„Pornos haben mein Gehirn zerstört“, gestand die Sängerin Billie Eilish vor einiger Zeit in einem Interview. Im Alter von 11 Jahren habe sie angefangen, harte Pornografie zu konsumieren. Sie sei regelrecht süchtig danach gewesen. „Ich dachte, dass man so Sex lernt“, gab die heute 20-Jährige zu und beklagte, sich als nicht schön genug empfunden und später verpflichtet gefühlt zu haben, allen sexuellen Praktiken zuzustimmen. Erst als sie das Gespräch mit ihrer Mutter gesucht habe, sei ihr klargeworden, dass…
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klargeworden, dass die Videos „nicht die Realität“ zeigten.
Auf Eilishs Äußerungen hin erwiderte eine Pornodarstellerin über soziale Netzwerke, Pornos seien nun mal keine Aufklärungsvideos für Jugendliche, sondern Filme für Erwachsene. Sie solle den Fehler bei ihren Eltern suchen, die sie offenbar nicht ausreichend aufgeklärt hätten, kritisierte eine weitere. Und eine dritte ergänzte: „Wer hat einem Kind erlaubt, sich Hardcorepornografie anzusehen?“
In Deutschland ist es verboten, Jugendlichen unter 18 Jahren Zugang zu Hardcorepornografie zu gewähren, also zu Darstellungen, in denen entblößte Geschlechtsteile während des Geschlechtsakts zu sehen sind. Das gilt auch für Onlinestreamingdienste.
Dennoch: Nicht ganz 13 Jahre alt sind Heranwachsende im Durchschnitt, wenn sie zum ersten Mal einen Porno sehen, so war 2018 das Ergebnis einer repräsentativen Befragung in Deutschland mit 1048 Jugendlichen im Alter von 14 bis 20 Jahren. Nur die Hälfte suchte die Videos gezielt auf. Die anderen kamen unbeabsichtigt damit in Kontakt, etwa über Chats oder Suchmaschinen. Die Reaktionen auf den ersten Kontakt reichten von leichter sexueller Erregung über Belustigung und Gleichgültigkeit bis hin zu Ekel.
Mädchen nutzen lieber ihre Fantasie
„Wie Jugendliche die Videos verarbeiteten, hing davon ab, mit welcher Intention sie diese nutzten und ob andere anwesend waren“, resümiert Jens Vogelgesang, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Hohenheim, der die Studie zusammen mit Thorsten Quandt von der Universität Münster durchgeführt hat. Während ein Drittel der Jungen angab, täglich oder mehrmals pro Woche derlei Videos zu schauen, taten dies nur fünf Prozent der Mädchen.
Möglicherweise masturbieren Mädchen schlicht seltener als Jungen, erregen sich dabei lieber über ihre eigene Fantasie oder fühlen sich von dem Angebot auf herkömmlichen Portalen nicht angesprochen. Vor allem Jungen nutzen das Material auch, um andere zu ärgern, zu mobben oder sich mit ihnen zu messen. „Es ist wie eine Art Battle, wer das ekligste oder aufregendste Video zu bieten hat“, kommentiert Vogelgesang die Ergebnisse.
„Pornos sind für Jungen positiver konnotiert, sie gehen mit ihrer Lust selbstverständlicher um als Mädchen. Für viele Mädchen passt es nicht in das weibliche Selbstbild von Körperbeherrschung und Kontrolle. Sich sexuell aktiv und interessiert zu geben, schaffen nur einige selbstbewusste“, sagt die Pädagogin Claudia Hohmann, Leiterin der Beratungsstelle von pro familia in Frankfurt am Main.
Gemeinsam mit ihrem Team bietet sie unter anderem sexualpädagogische Workshops für Schulklassen an. Diese finden meist getrennt nach Geschlechtern statt. „Uns ist bewusst, dass das Konzept nicht für alle passt. Es hat sich jedoch bewährt, den Jugendlichen Schutzräume zu geben, in denen sie sich öffnen können“, erläutert sie. Pornografie sei in den Workshops ein Thema unter vielen.
