Der neue Berliner Flughafen entwickelte sich zum Gespött der Nation – unter den Augen des inzwischen als Aufsichtsratsvorsitzender zurückgetretenen Berliner Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit sowie Vertretern zweier Bundesministerien, des Landes Brandenburg und der Arbeitnehmer. Die Eröffnung war für den Herbst 2011 geplant, nach vier Verschiebungen wird nun das Frühjahr 2014 angepeilt. Die Kosten kletterten von ursprünglich 1,7 auf 4,3 Milliarden Euro – mindestens.
Selbst die ärgsten Berufsoptimisten…
Sie wollen den ganzen Artikel downloaden? Mit der PH+-Flatrate haben Sie unbegrenzten Zugriff auf über 2.000 Artikel. Jetzt bestellen
kletterten von ursprünglich 1,7 auf 4,3 Milliarden Euro – mindestens.
Selbst die ärgsten Berufsoptimisten hätten gewarnt sein können. Denn der Berliner Schlamassel ist keineswegs ohne Präzedenzfälle. Schon 1995 kostete der neue Flughafen von Denver fast dreimal so viel wie eingeplant. Der drei Jahre später eröffnete Airport in Hongkong hatte solche Anlaufprobleme, dass die Wirtschaft der gesamten Metropole in Mitleidenschaft gezogen wurde. Warum konnten oder wollten die Berliner Verantwortlichen daraus nicht die richtigen Schlüsse ziehen?
Mit noch mehr Naivität – oder bewusster Täuschungsabsicht – ging die Deutsche Bahn den neuen Tiefbahnhof Stuttgart 21 an. Denn für Bahnprojekte gibt es gute Statistiken. Im Schnitt kommen sie 45 Prozent teurer als geplant, ermittelte Bent Flyvbjerg von der University of Oxford. Sogar 100 Prozent Aufschlag sind keineswegs ungewöhnlich. Als ob sie davon noch nie gehört hätten, planten die Verantwortlichen von Stuttgart 21 hoffnungslos unrealistisch und kalkulierten noch 2009 mit drei Milliarden Euro. Vier Jahre später sind nun 6,5 Milliarden in Sicht – wenn es reicht.
Private Fehlprognosen
Nicht nur milliardenschwere Großprojekte, die fast ein Jahrzehnt in Anspruch nehmen, laufen derart aus dem Ruder – auch kleinere Projekte sind vor Fehlplanungen nicht geschützt. Amerikanische Hausbesitzer schätzten in einer Umfrage, dass der geplante Umbau ihrer Küche 19 000 Dollar kosten werde. Am Ende waren es im Schnitt 39 000 Dollar, also gut das Doppelte.
Nur 30 Prozent der Studenten vollenden ihre Abschlussarbeit in der Zeit, die sie zu Beginn der Endphase veranschlagt haben, so eine Studie. Im Schnitt brauchen sie statt der geschätzten 33 noch 55 Tage. Damit liegen sie sogar noch sieben Tage über der Zeit, die sie für den Fall erwarteten, dass „alles so schlecht läuft, wie es nur kann“.
Ihre Professoren stopfen derweil jeden Freitag ihre Aktentasche mit Arbeiten voll, die sie über das Wochenende erledigen wollen. Dabei wissen sie genau, dass sie nie mehr als eine oder zwei dieser Arbeiten schaffen. „Das Faszinierende bei diesem Phänomen ist die Fähigkeit der Leute, zwei offensichtlich widersprüchlichen Überzeugungen anzuhängen“, spottet Roger Buehler von der Wilfrid Laurier University im kanadischen Waterloo. „Obwohl sie wissen, dass die meisten ihrer bisherigen Prognosen zu optimistisch waren, halten sie ihre momentanen Voraussagen für realistisch.“
Nicht einmal die Weihnachtseinkäufe laufen wie geplant. In einer Studie befragte Studenten wollten ihre Geschenke acht Tage vor dem Fest beisammen haben. Doch am Ende lief es wie in all den Jahren zuvor, und sie waren wieder erst sechs Tage vor dem großen Tag fertig.
Denkfehler 1: Die Innensicht
Im Privatleben scheitern wir meist an ehrlichem Unvermögen, vorsätzlich falsche Prognosen würden uns ja nur selbst schaden. Wir werden Opfer von Denktäuschungen. Manche sind bei nüchterner Betrachtung geradezu absurd. Andere aber liegen so nahe, dass sie nur schwer zu überwinden sind, selbst wenn man sie kennt.
