Abschied vom Ping

Das Handy vibriert und Sie stoppen sofort, was Sie gerade tun, um es zur Hand zu nehmen? Sieben Werkzeuge, die Ihnen helfen, Ihr Handy zu ignorieren

Die Illustration zeigt eine Frau, die im Bett liegend ein Buch liest, darüber scheint ein Halbmond
Obwohl das Handy vibriert, bleibt sie in ihrem Buch vertieft. Sie hat gelernt, den Ping zu ignorieren. © Xaviera Altena für Psychologie Heute

Sich vom Sog des Smartphones erfassen zu lassen, ist, als setze man sich freiwillig Scheuklappen auf. Man verpasst alles andere, was vor sich geht, und sieht nur diesen einen Gegenstand direkt vor ­seiner Nase – das Handy. Man wirft einen Blick darauf, wenn es vibriert, wenn es Ping-Geräusche macht, wenn man sich zum Frühstück hinsetzt, wenn man aus dem Auto steigt, wenn man ins Büro geht, in den ­Fahrstuhl tritt, den Fahrstuhl verlässt… Weil dies eine der am weitesten verbreiteten Gewohnheiten der Welt…

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tritt, den Fahrstuhl verlässt… Weil dies eine der am weitesten verbreiteten Gewohnheiten der Welt ist, werde ich sie als Beispiel nehmen, um daran die Werkzeuge zu illustrieren, mit denen wir solche ­Gewohnheiten verändern können

  • 1 Erkennen

    Erst einmal geht es darum, überhaupt zu erkennen, dass man zu oft nach dem Handy greift. Sie werden nicht darum herumkommen, sich selbst mit Ihrem Verhalten zu konfrontieren, und falls Sie das nicht tun, tut es höchstwahrscheinlich ein Freund oder eine Partnerin oder ein Kollege für Sie: „Hey, du bist total süchtig – warum legst du das Ding nicht einfach mal beiseite?“

  • 2 Kontext kontrollieren

    Die nächste Maßnahme besteht darin, die Kontexte zu kontrollieren, die die Handynutzung auslösen und ermöglichen. Das Spiel ist ganz einfach: Beseitigen Sie die Reize, die Sie dazu bringen, zum Handy zu greifen. Die unkomplizierteste Methode, das zu tun, besteht darin, Ihr Handy einfach liegenzulassen: Nehmen Sie es einfach nicht mit, wenn Sie sich zum Frühstück hinsetzen oder wenn Sie bei der Arbeit eine Pause machen, um einen Kaffee zu trinken und einen Donut zu essen (die Donutgewohnheit nehmen wir uns später vor). Am Anfang wird es schwer sein, aber wenn Sie nicht gerade Rettungssanitäterin sind, wird niemand bemerken, dass Sie 15 Minuten lang nicht erreichbar waren.

  • 3 Für Reibung sorgen

    Ferner können Sie für Reibung sorgen, die den Handygebrauch erschwert: Stellen Sie den Ton aus. Schalten Sie Ihr Telefon ab. Schalten Sie den „Nicht stören“-Modus ein, so dass nur bestimmte Anrufer zu Ihnen durchgestellt werden. Die Benachrichtigungen auszustellen heißt, die Reize, die den Griff zum Handy auslösen, zu entfernen und die Aktivierung des unerwünschten Gedankens „Schnell mal Handy checken“ zu verhindern.

    Sie können noch mehr tun: Deponieren Sie Ihr Handy in einer Tasche mit Reißverschluss, zum Beispiel in Ihrem Rucksack, Ihrer Arbeits- oder Ihrer Handtasche. Dann müssen Sie jedes Mal am Reißverschluss hantieren und in die Tasche greifen, um es herauszuholen. Eine einfache Methode, den gewohnten Griff zum Handy hinauszuzögern und reibungsvoller zu machen, besteht darin, schlicht und ergreifend die Facebook- oder E-Mail-App auf Ihrem Handy zu löschen. Zumindest würde das bedeuten, dass Sie Ihren Browser öffnen und per Hand „gmail.com“ oder „facebook.com“ eingeben müssen, anstatt sich weiterhin auf die von den Firmen mit gutem Grund eingerichtete reibungslose Nutzbarkeit der Apps zu verlassen.

  • 4 Handlungen verkoppeln

    Eine weitere Methode, den Blick auf das Handy kostspieliger zu machen, besteht darin, Ihre Handygewohnheit mit einer neuen, gesunden Handlung zu verkoppeln. Auch wenn Sie die Häufigkeit reduziert haben: Sie werden weiterhin ab und zu auf Ihr Handy blicken. Nutzen Sie also diese hartnäckige (und wahrscheinlich auch notwendige) Gewohnheit, um eine neue Gewohnheit zu etablieren, eine, die Sie sich selbst ausgesucht haben und die auf Ihre persönlichen Ziele ausgerichtet ist.