Keine unbeschriebenen Blätter
Welche der unzähligen pornografischen Genres Jugendliche favorisieren, ist bisher kaum bekannt. Eine Forschungsgruppe von der Boston University School of Public Health fand 2015 immerhin heraus, dass Jugendliche ebenso wie Erwachsene vorwiegend Mainstream-Pornografie zu nutzen scheinen. Diese ist bei einem männlichen heterosexuellen Publikum beliebt und wird zugleich aufgrund ihrer stereotypen Darstellungen immer wieder kritisiert.
Männer treten darin meist dominant auf, während Frauen sich unterwürfig zeigen und in ihren sexuellen Bedürfnissen kaum gesehen werden, wie eine Inhaltsanalyse von 400 pornografischen Videos von Forschern der Universität Amsterdam belegt.
Doch es tut sich einiges. „Wir beobachten seit Jahren eine enorme Pluralisierung und einen großen Nischenreichtum in der Pornografie“, berichtet Konrad Weller, emeritierter Professor für Sexualwissenschaft an der Hochschule Merseburg. Feministische, queere und authentische Non-Mainstream-Inhalte gewönnen zunehmend an Bedeutung. Diese liegen bei Streamingdiensten jedoch meist hinter einer Bezahlschranke oder sind auf bekannten Portalen seltener zu finden. Damit sind sie für Jugendliche weniger leicht zugänglich als herkömmliche Angebote.
Allen Videos ist gemeinsam, dass sie gezielt zum Zweck der sexuellen Stimulation angeboten und geschaut werden. Damit erfüllt Pornografie eine Funktion von Sexualität. Doch Sexualität bedeutet nicht nur Lustgewinn, sondern auch Vertrauen, Respekt, Geborgenheit, Wertschätzung und Verantwortung. Neben der offensichtlichen Fortpflanzungsfunktion dient sie außerdem dazu, die eigene sexuelle Identität zu festigen. All diese Facetten von Sexualität lernen Heranwachsende in der Pubertät kennen, in der sie enorme körperliche, geistige, emotionale und soziale Veränderungen erleben.
Das sexuelle Skript
In dieser Zeit gehen sie erstmals intime Beziehungen ein und erkunden ihre sexuellen Vorlieben. Sie müssen sich mit ihrer körperlichen Erscheinung auseinandersetzen und eine Geschlechtsidentität aufbauen, also herausfinden, ob sie mit ihrem biologischen Geschlecht übereinstimmen oder davon abweichen. Sie müssen lernen, sich von den gesellschaftlichen Erwartungen, die mit diesen Zuschreibungen einhergehen, zu emanzipieren.
Das Elternhaus spielt bei der Bewältigung dieser Entwicklungsaufgaben eine entscheidende Rolle. Wie kommunizieren Mütter und Väter miteinander? Zeigen sie sich als Paar, das liebevoll miteinander umgeht? Wird über Sexualität gesprochen?
Jugendliche sind daher keineswegs unbeschriebene Blätter, wenn sie auf die expliziten Inhalte von Pornos treffen. Vielmehr haben sie bereits eine Haltung dazu, die sehr von ihrem Umfeld geprägt ist. Konrad Weller, der seit vielen Jahren auch als analytischer Paar- und Sexualtherapeut arbeitet, betrachtet den Pornokonsum als für die Entwicklung notwendig: „Jugendliche externalisieren durch Pornografie ihre aufkommenden sexuellen Fantasien.“ Gleichzeitig ist er überzeugt: „Natürlich wirken die Eindrücke aus den Videos auf die sexuellen Skripte von Heranwachsenden zurück.“
Das sexuelle Skript ist eine Art individuelles Drehbuch für sexuelles Verhalten und Begehren und beginnt sich bereits im Vorschulalter zu entwickeln. In dieser Zeit interessieren sich Kinder etwa dafür, wie Babys entstehen. In diese mentalen Schemata fließen alle möglichen sexualitätsbezogenen Informationen und Erfahrungen ein, zum Beispiel auch über die eigene Bindungsfähigkeit oder sexuelle Orientierung. Insofern ist anzunehmen, dass auch pornografische Videos beeinflussen, wie Jugendliche sexuell sozialisiert werden.
