Das Leben als Frontfrau der Popband Wir sind Helden hat Judith Holofernes geliebt. Dass sie sich dort bis zum Burnout verausgabte, wollte sie lange nicht wahrhaben. Hier berichtet sie von ihren Erfahrungen, Erkenntnissen und Entwicklungen:
Frau Holofernes, Niedergeschlagenheit und Erschöpfung zu verstecken kann viele Gründe haben. Welche waren Ihre?
Zum einen sind da die persönlichen Aspekte: Ich war ein kränkliches Kind, man machte sich Sorgen um mich. Ich wollte immer beweisen, dass ich alles schaffen kann,…
Sie wollen den ganzen Artikel downloaden? Mit der PH+-Flatrate haben Sie unbegrenzten Zugriff auf über 2.000 Artikel. Jetzt bestellen
kränkliches Kind, man machte sich Sorgen um mich. Ich wollte immer beweisen, dass ich alles schaffen kann, und habe mir oft zu viel zugemutet. Das hat mir als Musikerin allerdings auch geholfen: Ich schrieb Songs, egal wie eng die Deadlines waren, konnte mit dem Erfolg gut umgehen, das anstrengende Leben auf Tour gut wegstecken, beschwerte mich nie, war das Mädchen zum Pferdestehlen. Ich fand sogar Lösungen, meine kleinen Kinder mit auf Tour zu nehmen. Ich nenne all das heute „meine pathologische Tapferkeit“, arbeite immer weiter daran, dieses Muster zu durchbrechen.
Zum anderen haben gesellschaftliche Faktoren enormen Einfluss: Ein traditionelles Rollenverständnis, das immer noch wirkt, legt Frauen nah, geschmeidig zu sein, niemanden zu stören, nicht unangenehm aufzufallen. Ich habe mich lang rollenkonform verhalten, die Erschöpfung kaschiert, mich immer zur Verfügung gehalten. Und dafür viel Lob bekommen. Heute grenze ich mich mehr ab. Nicht alle sind begeistert davon.
Im Buch Die Träume anderer Leute beschreiben Sie das Tourleben mit Kindern als Belastung. Das liest sich spannend, aber auch wie ein aberwitziger Spagat. Ist das, was Sie erlebt haben, nicht eine ziemliche Ausnahme?
Finde ich nicht. Auch wenn meine Situation speziell war, glaube ich, dass viele Lebensentwürfe, in denen Kinder und Beruf oder Kinder und Kunst zusammenkommen, überfordernd und prekär sind. Ich bekomme viele Reaktionen aufs Buch, spreche mit unterschiedlichen Leuten. Fast alle berichten, dass sie mit zusammengebissenen Zähnen durch die Familienjahre gehen und denken: Ich schiebe diese Karre jetzt da durch und ausruhen kann ich, wenn die Kinder aus dem Haus sind. Wenn man achtsam zu sich wäre, müsste man sehen, dass viele Lebensarrangements mit Kindern nicht zu schaffen sind. Sie funktionieren nur, weil wir über Seele und Körper hinweggehen. Und genau das begünstigt Depressionen.
Wann und woran haben Sie gemerkt, dass Sie sich chronisch überforderten?
Alarmierende Körpersignale wie große Müdigkeit oder Schmerzen begleiteten mich schon jahrelang, ich gab ihnen aber keine Autorität. Es gab Momente, etwa bei einem Meditationsseminar, wo die intuitive Stimme stark war. Ich spürte klar, dass es so nicht weitergeht, dass ich immer mehr in die Erschöpfung rutsche. Dies Wissen habe ich weggeschoben, wollte nicht, dass sich zeigt, dass mein Konstrukt nicht funktioniert. Ich wollte weitermachen, habe mit weißen Knöcheln dran festgehalten.
Ich wusste, wenn ich die Erschöpfung zugelassen hätte – es wäre das Ende eines Lebenstraums gewesen. Einige Zeit später wurden körperliche Symptome und Apathie so stark, dass ich therapeutische Hilfe suchte. Irgendwann traf ich die Entscheidung, die Band ruhen zu lassen. Es war schwer, aber richtig.
Haben nahestehende Menschen Sie darauf hingewiesen, dass Sie sich verausgabten?
Meine Freunde hatten gar keine Chance, es überhaupt zu merken. Es ist doch so: In den Jahren, wenn Leute Kinder betreuen oder im Job stark eingespannt sind, sieht man auch gute Freundinnen oft nur alle paar Wochen, bei mir dann eher alle paar Monate. Oft freute ich mich sehr auf die Treffen, so dass ich im Gespräch beschwingt war, das war echt.
