Zauberkünstler begeistern und faszinieren die Menschen seit Hunderten von Jahren. Natürlich weiß man, dass sie oft spezielle Requisiten und Apparate verwenden, um die gewünschten Effekte zu erzeugen oder vorzutäuschen – vom Spielkartenhalter im Ärmel über Spiegel und doppelte Böden bis hin zu komplexen technischen Aufbauten. Weniger durchschaubar aber ist, wie sie die Wahrnehmung und das Denken ihrer Zuschauer manipulieren. Zunehmend interessieren sich deshalb auch Psychologen und Neurowissenschaftler für…
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auch Psychologen und Neurowissenschaftler für die Zauberkünstler – und sind fasziniert.
„Zauberkünstler sind Drahtzieher der menschlichen Kognition. Raffiniert steuern sie äußerst anspruchsvolle kognitive Vorgänge wie Aufmerksamkeit, Gedächtnis und kausales Schlussfolgern durch eine verblüffende Kombination aus optischen, auditiven, taktilen und sozialen Manipulationen“, schreiben die Neurowissenschaftler Susana Martinez-Conde und Stephen L. Macknik in ihrem Buch Die Tricks unseres Gehirns – Wie die Hirnforschung von den großen Zauberern lernt.
Wo Wahrnehmung und Realität auseinanderdriften
Die Magier profitieren beispielsweise von der Tatsache, dass die menschliche Wahrnehmung in einem erstaunlich großen Maß nicht die Tatsachen abbildet. Vielmehr konstruiert das Gehirn sich seine Wirklichkeit aufgrund früherer Erfahrungen und so, wie es sich im Laufe der Evolution als nützlich erwiesen hat.
Es hat sich zum Beispiel darauf spezialisiert, Kontraste zu erkennen. Seine Unfähigkeit, Ähnliches zu unterscheiden, bewirkt, dass wir nicht wahrnehmen, was sich schwarz vor schwarz abspielt. Bei einer ganz in Schwarzlicht getauchten Zaubershow bewegen sich zum Beispiel Gegenstände wie von Zauberhand, tatsächlich agieren jedoch schwarz gekleidete Menschen, wie Martinez-Conde und Macknik schreiben. Ebenso lassen sich verzerrte Perspektiven zur Täuschung einsetzen, indem sie zum Beispiel Gegenstände viel größer oder kleiner erscheinen lassen, als sie sind.
Auch Nachbilder können Zauberern helfen, ihr Tun zu verbergen. Diesen Effekt kennt man vom Blitzlicht, wenn man die strahlende Helligkeit noch sieht, obwohl sie nicht mehr vorhanden ist. Ein Magier – der Große Tomsoni – verwandelte so das weiße Kleid seiner Assistentin in ein rotes. Zunächst ließ er das Kleid rot anstrahlen. Dann verlosch dieser Scheinwerfer, und weißes Licht wurde angeschaltet. Während dieses Umschaltens war es kurze Zeit dunkel, das Publikum sah jedoch noch ein Nachbild des „roten“ Kleides. Möglich wird diese Illusion, weil Nervenzellen noch etwa eine Zehntelsekunde nach einem Reiz weiter das Signal übertragen. Während dieser kurzen Zeitspanne wurde das weiße Kleid entfernt und die Zuschauer sahen scheinbar übergangslos im Licht das echte rote Kleid, das die Assistentin unter dem weißen trug.
Zauberkünstler täuschen nicht nur die Sinne, sie beeinflussen auch das Denken. Die Möglichkeiten der Irreführungen (misdirections) sind vielfältig. Immer geht es darum, zu verschleiern, wie der Effekt, also das Ergebnis der Magie, zustande kommt. Ein wichtiges Mittel ist die Unaufmerksamkeitsblindheit (inattentional blindness). Magier nutzen sie auf unterschiedliche Art, und Psychologen haben sie eingehend erforscht.