Krankhafter Pornokonsum
„Die Bilder prägen sich ein und stehlen den Jugendlichen ihre eigene sexuelle Entdeckungsreise“, sagt Tabea Freitag. Die Psychologische Psychotherapeutin leitet zusammen mit ihrem Mann die Fachstelle Mediensucht return in Hannover, in der sie Menschen berät und behandelt, die unter ihrem exzessivem Pornokonsum leiden. Meist seien die Hilfesuchenden männlich und inzwischen auch minderjährig. Die Betroffenen können ihren intensiven Drang nach sexueller Befriedigung durch pornografische Videos kaum oder nicht mehr kontrollieren.
Das Diagnosesystem der Weltgesundheitsorganisation, die ICD, bezeichnet dies als „zwanghafte sexuelle Störung“, sobald die Symptome über mindestens sechs Monate bestehen. Wie häufig die Impulse auftreten, ist dabei nicht entscheidend. Vielmehr kommt es darauf an, ob der Konsum andere Lebensbereiche beeinträchtigt. Die Auswirkungen erlebt Tabea Freitag tagtäglich. „Frauen beschreiben häufig, dass ihr Partner emotional abwesend und gereizt sei und das sexuelle Miteinander leide“, berichtet die Psychologin.
Dass der Konsum dieser Medieninhalte im Jugendalter in direktem Zusammenhang mit den Verhaltensauffälligkeiten steht, ist bislang allerdings nicht ausreichend belegt. Klar ist, dass lediglich drei Prozent der Menschen, die solche Videos rezipieren, unter diesem Störungsbild leiden. Es entsteht vielmehr durch ein komplexes Zusammenspiel verschiedenster Risikofaktoren.
Verstärkung von Geschlechterstereotypen
Nichtsdestotrotz können die Videos negative Wirkungen nach sich ziehen. So kam eine US-amerikanische Studie mit 15- bis 18-Jährigen im vergangenen Jahr zum Ergebnis, dass die Jugendlichen, die häufig Pornos konsumierten, sich stärker anhand ihres Körpers bewerteten und ihn entsprechend stärker mit anderen verglichen als solche, die diese wenig oder gar nicht konsumierten – sowohl Jungen als auch Mädchen.
Außerdem fand eine britische Forschungsgruppe von der University of Central Lancashire 2018 in einer Befragung von knapp 5000 Jugendlichen im Alter von 14 bis 17 Jahren aus fünf europäischen Ländern heraus, dass diejenigen, die viel konsumieren, häufiger geschlechtsstereotype Einstellungen zeigen und öfter sexuelle Nachrichten und Bilder verschicken – auch als Sexting bezeichnet – sowie vermehrt Gewalt beim Sex oder gar sexuellen Missbrauch ausüben.
Auch zeigen die Jugendlichen ein freizügigeres Sexualverhalten, wie Jochen Peter und Patti Valkenburg von der Universität Amsterdam – beide mit dem Forschungsschwerpunkt Jugend und Medien – 2016 in einem Überblicksartikel von Studienergebnissen aus 20 Jahren feststellten. Wie pornografisches Material wirkt, hängt unter anderem davon ab, wie weit die Jugendlichen körperlich, geistig und sozial entwickelt sind. Entscheidend ist zudem, was genau die Videos zeigen.
Informationsquelle Internet
Die Frage, wie die Bilder wirken, kann daher nicht pauschal beantwortet werden. Das ist auch der Tatsache geschuldet, dass Studien teils erhebliche methodische Schwächen haben. Meistens handelt es sich um Untersuchungen, die keine Aussage über Ursache und Wirkung zulassen. Darüber hinaus nehmen an Befragungen eher Jugendliche teil, die im Durchschnitt offener, erfahrener und selbstbewusster sind. Auch beschränken sich die Untersuchungen meist auf heterosexuelle Menschen. All das kann Forschungsergebnisse verzerren.
