Als der Zug durch die Nacht fuhr, hatte die Psychologin Cassie Holmes ihre Stirn erschöpft an die Fensterscheibe gelehnt und sah Häuser und Bäume schemenhaft vorüberziehen. Sie dachte daran, ihre Karriere hinzuwerfen und mit Mann und Kind auf eine ruhige und sonnige Insel zu ziehen, wie sie in ihrem Buch Happier Hour erzählt.
Nie reichte die Zeit, alles zu erledigen, und das auch noch gut. Sie stand bei Tagesanbruch auf, ging schnell joggen, kuschelte zu Hause ein wenig mit ihrem Vierjährigen und hastete…
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bei Tagesanbruch auf, ging schnell joggen, kuschelte zu Hause ein wenig mit ihrem Vierjährigen und hastete zur Wharton School der University of Pennsylvania, ihrer damaligen Hochschule. Dort hatte sie als Professorin zwischen Seminaren und Sitzungen noch jede Menge Schreibarbeit zu erledigen. Dann eilte sie heim, um pünktlich um sechs das Kindermädchen abzulösen.
Doch sie konnte sich dem Kleinen nicht in Ruhe widmen, weil sie die Einkäufe auspacken, kochen und aufräumen musste. Sie brauchte einfach mehr Zeit. Nicht um sich mehr aufhalsen zu können, sondern um es ruhiger angehen zu lassen und die Stunden tatsächlich zu genießen.
Es liegt eine gewisse Ironie darin, dass Cassie Holmes alles zu viel wurde. Denn der kluge Umgang mit der eigenen Zeit ist ihr Forschungsgebiet. Sie hat darüber viele Studien veröffentlicht, etliche in führenden psychologischen Fachzeitschriften, oft noch unter ihrem früheren Namen Cassie Mogilner. Nun beschloss sie, die Erkenntnisse all dieser Untersuchungen endlich für ihr eigenes Leben zu nutzen.
Zeitarmut schadet der Gesundheit
Offensichtlich litt sie an Zeitarmut – dem Gefühl, nicht genug Zeit zu haben. Das geht weltweit vielen Menschen so, wie Umfragen immer wieder bestätigen. Um bloß keine Zeit zu verschwenden, schauen sich manche Videos mit erhöhter Geschwindigkeit an oder hören Podcasts im Schnelldurchgang. Gehetzte Eltern lesen ihren Kindern Gutenachtgeschichten vor, die garantiert nur drei oder fünf Minuten dauern, so versprechen es schon die Buchtitel.
Zeitarmut sorgt dafür, dass Menschen sich wenig sportlich betätigen, was der Gesundheit schadet. Zumindest subjektiv bleiben ihnen nicht genügend Stunden, um frisch zu kochen, genug zu schlafen oder notfalls ärztliche Hilfe zu suchen. Übergewicht, Bluthochdruck und ein insgesamt schlechter Gesundheitszustand sind die Folgen. Und es ist ein Teufelskreis – je tiefer man in der Zeitfalle steckt, desto schwerer fällt es, den Ausgang zu erkennen: Schon der Gedanke an Fastfood lässt einen Musik und Natur weniger genießen, wie ein Team um den kanadischen Verhaltenswissenschaftler Julian House in mehreren Studien zeigte.
Die Folgen der eigenen Gehetztheit bekommen auch andere zu spüren. Für eine berühmt gewordene Studie schickte der Psychologe John Darley Theologiestudierende über den Campus in ein anderes Gebäude der Universität Princeton. Unterwegs begegneten sie einem anscheinend Hilflosen, der mit geschlossenen Augen regungslos in einem Hauseingang kauerte. 63 Prozent boten ihm Hilfe an, wenn ihnen vorher gesagt worden war, dass es bei ihrer Ankunft nicht auf die Minute ankomme. Doch wenn sie unter Zeitdruck gesetzt wurden, wollten nur zehn Prozent helfen. Dabei sollte ein Teil der Probanden am Ziel ausgerechnet eine kleine Rede über das biblische Gleichnis vom barmherzigen Samariter halten.


