Beziehungen mit narzisstisch gestörten Menschen bringen in der Regel eine große Last mit sich. Ich will Sie dafür sensibilisieren, was Sie als Angehöriger oder Freund und Freundin eines Menschen, der unter dieser Störung leidet, erleben können. Und ihnen dazu verhelfen, konstruktiv mit dieser Person umzugehen – ohne selbst Schaden zu nehmen.
Es ist nie genug
Uns allen tut es gut, wenn unsere Leistungen anerkannt werden und wir bei einem Fehler keine vernichtende Kritik zu erwarten haben. Für etwas,…
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vernichtende Kritik zu erwarten haben. Für etwas, das uns gelungen ist, möchten wir gerne gelobt werden. Bei Menschen mit einer narzisstischen Störung nimmt dieses Bedürfnis nach Lob und Bestätigung aber mitunter groteske Züge an. Sie saugen gierig jede Bestätigung auf und bestehen mitunter geradezu darauf, von den Menschen ihres beruflichen wie auch des privaten Umfelds eine positive Rückmeldung zu erhalten.
Solche Narzissten sind oft nicht nur wegen ihrer Unersättlichkeit bezüglich Lob und Bestätigung für ihre Angehörigen und Freunde äußerst anstrengend, sondern auch wegen ihrer extremen Kränkbarkeit. Vielleicht haben Sie als Freundin oder Bruder eines solchen Menschen auch das Gefühl, es ihm nie recht machen zu können. Der narzisstische Mensch ist ein Fass ohne Boden, in das Sie so viel Bestätigung füllen können, wie Sie wollen. Es wird nie genug sein.
Andererseits kann es Ihnen aber passieren, dass Sie Ziel des Vorwurfs werden, Sie nähmen den Freund oder Angehörigen nicht ernst und würden ihn sogar noch dadurch kränken, dass Sie etwas als lobenswert ansähen, was der Betreffende selbst als nicht der Erwähnung wert empfindet. Einmal ist die Bestätigung, die Sie Ihrem Angehörigen geben, nicht genug. Ein anderes Mal ist es der falsche Anlass, den Sie lobend erwähnen. Sie treten bei einem solchen Menschen immer ins „Fettnäpfchen“.
Was bringt einen Menschen dazu, sich so zu verhalten? Dem extremen Leistungsehrgeiz und der unersättlichen Gier nach Lob und Bestätigung, wie wir sie bei Narzissten finden, liegt eine tiefe Verunsicherung zugrunde. Sie präsentieren sich mitunter zwar als arrogant, sind sich aber im Inneren ihrer Leistungen nicht sicher. Sie empfinden sich im Kern ihrer Persönlichkeit als Versager und stellen sich permanent infrage. Ihre extreme Abhängigkeit vom Lob, das ihnen andere Menschen geben sollen, und ihre permanente Suche nach Bestätigung stellen verzweifelte Versuche dar, die selbstentwertenden Stimmen im eigenen Innern zum Schweigen zu bringen.
Was Sie tun können
- Seien Sie darauf vorbereitet, dass der Narzisst auf einen entsprechenden Hinweis von Ihnen unter Umständen aggressiv reagieren wird.
- Auch wenn Ihnen klar ist, dass die Unersättlichkeit Ihres Angehörigen, Lob und Bestätigung zu erhalten, Ausdruck seiner Selbstwertstörung ist, kann sein Verhalten bei Ihnen Ärger und Aggression auslösen. Machen Sie sich keine Vorwürfe wegen solcher Gefühle. Sie sind völlig verständlich.
- Schützen Sie sich vor Verletzungen, die Ihnen Ihr narzisstischer Angehöriger in Gesprächen über seine Gier nach Lob und Bestätigung zufügt, indem Sie ihm in taktvoller, aber klarer Weise eine Rückmeldung geben, wie sein Verhalten bei Ihnen ankommt. Notfalls brechen Sie die Beziehung zu ihm ab – zumindest für einige Zeit.
- Sprechen Sie mit Ihnen nahestehenden Menschen oder professionellen Helfern, um Ihre Situation zu klären.
Sucht nach Bestätigung
Menschen mit einer narzisstischen Störung können ihre Mitmenschen total verwirren, indem sie den Anschein erwecken, als empfänden sie starke – echte – Liebesgefühle für ihr Gegenüber. Tatsächlich aber geht es ihnen nur darum, Macht auszuüben. Sie präsentieren sich verführerisch und exhibitionistisch, lassen sich aber nicht auf tiefe Beziehungen ein.
Charakteristisch für narzisstische Männer ist, dass sie ihr Selbstwertgefühl dadurch zu stützen versuchen, dass sie sich als unwiderstehliche Liebhaber inszenieren.