Nicht zuletzt wurden mögliche positive Folgen wie etwa Wissen über Sexualität, sexuelles Selbstvertrauen oder sexuelle Zufriedenheit bisher kaum erfasst. Es wäre denkbar, dass sich sexuelle Minderheiten in ihrer Identität bestätigt erleben. Unter bestimmten Voraussetzungen könnten solche Videos Jugendlichen womöglich helfen, Ängste vor Sexualität zu reduzieren, ihre sexuellen Vorlieben zu erkunden oder Inspiration für sexuelle Praktiken und Techniken zu bekommen.
Doch solange es kaum zuverlässige Daten über die tatsächlichen Folgen des Pornokonsums gibt, bleiben viele Fragen offen. Welche Inhalte führen zu negativen, welche zu positiven Effekten? Und wie stark sind die Auswirkungen – auch im Vergleich zu anderen sexuellen Einflüssen wie realen Sexualkontakten oder anderen medialen Inhalten?
Das Internet ist für Jugendliche zur wichtigsten Informationsquelle für Fragen rund um Sexualität geworden. Dort finden sie nicht nur sehr viel Aufklärung, sondern auch verschiedene Ansprechpartner, die sie direkt und anonym kontaktieren können.
Mehr Fantasie statt Filmchen
Einer, der die auch teils unseriösen Informationen gemeinsam mit Jugendlichen einordnet, ist Benjamin Scholz. Als langjähriger Sexualaufklärer in Schulen und Autor eines Aufklärungsbuches für Eltern und Jugendliche beantwortet er seit einigen Jahren auf seinem sehr erfolgreichen YouTube-Kanal jungsfragen speziell Jungen auf unterhaltsame Weise Fragen rund um Sexualität.
„In meinen Workshops sage ich den Jungen und Mädchen immer, dass sie mir richtig bescheuerte Fragen stellen sollen. Ich beantworte alle. Und dann merken sie: Jetzt wird es cool!“, erzählt er. Jungen fragten ihn häufig, wie groß ein Penis sein müsse oder wie lange man beim Sex durchhalten müsse, Mädchen äußerten eher Angst vor sexuellen Aktivitäten. Scholz hält es für möglich, dass die Themen der Jugendlichen durch die Eindrücke aus pornografischen Videos geprägt sind: „Sehr früher und sehr häufiger Konsum kann die Sicht auf Sexualität sicherlich verbauen.“
Deshalb rät er Jugendlichen, ihren Konsum möglichst gering zu halten und auch mal nur mithilfe der eigenen Fantasie zu masturbieren. Für am wichtigsten hält er es aber, dass erwachsene Bezugspersonen das Gesehene einordnen. Doch welche Rolle können Eltern noch spielen, wenn Jugendliche schambesetzte Themen wie Sexualität anscheinend medial viel einfacher bearbeiten können?
Eltern klären auf
Offenbar eine größere, als man vermuten könnte. Der jüngsten Jugendsexualitätsstudie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zufolge sind die eigenen Eltern in sexuellen Fragen nach wie vor die wichtigsten Ansprechpartner – noch vor Freunden und Lehrkräften. Auch die Künstlerin Billie Eilish suchte Rat bei ihrer Mutter. „Bilder und Medien können die Aufklärung durch Eltern nicht ersetzen. Denn sie spiegeln die Erwachsenenwelt wider.
Aufklärung sollte aber da stattfinden, wo das Kind sich aktuell in seiner körperlichen und geistigen Entwicklung befindet“, konstatieren die Forscherinnen der BZgA. Eltern scheinen sogar eine wichtigere Informationsquelle als die expliziten Videos zu sein, wie eine US-amerikanische Befragungsstudie von 2021 schlussfolgern lässt. Erst in der Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen werden diese wichtiger als der Rat der Eltern.
