Reparieren – ein Akt der Fürsorge

Reparieren kostet Zeit und Geduld. Doch wer sich die Mühe macht, lernt nicht nur etwas über das Objekt, sondern auch über Beziehungen und sich selbst.

Die Illustration zeigt eine Frau, die an einem Tisch sitzt und etwas repariert, dahinter ist ein Rad an der Wand
Etwas geht kaputt, wir kaufen es neu. Dabei können wir beim Reparieren einiges lernen – auch über uns selbst. © Sabine Kranz für Psychologie Heute

Das Haus, in dem wir seit ein paar Wochen leben, steht sehr abgelegen. Der nächste Nachbar ist kilometerweit entfernt, zur nächsten Stadt mit Supermärkten und Tankstellen sind es anderthalb Stunden mit dem Auto. Es ist kein Ort, an dem man eine Panne haben möchte.

Ich bin allein unterwegs, als nach einigen Kilometern plötzlich ein Warnsignal auf dem Armaturenbrett aufleuchtet. Das Öl. Mir fällt ein, dass mein Mann eine Reserveflasche im Kofferraum verstaut hat. Als ich aussteige, stoße ich auf das nächste…

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dass mein Mann eine Reserveflasche im Kofferraum verstaut hat. Als ich aussteige, stoße ich auf das nächste Problem: Die Motorhaube klemmt, ich kann sie beim besten Willen nicht öffnen. Kurz überlege ich, das Risiko einzugehen und zur Tankstelle zu fahren, wo es einen Mechaniker gibt. Den Gedanken verwerfe ich schnell wieder. Stattdessen entscheide ich mich für das kleinere Übel: Ich fahre sehr langsam zurück zum Haus. Unterwegs halte ich den Atem an.

Die Variante „Warnzeichen ignorieren“ hat in meinem Leben schon genug Schaden angerichtet. Sei es an Gegenständen, Beziehungen oder an meiner Psyche und meinem Körper. Ich habe Probleme verdrängt und verleugnet, bis gar nichts mehr ging. Die Folgen waren Magersucht, Burnout und nicht weniger als fünf verschrottete Autos. Jetzt leuchtet mir das Warnzeichen mit der gelben Ölkanne von Auto Nummer sechs entgegen und ich denke an diesen Verschleiß zurück. Das Muster war immer dasselbe: Beim Gebrauchtwagenhändler das billigste Modell kaufen, bis zum Totalschaden fahren, Abschied auf dem Schrottplatz. Und wieder von vorne.

Dieses Ex-und-hopp-Prinzip beschreibt auch der Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer in seinem Buch Die Kunst der Reparatur. „Mit der Massenproduktion im Industriezeitalter hat eine seelische Deformation begonnen“, meint Schmidbauer. Menschen und Waren würden „austauschbare Glieder einer Produktionskette“, der persönliche Bezug gehe ebenso verloren wie die Würde. Damit beginnt ein Teufelskreis: Je weniger Bindung wir zu unseren Gegenständen entwickeln, desto schneller werden sie ersetzt. Schmidbauer ist überzeugt, dass diese Haltung auf sämtliche Lebensbereiche ausstrahlt. Einen Ausweg sieht er im Reparieren.

Der emotionale Wert unserer Dinge

Damit scheint Schmidbauer einen Nerv zu treffen. Das Thema Reparieren hat in den letzten Jahren den Weg aus den Hobbykellern in den öffentlichen Raum gefunden. Bereits 2009 entstanden in den Niederlanden die ersten Repair-Cafés, in denen Besucher ihre defekten Geräte wieder in Gang setzen können. Inzwischen hat sich das Konzept in Dutzenden Industrieländern etabliert. Allein in Deutschland gibt es mehr als 1200 Repair-Cafés. Weltweit werden zudem die Rufe lauter, die sich gegen die „geplante Obsoleszenz“, also gegen den von Herstellern geplanten vorzeitigen Verfall von Geräten wenden und ein „Recht auf Reparatur“ fordern. Das Europäische Parlament hat im Frühjahr 2024 eine entsprechende Richtlinie verabschiedet. Beiträge über das Reparieren und Do-it-yourself-Ideen werden in den sozialen Medien zum Teil millionenfach angeklickt.

Dabei spricht heute nicht mehr viel für die Reparatur: Sie kostet Zeit, Mühe und Geduld und bietet keine Garantie auf Erfolg. Dass diese Auffassung weit verbreitet ist, zeigt zum Beispiel eine Studie im Auftrag des Spezialversicherers Wertgarantie. Für drei Viertel der mehr als 5000 Teilnehmenden kam eine Reparatur ihres defekten Geräts nicht infrage. Entweder weil es ihrer Meinung nach zu alt war (rund 40 Prozent) oder weil die Befragten das gleiche Gerät lieber neu kauften (35 Prozent).