    Wie wäre es zum Beispiel damit, jedes Mal, wenn Sie Ihr Handy zur Hand nehmen, ein Familienmitglied anzurufen, um kurz hallo zu sagen und einen kleinen Schwatz zu halten? Also einen dieser Anrufe „ganz ohne Grund“ zu tätigen, die sich, wenn man sie bekommt, ganz einfach schön anfühlen. Besonders älteren Familienmitgliedern machen Sie damit wahrscheinlich eine große Freude. Auf diese Weise können Sie einige der Verbindungen, die Sie fast haben einschlafen lassen (ironischerweise, weil Sie zu viel in den sozialen Medien unterwegs waren), wieder ein bisschen pflegen. Wenn Sie sich wirklich an diese neue Gewohnheit halten, werden Sie es sich zweimal überlegen, ob Sie Ihr Handy überhaupt aus der Tasche holen. Manchmal will man einfach mit niemandem reden. Diese Methode führt also dazu, dass sich der Preis für den Griff nach dem Handy erhöht.

  • 5 Konsequent bleiben

    Egal für welche Maßnahme Sie sich entscheiden: Bleiben Sie konsequent dabei. Die Veränderung, die am Anfang so schwerfällt, wird durch Wiederholung nach und nach automatisiert. Irgendwann ist die neue Handlung die, die Ihnen als erste in den Kopf kommt. Gleichzeitig bleiben die Kosten für die alte, unerwünschte Gewohnheit hoch.

  • 6 Handlungen vereinfachen

    Außerdem haben Sie noch die Möglichkeit, andere Handlungen zu vereinfachen. Gibt es vielleicht etwas, das Sie schnell tun könnten, anstatt auf Ihr Handy zu blicken? Eine realistische Alternative, die meiner Erfahrung nach wirklich funktioniert, ist diese: Kaufen Sie sich eine Uhr. Wie oft ziehen Sie Ihr Handy nur deshalb aus der Tasche, weil Sie kurz nachsehen möchten, wie spät es ist oder welches Datum wir haben, und dann öffnen Sie noch schnell Facebook, weil Sie das Handy gerade in der Hand haben… Und dann checken Sie schnell Ihre E-Mails, weil Sie sehen, dass ein paar neue dazugekommen sind… Genauso läuft das.

    Anstatt also zur Tasche zu greifen, heben Sie Ihr Handgelenk. Kaufen Sie sich eine Uhr, die Sie mögen und mit der Sie ein bisschen angeben können. Nehmen Sie eine bunte Uhr, eine Uhr mit Taschenrechner, eine Uhr mit integrierter Stoppuhr oder eine alte mechanische Uhr (nur keine Smartwatch, das wäre gemogelt). Die Ersatzhandlung wird die Gelegenheiten minimieren, bei denen Sie vom Sog des Handys erfasst werden.

  • 7 Belohnung

    Und schlussendlich: Belohnen Sie sich, wenn Sie nicht aufs Handy schauen. Mir fällt da eine sehr gute Belohnung ein: Sagen wir, Sie gehen in ein Café, um sich dort einen Moment hinzusetzen. Es ist Nachmittag und Sie gönnen sich eine kurze Pause von der Büroarbeit. Natürlich ist das der perfekte Moment, das Handy herauszuholen und die neuesten Nachrichten zu lesen. Aber Sie haben es abgestellt, es ist in der Tasche mit Reißverschluss deponiert, und Sie müssten Ihre Tante anrufen, wenn Sie es überhaupt benutzen wollen. Sie haben also erfolgreich Auslösereize beseitigt und widerstrebende Kräfte auf den Plan gerufen. Aber wenn Sie einfach nur dasitzen und nach Ihrem Handy lechzen, ist nichts gewonnen.

    Geben Sie sich deshalb etwas Schönes zu tun. Schenken Sie sich etwas, das die Menschen jahrhundertelang angeregt hat, etwas, das perfekt geeignet ist, den Kopf ein paar Minuten zu beschäftigen. Mehr als nur beschäftigen – etwas, das jedes Mal ein wenig das Bewusstsein erweitert. Und Wissenslücken füllt. Etwas, das Ihnen nachher beim Abendessen nützlich sein kann, weil es Sie mit einer interessanten Geschichte versorgt oder Sie auf ein spannendes Thema gebracht hat, das Sie mit Ihrer Familie diskutieren können. Etwas Tragbares und Haltbares. Etwas das Ihr ganzes Ich nährt. Haben Sie ein gutes Buch dabei?

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Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch Good Habits, Bad Habits. Gewohnheiten für immer ändern der britischen Psychologieprofessorin Wendy Wood. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Piper-Verlags.

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 7/2024: Die Straße der guten Gewohnheiten