„Mach die Musik doch noch lauter!“

Längst nicht jeder versteht sie: Die Ironie. Pauline Larrouy-Maestri über beißende Sprüche, wann sie uns verunsichern – und wann aufrütteln

Die Illustration zeigt eine rothaarige Frau mit Buch in der Hand und einem Tee an der Seite, die vibriert, weil nebenan eine Lautsprecher-Box dröhnt
Das Heavy Metal des Sohns pustet der Mutter die Ohren weg. Sie sagt es ihm entweder direkt oder lässt eine ironische Bemerkung fallen. © Matthias Seifarth für Psychologie Heute

Als ich mich neulich mit einer Freundin im Café traf, stellten wir fest, dass wir die einzigen Gäste waren. Sie witzelte: „Wahnsinn, hier ist ja die Hölle los!“ Frau Larrouy-Maestri, wann waren Sie zuletzt mit spitzer Zunge unterwegs?

Neulich an der Supermarktkasse. Ich stand schon ewig an und es ging nicht vorwärts. Im Büro erzählte ich dann meiner Kollegin: „Stell dir vor, die Schlange war so lang, dass ich Zeit hatte, mein Leben zu reflektieren, meine Memoiren zu schreiben und sie den Leuten noch…

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lang, dass ich Zeit hatte, mein Leben zu reflektieren, meine Memoiren zu schreiben und sie den Leuten noch vorzulesen.“

Sie haben sich in einer Studie mit dem Wesen von Ironie befasst – was ist Ironie?

Eine Kommunikationsform, bei dem das Gesagte nicht mit dem Gemeinten übereinstimmt. Die Aussage kommt lustig daher und ist mit einer Prise Humor gewürzt. Ironische Bemerkungen passen immer dann besonders gut, wenn etwas nicht nach Plan läuft und wir das nicht direkt ansprechen beziehungsweise kritisieren wollen.

Oder es Überraschungen gibt, bei denen wir unseren Ärger vertuschen möchten. Damit alles aber auch so ankommt, wie wir es uns wünschen, müssen die anderen zwischen den Zeilen lesen können beziehungsweise die Diskrepanz heraushören, dass der Satz nicht der beabsichtigten Bedeutung entspricht.

Ist Ironie gleich Ironie?

Es gibt verschiedene Abstufungen, von der leicht spöttischen bis zur bissigen Äußerung. Wer auf dem Weg nach Hause im Stau steckt und ruft: „Wunderbar, genau das habe ich jetzt gebraucht!“, oder wer nach einer Sportveranstaltung, bei der das Team schlecht gespielt hat, sagt: „Wow, ihr wart echt spitze heute“, der macht sich ein wenig Luft.

Schärfer wird es, wenn während einer Debatte über das Thema Umweltschutz jemand sagt: „Klar, lasst uns einfach weiterhin die Erde verschmutzen. Das ist total gut für unseren Planeten.“ Hier ist Ironie ein Mittel, um die Aufmerksamkeit auf ein wichtiges Thema zu lenken, den politischen Kurs zu kritisieren und damit neue Diskussionen anzuregen.

Ist das noch als Ironie zu verstehen?

Ja, aber es geht bereits ins Sarkastische. Wenn gesagt wird: „Die Kompetenz dieses Politikers kennt wahrlich keine Grenzen“, ist das mit Humor gespickt. Doch ein Satz wie: „Dieser Politiker ist so gut, ich könnte mir wirklich niemand Besseres vorstellen“, ist bitter und zynisch.

Solche politischen Spitzen hört man ja öfter.

Manchmal braucht es das, denn Menschen verarbeiten Informationen dann oft nachhaltiger oder nehmen sie ernster, wenn sie durch Uneindeutigkeiten zum Nachdenken gebracht werden. Auf eine entspannte Weise kann so auf Probleme hingewiesen werden, ohne den anderen direkt zu kritisieren. So wird das Thema spielerisch angesprochen, um die Spannung zu mildern.

Zum Beispiel?

Angenommen Ihr Partner lässt zu Hause seine Sachen immer überall herumliegen. Anstatt zu sagen: „Räum endlich mal deine Klamotten weg, das nervt!“, lässt sich auch feststellen: „Wow, deine Unordnung verleiht dem Raum einen avantgardistischen Touch.“

Hier wird die Unordnung mit einem humorvollen Unterton angesprochen, ohne den eigentlichen Ärger über das Chaos zu zeigen. Ironische beziehungsweise sarkastische Äußerungen unterscheiden sich von der „aufrichtigen Sprechweise“ vor allem durch den anderen Tonfall, eine lang hingezogene Betonung und eine niedrige stimmliche Grundfrequenz.

