Frau Vollmeyer, viele Menschen prokrastinieren. Sie schieben Aufgaben also auf oder erledigen sie gar nicht. Beim Phänomen Flow, zu dem Sie forschen, geht man dagegen völlig in einer Tätigkeit auf. Was entscheidet, ob eine Herausforderung lähmt oder beflügelt?
Sobald man Angst hat oder das Gefühl, etwas nicht zu schaffen, kann es nicht zum Flow kommen. Wenn man zum Beispiel nicht weiß, wie man für eine wichtige Prüfung lernen soll, beginnt man möglicherweise zu prokrastinieren. Man fühlt sich wie ein…
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eine wichtige Prüfung lernen soll, beginnt man möglicherweise zu prokrastinieren. Man fühlt sich wie ein Mäuschen vor einem großen Berg. Dabei können Merkmale in der Persönlichkeit eine Rolle spielen. Es gibt Menschen, die Misserfolg fürchten, noch bevor sie an eine Aufgabe rangehen.
Welche Persönlichkeitsmerkmale helfen, in einen Flow zu geraten?
Häufig spielt eine gewisse Risikobereitschaft eine Rolle. Menschen, die Herausforderungen nicht scheuen, kommen leichter in diesen Zustand, Sportlerinnen und Sportler zum Beispiel. Wenn der Tennispartner etwas besser spielt als man selbst, kann man einen Flowzustand gut erreichen. Mit einem Kind, das viele Bälle danebenschlägt, passiert das dagegen nicht.
Kann man als Prokrastiniererin oder Prokrastinierer überhaupt in einen Flow kommen?
Das Prokrastinieren hängt mit der Tätigkeit zusammen. Ist Angst damit verbunden, hindert es Betroffene am Flow. Wenn man jedoch sagen würde: „Du brauchst nicht mehr weiterzuarbeiten, geh deinem Hobby nach“, kämen sie schnell in diesen Zustand. Sie weichen auf etwas aus, das ihnen Spaß macht statt Angst.
Aber wenn ich die lästige Aufgabe erledigen möchte: Ist es möglich, das Aufschieben zu überwinden und doch noch in einen Flow zu kommen?
Wenn man merkt, dass es vorangeht, kann das Prokrastinieren aufhören. Es kann zum Beispiel helfen, eine Aufgabe, mit der man überfordert ist, in kleine, machbare Portionen einzuteilen. Manchmal nützt der Austausch in einer Lerngruppe oder kollegiales Feedback, um eine Blockade zu überwinden.
Kommt man bei der Arbeit schwerer in einen Flow als beim Hobby?
Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass man gerade bei der Arbeit häufig in diesen Zustand kommt, weil man herausgefordert ist bei einer Tätigkeit, die man gelernt hat. Nehmen wir einen Chirurgen, der gerade operiert, eine Journalistin, die einen Artikel schreibt, oder einen Manager, der ein neu ausgearbeitetes Konzept vorstellt. In einen Flow kommt man dann, wenn man sehr konzentriert bei der Sache ist. Es klappt nicht, wenn man ständig abgelenkt wird, das Telefon klingelt oder Mails aufploppen. Deshalb sollte man Ablenkung reduzieren und sich auf das konzentrieren, was wichtig ist.
Muss einem die Arbeit Spaß machen, um diesen Zustand zu erreichen?
Nicht unbedingt. Bei mündlichen Prüfungen an der Universität erlebe ich, wie schnell manchmal die Zeit vergeht – sowohl für mich als auch für den Prüfling. Man ist so konzentriert beim Thema und kommt in einen Flow, obwohl die Prüfungssituation nicht unbedingt eine angenehme ist. – Grundsätzlich müssen zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Die Tätigkeit muss einem liegen und man muss dabei leicht herausgefordert sein.
Wovon hängt ab, ob einem eine Tätigkeit liegt?
Das hängt von den eigenen Neigungen ab. Leistungsmotivierte Menschen blühen in Situationen auf, in denen sie ihr Bestes geben können. Andere sind eher machtmotiviert und freuen sich, wenn sie jemanden überzeugen können. Anschlussmotivierte genießen wiederum Situationen, in denen sie mit anderen in Kontakt kommen. Je nach Typ liegen uns bestimmte Tätigkeiten mehr als andere. Entsprechend leichter erreicht man den Flow-Zustand.
Was passiert in unseren Köpfen in dem Moment des Flows?
Das konnte die Wissenschaft bislang nicht eindeutig beantworten, weil Befragungen schwierig sind. Wenn man Personen während des Zustandes fragt, holt man sie automatisch aus dem Flow heraus. Mit zwei Kollegen habe ich deshalb einen Test entwickelt, der nur kurz unterbrechen soll. Darin heißt es zum Beispiel: „Ich bin ganz versunken in die Tätigkeit.“ Oder: „Die Tätigkeit passt zu meinen Fähigkeiten.“
Die befragte Person antwortet dann auf einer Skala von eins bis sieben. Außerdem versucht man, über die Messung von Hirnströmen mehr über das Flow-Erleben herauszufinden. Es wurde allerdings noch kein Muster gefunden, an dem man den Zustand ablesen kann.
Kann man trainieren, in einen Flow-Zustand zu kommen?
Wenn die beiden Voraussetzungen – geeignete Tätigkeit und leichte Herausforderung – gegeben sind, ist die Wahrscheinlichkeit zwar hoch, aber man kann ihn nicht erzwingen. Bleiben wir beim Tennis: Obwohl ich denselben Spielpartner habe, der mich ein wenig herausfordert, beschäftigt mich vielleicht gerade ein anderer Gedanke, ein Problem bei der Arbeit. Ich bin also nicht ganz bei der Sache, dann klappt es auch nicht mit dem Flow.
Gibt es dennoch Strategien, die einen Flow leichter ermöglichen?
Die Herausforderung sollte nur leicht über den eigenen Fähigkeiten liegen, aber nicht überfordern. Und es ist hilfreich, wenn man sich selbst gut kennt und weiß, bei welchen Tätigkeiten einem ein solcher Zustand gelingt. Manche kommen bei ihrem Hobby in einen Flow, andere, wenn sie kochen oder sich gut unterhalten. Man kann zudem versuchen, die Schwierigkeit der Aufgabe zu verändern. Wenn man sich beim Tennis unterfordert fühlt, sucht man sich einen neuen Partner.
Und wenn ich nun endlich meine Fenster putzen muss, statt meinem Hobby nachzugehen?
Auch wenn die Tätigkeit einem nicht besonders gefällt, kann man in einen Mini-Flow kommen, indem man sich entsprechende Bedingungen schafft. Wenn man die Fenster in einer bestimmten Zeit und besonders gründlich reinigen möchte, kann man sehr konzentriert bei der Sache sein. Auch bei einer Fließbandarbeit, die vielleicht keinen großen Spaß macht, kann man herausgefordert sein: Man muss in einer bestimmten Zeit eine Aufgabe erledigen. Allerdings versinkt man dabei nicht so tief und nicht so lange in die Tätigkeit wie bei einem richtigen Flow.
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Regina Vollmeyer ist Professorin am Institut für Psychologie der Goethe-Universität Frankfurt. Sie forscht zu Motivation und Flow, zum Beispiel beim Schachspielen. Sie hat eine Skala entwickelt, mit der Testpersonen ihren Flowzustand bewerten können.