"Sie sind mir aufgefallen“, ertönt es an einem Springbrunnen in der Bonner Innenstadt. Die Frau, die gemeint ist, macht dort gerade Rast. Sie hat das graue Haar hochgesteckt, trägt rote Ballerinas, eine rote Ledertasche und um den Hals eine passende Jaspiskette. „Ich finde Sie außerordentlich elegant“, fährt die Stimme fort. Sie gehört Rosa Stark.
Dass sie sich das getraut hat, ist Teil eines Projekts. Die Psychologiestudentin will ein Jahr lang jeden Tag einem Menschen etwas Nettes sagen und dokumentiert…
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Die Psychologiestudentin will ein Jahr lang jeden Tag einem Menschen etwas Nettes sagen und dokumentiert die Begegnungen in ihrem Blog A Compliment A Day. In diesem Jahr kommt sie mit vielen Menschen ins Gespräch, die sie sonst höchstens hastig grüßt – der Cafébetreiberin, dem Taxifahrer oder dem Falafelverkäufer. Der freut sich so sehr, dass er ihr das Essen schenkt.
Was dabei im Hirn passiert
Dieses Projekt ist nun zehn Jahre her. Seitdem hat die Forschung bestätigt: Ein gut formuliertes Kompliment hebt nicht nur die Stimmung des Empfängers und stützt dessen Selbstwert, es stärkt auch soziale Verbindungen. Wer regelmäßig wertschätzende Worte zu hören bekommt, fühlt sich aufgehoben. Die verbale Anerkennung befriedigt das tiefe Bedürfnis dazuzugehören (need to belong).
Was dabei im Gehirn passiert, haben sich Forschende um die Psychologin Monika Eckstein von der Universitätsklinik Heidelberg angeschaut: Für die 2023 erschienene Studie sollten Paare einander schreiben, was sie am anderen mögen – etwa den besonderen Sinn für Humor oder die Leichtigkeit, mit der er oder sie durch das Leben geht. Wie Hirnscans offenbarten, aktivierten die Komplimente das ventrale Striatum, einen dopaminbetriebenen Belohnungsschaltkreis im Vorderhirn. Noch größer als beim Empfangen der lobenden Nachricht war die neuronale Belohnung allerdings in dem Moment, in dem die Teilnehmenden sich etwas Nettes für die andere Person einfallen ließen.
Wie mache ich ein gelungenes Kompliment?
Nur – wie macht man ein gutes Kompliment? Eines das direkt, aber nicht plump, das persönlich, aber nicht übergriffig ist? Adolph Knigge, dem heute der Ruf eines strengen Benimmpapstes anhängt, lehrt in seinem Buch Über den Umgang mit Menschen die Kunst der Zugewandtheit – sich freundlich auf andere einzulassen, ohne die „Eigentümlichkeit des Charakters zu verlieren, noch sich zu niedriger Schmeichelei herabzulassen“. Loben ja, Schleimen nein, hieß es also schon im 18. Jahrhundert.
„Ein gelungenes Kompliment muss ehrlich gemeint sein“, postuliert Birte Steinkamp von der Deutschen Knigge-Gesellschaft. „Es sollte nicht austauschbar sein und es muss um denjenigen gehen, der das Kompliment bekommt.“ Über ein lapidares „Schöner Pulli“ freut man sich nur halb so viel wie über „Die Farbe passt super zu deinen Augen“. „Ein Kompliment ist ein verbales Geschenk“, findet Birte Steinkamp. „Es zeigt, dass jemand sieht, wer ich bin und was ich tue, und ich es ihm wert bin, das zu betonen.“
Erica Boothby von der University of Pennsylvania in Philadelphia und Vanessa Bohns von der Cornell University in Ithaca wollten wissen, warum Menschen oft sparsam mit solchen Geschenken umgehen. Für ein Experiment ihrer 2020 veröffentlichten Studienreihe baten sie 100 Versuchspersonen, einem Fremden ein Kompliment zu machen, etwa: „Ich mag deine Jacke.“ Anschließend sollten die Empfängerinnen und Empfänger des Kompliments angeben, wie geschmeichelt sie sich fühlten. Die Versuchspersonen hatten vorher einen Tipp abgegeben, wie sehr sich die andere Person über ihr Kompliment freuen würde.