Der Klassiker ist das Problem der Innensicht. Auf dieses Phänomen stieß der Psychologe Daniel Kahneman, der seit vielen Jahrzehnten erforscht, wie irrational Menschen oft sind und warum. Zusammen mit einigen seiner Studenten und mehreren erfahrenen Lehrern wollte er für das israelische Bildungsministerium ein Curriculum und ein Lehrbuch entwickeln. Schüler sollten damit lernen, vernünftige Entscheidungen zu treffen. Nach einem Jahr hatte die Gruppe schon einige Stunden Probeunterricht erteilt und zwei Buchkapitel fertig.
Wie jeden Freitagnachmittag traf sie sich zur wöchentlichen Sitzung. Diesmal ging es um das Thema, wie sich ungewisse Größen vernünftig schätzen lassen. Spontan beschloss Kahneman, das Problem in einem praktischen Selbstversuch anzugehen. Jeder in der Gruppe schrieb auf einen Zettel, wie lange sie für das Projekt wohl noch brauchen würden. Alle waren sich einig: etwa zwei Jahre.
Peinliche Episode, lehrreiche Erfahrung
Doch die gute Stimmung kippte, als Kahneman das einzige Mitglied mit einschlägigen Erfahrungen, einen Experten für die Entwicklung von Curricula, fragte: Wie lange hatten denn andere Gruppen gebraucht – gerechnet ab dem momentanen Stand? Der Experte dachte lange nach, und als er schließlich sprach, schien ihm die Antwort selbst peinlich zu sein. Etwa vierzig Prozent der Teams waren überhaupt nie fertig geworden. Der Rest hatte im Schnitt sieben Jahre gebraucht – gut dreimal so lange wie die rosige Schätzung der gegenwärtigen Gruppe.
„Wir hätten an diesem Tag aufgeben sollen“, meinte Kahneman später. Denn niemand wollte so lange an dem Projekt arbeiten. Doch sie schoben die warnenden Erfahrungen ihrer Vorgänger einfach beiseite und machten weiter. Erst acht Jahre später waren sie fertig. Da hatte das Ministerium längst kein Interesse mehr, und alles war vergeblich gewesen.
Für Kahneman wurde die „peinliche Episode zu einer der lehrreichsten Erfahrungen“ seiner Karriere. Sie führte dazu, dass er zusammen mit seinem langjährigen Kollegen Amos Tversky die Idee der Innensicht entwickelte – eine der wichtigsten Erklärungen von Planungsdesastern aller Art.
Innensicht führt zu unrealistischen Idealszenarien
Der Curriculumsexperte hatte davon gesprochen, dass andere für solche Projekte noch etwa sieben Jahre gebraucht hätten. Doch das „waren nur ein paar Fakten über Leute, die wir nicht kannten“, erinnert sich Kahneman. Die Innensicht sah ganz anders aus: Die Teammitglieder stellten sich vor, wie sie selbst das Projekt durchziehen würden. Dabei entsteht regelmäßig ein Idealszenario, in dem alles nach Plan läuft.
Was Kahneman und seine Leute nicht vorhersahen, waren „die Scheidungen, die Krankheiten, die schweren Koordinationskrisen mit der Bürokratie“, die oft jegliche Arbeit monatelang zum Erliegen brachten. Für sich genommen war jede dieser Widrigkeiten nicht vorhersagbar und kam deshalb in der Innensicht auch nicht vor. Aber irgendwelche derartigen Probleme gibt es immer. Sie hatten dafür gesorgt, dass die früheren Teams so lange gebraucht hatten. Und sie sorgten dafür, dass Kahnemans Team das gleiche Schicksal ereilte.
Natürlich bedenken zumindest die professionellen Planer, dass bei jedem Projekt mit unangenehmen Überraschungen zu rechnen ist. Deshalb bauen sie Reserven ein. Doch sie unterschätzen das Ausmaß der Rückschläge, die auf sie warten. Planer Bent Flyvbjerg kommt zum Schluss: „Verglichen mit den tatsächlichen Kostenüberschreitungen, sind die Reservetöpfe klar und eindeutig unzureichend.“ Die Bahn kalkulierte 2009 mit einem Puffer für Unvorhergesehenes von 1,5 Milliarden Euro. Mindestens das Doppelte wäre angebracht gewesen.
Denkfehler 2: Die optimistischen Prognosen
Aber zu ausreichend Vorsicht neigen die Planer von Großprojekten in aller Regel nicht. Sie sind oft Extremoptimisten, und das ist gefährlich. Eine gesunde Portion Optimismus geht in Ordnung, sie macht die eigenen Planungen nicht noch unrealistischer als üblich, wie Fehlplanungsforscher Roger Buehler überrascht herausfand.