Die Mußemomente zusammenzählen
Doch wie viel freie Zeit brauchen wir, um glücklich zu sein? Um das herauszufinden, werteten Cassie Holmes und zwei Mitforschende die Daten einer großen US-Umfrage unter fast 22000 Amerikanerinnen und Amerikanern aus. Das Team zählte zusammen, wie viel Zeit die Befragten mit Freizeitaktivitäten verbrachten – ob sie nun fernsahen, das Kino oder Ausstellungen besuchten, Sport trieben, im Freundeskreis oder mit der Familie zusammensaßen oder Sex hatten. Außerdem wurde erhoben, wie wohl sich die Teilnehmenden in ihrem Leben fühlten.
Ergebnis: Wer weniger als zwei Stunden Zeit für frei gewählte Aktivitäten am Tag hat, findet sein Leben normalerweise nicht besonders glücklich. Am besten geht es denen, die zwischen zwei und fünf Stunden täglich machen können, was sie wollen. Dabei spielt es keine Rolle, ob es eher zwei oder eher fünf Stunden sind – viel hilft nicht viel. Jenseits der fünf Stunden geht es mit der Lebenszufriedenheit sogar deutlich abwärts. Es ist also durchaus möglich, zu viel freie Zeit zu haben. Das liegt wohl daran, dass viele mit all der Zeit nichts anzufangen wissen, was sie produktiv und erfüllend fänden, vermuten die Forschenden.
Cassie Holmes wäre also wahrscheinlich nicht glücklich geworden, wenn sie nach der Nacht im Zug tatsächlich mit Kind und Mann auf eine sonnige Insel gezogen wäre. Ohnehin entdeckte sie etwas Überraschendes: Wenn sie ihre Mußemomente zusammenzählte – 15 Minuten morgens mit dem Kind kuscheln, weitere 30, um es abends in den Schlaf zu singen, 25 Minuten vom Büro nach Hause gehen und dabei mit einer Freundin telefonieren, 30 Minuten, um mit ihrem Mann zu essen und ein Glas Wein zu trinken –, kam sie immerhin auf gut anderthalb Stunden. Es fehlte also nur eine halbe Stunde zu den Wohlbefinden versprechenden zwei.
Die übliche Empfehlung für solche Probleme lautet: Zeitmanagement. Schon antike Weise wie Mark Aurel und Seneca rieten zu einem klugen Umgang mit der eigenen Zeit, heute haben Bestsellerautoren diese Aufgabe übernommen. Wer bei einem gewissen Onlinehandelskonzern „Zeitmanagement“ eingibt, bekommt über 60000 Bücher und Hörbücher offeriert. Die Techniken laufen meist darauf hinaus, dem eigenen Tag eine Struktur zu geben, sich von dieser nicht abbringen zu lassen, aber notfalls trotzdem flexibel zu reagieren und beispielsweise Wartezeiten sinnvoll zu nutzen.
Zum Zeitmanagement-Guru werden
Doch der Philosoph Brad Aeon fragte sich, ob die „Techniken, die von den Zeitmanagement-Gurus propagiert werden, nicht tatsächlich kontraproduktiv oder sogar gefährlich sind“. Nachdem er 158 Studien zum Thema ausgewertet hat, gibt Aeon allerdings Entwarnung: Zeitmanagement erhöht nicht nur die Leistungen und die Zufriedenheit im Beruf ein wenig, sondern auch und sogar etwas stärker das allgemeine Wohlbefinden.
Aber es kommt nicht nur darauf an, irgendwie Zeit freizuschaufeln, indem man weniger tut. „Für die unter uns, die mehr vom Leben haben wollen, nicht weniger, ist dieser Rat nicht sonderlich hilfreich“, meint Cassie Holmes. Sie ist sicher: Es geht darum, seine Zeit sinnvoll zu nutzen. Weil Zeitarmut subjektiv ist, bemisst sie sich nicht einfach nach Stunden. Das Gefühl, dass einem die Zeit wegläuft, werde geringer, wenn man nicht immer an die Zukunft denke, sondern mehr in der Gegenwart lebe, so Holmes. Es hilft schon, fünf Minuten lang langsam und tief zu atmen. Das führt zum Gefühl, mehr Zeit zu haben, um Dinge zu erledigen – sogar die Tage scheinen länger, so eine Studie.