Wie sich zeigte, hatten sie dabei systematisch die positive Wirkung ihrer Worte auf das Gegenüber unterschätzt. Offenbar, so die Autorinnen, verkennen wir häufig die Macht, die ein Kompliment haben kann, und zögern deshalb, es auszusprechen. Ein weiterer Versuch der Forscherinnen belegt, dass Menschen nicht nur die positiven Folgen eines Kompliments unterschätzen, sondern sich auch zu sehr vor den negativen fürchten. Viele der Probandinnen und Probanden hatten angenommen, die andere Person würde sich durch ihr Kompliment gestört oder peinlich berührt fühlen – zu Unrecht.
Nicht ohne Hintergedanken
Nicht nur bei Fremden, auch bei Freundinnen sind wir teils unnötig zurückhaltend mit warmen Worten. Oder wann haben Sie zuletzt einem wichtigen Menschen frei heraus gesagt, wie toll er ist? Für Weihnachten suchte Rosa Stark sich keine Fremde für ihr tägliches Kompliment aus, sondern ihre jüngere Schwester Clara. Sie schätze an ihr, dass sie immer ehrlich sage, was sie denke, selbst wenn andere sich dafür von ihr abwenden könnten. Wie sie sich für die Schule anstrenge, ohne schlechte Noten persönlich zu nehmen. Dass sie stark sei, aber nicht hart, sich öffnen und vertrauen könne. Es war Claras schönstes Weihnachtsgeschenk seit langem.
Amit Kumar von der University of Texas in Austin und Nicholas Epley von der University of Chicago Booth School of Business baten Studierende, einer Person, die ihnen nahestand, genau so einen Brief zu schreiben. Darin sollten sie sich aufrichtig bei der Adressatin bedanken – zum Beispiel dafür, dass sie immer für sie da sei, ihnen im entscheidenden Moment den Rücken gestärkt oder mit ihrer ganz besonderen Art ihr Leben zum Positiven verändert habe. Danach sollten die Studierenden angeben, wie es ihnen beim Verfassen ergangen war, und einschätzen, wie sich die Empfängerin beim Lesen fühlen würde. Alle Empfänger wurden kontaktiert und nach ihren Gefühlen beim Erhalt des Briefs gefragt. Den Probandinnen ging es nach dem Versenden des Briefs deutlich besser als zuvor. Dabei war ihnen noch nicht einmal ganz klar, was für eine Freude sie den Empfängern gemacht hatten.
Ein geschicktes Kompliment verfehlt seine Wirkung nicht. Doch Achtung, nicht jedes freundliche Wort kommt ohne Hintergedanken. „Bei Schmeichelei sollte man vorsichtig sein“, rät Rainer Sachse, Professor für klinische Psychologie und Psychotherapie an der Ruhr-Universität Bochum und Leiter des Bochumer Instituts für Psychologische Psychotherapie. Er weiß, wie man falsche Komplimente erkennt: „Wenn Sie plötzlich Dinge tun, die Sie eigentlich gar nicht tun wollten, nur weil Sie sich gebauchpinselt fühlen, wurden Sie wahrscheinlich manipuliert.“ Schmeichelei, so Sachse, sei eine beliebte Taktik und manche Menschen seien besonders empfänglich dafür.
Das Perfide: Oft wirken die honigsüßen Worte sogar dann, wenn wir das Kalkül dahinter wittern. Das belegt eine Studie von Elaine Chan und Jaideep Sengupta, damals beide an der Hong Kong University of Science and Technology. Sie versandten an die Teilnehmenden eine für ein Kaufhaus werbende E-Mail, in der die potenziellen Kundinnen und Kunden für ihren unvergleichlichen Stil und ihr Modebewusstsein gelobt wurden – und schon waren diese gewillter, dort Geld auszugeben. Obwohl die meisten Probanden und Probandinnen die Strategie der Marketingabteilung durchschauten, hatte sich ihre unbewusste Einstellung zu dem Geschäft dank der Umgarnung verbessert.