Was meint das genau?

Bei ironischen Bemerkungen wird die Stimme oft ein bisschen tiefer, was einen interessanten Effekt erzeugt – ein Muster, das sich auch in rhetorischen Fragen wiederfindet. Das ist ein Kontrast zur normalen Sprechweise und gibt dem Ganzen eine zusätzliche sarkastische beziehungsweise abfällige Note. Manchmal spielt man auch mit der Stimme, mit einem Auf und Ab, wie bei Fragen, auf die man eigentlich keine Antwort erwartet. Es kommt darauf an, wie das Anliegen rübergebracht werden soll und in welcher Situation man gerade steckt.

Die Feinheiten in der Kommunikation sind also besonders wichtig?

Ironische Äußerungen verfolgen immer eine bestimmte Absicht und richten sich an eine bestimmte Gruppe, an Freundinnen und Freunde, die Familie oder Kolleginnen und Kollegen. Oft können gewisse Äußerungen nur intern entschlüsselt werden, denn Ironie ist wie ein Geheimcode. Manche Witze sind ausschließlich für den inner circle gedacht.

Wenn zum Beispiel eine Frau morgens im Pyjama herumläuft, statt ihr Kostüm fürs Büro angezogen zu haben, ruft ihr Mann: „Bereit für den Laufsteg?“ Daraufhin lachen beide, weil es eine Geschichte dafür gibt, die nur sie und er kennen. Doppeldeutigkeiten lassen sich verstehen, solange es genügend Kontext gibt. Und es ist wichtig, ungefähr vorauszusehen, wie andere reagieren könnten.

Gibt es da kulturelle Unterschiede?

Natürlich. Manche Kulturen bevorzugen klare Ansagen, während andere verschlüsselte Botschaften lieben. Das kann einen Einfluss darauf haben, wie oft und gerne Menschen lustige Bemerkungen von sich geben. Im Allgemeinen lieben die Briten witzige Äußerungen, während die Deutschen diesbezüglich eher kritisch sind. Doch eine gute Pointe kann selbst die ernstesten Gemüter zum Schmunzeln bringen – sogar in Deutschland.

Und anderswo?

Wenn in einem Büro in den USA der „Mitarbeiter des Monats“ ausgezeichnet wird, steht die Betonung auf den individuellen Leistungen. Wer das überflüssig findet, äußert: „Wären wir in Japan, bräuchte es keinen Mitarbeiter des Monats. Da erledigt das Team gemeinsam die Arbeit.“ Hier wird die Ironie genutzt, um den Unterschied zwischen dem Individualismus in den USA und dem Kollektivismus in Japan humorvoll zu veranschaulichen.

Sie forschen zum Zusammenhang von Tonlage und Ironie. Was sind Ihre neuesten Erkenntnisse?

Mein Team und ich wollten für eine aktuelle Studie auf akustischer Ebene herausfinden, wie es sich mit ironischen Bemerkungen verhält. Zum Beispiel: „Ach, wie schön!“ Das lässt sich je nach Zusammenhang positiv oder negativ auslegen. Es kann ein ärgerlicher Ausruf sein, wenn man spazieren gehen wollte und es anfängt, wie aus Kannen zu gießen. Die gleiche Feststellung hat eine völlig andere Bedeutung bei strahlendem Sonnenschein. Wir fanden heraus, dass Ironie durch eine Verschiebung der Betonung entschlüsselt wird, wenn Wörter vor allem am Satzanfang in einer tiefen Tonlage ausgesprochen werden.

Neben der unterschiedlichen Stimmlage muss aber auch der Zusammenhang ersichtlich sein, also worauf sich die Bemerkung bezieht, oder?

In entsprechenden Situationen verstärken zusätzliche Signale die Aussage, etwa ein Stirnrunzeln, Augenzwinkern oder das Heben der Hand. Der Kontext spielt dabei eine entscheidende Rolle. Zum Beispiel würde das Heben des Fingers im Café darauf hinweisen, dass jemand etwas bestellen möchte. Wenn man jedoch zu Hause am Esstisch sitzt und den Finger hebt, wäre das irgendwie komisch.

Es gibt ganz verschiedene Arten von Ironie, welche ist die gängigste?