Wir blenden 95 Prozent aller Geschehnisse aus
Das berühmteste Experiment dazu führten die amerikanischen Kognitionsforscher Daniel Simons und Christopher Chabris durch. Sie zeigten ihren Versuchsteilnehmern per Video ein Basketballspiel und forderten sie auf, zu zählen, wie oft die Spieler in Weiß sich den Ball zuwarfen. Anschließend wurden sie gefragt, ob ihnen etwas Ungewöhnliches aufgefallen sei. In der Mitte des Filmchens lief nämlich eine als Gorilla verkleidete Frau durchs Bild. Etwa die Hälfte der Probanden hatte sie nicht bemerkt – ein Ergebnis, das sich in vielen Folgeversuchen mit anderen Menschen in anderen Ländern bestätigte. Verblüffend: Eine Aufzeichnung der Augenbewegungen zeigte, dass selbst jene Probanden den Gorilla nicht wahrgenommen hatten, die ihn direkt angeschaut hatten.
Zwei Faktoren tragen offenbar zur Unaufmerksamkeitsblindheit bei: Das, was die Betrachter übersehen, ist erstens etwas Unerwartetes, und zweitens sind sie gedanklich mit etwas anderem beschäftigt, in diesem Fall damit, zugespielte Bälle zu zählen. Das menschliche Gehirn hat die Fähigkeit entwickelt, sich bei schwierigen Aufgaben stark zu konzentrieren. Die Kehrseite der Medaille: Es ignoriert alles „Unwichtige“. Das menschliche Sehvermögen funktioniert nicht wie eine Kamera, die alles aufnimmt, was sich in ihrem Blickfeld befindet. Vielmehr blenden wir, so Martinez-Conde und Macknik, 95 Prozent aller Geschehnisse aus, was im Alltag meist sinnvoll ist, um Zeit und Energie zu sparen.
Das Gehirn bestimmt also, was wir sehen – und das nutzen Magier aus. Ein Experiment von Gustav Kuhn, Psychologe am Goldsmiths College in London und selbst Zauberer, belegt dies eindrucksvoll. Probanden sahen ein Video von einem Mann, der sich eine Zigarette anzünden will. Allerdings steckt er sie sich verkehrt herum in den Mund.
Er bemerkt den Irrtum und dreht mit der linken Hand die Zigarette herum. Dann hebt er seine rechte Hand, die scheinbar das Feuerzeug hält, fixiert sie mit seinem Blick, schnippt mit den Fingern: Die Hand ist leer, das Feuerzeug verschwunden. Er schaut auf seine andere Hand: Auch die Zigarette ist weg. Der Trick ist recht simpel: Während der Zauberer die Zigarette umdreht, lässt er von der Tischhöhe aus das Feuerzeug in seinen Schoß fallen. Während er mit den Fingern schnippt und die nun leere rechte Hand anschaut, lässt er die Zigarette ebenfalls fallen.
Letzteres ist im Grunde für jeden sichtbar, da seine Hand sich mehr als zehn Zentimeter über dem Tisch befindet und er einen schwarzen Pullover trägt. Trotzdem sahen nur zwei der insgesamt zehn Versuchsteilnehmer, dass der Zauberer die Zigarette fallen ließ. Selbst sie fixierten wie alle anderen auch die Hand, die angeblich das Feuerzeug hielt, wie die Aufzeichnung der Augenbewegungen entlarvte. Das heißt, um etwas zu entdecken, ist es nicht nötig, es direkt in den Blick zu nehmen. Umgekehrt kann man, wie der Gorillaversuch zeigt, ein Objekt fixieren, ohne es zu registrieren. Es kommt einzig und allein darauf an, worauf die Aufmerksamkeit sich richtet. Zauberer können also die Blicke des Publikums in eine Richtung lenken, indem sie zum Beispiel eine Taube in die Luft werfen oder eine kleine Explosion erzeugen. Sie sind aber keineswegs darauf angewiesen – solange es ihnen gelingt, die Aufmerksamkeit der Zuschauer vom eigentlichen Trick abzulenken.
Bogenförmige Bewegungen für die Ablenkung
Alex Stone, Physiker und Wissenschaftsjournalist, hat sich unter anderem mit dem Trick befasst, wie Zauberer (und Taschendiebe) unbemerkt eine Uhr vom Handgelenk verschwinden lassen. Wichtiger als Geschicklichkeit sind auch hier die psychologischen Mittel. Unter einem Vorwand ergreift der Zauberer (oder Dieb) das Handgelenk des Opfers. Dann drückt er auf die Uhr des Betreffenden und erzeugt damit ein „Nachbild“ wie bei der Farbverwandlung des Kleides im oben beschriebenen Zauberkunststück, nur dass es sich in diesem Fall um den Tastsinn handelt. Für den Probanden verschwimmt das Gefühl der Uhr am Handgelenk mit dem, das der Taschendieb erzeugt hat.