Dennoch sind Mütter und Väter oft unsicher, zu welchem Zeitpunkt sie mit ihren Kindern über sexuelle Themen sprechen sollten. Auf Elternabenden antwortet Pädagogin Claudia Hohmann ihnen dann: „Wenn Kinder anfangen, Fragen zu stellen“ – und weist zugleich darauf hin, dass diese Fragen möglichst direkt beantwortet werden sollten. Denn das vermittelt dem Kind die Botschaft, dass es mit seinen Eltern darüber reden kann. Je früher Mütter und Väter Sexualität thematisieren, desto unvoreingenommener können die Jugendlichen darüber sprechen.
Gelassenheit als Schlüssel
Denn gerade zu Beginn der Pubertät wächst deren Bedürfnis nach Rückzugsräumen. Sie stehen in dieser sensiblen Findungsphase nicht gerne unter Beobachtung – besonders wenn es um sexuelle Themen geht. Aus diesem Grund bietet pro familia sexualpädagogische Workshops meist schon in Grundschulklassen an. „Manche Eltern fürchten, dass ihre Kinder dadurch vorzeitig sexualisiert werden. Aber es ist genau andersrum. Kinder werden sexuell sozialisiert über die Medien und die Gesellschaft. Sie müssen damit umgehen und haben viele Fragen und Gefühle dazu“, stellt Hohmann klar.
„Es fällt allen Eltern schwer, die Sexualität ihrer Kinder wahrzunehmen und loszulassen, zu akzeptieren, dass sie Erfahrungen machen.“ Sie wünschten sich, dass das eigene Kind nicht so früh damit anfange – und hätten daher die Tendenz, sich bei sexuellen Themen zurückzuhalten. Es sei jedoch eine Illusion, Kinder davon abhalten zu können, weil diese sich die Informationen, die sie bräuchten, dann selbst suchten.
Eltern können ihre Kinder zu schützen versuchen, indem sie bestimmte Internetseiten blockieren. Auch wird immer wieder diskutiert, wirksame Alterskontrollen auf Pornoseiten einzuführen, etwa mithilfe einer Ausweiskontrolle. Möglicherweise gewinnen die Websites dadurch allerdings umso mehr an Reiz und werden über Schlupflöcher weiter verbreitet. Fakt ist: Jugendliche schauen früher oder später Pornos und sind mit den Eindrücken nicht selten allein.
Professor Konrad Weller plädiert für Gelassenheit. Wichtig sei, ein vertrauensvolles Klima zu schaffen, in dem sich Kinder und Jugendliche öffnen können. Und er fügt hinzu: „Eltern sollten ihren Kindern Wissen und Kompetenzen vermitteln, die eine lustvolle Sexualität und eine kritische Reflexion pornografischer Darstellungen ermöglichen.“ Denn eine gut aufgeklärte, medienkompetente Person sei besser in der Lage, fiktionale Pornoszenarien von realer Sexualität zu unterscheiden.
Mündigkeit durch Aufklärung
Tatsächlich ließen sich in einer US-amerikanischen Untersuchung der University of Rhode Island kurzfristige negative Wirkungen des Videomaterials durch den vorherigen und nachträglichen Hinweis minimieren, dass die Darstellung fiktional sei. Jugendliche sind also unter bestimmten Voraussetzungen in der Lage, die Inhalte kritisch zu bewerten.
Damit zeigen sie bereits eine Facette sogenannter Pornografiekompetenz, also der Fähigkeit, selbstverantwortlich mit pornografischen Inhalten umzugehen. Dazu gehört, den Konsum im Sinne der eigenen Bedürfnisse und Vorlieben bewusst zu gestalten, zu reflektieren, aber auch zu genießen und sinnvoll in die eigene sexuelle Identität zu integrieren. Jugendliche sind diesem Konzept zufolge mündige Rezipientinnen und Rezipienten und keine passiven Opfer allmächtiger Medien.
