Beyoncé, Jennifer Lopez, Prinz William: Prominente kleiden sich und ihre Kinder bei öffentlichen Auftritten gern im Zwillingslook. Die Modeszene spricht vom Mini-Me, also dem kleinen Ich. Immer mehr Eltern machen es ihnen nach. Wieso ist das so beliebt?
Dieser Trend tritt verstärkt auf, weil das Elternsein und ein Kind zu haben heute immer mehr sehr bewusste Entscheidungen sind. Elternschaft wird eine Art Statussymbol. Den Sohn oder die Tochter zu kleiden wie man selbst, sozusagen ein erweitertes Selbst zu…
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Art Statussymbol. Den Sohn oder die Tochter zu kleiden wie man selbst, sozusagen ein erweitertes Selbst zu schaffen, ist etwas, das den Nerv unserer Gesellschaft trifft.
Tatsächlich gab es gemeinsame Kleidungsstücke schon in den 1950er Jahren. Das ist also gar kein ganz neuer Trend, er ist aber heute gesellschaftsfähiger geworden und bekannte Modeketten bieten Mini-Me-Kollektionen an. Zusätzlich haben die Social-Media-Kanäle ganz neue Räume eröffnet und eine viel größere Reichweite, so dass sich jedweder Trend viel schneller ausbreiten kann. So sieht man Mini-Me-Outfits heute auch öfter, beispielsweise auf Spielplätzen.
Dem Zwillingslook werden positive Wirkungen nachgesagt. In einem Modeblog heißt es beispielsweise, dass die gleiche Kleidung das Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen Eltern und Kind stärke und die enge Bindung zeige.
Eine gute Bindung sowie ein Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Familie sind zentrale Faktoren für eine gesunde kindliche Entwicklung, da stimme ich zu. Allerdings zeigt sich dies eben nicht im Aussehen, sondern im elterlichen Verhalten, etwa darin, wie Eltern mit ihren Kindern umgehen und wie viel Interesse und Zeit sie ihnen widmen. Deshalb ist diese Aussage doch sehr oberflächlich.
Kinder brauchen kein Zwillingsoutfit, um zu spüren, dass Eltern wirkliches Interesse an ihnen haben. Sie können sehr gut unterscheiden zwischen Aussehen und Verhalten. Es ist viel wichtiger, dass Mutter und Vater auf die Bedürfnisse der Kinder eingehen, sich für sie interessieren und sie in ihrer Eigenständigkeit unterstützen. Zumal jüngeren Kindern Modetrends ziemlich egal sind, während in der Pubertät ja insbesondere die Abgrenzung zu den Eltern im Vordergrund steht.
In einem Internetbeitrag schrieb eine Autorin, dass sich Kinder in dieser individualistischen Welt dank Mini-Me-Look weniger allein fühlten und so ihr Selbstbewusstsein gestärkt werde. Was halten Sie davon?
Das Argument kann ich nicht nachvollziehen. Wieso sollte das Selbstbewusstsein oder das Selbstwertgefühl durch den Mini-Me-Trend gesteigert werden? Was die Kinder brauchen, ist, selbst Erfahrungen zu machen und sich in ihrer Individualität ausdrücken zu können. Ich bestreite nicht, dass insbesondere Jugendliche Kleidung auch nutzen, um Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe zu demonstrieren, in der Regel jedoch zu Gleichaltrigen und nicht zu den eigenen Eltern.
Ein weiterer Modeblog formulierte einen anderen Aspekt. Dort heißt es: „Twinning is winning – der Auftritt im Partnerlook garantiert Likes im Millisekundentakt.“
Da gehe ich mit! Das ist wahrscheinlich genau das Motiv für viele, den Mini-Me-Trend mitzumachen und Fotos von sich und dem Kind online zu stellen. Da stellt sich erneut die Frage: Wessen Bedürfnis wird da befriedigt? Wenn wir ehrlich sind, dient der Mini-Me-Trend vor allem einem: dem Elternteil.
Inwiefern?
Vielleicht sollte man einmal zunächst das Positive hervorheben: Der Trend fußt unter anderem darauf, dass Kinder in unserer Gesellschaft mehr in den Fokus rücken, Erwachsene sich mehr mit kindlicher Entwicklung beschäftigen als noch vor einigen Jahrzehnten.
Aber gleichzeitig stellt sich die Frage: Geht es wirklich darum, die Jungen und Mädchen als eigenständige Individuen zu sehen, sie zu fördern und ihnen einen gesunden Rahmen zu bieten, in dem sie sich gut entwickeln können? Oder geht es nicht vielmehr um die Selbstverwirklichung und Anerkennung für Eltern durch die Community?
Wie kann sich der Mini-Me-Trend auf die Entfaltung der jungen Menschen auswirken?