„Deine tolle Figur“
Manchmal wiederum geht ein Kompliment nach hinten los, selbst wenn es mit den besten Absichten erfolgt. „Gerade wenn man den Körper eines Menschen kommentiert, kann man ins Fettnäpfchen treten“, warnt Birte Steinkamp. „Wow, du hast aber abgenommen!“ ist wenig galant (Vorher war ich dir also zu dick?). Auch ein Lob wie „Heute siehst du aber frisch aus!“ könnten Sensible missverstehen (Sonst nicht oder was?).
Das heiße aber nicht, dass man niemand mehr sagen dürfe, dass er toll aussieht, findet die Benimmexpertin. Ob ein Kompliment angemessen ist oder nicht, komme immer auf den Kontext und auf das Verhältnis zur Person an: Bin ich die Vorgesetzte oder der beste Freund? Sind wir in der Teeküche oder beim Candle-Light-Dinner? „Allgemein gilt die Faustregel: Über alles, was ich nicht anfassen dürfte, sollte ich auch nicht sprechen.“ Im Beruf, wo man besser die Finger voneinander lässt, seien Kommentare zu Äußerlichkeiten besonders heikel. „Am besten verzichtet man darauf“, so Steinkamp. Lob bezieht sich hier besser auf eine Leistung („Ihr Vortrag war genial“), eine Fähigkeit („Du kannst so klar argumentieren“) oder eine Charaktereigenschaft („Du bleibst immer so ruhig, wenn es ein Problem gibt. Das bewundere ich“).
Während Männer häufiger Bewunderung für ihre Talente ernten, bekommen Frauen eher Komplimente für ihr Äußeres. Untersuchungen zeigen, dass sich gerade Frauen, die sehr auf ihren Look achten, oft darüber freuen. Allerdings gibt es auch Hinweise, dass Frauen, sobald sie ein Kompliment für ihr glänzendes Haar oder ihre langen Beine bekommen, ihre Aufmerksamkeit nervöser als zuvor auf ihre Außenwirkung lenken. In einem Versuch litt dadurch sogar kurzfristig ihre Denkkraft.
Was Männer angeht, so sind die Befunde bislang gemischt. In manchen Studien hoben selbst Komplimente mit anzüglichem Touch deren Stimmung, in anderen Untersuchungen war es den männlichen Versuchspersonen eher unangenehm, wenn eine Frau ihnen zu ihrem knackigen Hintern oder ihrem dichten Brusthaar gratulierte.
Ganz ohne Flirt
Forscherinnen um die Sozialpsychologin Rotem Kahalon, damals an der Universität Zürich, veröffentlichten 2020 eine Arbeit zu diesem Thema. Das Team ließ Männer und Frauen gedanklich in verschiedene Rollen schlüpfen. Sie sollten sich zum Beispiel vorstellen, dass eine Person des anderen Geschlechts ihnen sagt: „Du hast wirklich schöne Augen.“ Oder gleich etwas derber: „Dies enge Shirt betont deine tolle Figur.“ Die Szene spielte entweder in einem Park oder im Büro. Die weiblichen Versuchspersonen empfanden Komplimente, die Männer noch als harmlos betrachteten, im Schnitt eher als unangebracht – egal ob im Grünen oder bei der Arbeit.
In einem zweiten Versuch sollten die Teilnehmenden sich vorstellen, die gleiche Szene als Dritte zu beobachten. Wieder sollten sie sagen, wie angemessen sie das Kompliment fanden, diesmal aber auch angeben, wie der Empfänger oder die Empfängerin des Kompliments in der Geschichte auf sie wirkte. Wie sich zeigte, ließ ein anzügliches Kompliment diese fiktive Person in einem schlechteren Licht erscheinen.