Eltern und Pädagogen können Heranwachsende zu schützen versuchen und sie zugleich dabei unterstützen, einen souveränen Umgang mit Pornos zu finden, und damit dazu beitragen, dass sie einer gesunden sexuellen Entwicklung nicht im Wege stehen.
Tipps für Eltern
Indem Sie mit Ihrem Kind offen und wertschätzend kommunizieren, also Ihre eigenen Gedanken und Gefühle mitteilen und auf die Ihres Kindes eingehen, werden Sie es ihm erleichtern, Dinge, die es beschäftigen, zu thematisieren.
Beantworten Sie Fragen Ihres Kindes möglichst unmittelbar, offen und ehrlich. Wenn Sie eine Frage nicht beantworten können, geben Sie es offen zu und kommen Sie zeitnah darauf zurück. Besprechen Sie nur das Thema, das Ihr Kind aktuell interessiert. Wenn es mehr wissen will, wird es auf Sie zukommen.
Wahren Sie zu jeder Zeit die Grenzen Ihres Kindes.
Möchten Sie etwas ansprechen oder von eigenen Erfahrungen berichten, fragen Sie Ihr Kind zunächst, ob das für es in Ordnung ist.
Möchten Sie mit Ihrem Kind über Sexualität und Pornografie sprechen, tun Sie das, solange Ihr Kind offen dafür ist, das heißt noch vor Beginn der Pubertät.
Verwenden Sie eine möglichst neutrale und korrekte Sprache für sexuelle Begriffe (also „Vagina“ statt „Mumu“).
Bereiten Sie Ihr Kind darauf vor, dass es im Netz Dinge finden wird, die ihm eklig oder seltsam vorkommen könnten.
Klären Sie Ihr Kind darüber auf, dass pornografische Videos keine reale Sexualität darstellen, sondern Inszenierungen sind.
Nennen Sie Ihrem Kind jugendgerechte Bücher sowie Aufklärungsseiten und Beratungsangebote im Netz. Infos für Jugendliche gibt es zum Beispiel bei loveline.de, profamilia.sextra.de, liebe-lore.de oder bei liebelle-mainz.de.
Unterstützen Sie Ihr Kind dabei, ein gutes Verhältnis zu sich und seinem Körper aufzubauen, etwa durch Vorleben oder positives Bestärken („Du bist genau richtig, wie du bist“).
Installieren Sie Jugendschutzprogramme auf PC und Handy. Jüngere Kinder sollten altersgerechte Kindersuchmaschinen nutzen. Sie können alternativ Filter für die sichere Nutzung gängiger Suchmaschinen einstellen (wie Safe-Search-Filter). Diese Maßnahmen ersetzen jedoch keine Sexualerziehung durch Eltern. Vor allem Jugendliche können solche Einschränkungen umgehen.
Klären Sie Ihr Kind über die Rechtslage auf. Strafbar sind: der Besitz und die Verbreitung von kinder-, jugend- und tierpornografischem Material, das Zugänglichmachen von Pornografie an unter 18-Jährige sowie das Verschicken pornografischer Videos und die Weitergabe von erotischen Bildern oder Videos ohne die Einwilligung der abgebildeten Personen.
Sollte Ihr Kind mit problematischen Inhalten konfrontiert oder von Fremden damit belästigt werden, sichern Sie Beweise und wenden sich damit an den Betreiber, eine Meldestelle oder die Polizei.
Wenn Sie vermuten, dass eine Pornosucht vorliegen könnte, sprechen Sie Ihr Kind behutsam darauf an und holen Sie sich zuvor gegebenenfalls Rat bei einer entsprechenden Beratungsstelle.
