Golden Ager: Aussichten für die junggebliebenen Alten

Gesund und fit können wir im Rentenalter heute den großen Rest unseres Lebens genießen. Wie umsetzbar diese Vorstellung tatsächlich ist

Eine ältere Frau mit grauen kurzen Haaren, läuft in Sportkleidung  und In-Ears lächelnd durch eine Straße
Alt und trotzdem körperlich fit, finanziell abgesichert und sozial engagiert! So manche Erwartungen erschweren den sorglosen Blick in die Rente. © Pixelfit/Getty Images

Entspannt lehnt das weißhaarige Paar an der Reling, beide tragen neben einem Lächeln auch gesunde Urlaubsbräune. Auf dem Foto schauen sie versonnen in eine offenbar rosige Zukunft, der sie auf einem Kreuzfahrtschiff entgegenfahren. Auf dem nächsten Bild sitzt eine schlanke 50-Jährige in Yogahose und Turntop auf den Schultern eines grauhaarigen agilen Mannes, im Hintergrund streckt sich das Meer bis zum Horizont. Man ahnt, gleich wird die Frau mit einem eleganten Sprung auf dem Strand landen und in die…

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zum Horizont. Man ahnt, gleich wird die Frau mit einem eleganten Sprung auf dem Strand landen und in die Kamera lächeln. Das Sportprogramm, für das die beiden werben, war offensichtlich erfolgreich.

Fit ist auch der Golfer Bernhard Langer, der kürzlich auf dem Cover eines neuen Hochglanzmagazins für Menschen ab 50 zu sehen war. Neben ihm, auf einem kleinen Foto abgebildet, spricht die Schauspielerin Erika Pluhar vielen aus der Seele, wenn sie sagt: „Ich bin zu jung für mein Alter.“

Bunt und schön sind die Bilder, jung, erfolgreich, gesund und glücklich wirken die Menschen, die in den Medien als „junge Alte“ vorgestellt werden und sich selbst meist noch lange nicht als „alt“ bezeichnen würden. Dementsprechend kreativ fallen auch die Bezeichnungen für diese Generation aus: Sie heißen Silver Ager, Best Ager, Golden Ager. Oder auch Mid-Ager, Senior Citizens und Over Fifties, und ihre Zahl wächst ständig. Bald gehören auch 13,7 Millionen 40- bis 50-Jährige dazu, die Babyboomer, und mit ihnen jeder weitere sechste Deutsche.

Glänzende Vorstellung vs. harte Statistik

Es heißt, die jungen Alten hätten den „U-turn of life“ und die Midlife-Crisis, hinter sich gelassen, sie hätten wichtige Lebensziele erreicht und seien finanziell abgesichert. Studien aus den USA und Deutschland zeigen, dass sich viele junge Alte glücklicher fühlen als Zwanzigjährige und dass viele Ältere unabhängig von individuellen Diagnosen mit ihrem Gesundheitszustand zufrieden sind.

Die Aussichten fürs Älterwerden scheinen also rosig. Aber sind sie es wirklich? Wer von den jungen Alten gehört tatsächlich zu den von Medien und Wirtschaft so umworbenen Gewinnern? Was ist mit den kranken, den pflegebedürftigen Deutschen, deren Zahl ebenfalls steigt? Und wer kann sich die Kreuzfahrten oder den ewigen Sommer im Süden Spaniens wirklich leisten?

Tatsache ist: Rund zehn Prozent der jungen Alten sind arm. Und das Rentenniveau sinkt. In Zukunft werden mehr Rentner mit der Grundsicherung, zurzeit etwa 800 Euro im Monat, zurechtkommen müssen, sagt der Rentenexperte Winfried Schmähl, emeritierter Wirtschaftswissenschaftler der Universität Bremen.

Schon jetzt arbeiten 120 000 Rentner in Deutschland, die 75 Jahre oder älter sind, um ihre Finanzen aufzubessern. In Zukunft werden vor allem Ostdeutsche, die nach der Wende arbeitslos wurden, und Menschen mit Erwerbsminderungsrenten von Altersarmut bedroht sein. Ebenso wie Personen mit Migrationshintergrund, die heute 12 Prozent der jungen Alten stellen.

Das neue Altern ist nicht für jeden bunt

Verliererinnen sind auch die Frauen, die in der traditionellen Geschlechterrolle geblieben sind und nach der Geburt der Kinder aus dem Job ausstiegen. Wenn diese Frauen zudem noch geschieden sind und für sie das neue Unterhaltsrecht gilt, rücken Reisen für viele von ihnen in weite Ferne. Geht es nach dem Willen von Politikern, dann sollen die jungen Alten auch gar nicht so oft verreisen.