Dieser Narzisst ist alles andere als ein reifer Mann, der sich mit Respekt und Einfühlung einer Frau nähert. Er verfügt zwar über Einfühlungsfähigkeit, er nutzt seine Empathie aber ausschließlich dazu, zu erspüren, auf welche Weise Frauen zu gewinnen sind und wie er sie immer tiefer in sein Netz locken kann. Die Gefühle und Wünsche der jeweiligen Frau sind ihm völlig gleichgültig.
Der große Reiz liegt für einen narzisstischen Mann nicht im sexuellen Akt selbst, sondern vor allem im „Vorspiel“. Dadurch sucht er sich zu bestätigen, dass er mächtig und unabhängig ist. Nur hält dieses Erleben nicht lange vor, und er muss von neuem eine Frau für sich zu gewinnen versuchen und verführen. Auf diese Weise wird er zum ewigen Eroberer, der aber immer unzufrieden zurückbleibt. Denn die Kette von immer neuen Eroberungen vermag letztlich nicht die tief in ihm liegenden Selbstwertzweifel und sein Gefühl der eigenen Wertlosigkeit zu beseitigen.
Was Sie tun können
- Machen Sie sich keine Vorwürfe und belasten Sie sich nicht mit Schuldgefühlen, wenn Sie der Verführung eines narzisstischen Menschen erliegen. Er geht auf eine so raffinierte Art vor, dass eine kritische Haltung ihm gegenüber oft erst im Nachhinein möglich ist.
- Wenn Sie in einer Beziehung zu einem solchen Partner leben und spüren, dass er mit Ihren Gefühlen spielt und Sie ausnutzt, sprechen Sie unbedingt mit einer Person Ihres Vertrauens.
- Nehmen Sie möglichst eine Person Ihres Vertrauens mit zu einem Gespräch, in dem Sie dem narzisstischen Partner klarmachen wollen, dass Sie sich von ihm distanzieren werden. Dann sind Sie eher geschützt, seinen erneuten Versuchen nachzugeben, Sie mit Schmeicheleien und Erpressungen wiederzugewinnen.
- Zögern Sie auch nicht, fachliche Hilfe zu suchen, um Ihre eigenen in solchen Beziehungen oft verwirrten und widersprüchlichen Gefühle zu klären und Strategien zu erarbeiten, die Ihnen helfen, sich zu distanzieren.
Mitunter kann Ihr Entschluss, sich von einem narzisstischen Partner zu trennen, bei ihm eine heilsame Erschütterung auslösen. Dies kommt vor allem bei Narzissten im mittleren Lebensalter vor, die spüren, dass ihr bisheriges Lebens- und Beziehungsmuster sie leer und selbstunsicher zurückgelassen hat. Dieses Erleben kann zur Bereitschaft führen, in einer intensiven Psychotherapie an sich zu arbeiten und dadurch konstruktive Wege zur Stabilisierung seines Selbstwerts zu finden.
Streben nach Macht
Wie aus den bisherigen Ausführungen hervorgeht, besteht der Kern einer narzisstischen Problematik aus der schwerwiegenden Selbstwertstörung. Situationen, die narzisstische Menschen mit dem eigenen Unvermögen und der eigenen Ohnmacht konfrontieren, werden unter allen Umständen vermieden.
Ein Mittel, dies zu erreichen, ist die Ausübung von Macht. Obwohl dadurch das tief in ihrem Innern bestehende Gefühl der eigenen Unzulänglichkeit und Wertlosigkeit letztlich nicht zu beseitigen ist, kann sich der Mensch mit einer narzisstischen Störung durch Machtdemonstrationen doch immer wieder – wenigstens für kurze Zeit – über seine Selbstwertzweifel hinwegtäuschen, indem er sich als der Mächtige, andere Menschen Beherrschende erlebt.
Wenn er über eine hohe Intelligenz und gute soziale Kompetenzen verfügt, kann er hohe Ämter im politischen Bereich bekleiden und bis in die Chefetage internationaler Konzerne und Banken aufsteigen und hat hier die Möglichkeit, seine Selbstwertprobleme zumindest über längere Zeit durch die Entfaltung von Macht erfolgreich zu kompensieren. Mit ihrem beruflichen Aufstieg suchen sich Narzissten zu bestätigen, dass sie nicht die Versager sind, die sie zu sein meinen.