Marie Himbert
Zum Weiterlesen
Jochen Peter, Patti M. Valkenburg: Adolescents and pornography: A review of 20 years of research. The Journal of Sex Research, 53/4–5, 2016, 509–531. DOI: 10.1080/00224499.2016.1143441
Sara Scharmanski, Angelika Heßling: Sexual- und Verhütungsverhalten von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Deutschland. Aktuelle Ergebnisse der Repräsentativbefragung „Jugendsexualität“. Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz, 64/11, 2021, 1372–1381. DOI: 10.1007/s00103-021-03426-6
Informationsplattform klicksafe.de/pornografie
Literatur
Andreas Büsch, Benedikt Geyer: Zwischen Jugendmedienschutz und „Porno-Kompetenz". Herausforderungen der Pornografisierung. Communicatio Socialis, 49/3, 2016, 269–282.
Ana J. Bridges u.a.: Aggression and sexual behavior in best-selling pornography videos: A content analysis update. Violence against women, 16/10, 2010, 1065–1085.
Nicola Döring: Sexuelle Aktivitäten im digitalen Kontext. Psychotherapeut, 64/5, 2019, 374–384.
Nicola Döring: Männliche Sexualität im Digitalzeitalter: Aktuelle Diskurse, Trends und Daten. In: Sexualität von Männern, S. 39–76, 2017, Psychosozial-Verlag.
Nicola Döring: Pornografiekompetenz: Definition und Förderung, Zeitschrift für Sexualforschung, 24, 2011, 228–255.
Marleen J. E. Klaassen, Jochen Peter: Gender (in)equality in internet pornography: A content analysis of popular pornografic internet videos. The Journal of Sex Research, 52/7, 2015, 721–735. DOI: 10.1080/00224499.2014.976781
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Chelly Maes, Laura Vandenbosch: Adolescents’ Use of Sexually Explicit Internet Material Over the Course of 2019–2020 in the Context of the COVID-19 Pandemic: A Three-wave Panel Study. Archives of Sexual Behavior, 2022, 1–17. DOI: 10.1007/s10508-021-02122-5
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Emily F. Rothman u.a.: The prevalence of using pornography for information about how to have sex: Findings from a nationally representative survey of US adolescents and young adults. Archives of Sexual Behavior, 50/2, 2021, 629–646. DOI: 10.1007/s10508-020-01877-7
Sara Scharmanski, Angelika Heßling: Sexual- und Verhütungsverhalten von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Deutschland. Aktuelle Ergebnisse der Repräsentativbefragung „Jugendsexualität“. Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung –Gesundheitsschutz, 64/11, 2021, 1372–1381. DOI:10.1007/s00103-021-03426-6
Gunter Schmidt, Silja Matthiesen: What do boys do with porn? Zeitschrift für Sexualforschung, 24/04, 2011, 353–378.
Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest: JIM-Studie, Jugend–Information–Medien, Basisuntersuchung zum Medienumgang, 2020.
Nicky Stanley u.a.: Pornography, sexual coercion and abuse and sexting in young people’s intimate relationships: A European study. Journal of Interpersonal Violence, 33/19, 2018, 2919–2944.
Laura Widman u.a.: Sexual communication in the digital age: Adolescent sexual communication with parents and friends about sexting, pornography, and starting relationships online. Sexuality & Culture, 25/6, 2021, 2092–2109, DOI:10.1007/s12119-021-09866-1
Thorsten Quandt, Jens Vogelgesang: Jugend, Internet und Pornografie – Eine repräsentative Befragungsstudie zu individuellen und sozialen Kontexten der Nutzung sexuell expliziter Inhalte im Jugendalter. In: Patrick Rössler, Constanze Rossmann (Hrsg.): Kumulierte Evidenzen – Replikationsstudien in der empirischen Kommunikationsforschung, S. 91-118, 2017, Springer VS, Wiesbaden: DOI: 10.1007/978-3-658-18859-7_5
Weiterführende Informationen für Eltern
www.handysektor.de/pornografie
www.internet-abc.de/eltern/pornografie-internet-schutz-kinder/
www.schau-hin.info/sicherheit-risiken/schutz-vor-pornografie