Krisen kommen leider immer ungelegen und oft unerwartet. Manche von ihnen bahnen sich vorher an. Aber wie es uns dann geht, wenn sie wirklich eintreffen, wissen wir vorher nicht. Psychologinnen und Psychologen kennen eine Reihe von Möglichkeiten, wie wir uns schnell selbst „aus dem Sumpf“ ziehen können.
Denn seelischer Schmerz kann uns stark erschüttern, schreiben die Psychologin Gillian Butler, und ihre Kollegen Nick Grey und Tony Hope in ihrem Klassiker Manage your mind. Wir würden dann überwältigt von…
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your mind. Wir würden dann überwältigt von einer Vielzahl von Gefühlen – Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung etwa, einem dumpfen Gefühl des Schocks, Schuld, heftigem Ärger oder tiefer Hilflosigkeit. Diese Gefühle kontrollieren unser Denken. Sätze wie „Das ist unerträglich“ oder „Nichts wird mehr so sein wie bisher“ rauschten durch den Kopf.
Gerade in einem Moment, wo nichts wichtiger wäre, als klare Gedanken, fühlen sich Menschen extrem unter Strom, als wären sie hyperaktiv, unfähig zu essen – oder im Gegenteil nur in der Lage, gedankenlos irgendetwas und zu viel in sich hineinzuschaufeln –, sie könnten kaum schlafen oder nur kurz zur Ruhe kommen, so die Psychologen. Wie kann erste Hilfe für die Seele aussehen?
Sofort etwas tun
Ein Spaziergang, Lieblingsmusik hören, den gewohnten Sport treiben – was man sonst so macht, eignet sich auch gut als Krisennothilfe Nummer eins. Ist man zurück oder die CD beendet, sieht die Welt vielleicht ein bisschen anders aus.
In der ersten Zeit nach dem auslösenden Moment gehe es erst einmal darum, sich selbst über Wasser zu halten, raten Butler, Grey und Hope, normal wie bisher zu essen und zu schlafen – Letzteres sei allerdings die größte Herausforderung, räumen die Psychologen ein. Wer schon eine Technik hat, sich selbst zu beruhigen, hat es leichter. Aber man kann sich auch in angespannten Situationen einfache Atem- und Meditationsübungen aneignen, die von Anfang an wirken.
Wie geht es weiter?
Butler und ihre Kollegen mahnen, sich nicht von Erwartungen anderer in die Irre führen zu lassen, wie und wie schnell man sich zu erholen habe. Früher oder später lasse der Schmerz langsam nach, im Laufe der Zeit werde man weniger von den eigenen Gefühlen überwältigt oder von Erinnerungen geplagt. Aber dies erfolge nicht in bestimmten Stufen oder Phasen, und wie lange es dauere, sei nicht vorhersehbar.
Bewährt habe sich deshalb die Empfehlung, in den ersten Monaten nach einer Krise, solange es einem schlecht geht, keine wichtigen Entscheidungen zu treffen. Wer das doch tun muss, etwa aus finanziellen Gründen, solle sich unbedingt professionellen Rat von Anwälten, Psychologen, Ärzten oder anderen Experten holen, um negative Folgen zu vermeiden.
Was können Freunde tun?
Am besten sei, zu sagen, was man konkret braucht. Die Psychologen nennen aber auch ein paar Einschränkungen: Manchen Menschen sei es unangenehm oder peinlich, mit Trauer, Angst, Ärger oder Verzweiflung konfrontiert zu werden, andere wüssten nicht, wie sie helfen sollten, und würden genau das Falsche sagen. Wieder andere seien vielleicht auch sehr mit eigenen Themen beschäftigt und hätten keine Energie übrig.
Sehr nahestehende Freunde oder Verwandte halten die Psychologen ohnehin nicht für die ideale Unterstützung, weil ihnen der emotionale Abstand fehle und sie sich mitreißen ließen. Dagegen könnten entferntere Bekannte guten Beistand leisten, gerade weil sie emotionalen Abstand haben.