Die Situationsironie. In diesem Fall liegt der „Wahnsinn“ in der Situation selbst. Wenn einem Feuerwehrmann sein eigenes Haus abbrennt, er es nicht retten kann, obwohl er den ganzen Tag damit verbracht hat, Brände zu löschen. Oder wenn sich jemand konzentrieren muss im Homeoffice, doch vom anderen Zimmer Heavy Metal herüberdröhnt. Da ruft der Genervte aus: „Kannst du die Musik nicht noch lauter machen?!“

Die häufigste Variante ist die sarkastische, oft um Spott oder Kritik auszudrücken: Eine junge Frau stellt ihren neuen Freund den Eltern vor, der wiederum betrinkt sich dort vor lauter Aufregung, so dass sie den Abend vorzeitig beenden muss, um ihn nach Hause zu fahren. Ihr Kommentar: „Na, du kamst sicherlich verdammt gut an bei meinen Eltern!“

Statt einen Streit vom Zaun zu brechen, hilft es manchmal, den Ärger mit etwas Humor abzuschwächen.

Ja, Ironie kann Situationen entschärfen. Zum Beispiel wenn jemand auf einen Freund wartet, der jedoch zwei Stunden zu spät kommt – da heißt es dann: „Perfekt pünktlich.“ Ein „milder Satz“, der nichts Verletzendes an sich hat. Es hängt jedoch von der Situation ab. Wenn man sich zum Abendessen trifft, kann eine Verspätung vielleicht noch verziehen werden, nicht aber wenn man sich am Bahnhof verabredet, um gemeinsam mit dem Zug wegzufahren.

Ist es im Arbeitsleben besser, auf ironische Bemerkungen zu verzichten? Können sie dort nicht möglicherweise mehr schaden als erheitern?

Im Job ist es mit der Ironie so eine Sache. Ein bisschen davon kann wie das Salz in der Suppe sein und der Situation etwas Würze verleihen, aber zu viel würde eben die Suppe versalzen. Manche Menschen lieben einen guten ironischen Kommentar, während andere das eher missverstehen oder es als unprofessionell ansehen. Die richtige Dosis macht’s. Doch wer sich unsicher ist, sollte es lieber lassen.

Wenn jemand ständig witzelt – ist das ein Zeichen dafür, dass versucht wird, Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen?

Wenn jemand ständig witzelt, könnte das durchaus ein Trick sein, um Konflikten aus dem Weg zu gehen. Statt sich direkt mit Problemen auseinanderzusetzen, wird in die Welt des Humors geflüchtet. Es ist der Versuch, schwierige Gespräche aufzulockern oder zu vermeiden. Doch zu viel Witzelei könnte am Ende wie ein Eisberg sein – die eigentlichen Probleme liegen tief unter der Oberfläche verborgen.

Wenn jemand permanent die Clownmaske trägt, ist es also sinnvoll, mal nachzuhaken, was wirklich los ist?

Ja. Manchmal ist es eine Art Selbstschutz, um Unsicherheit oder Unbehagen zu verbergen. Zum Beispiel durch einen Satz wie: „Oh, das ist wirklich ein großartiges Gesprächsthema“, obwohl die Unterhaltung uninteressant und langweilig ist. Wenn jemand immer einen auf lustig macht, verbirgt er vielleicht bestimmte Gefühle hinter einer Fassade. Die gezeigte Freude an kleinen Dinge könnte dazu dienen, Problemen aus dem Weg zu gehen – sie wäre dann sozusagen eine Art Fluchtplan vor ernsten Gesprächen.

Weshalb vermeiden wiederum manche Menschen zweideutige oder lustige Aussagen?

Manch einer will sichergehen und Unklarheiten oder Missverständnisse vermeiden. Das ist häufig dann der Fall, wenn Menschen ihr Gegenüber nicht kennen und die Situation nicht gut genug einschätzen können. Es geht dabei nicht nur um den intellektuellen oder kulturellen Hintergrund, es gibt auch Krankheiten, die es erschweren, Ironie zu verstehen und einzuordnen. Autistische Menschen beispielsweise neigen dazu, Sätze wörtlich zu interpretieren, und verstehen indirekte Bezüge nicht unbedingt. Auch an einer Depression Erkrankten kann es schwerfallen, humorvolle Bemerkungen als solche zu erkennen.

Warum?