Sie sollen sich lieber in der Kommune engagieren, vorzugsweise da, wo Fachkräfte fehlen, die Mittel eng sind oder gespart werden muss. Sie sollen Alte pflegen, Kranke besuchen, in Kindergärten aushelfen, Großelternzeit nehmen, damit die jüngere Generation weiter produktiv sein kann – und das alles am besten ohne Bezahlung.

Und schließlich sind da noch die Menschen, die nach einem langen Arbeitsleben verbraucht und krank sind. Der oft bemühte Dachdecker zum Beispiel oder auch Reinigungskräfte, Krankenschwestern, Altenpfleger und andere. Die Angehörigen dieser Berufe sind oft zu müde, um mit 60 Jahren in den zweiten Frühling zu starten.

Das gilt auch für die Menschen, die schon im jungen Alter auf Unterstützung und Pflege angewiesen sind. Für sie ist diese neue Lebensphase nicht „silbern“, „golden“ oder „bunt“, sondern eher grau. Und für ihre Angehörigen meist gleich mit. So fehlt manchen jungen Alten nicht nur das Geld oder die Gesundheit, um sich den Platz an der Sonne zu leisten, sondern sie werden auch vereinnahmt und mit neuen Pflichten konfrontiert.

Premiere des langen Lebens

Diese Situation ist der Tatsache geschuldet, dass wir Zeugen einer gesellschaftlichen Premiere werden. Ein neues Lebensalter entsteht, und während das geschieht, entwerfen wir seine kulturellen Leitbilder. Seit Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts haben uns ein gestiegener Lebensstandard, der medizinische Fortschritt, bessere Hygiene und gesünderes Essen 30 zusätzliche Lebensjahre geschenkt.

Ein 65-jähriger Mann hat heute im Durchschnitt noch 17 Jahre zu leben, eine 65-jährige Frau noch 20 Jahre. Und bis zum Jahr 2060 wird die Lebenserwartung noch einmal um fünf Jahre wachsen, hat das Statistische Bundesamt vorausberechnet. Selbst ein Alter von 120 Lebensjahren könnten die Menschen in absehbarer Zeit erreichen, glaubt der Demografieforscher James Vaupel vom Rostocker Max-Planck-Institut für demografische Forschung.

Wir leben nun in einer „Gesellschaft des langen Lebens“, so heißt es im jüngsten, sechsten Altenbericht der Bundesregierung, und wir müssen uns die Frage stellen, wie wir diese Zeit nutzen wollen, als Gesellschaft und jeder für sich. Politiker müssen eine Antwort auf die Frage finden, wie Teilhabe am gesellschaftlichen Leben auch im neuen, langen Alter möglich ist, die Wirtschaft muss sich fragen, wie sie die Alten sieht, als Kostenfaktor oder als Ressource.

Option zwischen Defizit und Euphorie

Sind die jungen Alten wertlos oder wertvoll? Zwischen diesen beiden Polen spielt sich der Diskurs um das Alter und die Alten in Deutschland heute ab. Den Bildern der fitten Alten stehen Buchtitel wie Das Methusalem-Komplott (Frank Schirrmacher), Kampf der Generationen (Reimer Gronemeyer) oder Die gierige Generation (Bernd Klöckner) gegenüber. Dass es noch eine dritte Perspektive zu diesen Extremen gibt, dem Belastungsdiskurs auf der einen und dem Potenzial- und Ressourcendiskurs auf der anderen Seite, zeigt Josefine Heusinger auf.

Die 48-Jährige ist Vorstandsmitglied des Instituts für Gerontologische Forschung Berlin und Alternsforscherin an der Hochschule Magdeburg, und sie kennt sich aus im Deutschland des langen Lebens. Als 14-Jährige machte sie ein Praktikum in einem Altenheim, später lernte sie den Beruf der Krankenschwester.

Als Professorin forschte sie über die Qualität stationärer Pflege und erstellte für die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) Expertisen über die jungen Alten zwischen 55 und 65 und die älteren Alten bis 80 Jahre. Sie hält nichts von der Konzentration auf Defizite, die auch in der Alternsforschung eine Tradition hat, aber sie ist eine ebenso scharfe Kritikerin der neuen Euphorie um das junge Alter.

Frauen fallen aus der Freiwilligenstatistik

Gerade Frauen geraten bei diesem neuen Entwurf für das Alter besonders unter Druck, sagt Heusinger. Sie sollen nicht nur jung und attraktiv aussehen, ihre Arbeit, ihr Engagement für die Gemeinschaft wird von Politik und Gesellschaft auch ignoriert.