Zeitsegen durch Helfen
Gefühlte Zeit können Menschen paradoxerweise aber auch gewinnen, indem sie anderen helfen – obwohl das Zeit kostet. Gegen Ende eines einstündigen Experiments bat Cassie Holmes Studierende, einem schlechten Schüler zu helfen. Sie sollten seine Hausaufgabe korrigieren, was 15 Minuten dauern werde. Eine Vergleichsgruppe durfte einfach früher gehen, bekam also eine Viertelstunde Zeit geschenkt. Hatten die früher Entlassenen das Gefühl, dass ihre Zeit großzügiger bemessen wäre? Keineswegs. Tatsächlich hatte die Gruppe, die dem mäßigen Schüler auf Kosten der eigenen Zeit geholfen hatte, gefühlt mehr Zeit übrig. Die Helfenden hatten sogar das Gefühl, in der Woche darauf mehr freie Zeit zu haben.
Der subjektive Zeitsegen durch Helfen stellt sich auch außerhalb des psychologischen Labors ein. Das Team von Cassie Holmes bat Freiwillige eines Samstagmorgens, an diesem Tag eine halbe Stunde lang etwas für jemand anders zu tun, was nicht ohnehin geplant war. Die Leute kochten für den Ehepartner, schaufelten Schnee vom Eingang des Nachbarn oder sammelten im nächsten Park Müll ein. Oft kostete sie das mehr als eine halbe Stunde. Trotzdem hatten sie am Abend eher das Gefühl, über mehr Zeit im Leben zu verfügen, als eine Vergleichsgruppe, die eine halbe Stunde etwas für sich selbst getan hatte.
Wie kann das sein? Eine weitere Studie lieferte eine plausible Erklärung: Helfen fördert den Eindruck, Herr oder Herrin über die eigene Zeit zu sein. Denn Helfen vermittelt uns das Gefühl, etwas bewirken zu können. Etwas für andere zu tun kostet zwar objektiv Zeit, kann uns aber – und das ist hier entscheidend – subjektiv welche schenken. Dieses Prinzip allzu sehr zu strapazieren empfiehlt sich allerdings nicht, warnen die Forschenden. Wer sehr viel Zeit dafür aufwendet, etwa ohne Unterstützung einen kranken Partner zu pflegen, wird wahrscheinlich bald ans Ende seiner Kräfte kommen.
Das Smartphone, ein Zeitfresser
Es kommt also nicht nur darauf an, dass wir ein Mindestmaß an Zeit für uns selbst haben. Es ist vor allem wichtig, wie wir diese Zeit auskosten. Viele Menschen allerdings nutzen ihre Zeit wenig weise. So verbringen Deutsche im Schnitt anderthalb Stunden täglich mit sozialen Medien.
Facebook, TikTok & Co können das Leben bereichern, wenn man sie gezielt verwendet, um mit Freunden und Bekannten in Kontakt zu bleiben, fasst Cassie Holmes die Forschungslage zusammen, doch meist würden die Apps genutzt, um das „sorgfältig kuratierte Leben des Lächelns von entfernten Bekannten und Prominenten zu verfolgen“. Da wir unser Leben automatisch mit ihrem verglichen, garantiere das Einsamkeit, Depressionen und die Angst, etwas zu verpassen.
Zur Illustration skizziert die Forscherin das Leben von Cheryl. Sie arbeitet im Gesundheitswesen und büffelt abends wie am Wochenende für ihr Studium. Obwohl ihr so kaum Zeit bleibt, verbringt sie jede Woche fast zwölf Stunden mit den Apps. „Sobald ich eine kleine Pause habe, checke ich sofort die sozialen Medien.“ Das dauert dann unfehlbar länger als geplant. Dabei gibt sie dieser Beschäftigung auf einer Glücksskala nur fünf von zehn möglichen Punkten. Doch weil sie ständig online ist, hat sie kaum Zeit, ihre Freundinnen und Freunde zu sehen, was sie mit 7,5 Glückspunkten bewertet, oder mit ihrer Schwester essen zu gehen, was für sie vollen zehn Glückspunkten entspricht.