Eine Depression kann dazu führen, die Welt um sich herum in einem negativen Licht zu sehen. Betroffene fühlen sich leicht angegriffen oder abgelehnt, selbst wenn das keinesfalls die Absicht der Gesprächspartnerin ist. Wer stark in seinen Gedanken und Emotionen gefangen ist, kann sich nicht so gut in die Perspektive anderer einfühlen oder Signale aus der Umgebung angemessen deuten. Das heißt nicht, dass diese Menschen Schwierigkeiten mit Ironie haben, aber es könnte ihnen vielleicht schwerfallen, diese in Gesprächen wahrzunehmen.

Mir ist aufgefallen, dass Werbeslogans weitestgehend auf ironische Äußerungen verzichten, obwohl das doch ab und zu passen würde.

In der Werbung herrschen Einfachheit und Direktheit. Werbetreibende wollen die Massen erreichen. Wenn die Botschaft nicht sofort verstanden wird, was nicht gewährleistet ist bei all der Ablenkung, die während einer Werbesendung möglich ist, erschwert es das Verstehen. Aussagen werden dann falsch ausgelegt, und das zieht möglicherweise rechtliche Konsequenzen nach sich. Es ist schwierig, den schmalen Grat zu gehen zwischen dem Erheischen von Aufmerksamkeit und der Vermeidung von Missverständnissen. Einigen Unternehmen gelingt es, aber das ist eher die Ausnahme.

Wie funktioniert das dort, wo nicht gesprochen wird, zum Beispiel auf Social-Media-Plattformen?

In sozialen Medien werden ironische Bemerkungen mit ­Hashtags, Memes oder Emojis gekennzeichnet, um die Ambivalenz zu verdeutlichen. Die Logik der sozialen Medien beruht im Grunde auf einer Ja-nein-Fassung der Welt, auf einem Entweder-oder. Jenseits der reinen Zustimmung oder der polemischen Eskalation gibt es wenig Spielräume für neutrale, abwägende oder uneindeutige Äußerungen. Oft wird der Kontrast zwischen Foto oder Video und Text gewählt, mit Internetmemes, also schon humorvollen Bemerkungen.

Im Internet ironisch zu sein ist vielleicht einfacher, weil es niemanden gibt, der einem direkt gegenübersitzt?

Es ist für manch einen leichter, seine Meinung online zu äußern als in einer persönlichen Situation, da sich Userinnen und User durch die Anonymität des Internets sicher fühlen und weniger Konsequenzen für ihre Äußerungen befürchten. Allerdings kann Ironie in schriftlicher Form, insbesondere in kurzen Nachrichten oder Kommentaren, leicht missverstanden werden, da Tonfall und Körpersprache fehlen. Im Onlinekontext weiß niemand genau, wer es liest und wie hoch dabei die Aufmerksamkeit ist. Wer sicherstellen möchte, wirklich verstanden zu werden, sollte dort auf humorvolle oder sarkastische Bemerkungen verzichten.

Es hängt also von individuellen Vorlieben und der Bereitschaft ab, auf humorvolle Äußerungen einzugehen?

Individuelle Vorlieben für Humor hängen stark davon ab, was jemand erlebt hat, wie die Person denkt oder in welchem emotionalen Zustand sie sich befindet. Die Bereitschaft, auf humorvolle Äußerungen einzugehen, basiert nicht nur darauf, in welchem Kontext man sich befindet oder wie ausgeprägt die emotionale Intelligenz ist, sondern hängt auch davon ab, wie gestresst jemand ist.

Wenn eine Person ein hohes Stresslevel hat, arbeitet das Gehirn auf Hochtouren, um die entsprechende Situation zu bewältigen. Das kann dazu führen, dass subtile Dinge wie ironische Äußerungen nicht als solche wahrgenommen werden, weil die Aufmerksamkeit auf Stressbewältigung ausgerichtet ist.

Woran liegt es generell, ob einem Ironie Spaß macht und man sie versteht?

Lebenserfahrung und Persönlichkeit beeinflussen, welche Art von Ironie und Humor jemand schätzt. Eine gewisse Offenheit und Gelassenheit können das fördern. Manche Leute finden sprachliche Feinheiten und subtilen Humor wunderbar, andere haben Schwierigkeiten damit, die versteckte Absicht zu entschlüsseln. Das ist ein bisschen wie die Frage, warum manche Leute das Achterbahnfahren lieben und andere lieber festen Boden unter den Füßen haben.

Pauline Larrouy-Maestri hat Geistes-, Sozial- und Kognitionswissenschaften studiert und beim Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik eine Studie zum Wesen von Ironie geleitet.

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 6/2024: Im Erzählen finde ich mich selbst