Was sonst noch geht
Das hängt zum einen von dem krisenhaften Ereignis ab. Nach einer Trennung, so raten die Forscher Butler, Grey und Hope, sei es hilfreich, im Laufe der Zeit neue Kontakte zu knüpfen und aufzubauen. Direkt nach einer Kündigung kann man mit der Jobsuche anfangen – das Gefühl, etwas zu tun, sei hilfreich. Außerdem raten die Psychologen, in dieser Zeit gut auf die eigenen Gedanken aufzupassen: In Krisenzeiten steige die Bereitschaft zu negativem Denken, das uns dann davon abhalte, das eigene Leben wieder in die Hand zu nehmen.
Wann ist professionelle Hilfe nötig?
Wenn man sich monatelang gleich schlecht fühlt und den Eindruck hat, dass sich nichts tut. Wenn Angehörige der Meinung sind, man brauche professionelle Hilfe. Wenn man sich sehr einsam fühlt und das Gefühl hat,
alle bisherigen Anstrengungen hätten nichts gefruchtet.
Hilft Akzeptanz?
Zu Beginn einer Krise offenbar erst einmal nicht. Forschungen bei Betroffenen von Terrorattentaten hätten gezeigt, so die Autoren, dass es vielen in der allerersten Zeit nach dem auslösenden Moment besser gehe, wenn sie diesen erst einmal verleugneten.
Erst längerfristig sei Akzeptanz das beste Mittel, um wieder ins Leben zu kommen. Die Psychologen definieren Akzeptanz als die Fähigkeit, sich die durch das Geschehen hervorgerufenen Gedanken und Gefühle bewusstzumachen, die Krise zu erkennen und darauf zu reagieren. Dies befähige dazu, wieder nachzudenken und zu handeln. Was ist Akzeptanz nicht? Anzunehmen, dass alles gut sei. Akzeptanz heiße auch nicht, zu denken, dass die Dinge so sein sollten, wie sie gerade sind.
„Unser Leben können nur wir selbst leben“
Die Psychologin Sabine Prohaska sagt, dass Krisen zu den normalen Anforderungen gehören, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen.
Wir geraten immer häufiger in Situationen, in denen wir uns entscheiden oder die Weichen neu stellen müssen. Was sind das für Situationen?
Sehr verschiedene. Da ist zum einen der Beruf – zum Beispiel wenn sich in unserem Arbeitsumfeld etwas Gravierendes ändert. Dann stehen wir stets vor der Entscheidung love it, change it, or leave it. Arrangiere ich mich damit, verändere ich es, oder suche ich mir etwas Neues?
Auch im Privatleben gilt es immer wieder, grundlegende Entscheidungen zu treffen wie: Bleibe ich da, wo ich lebe, oder ziehe ich um? Wie viel Nähe wünsche ich in der Beziehung zu meinem Partner? Wie wichtig ist es mir, viel Zeit für meine Hobbys zu haben? Hinzu kommen die vielen kleinen Entscheidungen im Alltag, die jedoch unser Leben prägen – wie zum Beispiel: Wie ernähre ich mich? Wie stark lasse ich mich von meinem Smartphone fremdbestimmen?
Warum werden diese Situationen häufiger?
Weil wir mehr Möglichkeiten haben, letztlich bei unserer gesamten Lebensführung und -gestaltung. Noch vor ein, zwei Generationen war das Leben der meisten Menschen weitgehend vorbestimmt.
Heute müssen wir unseren Platz im Leben selbst finden und regelmäßig neu bestimmen. Vor allem weil sich die Rahmenbedingungen unseres Lebens – unter anderem aufgrund der Digitalisierung – rasch ändern. Wie wir arbeiten, wo wir einkaufen, wie wir Musik hören, wie wir unsere Partner finden, das alles ist heute im Fluss. Deshalb müssen wir regelmäßig neu entscheiden, wie wir leben möchten.