Auf der Nutzenseite stehen dagegen Werte, die sich nur schwer quantifizieren lassen. Einige sind moralischer Natur: Reparieren schont knappe Ressourcen, entlastet die Umwelt, ist nachhaltiger als Wegwerfen. Außerdem sind da die Kompetenzen, die wir beim Tüfteln erwerben, und schließlich der emotionale Wert, den Gegenstände für uns haben können – und der steigen kann, wenn wir in ihre Pflege investieren.

„Die Geschichte der Menschheit ist auch eine Geschichte der Entfremdung von den Dingen“, sagt Wolfgang Heckl, Generaldirektor des Deutschen Museums in München und Autor des Buches Die Kultur der Reparatur. In früheren Jahrhunderten hätten die Menschen weitgehend selbst für sich und ihren Haushalt sorgen können. Wenn zum Beispiel ein Axtstiel zerbrach, schnitzte man sich einen neuen. „Heute wird anders erzogen“, sagt Heckl. „Ich darf nichts mehr, ich kann nichts mehr, ich soll nur noch konsumieren und bezahlen.“ Reparieren sei eine Möglichkeit, aus dieser erlernten Hilflosigkeit herauszukommen, hin zu mehr Autonomie. Zugleich sei es eine Form des Widerstands gegen eine Welt des immer schnelleren Konsums und der immer kleineren Aufmerksamkeitsspannen. Oder, wie Heckl es ausdrückt: „Reparieren ist das Gegenteil von schnell geschnittenen Filmen und der TikTok-Gesellschaft.“

Vor mir öffnet sich eine Welt

Andere machen Yoga oder meditieren, um Geist und Körper zu entspannen, Heckl repariert. Samstage verbringt der Physiker am liebsten mit seinem besten Freund und einer Flasche Rotwein in seiner Werkstatt. „Es ist ein langsamer, angenehmer, nicht hektischer Prozess“, sagt er. Man müsse sich die Zeit nehmen, den Gegenstand zu erforschen und zu verstehen: Wie funktioniert es normalerweise? Was ist nun anders? Wie kann das Problem behoben werden? „Und wenn man etwas falsch gemacht hat“, sagt Heckl, „dann setzt man sich wieder hin, nippt am Wein und durchläuft einen weiteren Iterationszyklus – bis man alles verstanden hat: die Logik, die Ursache, die Wirkung.“

Zurück beim Haus schlage ich zum ersten Mal das Handbuch des Autos auf. Ich werde nicht schlauer. Also setze ich mich an den Computer und entdecke kurz darauf eine mir völlig neue Seite des Internets: Reparaturvideos auf YouTube. Es scheint nichts zu geben, für das es keine Onlineanleitung zur Selbsthilfe gibt. Erleichtert stelle ich fest, dass ich kein Einzelfall bin: Mehr als 400000-mal wurde das Video „Wie öffne ich eine klemmende Motorhaube“ angeklickt, das auch ich mir jetzt anschaue. Zum ersten Mal sehe und verstehe ich die feine Mechanik, die sich unter der Karosserie verbirgt.

In den darauffolgenden Stunden probiere ich alle „Hacks“ aus, die mir der sympathische Automechaniker Eric im Video erklärt. Nichts funktioniert. Zwischendurch gebe ich auf, arbeite an einem Text, bis ich einen Geistesblitz habe: Mir wird klar, dass ich zum Öffnen ein Gegengewicht brauche. Ich hole eine 8-Kilo-Hantel und lege sie vorsichtig auf die Motorhaube. Dann drücke ich mit einer Hand von unten den Hebel, während ich mit der anderen das Gewicht langsam anhebe. Und siehe da: Die Motorhaube öffnet sich. Vor mir breitet sich das Innenleben unseres Autos aus und in mir ein Gefühl von Stolz und Triumph. Ich bin zufrieden mit mir und der Welt. Warum habe ich mich all die Jahre geweigert, mich mit Warnlampen und den Grundlagen der Autowartung zu beschäftigen? Woher kam dieser Widerstand? War es Bequemlichkeit? Angst? Ignoranz?

Wir folgen dem Alles-oder-nichts-Prinzip

Die Soziologin Melanie Jaeger-Erben hat in einem Bürgerforschungsprojekt die Welt der Laienreparatur untersucht. Sie und weitere Forschende arbeiteten mit Akteuren und Akteurinnen der Repair- und Do-it-yourself-Bewegung zusammen, um Antworten zu finden auf Fragen wie etwa: Wie werden Reparaturen in den Alltag integriert? Kann Reparieren und Selbermachen unsere Beziehung zu anderen verändern, vielleicht sogar zur Welt? „Unser Alltag hängt davon ab, dass alles um uns herum funktioniert“, sagt Jaeger-Erben. Der Soziologin zufolge verschließen wir oft die Augen davor, wie zerbrechlich dieses Konstrukt ist. Beim Reparieren werde das besonders deutlich. „Es ist ein Prozess, bei dem die Fragilität allen Seins sichtbar wird.“

