Psychoanalyse: Raus aus hohen Mauern

Wie fühlt es sich an, auf der Couch zu liegen, die Psychoanalytikerin hinter sich? Und was bedeutet das überhaupt? Wir haben nachgefragt.

Die Illustration zeigt eine Psychotherapeutin, die mit Stift in der Hand dasitzt, während ihr Patient neben ihr auf der Couch liegt und gestikuliert
In der Psychoanalyse sitzt der Behandelnde oft hinter einem. Der Patient gibt den Ton an und füllt den Raum. © Flen Jorissen für Psychologie Heute

In unserer Rubrik Ist das was für mich? stellen wir jeden Monat ein Angebot aus den Bereichen Therapie, Coaching oder Beratung vor. Und Sie können entscheiden, ob das etwas für Sie ist. Dieses Mal: Psycholanalyse.

Das sagt eine Analysandin

Als ich meine Psychoanalytikerin das erste Mal sah, saß ich einer wesentlich jüngeren Frau gegenüber. Darüber war ich sehr überrascht. Ich hatte von ihr kein Foto gesehen, wusste nichts über sie außer ihren Beruf, ich hatte ein anderes Bild im Kopf, wen ich da kontaktiert…

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wusste nichts über sie außer ihren Beruf, ich hatte ein anderes Bild im Kopf, wen ich da kontaktiert und um diese erste Sitzung gebeten hatte. Meine Überraschung war positiv. Ich mochte ihren aufmerksamen Blick und fühlte mich erleichtert, aber auch etwas beklommen.

Zu diesem ersten Termin war ich mit der Vorstellung gekommen, dass ich eigentlich schon viel über mich weiß – und dass ich Etliches ganz gut gemeistert hatte. Nun saß ich dieser Frau gegenüber, die mich interessiert ansah, und berichtete von wiederkehrenden Panikattacken, vom Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, von den sich wiederholenden Träumen, in denen ich von hohen Mauern umgeben war oder in einer Wohnung mit winzigen Fenstern lebte, aus der ich ausziehen wollte und nicht konnte. Wo das Gefühl vorherrschte: Hier komme ich niemals raus.

Worüber wollte ich wirklich reden? In den folgenden Sitzungen sprachen die Psychoanalytikerin und ich zunächst darüber, was angemessen wäre: Kurzzeit- oder Langzeittherapie, wie viele Stunden pro Woche, Couch oder nicht? Beides war möglich, eine Therapie im Sitzen oder eine im Liegen. Die Therapeutin fragte mich, was ich selbst für sinnvoll hielt – ich schlug vor: eine mittellange Therapie im Sitzen, eine Stunde pro Woche. Sie schlug vor: eine Psychoanalyse auf der Couch, zwei Stunden pro Woche. Ich war erschüttert – und erleichtert. Irgendwie hatte ich die Idee im Kopf, dass mir eine solche umfassende Unterstützung nicht zustehe, und dachte zugleich, dass ich meine Lage vielleicht doch richtig eingeschätzt hatte. Die Therapeutin sagte zu mir: „Es werden Narben bleiben.“ Aber es werde mir besser gehen.

In einer Psychoanalyse sehen sich Patientinnen und Therapeuten nur kurz zur Begrüßung und zum Abschied. Der Patient liegt auf der Couch, der Blick ist von der Therapeutin weg gerichtet. Kein Blick, keine Geste des Therapeuten lenkt ab von der eigenen Innenwelt, von den Fantasien, Emotionen, Gedanken. Man ist auf sich selbst zurückgeworfen, und es gibt keinen Grund, sich selbst irgendwie darzustellen oder einen guten Eindruck zu machen. Diese Erfahrung löste bei mir im ersten Moment das Gefühl aus, ins Wasser zu fallen. Doch ich merkte schnell: Indem ich auf der Couch lag, öffnete sich ein großer Raum für mich ganz allein, indem ich aber unterstützt und begleitet wurde.