Wenn Männer sich bei der Feuerwehr oder im Schützenverein engagieren, tauchen sie als freiwillig Engagierte in der Statistik zum Ehrenamt auf. Frauen, die Angehörige pflegen, für Nachbarn einkaufen, auf die Enkel aufpassen, bleiben dagegen unsichtbar.

Dabei sind es zu 72 Prozent Frauen, die etwa 1,5 Millionen Pflegebedürftige in Deutschland betreuen. Und neben diesen 1 080 000 Frauen gibt es laut Heusinger, die sich hier auf repräsentative Untersuchungen von TNS Infratest aus den Jahren 2002 und 2011 bezieht, weitere 2 160 000 Frauen, die hilfebedürftige Menschen unterstützen. In der Freiwilligenstatistik sind sie nicht vertreten. Stattdessen sollen sie im Alter noch mehr leisten.

Verordnung zum Ehrenamt

Mittlerweile gibt es fast flächendeckend in jeder Kommune Vermittlungsstellen für ehrenamtliches Engagement. Die Alten sollen in Ordnung bringen, was die Politik nicht richten kann und will, fürchtet Heusinger. „Es besteht die Gefahr, dass das Ehrenamt, das freiwillige Engagement oder der Freiwilligendienst älterer Menschen zum Ersatz für reduzierte öffentliche, soziale und kulturelle, gesundheitliche Infrastruktur wird.“

Heusinger will nicht missverstanden werden: Vom zivilgesellschaftlichen Engagement profitieren viele Menschen, sagt sie, sie fühlen sich gebraucht, und das sei gerade für diese Generation der jungen Alten wichtig. Aber verordnen dürfe man gesellschaftliches Engagement nicht.

Meist erreichten die Angebote auch nur die finanziell gut Gestellten. Den anderen fehle die ökonomische Möglichkeit oder auch der Mut, sich zu engagieren. Schließlich, so kritisiert Heusinger, ist beim Aufruf zum zivilgesellschaftlichen Engagement meist nicht gemeint, dass die Leute sich mit ihrem Eigensinn und ihrer Kritik einbringen, sondern sie sollen in der Regel „einfach Arbeit wegschaffen“.

Menschen ab 55 würden zum Beispiel oft direkt aus ihrem Eineurojob in die Freiwilligenarbeit vermittelt. Sie hätten gar keine Chance auf eine bezahlte Arbeit mehr und würden direkt für soziale Aufgaben herangezogen.

Heusinger: „Die Potenziale, die eine Demokratie eigentlich fördern sollte, werden nicht unterstützt. Dabei brauchen wir die Expertise dieser großen Zahl älterer Leute und ihre Kompetenzen in der Lebensbewältigung, wenn wir uns als Gesellschaft an den demografischen Wandel anpassen wollen.“

„Pflicht zur Bildung“

Um uns auf ein Leben in einem Land, in dem die Alten überwiegen, vorzubereiten, hat auch die Altenberichtskommission im Auftrag der Bundesregierung Empfehlungen formuliert. Alarmiert fühlt sich Heusinger vom schärfer werdenden Ton.

Die Kommission spricht etwa nicht mehr nur vom Recht auf Bildung, sondern von einer „Pflicht zur Bildung, und zwar über den gesamten Lebensverlauf hinweg“. Beschäftigte sollten, wenn immer möglich, betriebliche Weiterbildungen und Gesundheitsvorsorge betreiben, um „in die eigene Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit zu investieren“.

Gegen Bildung, Weiterbildung und Prävention hat Heusinger nichts, doch zur Gesundheit im Alter gehöre auch, nicht mehr alles mitmachen zu müssen und dem Zwang zur Nützlichkeit und dauernden Wertschöpfung entzogen zu sein. Erst wenn Menschen materiell abgesichert seien und sozial integriert, könnten sie ihre Kraft und Fantasie ohne die Zwänge des Arbeitslebens und dort, wo sie es selbst für richtig und sinnvoll halten, einbringen. Das sei dann eine sehr gute Möglichkeit, Zugehörigkeit und Selbstwirksamkeit zu erfahren.

Lebensabend, Ruhestand – zumindest für die jungen Alten sollen diese traditionellen Bilder noch nicht gelten, geht es nach dem Willen von Werbung, Wirtschaft, Politik. Verantwortlich dafür ist ein Paradigmenwechsel, eine neue Perspektive auf die Lebensphase „Alter“: Die Alten in Deutschland werden erstmals wirklich gebraucht. Sie dürfen nicht mehr zum alten Eisen gehören, sondern werden schon bald als Fachkräfte unabdingbar sein.