Doch Topmanager überschätzen sich oft gnadenlos. So trauen sich die Finanzvorstände großer Firmen präzise Vorhersagen der wichtigsten Aktienkurse zu, so eine Studie der Duke University. Tatsächlich hatten die Geldverantwortlichen nicht die geringste Ahnung, wie die Auswertung ihrer Prognosen ergab.
Die deutsche Ökonomin Ulrike Malmendier, die an der University of California in Berkeley lehrt, hat erforscht, was Manager mit berstendem Selbstvertrauen bei Firmenübernahmen anrichten. Solche Superoptimisten lassen sich gerne in der Wirtschaftspresse feiern und stecken ungewöhnlich viel privates Geld in die Firma, die sie selbst leiten. Sie kaufen weit öfter andere Firmen als bescheidenere Manager, aber mit desaströsen Ergebnissen. Der Aktienkurs ihres Unternehmens fällt im Schnitt um 90 Punkte, sobald sie eine Übernahme ankündigen. Bei anderen Bossen bleibt er konstant.
Große Falle für neue Unternehmer
Auch Unternehmensgründer platzen oft fast vor Optimismus. Er führt dazu, dass sie den Schritt in die Selbständigkeit überhaupt erst wagen. Doch allzu viel bekommt den meisten schlecht, wie eine Untersuchung von Keith Hmielesky von der Texas Christian University zeigt. 179 stolze Gründer einer kleinen Firma füllten Optimismusfragebögen aus. Außerdem eruierte Hmielesky, wie sich die Zahl der Beschäftigten und der Umsatz entwickelten. Beide Erfolgsmaße fielen umso bescheidener aus, je optimistischer das Naturell des Inhabers war.
Das lässt sich erklären: Extreme Optimisten trauen sich zu viel zu und hegen unrealistische Hoffnungen. Wohin sie auch schauen, sehen sie große Chancen und würden am liebsten alles auf einmal anpacken. So verzetteln sie sich. Alarmsignale ignorieren sie dagegen gern.
Denkfehler 3: Der falsche Anker
Doch nicht nur der übertriebene Optimismus von Topmanagern oder Firmengründern kann sich rächen. Es reicht schon, wenn in einer Projektgruppe irgendwo in einer Firma die notwendige Bodenhaftung fehlt. Vor allem in großen Unternehmen werden oft sehr viele Projekte gleichzeitig erdacht, von denen aber nur ein kleiner Teil verwirklicht wird.
Die größten Chancen in der hausinternen Konkurrenz haben die Vorschläge, die auf dem Papier am besten aussehen. Und das sind naturgemäß die, die von den größten Optimisten entworfen wurden und oft am weitesten von der Wirklichkeit entfernt sind. Selbstverständlich werden die kühnen Pläne zumindest bei großen Projekten noch von vielen anderen, womöglich kritischeren Geistern geprüft. Doch wenn erst einmal ein Plan auf dem Tisch liegt und – am Beispiel Stuttgart 21 – besagt, dass der neue Bahnhof für 2,5 Milliarden Euro gebaut werden kann, dann entfaltet diese Zahl ein Eigenleben. Sie dient als sogenannter Anker.
Wie leicht wir uns von Zahlen beeinflussen lassen
Der Ankereffekt ist eine der am besten untersuchten Denktäuschungen – und eine der absurdesten. In einer klassischen Studie von Kahneman sollten die Probanden den Anteil afrikanischer Staaten in der UNO schätzen. Doch vorher wurde mit einem Glücksrad scheinbar zufällig eine Zahl ermittelt. Weil das Glücksrad manipuliert war, kam entweder die 65 oder die 25. So verrückt es klingt: Die offensichtlich beliebige Zahl des Glücksrads beeinflusste die Meinung über die UN-Zusammensetzung. War sie hoch, schätzten die Probanden den afrikanischen Anteil auf 45 Prozent. War sie niedrig, vermuteten sie ihn nur bei 25 Prozent.
Profis lassen sich ebenfalls beeinflussen. In einer Studie sollten Makler den Wert eines zum Verkauf stehenden Hauses schätzen. Sie besichtigten den Bau und studierten eine Beschreibung davon. Sie enthielt auch einen Preis, entweder einen unrealistisch hohen oder einen unrealistisch niedrigeren. Die Makler behaupteten mit professionellem Stolz, sie würden sich ausschließlich auf ihr eigenes Urteil verlassen.