Um das Verschwinden der Uhr noch weiter zu verschleiern, lenkt der Magier sein Opfer ab. Er bewegt dessen Arme hin und her, er spricht es zwei- bis dreimal mit Namen an und stellt eine Reihe von ablenkenden Fragen, etwa ob der Betreffende Links- oder Rechtshänder sei. In seinem Buch Fooling Houdini fasst Alex Stone den heutigen Wissenstand zur Unaufmerksamkeitsblindheit so zusammen: „Nicht nur unser Sehen ist betroffen. Hörbare Geräusche werden unhörbar, einfache Wörter werden zu Kauderwelsch, und selbst Wahrnehmungen des Tastsinns bleiben ungefühlt, wenn unsere Aufmerksamkeit abschweift.“
Der unbestrittene König der Taschendiebe ist Apollo Robbins. Der amerikanische Entertainer hat es zu solcher Meisterschaft gebracht, dass er Beamten des Secret Service einmal so ziemlich alles, was sie bei sich trugen, aus den Taschen zog, einschließlich des Reiseplans des ehemaligen Präsidenten Jimmy Carter, den sie beschützen sollten. Auch Robbins stellt sein Können und Wissen in den Dienst der Forschung. So hat er die Erfahrung gemacht, dass Menschen sich durch bogenförmige Bewegungen besser ablenken lassen als durch geradlinige. Bei letzteren, so glaubt Robbins, kehrt die Aufmerksamkeit eher zum Ausgangspunkt zurück, etwas, das ein Zauberer gerade vermeiden will.
Ob das tatsächlich so ist, haben Martinez-Conde, Macknik und ihre Mitarbeiter untersucht. Probanden bekamen Videos zu sehen, in denen Robbins beide Arten von Gesten ausführte – und tatsächlich sprangen die Blicke nach einer geraden Bewegung häufiger zurück, statt bei der ausführenden Hand zu bleiben. Im Grunde ist das nicht erstaunlich, denn, so die Forscher, Kurven erzeugen eine stärkere Aktivität von Nervenzellen als gerade Linien, vielleicht weil sie weniger vorhersehbar sind und deshalb interessanter für das Gehirn. „Es geht um die Choreografie der Aufmerksamkeit der Menschen“, beschreibt Robbins in der Zeitschrift The New Yorker seine Arbeitsweise. „Aufmerksamkeit ist wie Wasser. … Du schaffst Kanäle, um sie umzuleiten, und du hoffst, dass sie in die richtige Richtung fließt.“
Illusion durch soziale Signale
Doch Irreführung, das wichtigste Handwerkszeug der Zauberkünstler, kann nicht nur verhindern, dass Menschen etwas wahrnehmen. Manchmal kann sie auch bewirken, dass sie etwas sehen, was nicht da ist, und sich an etwas erinnern, was nicht geschehen ist. Gustav Kuhn hat dieses Phänomen anhand eines weiteren simplen Tricks studiert. Dabei wirft ein Magier in einem Video einen kleinen Ball mehrmals hoch und fängt ihn wieder auf. Beim letzten Mal deutet er die Bewegung nur an und schaut dem nicht vorhandenen Ball hinterher. Tatsächlich behält er den Ball für das Publikum unsichtbar in der Hand.
Mehr als die Hälfte der Zuschauer (63 Prozent) behaupteten, gesehen zu haben, wie der Ball nach oben flog und sich dann in Luft auflöste. Fehlte die Kopfbewegung des Zauberers, so sank der Anteil auf 32 Prozent. Ein Grund für die Illusion waren also die sozialen Signale des Zauberers. Aufzeichnungen der Augenbewegungen ergaben, dass die Augen sich nicht täuschen ließen. Die Blicke der Versuchspersonen wanderten nur bis zum oberen Rand des Videos, wenn dort auch ein Ball zu sehen war. Sonst verharrten sie auf dem Gesicht des Magiers. Was die Teilnehmer also „sahen“, wurde in vielen Fällen nicht durch das bestimmt, was die Augen aufnahmen, sondern durch das Verhalten des Zauberers und durch ihre Erwartung.