Ich berichtete, was mich gerade beschäftigte, was passiert war, was mir zu schaffen machte. Im Reden schlingerte ich umher, schweifte ab, verlor den roten Faden. Manchmal sagte die Psychoanalytikerin etwas. Ihre Worte ließen mich stutzen, gelegentlich verwirrten sie mich oder brachten mich ganz woanders hin. Oder ich hatte das Gefühl, mich erklären zu müssen. Mitunter war ich erleichtert, bisweilen sogar so sehr, dass ich anfing zu weinen. Stets merkte ich an ihren Reaktionen, dass ich ihr vertrauen konnte und sie mich verstand. Manchmal machte sie mir ganz konkrete Vorschläge, und ich probierte Etliches davon aus. Die Psychoanalyse auf der Couch drehte sich fast ausschließlich um das Hier und Jetzt.

Es war ein langer Weg, Rückfälle inklusive. Erst nach und nach begriff ich, was mir wirklich Angst machte, dass ich gar nicht so schlimm bin und für mich einstehen darf. Mit der Hilfe der Therapeutin lernte ich ein Gefühl von innerer Freiheit und Lust aufs Leben kennen, das ich nicht mehr hergeben werde. Auch wenn mir manchmal etwas Angst macht.

Die Analysandin möchte anonym bleiben.

Das sagt eine Analytikerin

In meine Praxis kommen die unterschiedlichsten Menschen mit den unterschiedlichsten Problemen: depressive Verstimmungen, chronische Erschöpfung, langanhaltende Trauer, selbstverletzendes Verhalten, wiederkehrende Beziehungskonflikte, tiefsitzende quälende Gefühle, nicht ins Leben zu kommen. Alle haben etwas gemeinsam: hohen Leidensdruck und die Hoffnung auf Unterstützung.

In meiner psychoanalytischen Arbeit höre ich meinen Patientinnen und Patienten zunächst sehr genau zu. Denn ich möchte den Sinn ihrer Symptome verstehen. Das mag befremdlich klingen, will man doch gerade nicht in jener Wunde stochern, die es zu heilen gilt. Psychoanalytikerinnen und Psychoanalytiker gehen jedoch in ihrem Krankheitsverständnis davon aus, dass Symptome, so schwerwiegend und belastend sie für die betroffene Person auch sein mögen, eine Bedeutung haben. Oftmals verbergen sich dahinter seelische Schmerzen, deren Entstehung lange zurückliegt.

Ein Beispiel: Eine Patientin leidet unter starken Panikattacken, die fast täglich auf dem Weg zur Arbeit auftreten. Kaum sitzt sie im Auto, beginnt ihr Puls zu rasen, sie bekommt schlecht Luft, schwitzt und zittert. In der Therapie berichtet sie eher beiläufig von ihrem neuen Vorgesetzten, den sie zwar zu bewundern scheint, aber auch als sehr autoritär, fordernd und leistungsbezogen erlebt. Auch ihre Therapeutin nimmt die Patientin als ungeduldig und streng wahr, zugleich ist sie überzeugt, eine „schlechte Patientin“ zu sein, weil sie glaubt, zu wenig Fortschritte zu machen. Sie leidet unter tiefsitzender Angst zu versagen, was sich zum zentralen Element der sogenannten Übertragungsbeziehung zwischen ihr und ihrer Therapeutin entwickelt. In der psychoanalytischen Behandlung ist Raum dafür, dies gemeinsam emotional und kognitiv zu verstehen und „durchzuarbeiten“, um letztendlich das eigene Selbst- und Beziehungserleben positiv zu verändern.

Die Psychoanalyse reicht jedoch über die Grenzen des therapeutischen Behandlungszimmers hinaus. Sie stellt Theorien und Forschungsinstrumentarien zur Verfügung, die es erlauben, gesellschaftspolitische Dynamiken wie den Umgang mit der Klimakrise oder den Folgen von Krieg und Flucht zu untersuchen oder Phänomene in Kunst, Musik und Literatur zu beleuchten. Dies hilft zu verstehen, wie Ereignisse in der Welt einzelne Menschen auch immer ganz persönlich betreffen, indem sie existenzielle Ängste befeuern oder aber helfen, neue Hoffnung und Zuversicht zu schöpfen.