Die Zeit, die sie mit Freundinnen und Freunden verbringen, zählt für viele zu den glücklichsten Stunden ihres Lebens. Die bekannten psychologischen Forscher Ed Diener und Martin Seligman verglichen einmal besonders glückliche Studierende mit durchschnittlich glücklichen und besonders unglücklichen. Den glücklichen widerfuhren nicht mehr erfreuliche Ereignisse als dem Rest. Aber sie verbrachten die wenigste Zeit allein und die meiste Zeit mit anderen, es gab keine Einzelgänger unter ihnen.
Selbstöffnung bringt uns einander näher
Viele Menschen tun sich allerdings schwer, enge Beziehungen zu anderen aufzubauen. Um es ihren Studierenden leichter zu machen, verordnet Cassie Holmes ihnen eine viertelstündige Gesprächsübung, die sie paarweise absolvieren. Zuerst sollen sich die beiden Fragen zu Alltäglichem wie Herkunftsort und Hobbys stellen, dann aber zu Persönlichem, beispielsweise: „Welche Angst zählt zu deinen größten?“, oder: „Auf welche kürzlich erbrachte Leistung bist du stolz?“ Fast immer finden sich so neue Freundinnen und Freunde. Eine solche Übung in Selbstöffnung bringt Menschen einander näher, das haben auch Experimente gezeigt.
In Gemeinschaft zu sein hilft in vielen Lebenslagen. So fühlen sich Menschen schon wohler, wenn sie sich in der Natur befinden – noch besser geht es ihnen aber, wenn sie sich zusammen mit anderen ins Grüne begeben. Das ist das Ergebnis einer britischen Studie, für die gut 20000 Personen über eine App auf ihrem Smartphone gelegentlich nach ihrem Befinden und ihrer momentanen Beschäftigung gefragt wurden, außerdem wurde ihr Aufenthaltsort ermittelt. Ganz besonders zufrieden war übrigens, wer zusammen mit vertrauten Menschen am Sonntagmorgen bei heißem sonnigem Wetter auf Vogelbeobachtung war.
Gemeinsam sportlich
Cassie Holmes empfiehlt auch, Zeit in sportliche Betätigungen zu investieren. Dieser Rat deckt sich mit den Ergebnissen einer Studie, für die ein Team um Michael Mutz von der Universität Gießen Daten von gut 1000 repräsentativ ausgewählten Frauen und Männern aus Deutschland ausgewertet hat. Menschen, die Sport treiben, sind demnach zufriedener mit ihrem Leben. Allerdings kommt es da auf die Details an. So steigt die Zufriedenheit mit jeder Stunde Sport, aber nur bis zu zwölf Stunden in der Woche – danach sinkt sie wieder etwas. Gut ist, seine Sportstunden auf mehrere Disziplinen zu verteilen, das gibt der Freizeitzufriedenheit einen zusätzlichen Schub.
Und wieder bewährt sich die Gemeinschaft: Aktive Mitglieder von Sportvereinen sind zufriedener mit ihrer Freizeit und ihrem ganzen Leben. Für die Kundschaft von Fitnessstudios ließ sich das dagegen nicht nachweisen. Und logischerweise ist es am allerbesten, den Vereinssport im Grünen zu pflegen – jedenfalls steigert Freiluftsport das Wohlbefinden stärker als Leibesübungen in der Halle. Im Wohnzimmer vor dem Fernseher in die Pedale des Hometrainers zu treten dürfte auch nicht die glücklichste Art sportlicher Betätigung sein.
Eine Wochenende in Urlaub
Was aber, wenn vor lauter Arbeit, Haushalt und Kindern kaum Zeit bleibt, den optimal beglückenden Beschäftigungen nachzugehen? Cassie Holmes rät, die Routine in etwas Besonderes zu verwandeln.
