„Ich wollte immer nur, dass mein Vater stolz auf mich ist“

„Ich war nur der Betrieb.“ Wie ein junger Landwirt aus Rhön unter dem Druck seines Vaters und der Erschöpfung fast aufgegeben hätte – und was ihm half.

Die Illustration zeigt eine Bauernfigur, die in einer Landschaft steht, um sie herum Kühe und darüber ein blauer Himmel mit weißen Wolken
Junge Landwirte stehen oft zwischen ihrer Liebe für die Natur und der Erschöpfung ihrer harten Arbeit. © Christian Barthold für Psychologie Heute

Zwischen meinem Vater und mir, das war eine Hassliebe. Wir konnten nicht mit, aber auch nicht ohne einander. Als Jugendlicher habe ich entschieden, dass ich Landwirt werden will, so wie er. Nach der Lehre, mit 18 Jahren bin ich in unseren Betrieb voll eingestiegen. Wir hatten 70 Milchkühe und haben Ackerbau betrieben.

Es war viel Arbeit, aber es hat auch Spaß gemacht. Bis mein Vater krank wurde. Er musste mehrfach am Herzen operiert werden, hatte Asthma. Ohne Hilfe konnte er nicht einmal mehr über den Hof gehen. Wenn er nachts Atemnot bekam, hat er nach mir gerufen. Das Schlafzimmer von meiner Frau und mir lag nur einen Flur entfernt von dem meiner Eltern, die Türen haben wir immer aufgelassen, damit ich ihn höre. Ich war ständig in Alarmbereitschaft.

Keine Zeit für Trauer

Die ganze Verantwortung für die Arbeit lag auf mir, aber meinem Vater konnte ich nichts recht machen. Wo ich ein Lob wollte, bekam ich nur Schelte. Wenn ich bis nachts um drei Weizen gesät und ihm stolz davon erzählt habe, war seine Antwort: „Das hätten wir nächste Woche auch noch machen können.“ Das hat sich dann angefühlt wie ein Messer zwischen den Rippen.

Vor seinen Operationen hatte ich enorme Verlustängste. Im Kopf habe ich durchgespielt, wie es weitergehen soll, falls er stirbt. Wie organisieren wir die Beerdigung? Kann ich den Betrieb allein führen? Wer kümmert sich danach ums Büro? Meine Ohren haben gerauscht, der Tag ist nur so an mir vorbeigezogen. Nach der dritten Herz-OP ist er nicht mehr aufgewacht. Er war erst 56.

Zum Trauern hatte ich keine Zeit. Ich musste funktionieren. Zwei Tage nach der Beerdigung haben wir den Betrieb auf automatisches Melken umgestellt und einen Melkroboter eingebaut. Das war eine große Veränderung, aber es lief richtig gut. Wir hatten hohe Erträge, eine ordentliche Milchleistung, die Kühe waren gesund. Ich dachte: „Mein Vater wäre stolz auf mich.“ Weil ich aber noch besser werden wollte, habe ich geschafft und geschafft. Manchmal war ich bis zu zwanzig Stunden am Tag auf den Beinen.

"Du, im Spiegel, bist Dreck!"

Als dann einige Kühe eine Euterentzündung bekamen, kam ich an meine Grenze. So etwas kommt vor, aber für mich war es eine persönliche Kränkung. Das darf nicht passieren! Nicht bei mir! Stundenlang habe ich vergeblich nach Lösungen gesucht und mich in Existenzängste hineingesteigert: Die Tierarztrechnungen werden teuer, ich gehe pleite, ich verliere alles.

Diese Angst wurde für mich lebensbedrohlich, denn ich dachte: Ohne meinen Betrieb bin ich nichts. Wenn ich den verliere, sterbe ich. Dieser Gedanke hat sich in meinem Kopf festgesetzt und mich vergiftet. Ich konnte mich kaum noch im Spiegel anschauen, so sehr habe ich mich gehasst. Ich dachte: Du bist nichts wert, du bist Dreck, du musst weg.