Dr. Ceren Doğan ist Psychotherapeutin und Psychoanalytikerin. Sie ist Vorsitzende des Psychoanalytischen Instituts Heidelberg der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung.

Ihre Empfehlungen zum Weiterlesen:

Cécile Loetz, Jakob Müller: Mein größtes Rätsel bin ich selbst. Die Geheimnisse der Psyche verstehen. Hanser 2023

Timo Storck: Krisen auf der Couch. Aufgaben der Psychoanalyse in apokalyptischen Zeiten. Klett-Cotta 2025

Das sind die Fakten

Was ist das für ein Angebot?

Wenn jemand sagt: „Ich mache eine Psychoanalyse“, meint dies heute meist eine analytische Psychotherapie. Dieses psychoanalytisch begründete „aufdeckende Verfahren“ fußt auf der von Sigmund Freud entwickelten Behandlungsmethode. Die Einzelbehandlung findet im Liegen oder Sitzen statt, mit zwei bis vier meist 50-minütigen Sitzungen pro Woche. Ziel ist das Erkennen, Bewusstwerden und „Durcharbeiten“ belastender, verdrängter Erfahrungen, die konflikthaft verarbeitet worden sind und so Krankheitssymptome verursachen.

Was kostet die Teilnahme?

Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Kosten einer analytischen Psychotherapie, wenn eine entsprechende Indikation vorliegt, also ein Psychotherapeut oder eine Psychotherapeutin feststellt, dass die hilfesuchende Person krank ist und eine psychotherapeutische (Langzeit-)Behandlung benötigt. Dann werden 160 Stunden und bei Verlängerung sogar bis zu 300 Stunden gewährt. Die „klassische Psychoanalyse“ im Liegen ist in Umfang und Frequenz nicht begrenzt und muss selbst finanziert werden.

Was sagt die Wissenschaft?

Die analytische Psychotherapie zählt in Deutschland zu den vier von der „Psychotherapie-Richtlinie“ gedeckten Verfahren, das heißt unter anderem, dass ihre Behandlungsmethoden in ihrer therapeutischen Wirksamkeit belegt sind. Deshalb werden die Kosten von den Kassen übernommen. Durchführende dürfen einzig Psychologische und Ärztliche Psychotherapeuten beziehungsweise Fachpsychotherapeutinnen sein mit entsprechender Weiterbildung in analytischer Psychotherapie/Psychoanalyse.

Quellen

Akademie für Psychoanalyse und Psychotherapie München e.V.: Analytische Psychotherapie für Erwachsene (zuletzt abgerufen am 14.11.2024)

Bundespsychotherapeutenkammer: Wege zur Psychotherapie (zuletzt abgerufen am 14.11.2024)

Deutsche Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie (DGPT) e.V.: Analytische Psychotherapie und tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie: Informationen für Patientinnen und Patienten (zuletzt abgerufen am 13.11.2024)

Deutsche Psychotherapeuten Vereinigung e.V.: Psychotherapieverfahren: Wege der Behandlung. (zuletzt abgerufen am 14.11.2024)

Gemeinsamer Bundessausschuss: Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Durchführung der Psychotherapie (Psychotherapie-Richtlinie), aktuelle Fassung vom 15.08.2024. (zuletzt abgerufen am 14.11.2024)

Institut für Psychoanalyse Stuttgart-Tübingen: Analytische Psychotherapie (zuletzt abgerufen am 13.11.2024)

Wolfgang Senf u. a.: Praxis der Psychotherapie: Ein integratives Lehrbuch. Thieme 2020

Eva-Maria Träger

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 2/2025: Stürmische Zeiten - stabiles Ich