Karriere 2.0

Nicht kritisch gesehen, sondern begrüßt wird diese Entwicklung von der Wirtschaftsjournalistin Margaret Heckel. Ihrer Meinung nach eröffnet der demografische Wandel für Menschen um die 50 „die beste aller Welten“. Die Wirtschaft werde sich in den nächsten Jahren auf die älteren Arbeitnehmer einstellen und ihren Umgang mit den erfahrenen Mitarbeitern verbessern.

Anders als Heusinger betont Heckel in ihrem Buch Die Midlife-Boomer die großen Chancen, die mit den Forderungen an die jungen Alten verbunden sind. Aber ihr Optimismus hat Grenzen. In Deutschland, so Heckel, hätten es die jungen Alten schwer, mit Mitte 50 noch einmal etwas Neues anzufangen, während Gleichaltrige in den USA oder auch in Großbritannien selbstbewusst in zweite Karrieren, genannt Encore-Karriere, Karriere 2.0 oder Life-Take-2, starteten.

Ohne den Druck der ersten Karriere könnten sich nun viele ihren Herzenswunsch erfüllen oder ausprobieren, wozu sie Lust hätten. Heckel glaubt, dass gerade viele Hochqualifizierte in Deutschland unglücklich im alten Job sind und mit Mitte 50 gerne noch mal neu beginnen würden. Mit 67 aufhören wollten von diesen Menschen immer weniger.

Doch so euphorisch wie in den USA sind die jungen Alten, die einen zweiten Berufsstart machen wollen, in Deutschland nicht. Ihr Aufbruch beginnt laut Heckel individuell oder indem sie sich in Onlinecommunitys wie Feierabend.de gegenseitig Mut machten.

Das 50:50-Modell

Von der Ressource Alter überzeugt ist auch Laura L. Carstensen, die Leiterin des Center of Longevity (Zentrum für langes Leben) an der Stanford-Universität in Kalifornien. Sie geht noch einen Schritt weiter als Heckel und wirbt in ihrem Buch A Long Bright Future für das 50:50-Modell.

Dieses Modell sieht vor, dass wir uns in der ersten Lebenshälfte „eine Fülle von Wissen und sozialem Know-how“ aneignen, die wir dann im zweiten Teil, in den „nächsten 50 Jahren an unsere Umgebung und die Gesellschaft zurückgeben“. Für Carstensen ist dies eine Art soziales Sicherungssystem: Erst erwirbt man Kompetenzen, dann gibt man sie an das System, an nachfolgende Generationen zurück.

Der große Vorteil: Mit dem 50:50-Modell wendet man sich radikal ab von dem traditionellen defizitären Skript, nach dem das Leben ab 50 ein ständiger Abstieg ist. Carstensen kritisiert diesen defizitorientierten Blick, mit dem auch viele Alternsforscher und Psychologen die späten Lebensphasen betrachteten.

In ihrem neuen Modell wird das 50. Lebensjahr zu einem positiven Wendepunkt: „Mit 50 wird das Leben erst richtig interessant. Mit 50 können die Menschen gesellschaftlich wichtige Beiträge leisten – in ihrem kommunalen Umfeld, bei der Arbeit, in der Familie.“ Für Carstensen ist die zweite Lebenshälfte eine „Ära persönlichen Wachstums und sozialen Engagements“. Und dafür seien die über 50-Jährigen auch gesundheitlich – emotional wie körperlich – gut ausgestattet.

Studien zeigten, dass Ältere weniger psychiatrische Erkrankungen hätten, sie litten weniger oft an Depressionen, Angsterkrankungen, Phobien und Süchten als Jüngere. Und auch körperlich seien die über 50-Jährigen so gesund wie nie zuvor in der Geschichte.

Alter ist kein Abstieg

Wenn Laura Carstensen sich eine Gruppe von Menschen wünschen dürfte, die sich um die sozialen und wirtschaftlichen Probleme der Welt kümmern, dann wären das die Menschen über 50. Sie profitierten von der Vielfalt an Wahlmöglichkeiten, die sie aufgrund ihrer Lebenserfahrungen erworben hätten. Diese Weitsicht des Alters müsste die Gesellschaft viel stärker nutzen.

