute Compact 54: Natur & Psyche
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