Viele, nicht nur prominente Menschen, präsentieren sich und ihre Kinder gern auf Instagram und ähnlichen Social-Media-Kanälen in diesen Outfits. Wichtig ist, zu schauen, in welchem Umfang und mit welchen Motiven das geschieht. Kritisch kann es werden, wenn Eltern den Nachwuchs als Statussymbol sehen, das der eigenen Selbstwerterhöhung dient.
Das Kind wird instrumentalisiert, indem man mit ihm schöne Bilder schießt oder Videos aufnimmt, man sich mit dem Kind inszeniert und dafür positives Feedback durch Likes erhält. Drastischer gar: Verfolgen die Eltern dabei finanzielle Interessen, etwa wie das bei Influencerinnen und Influencern oder bei Prominenten eine Rolle spielt? Hier geht es nicht um das Wohl des Kindes, sondern allein darum, was die Klickzahlen und Werbeeinnahmen fördert.
Für mich wirkt der Versuch, Sohn oder Tochter wie sich selbst und sich selbst wie das Kind anzuziehen, auch wie ein verstecktes Streben danach, sich jünger zu machen.
Ich kann mir vorstellen, dass dies für manche Eltern mit ein Beweggrund sein kann, diesem Trend zu folgen. Das liegt sicherlich auch daran, dass sich in unserer Gesellschaft die Wahrnehmung von Altern verändert hat. Die Menschen werden heute älter, bleiben länger fit und aktiv. Dies spiegelt sich auch in der Kleiderwahl wider, wenn sich beispielsweise ältere Frauen mädchenhaft kleiden.
Dadurch werden auch Eltern-Kind-Rollenbilder aufgebrochen. Früher waren die Generationen klarer getrennt, so auch im äußeren Erscheinungsbild. Heute wird oft propagiert, dass Eltern und Kinder viel gemeinsam unternehmen und sich immer gut verstehen. Gerade durch die Darstellung von Prominenten wird zudem suggeriert, dass Eltern und Kind befreundet sein wollen oder sollen und eine enge Verbindung existieren muss. In dieser Form reproduzieren auch normale Eltern das Familienleben in den sozialen Medien. Die Userinnen und User zeigen einzig, wie toll alles in der Familie läuft, wie wunderbar Elternschaft und die Kinder sind. Was fehlt, ist die Alltagsrealität mit ihren Höhen und Tiefen.
Wenn Eltern sich ein Ebenbild schaffen, ist das nicht auch ein bisschen selbstverliebt?
Hier stellt sich die Frage: Warum werden wir Eltern? Was sind unsere Motive, eine Familie zu gründen, Kinder zu haben? Sich fortzupflanzen stellt ein existenzielles menschliches Bedürfnis dar. Wenn wir dann an den eigenen Jüngsten Verhaltensweisen oder auch äußere Merkmale von uns selbst wiedererkennen, die wir gut finden, ist das natürlich etwas, das uns stolz macht, den eigenen Selbstwert erhöhen und das Selbstbild stärken kann, insbesondere wenn wir dann positives Feedback dazu erhalten. Nichts anderes wollen Eltern mit Mini-Me-Bildern in sozialen Medien erreichen.
Generell ist es ja positiv, dass viele ihre Elternschaft bewusst leben und viel Zeit mit ihren Kindern verbringen wollen. Aber das so sehr nach außen zu tragen und damit die eigenen Bedürfnisse nach Anerkennung und Zuspruch befriedigen zu wollen, macht es problematisch.
Ein Mutter-Tochter-Duo, das jüngst besonders für Schlagzeilen gesorgt hat, sind Heidi Klum und ihre Tochter Leni. Beide waren im Frühjahr 2023 bundesweit für eine Werbekampagne in Unterwäsche auf Plakaten zu sehen. Wie ging es Ihnen damit?
Diese Kampagne hat in meinen Augen nicht zu Unrecht hohe Wellen geschlagen. Ich sehe mehrere kritische Aspekte. Zunächst einmal transportiert diese Werbekampagne ein Körperbild, das sehr hohe Ansprüche anlegt und dem ein Großteil der Normalbevölkerung nicht entspricht. Jugendliche, die solche Werbeplakate sehen, kommen in die Situation, sich zu fragen: Was ist normal? Wie sieht man wirklich aus?
Bei Bildern, die sehr auf Äußerlichkeiten abzielen, wie etwa auch beim Mini-Me-Trend, beurteilen Außenstehende, wie der Körper oder die Person aussieht. Und das kann bei den abgebildeten jungen Menschen massiven Einfluss auf die Entwicklung haben, etwa auf ihr Selbst und das Körperbild. Zudem posieren hier Mutter und Tochter gemeinsam in Unterwäsche, Leni wird von ihrer Mutter an der Hand geführt, also als Kind inszeniert. In diesem sexualisiert-erotischen Kontext wirkt das irritierend und unangemessen. Diese Darstellung ist zugleich der selling point, deshalb verkauft es sich. Inwieweit geht es da aber wirklich um das Kind oder die Beziehung zu ihm?