Die Probandinnen und Probanden empfanden sie als weniger sympathisch und weniger kompetent – egal ob Frau oder Mann. Offenbar erschien sie ihnen in dem Moment, in dem sie plump auf ihr Äußeres reduziert wurde, eher als Lustobjekt denn als Mensch mit wertvollen Eigenschaften. Die Autorinnen sprechen von einer „sozialen Strafe“ für den Erhalt frivoler Komplimente, der Frauen sich offenbar bewusster sind.
Also ganz aufs Flirten verzichten? „Das wäre zu schade“, meint Birte Steinkamp. „Es ist gut, dass wir heute ein anderes Verständnis für Grenzüberschreitung haben als noch vor MeToo. Wir sollten aber nicht verlernen, zwischen billiger Anmache und freundlichen Komplimenten zu unterscheiden.“ 2017 wollte die Onlinepartnerbörse Parship wissen, über welchen Satz von einer neuen Bekanntschaft sich Frauen am meisten freuen würden. Für 70 Prozent war es: „Du hast eine tolle Ausstrahlung.“ Gut ein Drittel der Befragten würde gern hören, dass sie ein umwerfendes Lächeln haben. Nur zwei Prozent sagten: „Ich mag überhaupt keine Komplimente.“
Verbales Geschenk annehmen
Auch ein Kompliment anzunehmen ist eine Kunst für sich. Oft ist der erste Reflex, es runterzuspielen („Ach, das alte Ding. Das habe ich vor Jahren im sale gekauft“) oder mit einem Gegenkompliment hastig von sich abzulenken („Du bist doch auch total kreativ“). Manchmal wird das Kompliment mit der passenden Handbewegung gleich vom Tisch gewischt. „Damit lehnen Sie das verbale Geschenk ab, das jemand Ihnen macht, und nehmen auch Ihrem Gegenüber die Freude daran“, sagt Steinkamp.
Manchmal steckt Unsicherheit dahinter – man findet sich vielleicht gerade gar nicht so schön in dem Pullover oder kann selbst nur schwer anerkennen, dass man einen guten Einfall hatte. „Die meisten stehen eben nicht gern im Rampenlicht, und ein Kompliment anzunehmen ist wie eine kleine Verbeugung.“ Dabei reicht ein freundliches „Dankeschön, wie nett von dir“.
Die Menschen, denen Rosa Stark während ihres Projektjahrs ein Kompliment machte, waren oft erst verdutzt, brauchten einen Moment, um sich darauf einzulassen. So auch Gretel, Kassiererin in einem Discounter, in dem Stark manchmal einkaufte. Sie sagte ihr, wie freundlich sie jeden behandle, wie nett es sei, dass sie die Einkäufe schon mal für ihre Kunden in eine Tasche packe, während die noch nach der Kreditkarte suchten. „Danke für Ihre tolle Art.“ Gretel bedankte sich – etwas nüchtern, wie Rosa zuerst glaubte. Erst auf den zweiten Blick entdeckte sie zwei feuchte Augen.
Quellen
Elaine Chan, Jaideep Sengupta: Insincere flattery actually works: A dual attitudes perspective. Journal of Marketing Research, 47/1, 2010, 122-133
Kumar, Amit, Nicholas Epley: Undervaluing gratitude: Expressers misunderstand the consequences of showing appreciation. Psychological science 29/9, 2018, 1423-1435
Monika Eckstein u.a.: Neural responses to instructed positive couple interaction: an fMRI study on compliment sharing. Social Cognitive and Affective Neuroscience, 18/1, 2023
Rotem Kahalon u.a.: Appearance comments presented as compliments at work: How are they perceived by targets and observers in and outside of workplace settings?. Journal of Applied Social Psychology, 52/8, 2022, 751-762
Tamar Saguy u.a.: Interacting like a body: Objectification can lead women to narrow their presence in social interactions. Psychological Science, 21/2, 2010, 178-182