Doch lassen sich die Selbstwertzweifel auf diese Weise letztlich nicht beseitigen. Ein Narzisst erhält von den Menschen in seiner Umgebung nämlich gerade das nicht, was er sich seit der Kindheit sehnlichst wünscht: Liebe und bedingungslose Akzeptanz. Durch sein extremes Streben nach Macht und seine rücksichtslosen Machtdemonstrationen vertreibt er die anderen Menschen. Sie lieben ihn nicht, sondern fürchten ihn und gehen auf Distanz zu ihm.
Emotionale Bindungen und Einfühlung in andere Menschen sind Dimensionen, die Narzissten letztlich nicht oder nur ansatzweise kennen. Vielfach sind sie, vor allem wenn sie beruflich erfolgreich sind, wie gut funktionierende Maschinen und empfinden über weite Strecken ihres Lebens hin gar nicht, wie einsam sie eigentlich sind.
Erst auf dem Zenit ihres Erfolgs, wenn es nicht mehr weiter „nach oben“ geht, kommt unter Umständen der Moment, in dem Narzissten spüren, wie leer und hohl ihr Leben eigentlich ist. Auf Dauer lässt sich die Einsicht, in einem goldenen Käfig zu sitzen und darin trotz materiellen Überflusses und beruflicher Erfolge zu verhungern, nicht mehr durch Leistungen und Machtdemonstrationen übertünchen. Dies sind Momente, in denen ein Suizid erfolgen kann, der für die Umgebung völlig überraschend kommt.
Was Sie tun können
- Prüfen Sie aufrichtig, ob Sie von einem narzisstischen Charismatiker abhängig geworden sind, weil Sie durch die Beziehung zu ihm eigene Selbstwertlücken auffüllen möchten. Wenn dies der Fall ist, ist es eventuell ratsam, therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen, um sich aus dieser destruktiven Beziehungsdynamik zu befreien.
- Prüfen Sie auch, ob Sie aus finanziellen Gründen Mitarbeiterin oder Mitarbeiter eines Chefs mit narzisstischer Störung bleiben und ob das Leiden unter einem solchen Vorgesetzten das Geld wert ist.
Eigentlich genial
Menschen mit einer ausgeprägten narzisstischen Störung fallen häufig negativ auf und können für Angehörige und Freunde zu einer großen Belastung werden. Aber in Wirtschaft, Politik, im Wissenschafts- und Kunstbetrieb wäre vieles nicht möglich, wenn es keine Narzissten gäbe.
Mit ihrem Ehrgeiz und dem Wunsch, unter allen Umständen „nach oben“ zu kommen, erreichen sie vieles, was andere Menschen nicht zu erreichen vermögen. Dafür werden narzisstische Menschen ja auch oft bewundert. Der Preis für diese Erfolge ist zweifellos hoch und geht häufig auf Kosten von Angehörigen und Mitarbeitenden, aber auch auf Kosten der persönlichen Entwicklung und der sozialen Beziehungen einer solchen Person selbst.
Ein weiteres Merkmal narzisstischer Menschen ist, dass sie Farbe in unsere graue Alltagswelt bringen. Durch ihre Tendenz, sich darzustellen und möglichst viel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, sowie durch ihre Neigung, sich um jeden Preis von dem ihnen verhassten „Mittelmaß“ abzuheben, fallen sie bei einem sozialen Anlass oder allgemein im öffentlichen Leben oft wie Farbtupfer in einem sonst eher farblosen Bild auf.
Der alleinige Blick auf die Pathologie und die Defizite, die bei einem narzisstischen Menschen im Vordergrund stehen, wird ihm nicht gerecht. Zu einer realistischen Sicht auf solche Männer und Frauen gehört auch die Würdigung ihrer Ressourcen, ihrer speziellen Begabungen und ihrer sozialen Kompetenz.
Die Fähigkeit, die narzisstische Menschen in besonderer Weise auszeichnet, ist die Gabe, selbst großen Misserfolgen und tiefen Kränkungen noch etwas Positives abzugewinnen und solche Situationen sogar als Triumph und mit dem Gefühl der Überlegenheit zu erleben. Dies ermöglicht es ihnen, unter misslichen Bedingungen zu überleben. In dieser Hinsicht verdienen Narzissten durchaus unseren Respekt.
Dr. Udo Rauchfleisch, Professor für klinische Psychologie, ist Psychoanalytiker und Psychotherapeut in eigener Praxis in Basel. Zahlreiche Veröffentlichungen, darunter: L(i)eben mit Borderline. Ein Ratgeber für Angehörige (Patmos 2015). Dieser Text ist ein Vorabdruck aus dem aktuellen Buch von Udo Rauchfleisch: Narzissten sind auch nur Menschen. Wie wir mit Ihnen klarkommen. Ein Ratgeber (Patmos 2017).