Nun ist Leni Klum ja bereits volljährig.
Natürlich ist sie bereits erwachsen, aber schauen wir auf die jüngeren Kinder, deren Eltern sich und ihre Kinder in Mini-Me-Form kleiden und online präsentieren: Inwieweit haben diese Jungen und Mädchen eine Entscheidungsgewalt oder können sich gegen diese Art, angezogen zu werden, wehren? Bei Werbeshootings in jungen Jahren mit prominenten Eltern stellt sich meiner Meinung nach sogar die Frage nach der elterlichen Fürsorgepflicht. Ist es in Ordnung, dass Töchter und Söhne so gezeigt werden? Man setzt mit jeglichem Modebild nicht nur sich selbst, sondern auch die Kinder der Öffentlichkeit aus. Das kann eben auch negative Effekte haben, wie zum Beispiel harsche Kritik in den sozialen Medien oder in der Schule.
Der Versuch, kleine Erwachsene zur Schau zu stellen, begegnet uns auch in Kinder-Casting-Sendungen oder bei Schönheitswettbewerben. Steckt hier die gleiche Denkweise dahinter wie beim Mini-Me-Trend?
Ich kann mir vorstellen, dass auch hier bei den dazugehörigen Eltern derselbe Wunsch dahintersteht, nämlich nach Selbstverwirklichung durch das eigene Kind.
Das Extrembeispiel sind Mini-Miss-Wahlen in den USA, wo vor allem Mädchen auf eine sexualisierte Art präsentiert werden und als Mini-Fräuleins, ja Mini-Lolitas dargestellt werden. Da spielen häufig die Mütter eine große Rolle. Sie erfüllen sich über ihre Töchter einen Traum vom Modeln und können dadurch etwas leben, das sie selbst nicht leben konnten. Sie nutzen es zur Selbstwerterhöhung. Aus meiner Sicht ist das missbräuchlich. Anders kann man das nicht nennen.
Welche Folgen kann das für Kinder haben?
Kinder wollen sich stets die Zuwendung ihrer Eltern sichern. Was sie durch Mini-Miss-Wahlen von klein auf lernen, ist: Sie werden geliebt und beachtet, wenn sie genau das tun, was ihre Mutter möchte und was die Jury fordert. Vielleicht feiern sie sogar Erfolge, werden anerkannt dafür, dass sie mitgemacht haben. Das führt dazu, dass sie ihre eigenen Bedürfnisse und Interessen, ihre Individualität gar nicht leben und keine eigenen Erfahrungen sammeln können. Sie stellen die eigenen Bedürfnisse in hohem Maße zurück, um die der Eltern zu befriedigen. Hier findet eine Rollenumkehr statt oder auch im Fachjargon Parentifizierung: Nicht die Eltern kümmern sich um die Bedürfnisse der Kinder, sondern umgekehrt.
Und die Umkehr kann verhängnisvoll sein…
Genau. Später als Jugendliche und junge Erwachsene müssen die Betroffenen erst einmal herausfinden, was sie eigentlich möchten, was sie mögen und was ihnen guttut. Sie müssen eigene Interessen ausbilden. Das bleibt alles in jungen Jahren auf der Strecke.
Wie bei sehr jungen Models geht es bei solchen Miss-Wahlen zudem einzig um das Äußere, um die Figur, das Körpergewicht. Danach wird ein junger Mensch bewertet. Das ist sehr kritisch zu sehen.
Was würden Sie Eltern mit auf den Weg geben?
Sie sollten auf ihren Umgang mit sozialen Medien achten. Ihnen muss bewusst sein, dass Bilder oder Videos, sind sie einmal ins Netz gestellt, dort auch bleiben, man kann sie nicht mehr vollends löschen. Bis vor wenigen Jahren haben nur wenige darauf geachtet, in welcher Form Tochter oder Sohn zu sehen waren. Eltern und Familien haben alles gepostet, vom ersten Ultraschallbild bis zum erfolgreichen Gang auf das Töpfchen. Die Persönlichkeitsrechte des Kindes werden dabei außer Acht gelassen. Wir sollten immer im Hinterkopf haben, was einmal das jugendliche oder erwachsene Kind dazu sagen wird und ob es das so gut findet, was es dann zu sehen bekommt.
Anna-Lena Zietlow ist Professorin für klinische Kinder- und Jugendpsychologie an der Technischen Universität Dresden.