Warum halten Sie die Kompetenz zum Selbstcoaching für so wichtig?
Aufgrund unserer vielen Möglichkeiten und der zahlreichen Veränderungen in unserem Umfeld benötigt heute jeder Mensch die Kompetenz, selbst Antworten auf solche Fragen zu finden wie: Was sind derzeit meine Lebensziele? Was ist mir wichtig? Und wie sollte ich mich deshalb entscheiden und handeln? Einen professionellen Coach sollten wir jedoch zurate ziehen, wenn die Gefahr besteht, in eine existenzielle Lebenskrise zu geraten.
Wie definieren Sie den Begriff Krise?
Ich möchte hier zwischen einer „normalen“, zeitlich befristeten Krise und einer existenziellen Lebenskrise unterscheiden. In unserem Leben geraten wir immer wieder in Situationen, in denen wir uns nicht wohl in unserer Haut fühlen – zum Beispiel weil es in unserer Beziehung oder unserem Job hakt. Das ist normal! In diesen Situationen, die wir oft als Krise empfinden, ist vor allem unsere Selbstcoaching-Kompetenz gefragt.
Daneben gibt es existenzielle Lebenskrisen, bei denen wir für längere Zeit oder oft gefühlt dauerhaft aus dem seelischen Gleichgewicht geraten – weil unsere bisherigen Problemlösetechniken versagen und wir allein weder die Kraft noch die Kompetenz haben, neue zu entwickeln und anzuwenden. Dann benötigen wir externe, professionelle Hilfe.
Woran erkennen wir, dass uns eine Situation überfordert?
Ein typisches Anzeichen hierfür ist ein länger anhaltendes Gefühl der Ohnmacht und Hilflosigkeit, also das Gefühl, einer Situation ausgeliefert zu sein und nicht mehr die Mittel, Fähigkeiten und Ressourcen zu haben, um sie zu meistern. Das stresst uns, und dies artikuliert sich wiederum zum Beispiel in einem körperlichen Unbehagen, einem Angespanntsein und Schlafstörungen.
Wenn ich in eine Krise gerate, etwa aufgrund einer Kündigung oder Erkrankung, macht es dann einen Unterschied, wenn dies ohne mein Zutun geschah?
Am Anfang ja, da ich ja einen externen Schuldigen habe: meinen früheren Arbeitgeber, mein Schicksal. Letztlich ist das Erleben einer Krise jedoch immer gleich: Wir fühlen uns – zumindest vorübergehend – ohnmächtig und hilflos.
Wie gehe ich damit um, wenn ich das Gefühl habe, die Krise selbst ausgelöst zu haben?
Der schlechteste Weg ist, sich in Selbstmitleid zu ergehen. Wichtig ist, den Blick in Richtung Zukunft zu wenden und sich ohne Selbstanklagen beispielsweise zu fragen: „Was hätte ich anders machen können?“
Unter welchen Voraussetzungen gelingt ein Selbstcoaching in einer normalen, nichtexistenziellen Krise am besten?
Die erste Voraussetzung ist, sich gerade in solchen befristeten Krisensituationen bewusstzumachen, wie viel man im Leben schon gemeistert hat. Das ist stets mehr als gedacht, und das reduziert oft schon das Gefühl der Ohnmacht. Eine weitere ist, sich bewusstzumachen, dass es nicht den einen richtigen Lebensweg gibt, der uns bis ans Lebensende glücklich macht.
Unsere Bedürfnisse verändern sich im Verlauf unseres Lebens und somit auch unsere Ziele. Wir sollten mental jedoch auch auf Rückschläge vorbereitet sein, denn herausfordernde Ziele erreicht man oft nicht auf dem direkten und geraden Weg, sondern mit vielen ups und downs. Deshalb sollten Menschen bei Rückschlägen und Schwächen nicht zu streng mit sich sein.