Scheitern könnten wir bei dem Projekt nur, so Carstensen, wenn wir zu wenig Vorstellungskraft entwickelten und das Alter weiterhin als Abstieg statt als eine ganz normale Lebensphase verstünden. Diese Phase steht für die Psychologin am Ende eines „optimierten Skripts“ für Gesellschaften des langen Lebens: „Warum arbeiten wir nicht ein paar Jahre länger, schinden uns dabei aber weniger?“

Um nicht auszubrennen und die Familienphase zu entzerren, schlägt sie vor, die Arbeitslast besser über die Lebensjahre zu verteilen, die Rushhour des Lebens zu vermeiden und statt dessen länger und durchschnittlich weniger zu arbeiten: „Das würde den Zeitdruck auf Erwachsene in der Lebensmitte mildern und Menschen jeden Alters mehr Optionen für die Zeit- und Lebensplanung eröffnen.“

An der Stanford-Universität spricht Laura L. Carstensen darum vor allem ihre Studenten an, junge Leute Anfang 20, denn für diese sei die Diskussion um das lange Leben wirklich wichtig. Sie müssten die Weichen für die Zukunft stellen.

Vier Wege des Alterns

Wie genau Menschen heute mit dem Altern umgehen, haben der Psychogerontologe Ludwig Amrhein und die Direktorin des Vechtaer Forschungszentrums „Altern und Gesellschaft“, Gertrud M. Backes, in einer qualitativen Untersuchung im Großraum Kassel analysiert. Sie haben vier Wege entdeckt:

  1. Eine kleine Gruppe identifiziert sich mit dem Alter, betrachtet es als Teil einer natürlichen Ordnung und kritisiert den Jugendkult.

  2. Eine zweite Gruppe hat eine „alterslose“ Einstellung zum eigenen Altern. Wer sich alterslos fühlt, beklage häufig die „größer werdende Kluft zwischen dem kalendarischen und körperlichen Alter auf der einen Seite und dem gefühlten Alter auf der anderen Seite“. Die Quintessenz dieser Perspektive ist: „Während der Körper altert, bleibt das Selbst jugendlich und alterslos.“

  3. Dann gebe es Menschen, die sich gegen das Alter auflehnten. Sie kämpften gegen die „Altersmaske“, seien aber illusionslos: Der Alternsprozess werde als körperlich-geistiger Verfall und als Verlust an Würde empfunden. Menschen dieser Gruppe versuchten oft, „die alternde Körperhülle in Richtung eines jugendlicheren Aussehens plastisch umzugestalten“.

  4. Immerhin die Hälfte der von Backes und Amrhein Befragten hat eine ambivalente Haltung zum Alter, sie betrachtet es als unvermeidlich, fürchtet aber auch die Verluste. Man möchte älter werden, aber nicht alt sein, beschreiben die Forscher diesen Typus. Erhofft werde ein schmerzloser Tod ohne vorherigen geistigen und körperlichen Verfall.

Endlose Möglichkeiten in der Pensionierung

Die aktuelle Diskussion um das junge Alter liefert uns neue Möglichkeiten, wie wir unser Älterwerden gestalten wollen. Ob wir uns zur Ruhe setzen, etwas zurückgeben und unsere Kinder und Enkel unterstützen – wie viele junge und ältere Alte dies bereits tun –, ob wir noch mal zu neuen Ufern, in einen neuen Beruf, ein neues Land aufbrechen oder einfach unseren wohlverdienten Ruhestand genießen.

So wie die 67-Jährige, von der die Wiener Psychologin Traude Ebermann berichtet: Die Frau hatte von ihren Kindern ein Klavier und ein Fahrrad zur Pensionierung geschenkt bekommen. Zurück kam ein Brief, in dem die Rentnerin erklärte: „Ich habe mein Leben lang getan, was andere von mir erwartet haben. Nun möchte ich nur noch meine Ruhe haben.“

Quellen

L. Carstensen: A long bright future. Happiness, health, and financial security in an age of increased longevity. Public Affairs, New York 2009

M. Heckel: Die Midlife-Boomer. Warum es nie spannender war, älter zu werden. Edition Körber-Stiftung, Hamburg 2012

J. Heusinger u. a.: Die „Jungen Alten“. Expertise zur Lebenslage von Menschen im Alter zwischen 55 und 65 Jahren. BZgA, Köln 2012

J. Heusinger u. a.: Alte Menschen. Expertise zur Lebenslage von Menschen im Alter zwischen 65 und 80 Jahren. Herausgegeben von der BZgA in der Reihe Forschung und Praxis der Gesundheitsförderung. BZgA, Köln 2013

Generali-Altersstudie 2013: Wie ältere Menschen leben, denken und sich engagieren. Fischer Taschenbuch, Frankfurt 2012

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 7/2013: Der Saboteur in uns