In einer Studie bat sie Vollzeitbeschäftigte, ein Wochenende so zu verbringen, als ob sie in Urlaub wären. Das war schon die ganze Anweisung. Sie genügte, um beispielsweise das Wochenende einer engagierten Mutter zu verändern. Normalerweise brüllte sie ihre Familie wie ein Feldwebel an, damit alle ihre Lieben Wasserflaschen füllten, Schienbeinschoner anlegten und zum Fußballplatz abmarschierten. Dort saß sie dann während des Kicks am Spielfeldrand, koordinierte am Smartphone Spieltage, bestellte Essen, kaufte online ein und verpasste derweil das Tor ihres Sohns. Im Urlaubsmodus dagegen genoss sie die frische Luft und die Sonne, plauderte mit anderen Eltern und bejubelte das Tor des Filius.
Andere verbrachten mehr Zeit im Bett oder frühstückten ausführlicher. Es kam aber gar nicht darauf an, wie viel Zeit sie mit solchen Freizeitaktivitäten verbrachten. Wichtig war, dass sie ihnen wirklich ihre Aufmerksamkeit widmeten. Sie mussten also die eigene Einstellung ändern. Gelang dies, verbrachten sie das Wochenende glücklicher und waren auch am Montag noch weniger gestresst und zufriedener.
„Carpe diem, pflücke den Tag!“
Cassie Holmes hat noch einen weiteren Trick entwickelt, um aus einem schönen, aber alltäglichen Ereignis etwas Besonderes zu machen. Ihr persönliches Beispiel ist das donnerstagmorgendliche Kaffee- und Kakaotrinken mit ihrer sechsjährigen Tochter Lita in einem Café. Der Kunstgriff besteht darin, sich klarzumachen, dass die Zahl dieser Gelegenheiten begrenzt ist. In nicht allzu ferner Zukunft wird Lita lieber mit ihren Freundinnen etwas trinken gehen als mit ihrer Mutter.
Cassie Holmes rechnete aus, dass sie den Großteil dieser Kaffeestunden bereits hinter sich hat und nur noch 36 Prozent von ihnen bleiben. Seitdem zelebrieren die beiden ihren gemeinsamen Morgen. „Wir haben, was sonst ein routinemäßiger Koffeinstopp wäre, in eine wertvolle rituelle Tradition verwandelt.“
Übungen dieser Sorte sind eine moderne Anwendung des alten lateinischen Rats „carpe diem“. In dem Film Der Club der toten Dichter bringt der von Robin Williams gespielte unkonventionelle Lehrer seinen Internatsschülern diese Weisheit auf seine Art nahe. Er führt sie zu den Bildern ihrer Vorgänger, „die nun die Narzissen düngen“, und rät ihnen: „Carpe diem, pflücke den Tag, macht euer Leben außergewöhnlich.“
Ich kann es tun – über die Jahre meines Lebens
Nun ist das Genießen schöner Augenblicke das eine, aber was ist mit all den Stunden, die wir mit ungeliebten Tätigkeiten verbringen müssen? Cassie Holmes empfiehlt, lästige Tätigkeiten mit angenehmen zu bündeln – also beim Bügeln fernzusehen oder beim Pendeln zu lesen.
Die Wirtschaftswissenschaftlerin Katherine Milkman von der University of Pennsylvania trieb dieses Prinzip in einer Studie auf die Spitze. Die Studierenden bekamen iPods und durften damit begehrten Hörbüchern lauschen – der Favorit waren Die Tribute von Panem mit den Überlebenskämpfen der jungen Katniss Everdeen. Doch wie die Abenteuer weitergingen, durften die Teilnehmenden nur hören, solange sie sich auf einem Fitnessgerät abmühten. Die so Belohnten kamen auf 51 Prozent mehr Besuche im Fitnessstudio als eine Vergleichsgruppe (auch wenn der Eifer nicht von Dauer war). Alternativ kann man sich mit einer angenehmen Aktivität belohnen, wenn man eine unangenehme hinter sich gebracht hat.