Was ist der allererste Schritt?
Sich in aller Ruhe zu überlegen, in welchem Bereich meines Lebens ich vorrangig eine Veränderung vornehmen möchte, um dann konkrete Ziele zu formulieren – wie „Ich will die Karrierestufen weiter aufsteigen“ oder „Ich will einen Lebenspartner finden“.
Was kommt danach?
Sich überlegen, was nötig ist, um dieses Ziel zu erreichen; außerdem, welche Ressourcen einem hierfür zur Verfügung stehen. Das ist auch wichtig, um zu checken, ob das Ziel mit einer hohen Wahrscheinlichkeit erreichbar ist. Danach gilt es, einen Aktionsplan zu entwerfen – mit konkreten Teilzielen. Angenommen Sie möchten einen Lebenspartner finden. Dann kann Ihr Aktionsplan beispielsweise lauten: Ich lege mir einen neuen Look zu und treibe regelmäßig Sport, um mein Selbstbewusstsein zu stärken.
Oder: Ich melde mich bei einer Singlebörse an, um mich auf dem Markt der Möglichkeiten zu zeigen. Oder ich trete einem Sportverein bei, um meinen Freundeskreis zu erweitern. Dabei sollten Sie sich jedoch bewusst sein, was Sie für das Erreichen Ihres Ziels aufgeben. Denn hierfür zahlen wir stets einen Preis – und sei es nur, dass wir nicht mehr jeden Abend schlaff auf dem Sofa liegen.
Wie wichtig ist der Rat von Freunden oder Partnern?
Wichtiger als deren Rat ist meist deren mentale Unterstützung – also das Wissen: „Ich bin nicht allein“ und werde im Bedarfsfall emotional getragen. Selbstverständlich können auch der Rat und das Feedback uns vertrauter Personen hilfreich sein. Das befreit uns aber nicht von der Notwendigkeit, uns zu entscheiden, denn unser Leben können wir nur selbst leben.
Wann sollte ich hinsichtlich der Empfehlungen vom Partner oder von Freunden skeptisch sein?
Wenn diese befangen sind, also von Ihrem Vorhaben mitbetroffen sind. Hierfür ein Beispiel: Sie spielen mit dem Gedanken auszuwandern. Dann könnte sich Ihr Vorhaben aus Sicht Ihrer Freunde eventuell negativ auf Ihre Beziehung zu ihnen auswirken. Deshalb sind deren Ratschläge möglicherweise nicht selbstlos.
Woran erkenne ich, ob die gefundene Lösung tatsächlich die richtige für mich ist?
Ihre Frage enthält bereits einen Teil der Antwort: „für mich richtig“. Viele Personen suchen nach der Lösung, die alle Menschen bis ans Lebensende glücklich macht. Die gibt es nicht! Ob eine Lösung für sie richtig ist, sagt gesunden Menschen meist ihr Bauchgefühl: Die Lösung muss sich für sie zum jetzigen Zeitpunkt richtig anfühlen.
Denn nur dann können wir die nötige Energie entfalten, um die damit verbundenen Ziele zu erreichen. Und wenn die Lösung sich ein Jahr später eventuell falsch anfühlt? Dann sollten wir sie eben überdenken und uns eventuell neu entscheiden.
Sabine Prohaska ist Psychologin und arbeitet als Coach. Sie ist Inhaberin des Beratungsunternehmens „seminar consult prohaska“ in Wien.
ZUM WEITERLESEN
Gillian Butler, Nick Grey, Tony Hope: Manage Your Mind. Oxford University Press, Oxford 2018 (3., vollständig überarbeitete Auflage)
Sabine Prohaska: Lösungsorientiertes Selbstcoaching. Ihren Zielen näherkommen – Schritt für Schritt. Junfermann 2016
Beide Texte erschienen zuerst in Psychologie Heute Compact 55/2018. Sie wurden überarbeitet und gekürzt.