Doch die Auswertung zeigte: Sie ließen sich enorm beeinflussen. Bei großen Projekten geschieht es nicht anders, argumentiert Planungsprofessor Flyvbjerg: „Die erste Schätzung fungiert als Anker für spätere Schätzungen und wird nie ausreichend an die tatsächliche Entwicklung des Projekts angepasst.“
Absichtlich einseitige Vorhersagen
Doch die Planer großer Projekte begehen nicht nur unschuldige Irrtümer. Sie betrügen auch ganz bewusst. Deshalb geht es oft hoch her, wenn eine weitere Expertengruppe die Planungen einer anderen überprüft. „In den Schlammschlachten, die viele Megaprojekte begleiten, fallen Wörter wie ‚Täuschung‘, ‚Manipulation‘ und sogar ‚Lügen‘ und ‚Prostitution‘“, fasst Flyvbjerg die Gepflogenheiten der Branche zusammen.
Wenn es immer mit rechten Dingen zuginge, hätten die Prognosen im Lauf der Zeit verlässlicher werden müssen, weil die verfügbaren Daten nach und nach genauer wurden und die Computer mit besseren Planungsmodellen rechnen. Sie wurden es aber nicht. Die Kostenvorhersagen für Verkehrsprojekte beispielsweise sind innerhalb von sieben Jahrzehnten um keinen Deut besser geworden, stellt Flyvbjerg fest.
Besonders finster steht es um Bahnprojekte. Während die Prognosen im Straßenbau auch oft zu pessimistisch ausfallen, versprechen Bahnplaner in aller Welt das Blaue vom Himmel. Am Ende fahren daher im Schnitt nur halb so viele Reisende mit wie prophezeit. Als Flyvbjergs Team sich bei den Planern nach den Gründen erkundigte, lautete bereits die zweithäufigste Antwort: „absichtlich einseitige Vorhersagen“.
Bei Bahnplanern ist der Druck zu lügen besonders groß, denn in diesem Bereich konkurrieren meist mehr Projekte um knappe Gelder als etwa im Straßenbau. Doch letztlich sind die Gründe für die Manipulationen überall gleich. Die Planer wollen ihre Chefs von ihrem Projekt überzeugen. Die wiederum wollen den Politikern etwas vorschlagen, das möglichst verlockend aussieht. Die Politiker wollen sich gerne mit einem großen Projekt ein Denkmal setzen: Die gerade Regierenden legen vor großem Publikum feierlich den Grundstein. Wenn Jahre später die Kosten explodieren, ist dies das Problem der Nachfolger.
Mit den traditionellen Methoden können und wollen Planer also keine belastbaren Prognosen liefern. Kahneman und Flyvbjerg empfehlen daher eine ganz andere Methode. Statt das neue Projekt pseudogenau durchzurechnen, sollten die Kosten anhand von vergleichbaren Projekten in der Vergangenheit geschätzt werden. Diese Projekte bilden die sogenannte Referenzklasse.
Außensicht hilft bei Einschätzungen
Das klappt im Kleinen. In einer Untersuchung wurden Studienanfänger gefragt, wie ihre Leistungen an der Uni sein würden. Im Schnitt erwarteten die Neulinge, dass sie besser sein würden als die von 84 Prozent ihrer Kommilitonen. Das geht natürlich nicht, es können nicht fast alle besser sein als der Rest. Eine andere Gruppe wurde vorab gebeten, sich die eigenen Zeugnisse und die der anderen in Erinnerung zu rufen. Nun fielen die Erwartungen deutlich realistischer aus.
Die gleiche Grundidee liegt einer Übung zugrunde, die Buehler von einigen Studenten praktizieren ließ. Jeder suchte sich ein Projekt aus, das er innerhalb eines Monats erledigen musste, etwa eine Hausarbeit schreiben oder eine Zimmerwand streichen. Die Teilnehmer mussten sich mindestens eine Minute lang vorstellen, wie sie die Aufgabe bewältigen würden. Dabei sollten sie ihr Vorgehen aber nicht wie durch die eigenen Augen sehen, sondern so, wie jemand anders sie bei der Arbeit beobachten würde, also von außen.
Die Mitglieder der Außensicht-Gruppe konnten anschließend exakt angeben, wie lange sie brauchen würden. Eine Vergleichsgruppe sollte sich das Geschehen dagegen nur aus der eigenen Sicht vorstellen. Diese Gruppe unterlag dem üblichen Prognosefehler: Ihre Mitglieder erwarteten, dass sie zwei Tage früher fertig sein würden, als sie es dann tatsächlich waren.
Die für große Projekte Verantwortlichen können solchen Neuerungen bisher allerdings wenig abgewinnen. Sie sträuben sich meist gegen die Referenzklassenprognose, weil sie ihr Projekt für einzigartig halten. So äußerte sich auch das Bundesverkehrsministerium mit Blick auf Stuttgart 21. Erst jetzt will das Ministerium die Kosten von bereits gebauten Straßen, Bahntrassen und Kanälen erfassen lassen, um neue Planungen daran zu messen.