Auch Schmidbauer beleuchtet diesen Aspekt. Wenn etwas defekt ist, dann erinnere uns das an „eigene Behinderung, an Angst, Unvollkommenheit, Kontrollverlust“. Die Konsumgesellschaft befreie uns von dem Zwang, uns mit Defekten auseinanderzusetzen. Wir vermeiden die damit verbundenen unangenehmen Gefühle. Das führt zu tiefgreifenderen Fragen: Wenn wir so gnadenlos mit Dingen umgehen, tun wir das dann auch mit unseren Mitmenschen und unserer Umwelt? Mit uns selbst? Wie oft beenden wir Beziehungen, sobald es knirscht? Wie viel Platz lassen wir in unserer Gesellschaft dem Unvollkommenen, den Falten, der Schwäche und Krankheit?

Denn offenbar kommen wir auch mit unseren eigenen Abnutzungserscheinungen immer schlechter zurecht. Das legt beispielsweise die zunehmende Zahl an Schönheitsoperationen nahe. Im Jahr 2023 wurden global fast 35 Millionen Schönheitseingriffe durchgeführt. Mehr als je zuvor.

Für Gegenstände gilt: Was nicht mehr optimal funktioniert, wird entsorgt. Die Menge an Elektroschrott nimmt stetig zu. Im Jahr 2021 landeten in der Europäischen Union 4,9 Millionen Tonnen Altgeräte auf dem Müll, von der Waschmaschine bis zum Smartphone. Das sind rund zwei Drittel mehr als noch im Jahr 2012. Die ständige Verfügbarkeit von Ersatzwaren und die Reparaturmonopole vieler Hersteller sind nur zwei Gründe dafür. Schmidbauer geht als Psychoanalytiker noch einen Schritt weiter. Das Problem sei die destruktive Seite des Perfektionismus. Wer die Welt durch die perfektionistische Brille betrachte, folge dem Alles-oder-nichts-Prinzip: Etwas ist gut oder es ist mangelhaft. Gut genug sei keine Option, erläutert Schmidbauer. „Meine Eltern haben Fehler gemacht – also breche ich mit ihnen! Mein Partner gibt seine Stammtischfreunde nicht auf – also trenne ich mich! Mein Chef hat mir die Gehaltserhöhung verweigert – ich kündige.“

Beim Reparieren dagegen können wir laut Schmidbauer lernen, reif mit Unvollkommenheiten umzugehen. Vielleicht sogar liebevoll. Die Soziologin Jaeger-Erben spricht metaphorisch von einem Prozess des „Sich-gegenseitig-Öffnens“: „Auf der einen Seite ist da das Material, an das man Hand anlegt: Man löst Nähte oder schraubt Plastikabdeckungen ab. Man zerlegt den Gegenstand, um in sein Inneres zu schauen und seine Schwachstellen zu finden.“ Gleichzeitig offenbart man die eigenen Grenzen, was etwa Durchhaltevermögen, Energie und Kompetenz betrifft. „Man macht sich verletzlich und lässt sich auf einen Prozess ein, der immer auch scheitern kann“, sagt Jaeger-Erben. In Repair-Cafés hat sie beobachtet, dass das Ergebnis oft in den Hintergrund rückt, wenn sich Menschen dem Gegenstand erst einmal zuwenden. „Allein das Gefühl, es zumindest versucht zu haben, kann sehr befriedigend sein.“ Worum es letztlich geht, ist der Akt der Fürsorge – für den defekten Gegenstand und damit auch für uns selbst.

Ein Feuer entfachen – erstaunlich befriedigend

Ich denke an meine ersten fünf Autos zurück. Immer wieder habe ich mich für Schrottkarren entschieden. Langsam wird mir klar, warum: Ich hätte mir gar nicht zugetraut, mich um ein besseres Modell zu kümmern. Erst mein Mann konnte mich überzeugen, Verantwortung zu übernehmen. Gemeinsam haben wir in ein zuverlässiges, robustes Auto investiert. Nachdem ich allein Öl nachgefüllt habe, nehme ich mir vor, von jetzt an besser auf das gute Stück aufzupassen. Und wie wäre es, wenn ich mich allgemein mehr um mich selbst und meine Sachen kümmern würde – aus Wertschätzung und aus Freude an der Fürsorge?

Als es am Abend kühl wird, fällt mein Blick auf den alten Kamin im Haus. Bisher habe ich ihn ignoriert. Warum eigentlich? Beflügelt von meinem Erfolg mit der Motorhaube, hole ich Holz von draußen und entfache mit alten Zeitungen, Streichhölzern und viel Geduld ein Feuer. Wieder etwas, das ich noch nie selbst gemacht habe. Wieder etwas, das erstaunlich befriedigend ist.

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Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 3/2025: Ich entscheide, was ich fühle