Es ist dagegen keine gute Idee, eine unangenehme Pflicht in kleinen Happen auf die Woche zu verteilen. Denn wenn eine unangenehme Aufgabe erst einmal begonnen wurde, lässt die Qual allmählich nach. Doch bei jedem neuen Anlauf beginnt sie von vorn.
Trotz der guten Ratschläge wird es oft nicht gelingen, nicht nur alles zu tun, was getan werden muss, sondern auch noch die Zeit zu finden für alles, was man gerne tun würde. Denjenigen, die deswegen verzweifeln, rät Cassie Holmes, ihren Blick zu erweitern. Für das, was heute oder in dieser Woche oder sogar in diesem Jahr nicht zu schaffen ist, lässt sich wahrscheinlich später Zeit finden – wenn die Kinder größer sind und die Karriere in ruhigeren Bahnen verläuft. „Diese Sichtweise war die Antwort auf das, was mir in jener schicksalhaften Nacht im Zug durch den Sinn ging. Ja, ich kann nicht zu jeder beliebigen Stunde alles tun und alles sein. Aber ich kann es über die Stunden der Woche. Ich kann es über die Jahre meines Lebens. Und Sie können es auch.“
Wollen Sie mehr zum Thema erfahren? Dann lesen Sie auch gerne aus derselben Ausgabe:
Wie wir unseren Tagesablauf erfüllender gestalten können in Die Zeit gestalten
Wie wir uns von der Arbeitsanspannung lösen können in „Erholsam ist schon, wenn man über seine Freizeit selbst entscheidet“
Zeitperspektive
Menschen unterscheiden sich in ihrem Umgang mit der Zeit. Der Sozialwissenschaftler Lawrence K. Frank (1890–1968) prägte dafür den Begriff Zeitperspektive. Jede Person hat in diesem subjektiven Zeithorizont einen individuellen Schwerpunkt – lebe ich eher in der Vergangenheit, der Gegenwart oder der Zukunft? –, eine eigene Spannweite und einen persönlichen Grad der Strukturierung.
Quellen
Cassie Holmes: Happier Hour: How to Beat Distraction, Expand Your Time, and Focus on What Matters Most. Gallery Books, New York 2022
Daniel S Hamermesh, Jungmin Lee: Stressed Out on Four Continents: Time Crunch or Yuppie Kvetch? The Review of Economics and Statistics, 89/2, 2007: 374–383
Julian House, Sanford E. DeVoe, Chen-Bo Zhong: Too Impatient to Smell the Roses: Exposure to Fast Food Impedes Happiness. Social Psychological and Personality Science, 5/5, 2014, 534–541
John M. Darley, C. Daniel Batson: From Jerusalem to Jericho: A study of situational and dispositional variables in helping behavior. Journal of Personality and Social Psychology, 27, 1973, 100–108
Marissa A. Sharif, Cassie Mogilner, Hal E. Hershfield: Having Too Little or Too Much Time Is Linked to Lower Subjective Well-Being. Journal of Personality and Social Psychology, 121/4 (20210909): 933
Brad Aeon, Aïda Faber, Alexandra Panaccio: Does Time Management Work? A Meta-Analysis. PLOS ONE, 16/1, 2021: e0245066
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Ed Diener, Martin E.P. Seligman: Very Happy People. Psychological Science, 13/1, 2002, 81–84
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Colin West, Cassie Mogilner, Sanford E. DeVoe: Happiness From Treating the Weekend Like a Vacation. Social Psychological and Personality Science, 12/3, 2021, 346–356
Katherine L. Milkman, Julia A. Minson, Kevin G. M. Volpp: Holding the Hunger Games Hostage at the Gym: An Evaluation of Temptation Bundling. Management Science, 60/2, 2014, 283–299
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Hal E. Hershfield, Cassie Mogilner, Uri Barnea: People Who Choose Time Over Money Are Happier. Social Psychological and Personality Science, 7/7, 2016, 697–706