Weil ich darum weiß, bin ich mit anderen mittlerweile strenger: Wenn mir Freunde auch nur scherzhaft sagen, dass sie fast gar nicht mehr schlafen oder umgekehrt dass sie so müde sind, dass es schon keinen Unterschied mehr macht, ob sie schlafen oder wach sind, gebe ich die Rückmeldung, dass ich das nicht zum Lachen finde. Ich rate dringend, dass sie sich drum kümmern. Erschöpfung kann chronisch werden. Schwer bleibt es trotzdem, etwas zu ändern: Viel geleistet zu haben, ausgelaugt zu sein, das ist gesellschaftlich anerkannt.
Was müsste sich ändern, damit es leichter wird, sich in seinen depressiven Phasen oder mit seiner Erschöpfung zu zeigen?
Erst mal grundsätzlich unseren Leistungsanspruch hinterfragen: Muss das so sein oder geht es nicht auch leichter? Und wir sollten die Verknüpfung von Arbeit, Selbstwert und Lebenswert auflösen. Warum soll jemand, der etwas produziert, was der Welt nicht hilft oder sogar schadet, ein wertvolleres Leben führen als jemand, der sich im Freundeskreis nützlich macht, Enkel betreut, Kunst macht? Ich sage das theoretisch ganz abgeklärt, knabbere aber selbst dran.
Es ist seltsam: In den Songs habe ich mich mit Zeilen wie „Guten Tag, ich will mein Leben zurück“ schon in meinen Zwanzigern über Konformität und überzogenes Arbeitsethos beschwert. Ich habe mich oft gefragt, warum gerade ich zweimal kurz vorm Burnout stand. Heute denke ich: In meinen Songs spricht der klügste Teil von mir, es äußern sich Aspekte, die ich bewusst noch gar nicht parat habe.
Hinweise und Erkenntnisse zeigen sich also in Ihren Werken. Was hat sich da in den letzten Jahren geändert? Tja, meine Songs kreisen immer noch um die gleichen Themen, ich habe auf meinen Soloalben jedoch deutlich düsterere Stimmungen öffentlich gemacht. Früher hatte ich beim Texten immer eine Art Verantwortungsgefühl. Wenn ich in einem Song traurig mal einen Abgrund aufmachte, habe ich immer gleich Seil und Spitzhacke mitgeliefert und den Leuten einen Ausweg gezeigt. Heute dürfen Songs, die dunkel sind, auch dunkel bleiben. Ich denke, das ist eine entscheidende Veränderung. Auch in meinen Büchern zeigt sich diese Richtung: Ich habe so viel über Schwächen, Erschöpfung und Zweifel geschrieben, dass nichts mehr versteckt ist, alles offenliegt. Das befreit. Ich kann es jedem empfehlen!
Mit Ihrer Tendenz, sich zu verausgaben, gehen Sie nun schon lange bewusster um. Was haben Sie verändert, wie schützen Sie sich?
Ich meditiere, das ist mir wichtig, aber kein Allheilmittel. Ein wichtiger Wegweiser: Ich habe herausgefunden, dass es mir gutgeht, solange ich kreativ sein kann. Deshalb frage ich mich oft: Gibt es in meinem Leben genug Raum für kreative Prozesse? Schaffe ich es, die Freiräume zu nutzen?
Daraus eine allgemeine Formel zu machen ist schwer. Aber ich glaube, es hilft grundsätzlich, ausreichend Raum für die Dinge zu haben, die einem wirklich, wirklich Freude machen. Ich glaube, wir neigen dazu, die Freude in eine Mini-Ecke zu verweisen und zu sagen: „Guck mal, hier hinten, hier ist dein Reservat, hier darfst du leben. Aber bleib bitte da in der Ecke.“ Es wäre Zeit, das endlich mal zu ändern.
Wollen Sie mehr zum Thema erfahren? Dann lesen Sie, warum viele Menschen ihre Verzweiflung verbergen in Meine perfekt versteckte Depression.
Judith Holofernes hat mit ihrer Band Wir sind Helden und als Solistin sehr erfolgreiche Alben herausgebracht. Außerdem schrieb sie Bücher, zuletzt Die Träume anderer Leute. Dort schildert sie ihr Leben als Musikerin und Mutter – und ihre Erschöpfung.