Morgens war ich genauso müde wie abends. Wenn um halb sechs der Wecker klingelte, habe ich es kaum geschafft aufzustehen. Mein ganzer Körper tat weh. Jeden Tag habe ich bestimmt anderthalb bis zwei Liter Kaffee getrunken, außerdem drei Ibuprofen geschluckt. Bei einer Größe von fast zwei Metern wog ich nur noch 70 Kilo. Ich wollte tot sein. Aber wenn mich jemand gefragt hat, wie es mir geht, habe ich gesagt: Lasst mich in Ruhe. Es geht mir gut. Ich brauche keine Hilfe. Ich war doch ein harter Kerl. Ein Landwirt rennt nicht gleich zum Arzt.

Für Lob zur totalen Erschöpfung

Etwa drei Monate lang habe ich mich über den Hof geschleppt. Dann ging es nicht mehr. Eines Morgens fand ich wieder Euterentzündungen im Stall. Da gaben meine Beine nach, ich bin auf den Boden gesackt und habe nur noch geweint. Ich konnte nicht mehr, wollte nicht mehr. Wenn ich in diesem Moment nicht an meinen kleinen Sohn gedacht hätte, hätte ich mir das Leben genommen. Aber ihm wollte ich das nicht antun. Und als ich das einsah, fiel mir auch ein: Es gibt ja diese Nummer. Vielleicht können die etwas tun.

Meine Frau hatte mir vor einiger Zeit die Nummer einer Familienberatungsstelle für Menschen aus der Landwirtschaft gegeben. Dort rief ich an und bekam schon für den nächsten Tag einen Termin. In diesen zwei Stunden habe ich nur geweint. Die Beraterin hat mir das Leben gerettet, denn sie schickte mich zum Arzt, ermutigte mich, eine Therapie anzufangen und mal darüber nachzudenken, ob ich den Betrieb wirklich so weiterführen muss wie bisher.

Seitdem sind mir einige Dinge klargeworden. In der Landwirtschaft sind Familie und Betrieb miteinander verstrickt und Menschen definieren sich stark über ihre Leistung. Mein Vater konnte nicht damit umgehen, dass er nicht mehr arbeiten konnte, und hat das an mir ausgelassen. Und ich bin damit aufgewachsen, dass mich mein Vater überhaupt nur wahrnahm, wenn ich etwas gut gemacht habe. Weil ich von ihm gesehen, von ihm gelobt werden wollte, habe ich gearbeitet bis zur totalen Erschöpfung. Ich wollte immer nur, dass er stolz auf mich ist. Auch als er schon tot war und mich nicht mehr loben konnte. Ich musste erst lernen, mich als Mensch zu sehen. Vorher war ich nur der Betrieb.

"Du gibst nicht auf - du machst es einfach anders."

Inzwischen habe ich mir eine Halbtagsstelle gesucht und führe den Hof nur noch im Nebenerwerb. Die Kühe habe ich verkauft. Das war ein harter Schritt. Ich hatte das Gefühl, ich mache alles kaputt, was mein Vater aufgebaut hat. Überall auf dem Hof sehe ich ihn noch: an einer Schraube, die er festgezogen hat, an einem Kratzer, den er mit dem Radlader an die Wand gefahren hat. Und dann will ich die Kühe aufgeben? Aber die Beraterin hat zu mir gesagt: Du gibst nicht auf, du machst es anders. Du bist der Erste, der sagt: Ich bin für die Familie da und nicht nur für den Betrieb. Meine Frau und ich haben inzwischen zwei Söhne. Sie sollen wissen, dass ich sie sehe und liebe, so wie sie sind.

Kurz vor seinem Tod, vor seiner letzten Herz-OP, hat mein Vater zu mir gesagt: „Mach nicht denselben Fehler wie ich. Schaff net so viel.“ Da war er wieder gütig und wieder mein Papa. Damals habe ich das zwar gehört, aber nicht verstanden. Heute denke ich oft daran.

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Quelle

Roth, Maria: Prävalenz und Prädiktoren von Burnout, Depression und Angst bei Landwirten und Landwirtinnen in Deutschland und Österreich. Salzburg 2021 (Masterarbeit)

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 12/2023: Intensiver leben
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