In anderen Ländern wird die Methode inzwischen erprobt, etwa in Dänemark, den Niederlanden und vor allem in Großbritannien. Wie eine erste Untersuchung der britischen Highways Agency zeigt, kommen auf diese Weise geplante Projekte mit ihrem Budget deutlich besser aus als andere.
Denkfehler 4: Der Effekt der versunkenen Kosten
Allerdings hilft die Referenzklassenprognose allein auch noch nicht, meint Flyvbjerg. Projektverantwortliche müssen realistische Prognosen auch wollen, sonst finden sie immer einen Weg, sie zu verzerren. Deshalb sollte die planende Firma, Stadt oder Bahngesellschaft haften, wenn sie sich verkalkuliert.
Bisher können die Verantwortlichen oft ungerührt ihre Kostenprognose weit hinter sich lassen und die Mehrkosten bei anderen eintreiben. In dieser Tradition versucht die Bahn derzeit, Baden-Württemberg und Stuttgart zur Kasse zu bitten.
Das hilft natürlich alles nichts mehr, wenn Projekte erst einmal so gründlich aus dem Ruder gelaufen sind wie der Berliner Flughafen oder Stuttgart 21. Stattdessen setzt dann ein psychologisches Phänomen ein, das Experten den „Effekt der versunkenen Kosten“ nennen: Wir haben Geld in ein Vorhaben gesteckt, das sich nicht so entwickelt wie erhofft. Deshalb sollte das investierte Geld am besten abgeschrieben werden. Doch das wollen wir uns nicht eingestehen. Dafür gibt es viele Beispiele. So setzen Basketballtrainer teuer eingekaufte Spieler nachweislich auch dann besonders häufig ein, wenn die wenig Körbe werfen.
"Jetzt haben wir schon so viel ausgegeben"
Wer ein Theaterabonnement zum Schnäppchenpreis erstanden hat, geht öfter mal doch nicht hin, etwa weil ein Termin nicht so gut passt. Leute, die den vollen Preis bezahlt haben, hätten natürlich genau so viele gute Gründe, gelegentlich eine Vorstellung zu schwänzen. Das tun sie aber deutlich seltener. Sie haben ja viel Geld bezahlt, und das soll nicht vergeblich gewesen sein. Dabei sollte eigentlich nur noch die momentane Vorliebe zählen, denn das Geld ist sowieso weg – die Euros für die Tickets sind versunkene Kosten.
Bei Milliardenprojekten läuft es nicht anders als bei vergleichsweise spottbilligen Theaterkarten. Die Beteiligten wollen ihr Geld nicht verloren geben. Ein Beispiel lieferte die Volksabstimmung in Baden-Württemberg zu Stuttgart 21. Die Trumpfkarte der Bahnhofsbefürworter waren die angeblichen Milliardenkosten, die im Fall eines Ausstiegs für nichts bezahlt werden müssten, da viele Verträge nun einmal unterschrieben seien.
Die Verantwortlichen, die solche Krisenprojekte beschlossen haben, werden vom „Effekt der versunkenen Kosten“ wohl eher noch mehr heimgesucht. Kahneman legt daher eine Strategie nahe, die viele Firmen bereits praktizieren: Sie tauschen die Verantwortlichen aus.
Die Neuen sind zwar nicht unbedingt fähiger. Aber sie hängen nicht so an dem Problemprojekt, da es nicht auf ihr Konto geht. Nach dieser Logik wäre auch über die Ablösung etlicher Manager und Politiker nachzudenken, die tief in die Debakel um Stuttgart 21 und den Berliner Flughafen verstrickt sind.
Quellen
Daniel Kahneman: Schnelles Denken, langsames Denken. Siedler, München 2012
Roger Buehler, Dale Griffin, Johanna Peetz: The planning fallacy: cognitive, motivational, and social origins. Advances in Experimental Social Psychology, 43, 2010, 1–62
Bent Flyvbjerg: Survival of the unfittest: Why the worst infrastructure gets built – and what we can do about it. Oxford Review of Economic Policy, 25/3, 2009, 344–367
Bent Flyvbjerg, Massimo Garbuio, Dan Lovallo: Delusion and deception in large infrastructure projects: Two models for explaining and preventing executive disaster. California Management Review, 51, 2009, 170–193
Keith Hmieleski, Robert Baron: Entrepreneurs‘ optimism and new venture performance. Academy of Management Journal, 52, 2009, 473–488