Wissenschaft vertieft das Mysterium
Zauberer beschränken sich jedoch nicht darauf, unsere Aufmerksamkeit zu steuern, sie verfügen auch über eine ganze Reihe von Manövern, mit denen sie die Entscheidungen ihres Gegenübers, zum Beispiel bei einem Kartentrick, unbemerkt beeinflussen können.
Das Aufzwingen bestimmter Karten, das sogenannte Forcieren, haben Diego Shalom und seine Kollegen aus Argentinien und Spanien untersucht. Ein Zauberer fächerte zunächst vor der jeweiligen Versuchsperson die Karten nacheinander auf und bat sie, sich eine Karte zu merken. Es ist bekannt, dass Menschen häufig eine der beiden letzten Karten wählen oder die, die der Zauberer etwas länger zeigt. Das bezeichneten die Forscher als visuelles Forcieren. Anschließend ließ der Magier den Zuschauer eine verdeckte Karte ziehen und bediente sich dabei des klassischen Forcierens. Das heißt, er versuchte in dem Moment, wo die Finger des Probanden das Spiel erreichten, dort eine bestimmte Karte zu präsentieren.
Bei beiden Methoden hatte der Magier die vom Zuschauer dann genannte Karte anschließend wie durch ein Wunder parat – entweder weil er richtig geraten oder gekonnt forciert hatte. Wichtig war auch, was Shalom und seine Kollegen noch herausfanden: Die Teilnehmer des Experiments sollten angeben, wie stark sie ihrer Ansicht nach bei der Wahl der Karte beeinflusst worden waren (auf einer Skala von 0 bis 1, wobei 0 „gar nicht“ bedeutete).
Die Durchschnittswerte waren nicht nur bei den beiden Methoden gleich, sondern auch bei Probanden, bei denen das Forcieren Erfolg hatte, und bei solchen, bei denen es nicht funktioniert hatte. In allen Fällen lagen sie bei etwa 0,1. Die Wissenschaftler sprechen in diesem Zusammenhang von Introspektionsblindheit, denn die Teilnehmer konnten nicht unterscheiden, ob ihre Wahl frei war oder ob sie manipuliert worden waren.
Magie ist Kunst und Wissenschaft zugleich
Eine alte Regel besagt, dass man demselben Publikum nicht zweimal dasselbe Kunststück vorführen soll, und viele Entertainer richten sich danach. Doch eine neue Generation, zu der Apollo Robbins und das Duo Penn & Teller gehören, hat anscheinend keine Angst, dass die Magie dadurch entzaubert wird. Sie offenbaren sogar, wie Tricks funktionieren, und arbeiten mit Wissenschaftlern zusammen. Apollo Robbins, der Taschendieb, sagt siegessicher: „Es spielt keine Rolle, ob Leute wissen, wie ich arbeite, oder sogar, was ich tun werde. Sie bekommen es trotzdem nicht mit.“
Und Penn & Teller erklären manchmal zwar ihre Vorgehensweise, doch dann verblüffen sie das Publikum, indem sie denselben Effekt auf andere, unerklärliche Weise erzielen. Und schließlich begeistert nicht wenige Menschen ein Kunststück auch dann noch – oder gerade –, wenn sie wissen, wie der Zauberer sie hinters Licht führt. „Magie ist eine Wissenschaft und eine Kunst“, schreibt Alex Stone, „und in der Wissenschaft dient Erkenntnis nur dazu, das Mysterium noch zu vertiefen.“
Quellen
Ch. Chabris, D. Simons: Der unsichtbare Gorilla. Piper, München, Zürich 2011
G. Kuhn, L. M. Martinez: Misdirection – past, present, and the future. Frontiers in Human Neuroscience, 5, 2011, 172
S. Macknik u. a.: Die Tricks unseres Gehirns – Wie die Hirnforschung von den großen Zauberern lernt. Kreuz, Freiburg 2011
S. Macknik u. a.: Science and society: Attention and awareness in stage magic: turning tricks into research. Nature Reviews Neuroscience, 2008, DOI: 10.1038/nrn2473
A. Stone: Fooling Houdini. Harper, New York 2012
D. E. Shalom u. a.: Choosing in freedom or forced to choose? Introspective blindness to psychological forcing in stage-magic. PLOS ONE, 2013, DOI: 10.1371/journal.pone.0058254