Frau von Tiedemann, ich bin bei der Vorbereitung auf unser Gespräch auf die Studie eines Reifenherstellers gestoßen. Darin gaben drei von vier Befragten an, besonders gern mit der Partnerin oder dem Partner Auto zu fahren. Nur fünf Prozent machen das besonders ungern. Überrascht Sie das?
Ja, etwas schon. Ich hätte geschätzt, dass mehr Paare diese Situation meiden. Aber als Therapeutin bin ich schließlich oft mit Beziehungen konfrontiert, in denen es nicht so gut läuft. Mein Blick ist dadurch sicher etwas…
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oft mit Beziehungen konfrontiert, in denen es nicht so gut läuft. Mein Blick ist dadurch sicher etwas verzerrt.
Mit wem fahren Sie denn am liebsten?
Ach, das kann jeder sein. Ich habe eine große Familie und wir gehen alle harmonisch miteinander um. Ich finde, wenn man nicht zu viel auf den Verkehr achten muss, kann man sich beim Autofahren ausgezeichnet unterhalten. Diese Seite-an-Seite-Gespräche haben oft eine gewisse Tiefe, weil man nicht so sehr auf den anderen fokussiert ist und seinen eigenen Gedanken mehr Raum lassen kann. Das ist ähnlich wie beim Spazierengehen. Wenn Paare zu mir kommen, die von weither anreisen mussten, dann sagen sie oft: „So gut wie auf der Autofahrt haben wir seit Jahren nicht miteinander gesprochen.“
Gleichzeitig belegt die Umfrage, dass es auf einer gemeinsamen Autofahrt öfter auch mal knirscht. Immerhin 60 Prozent der Fahrerinnen und Fahrer berichten von gelegentlichem Streit. Woran liegt das?
Das hat sicher viel mit Stress beim Fahren zu tun, gerade hier in Deutschland. Wenn unser Stresspegel steigt, haben wir Schwierigkeiten, freundlich und wohlwollend zu bleiben. Unser Gefahrensystem fährt hoch und aktiviert uralte Überlebensstrategien. Gleichzeitig sinkt die Kontrolle durch das Großhirn. Ruhig zuzuhören und die Perspektive des anderen einzunehmen ist dann natürlich schwierig. Vielleicht sind wir sogar schon gestresst ins Auto eingestiegen, weil wir zu spät losgefahren sind. Das ist ja auch ein typisches Thema bei Paaren, die Pünktlichkeit.
Und wenn so ein Konflikt erst einmal hochgekommen ist, schafft er noch zusätzlich Stress. Wir Menschen haben ein soziales Gehirn, das auf gelingende Beziehungen angelegt ist. Jede Form von Aversion oder Ablehnung aktiviert unser Schmerzzentrum. So kann sich das immer weiter nach oben schrauben. Bis man vielleicht anhält und die Person neben sich aussteigen lässt.
Spielt es dabei auch eine Rolle, dass man sich im Auto so schlecht aus dem Weg gehen kann?
Ja, das ist sicher ein weiterer Faktor. Zumal nicht alle Menschen mit Nähe umgehen können. Für manche kann es richtiggehend belastend sein, einer Person längere Zeit körperlich nahe zu sein. Dann ist dieses Zusammen-eingesperrt-Sein schwierig und treibt den Stresspegel noch einmal nach oben.
Und das kann auch Paare betreffen?
Ja, natürlich. Es gibt Menschen, die aufgrund von Kindheitserfahrungen zwar eigentlich Sehnsucht nach Nähe und Geborgenheit haben, gleichzeitig aber eine große Angst davor. Davon sind auch Paare betroffen, die zu mir in die Beratung kommen.
Sind die Konflikte, die Paare im Auto austragen, manchmal auch Stellvertretergefechte? Wir sagen: „Fahr doch nicht so dicht auf!“, dabei geht es eigentlich um etwas ganz anderes, was schon seit längerem in uns schwelt?
Ich glaube, dass dabei manchmal ein tiefliegender Aspekt der Paardynamik hochkommt, der normalerweise verborgen bleibt. Zum Beispiel die Frage, wer von beiden in der Beziehung führt und wer sich anschließt. Wer am Steuer sitzt, hat in diesem Moment die Kontrolle. Und es kann sein, dass diese Situation genau den Grundkonflikt des Paares berührt: Der eine hat vielleicht die Tendenz, sowieso immer zu sagen, wo es langgeht. Und der anderen wird das irgendwann zu viel.
Wenn das zwischen beiden ein Thema ist, kann das natürlich beim Autofahren besonders leicht zutage treten und eskalieren. Etwa wenn die dominantere Person hinterm Steuer sitzt und zu schnell fährt und die auf dem Beifahrersitz das nicht mehr hinnehmen möchte, vielleicht weil nun auch noch die Angst hinzukommt. Oder umgekehrt, wenn der Beifahrer, der ohnehin meistens bestimmt, mir jetzt auch noch sagen möchte, wie ich schalten oder bremsen soll.
Die Fahrsituation wirkt dann also als eine Art Trigger und spült diese latenten Unterströmungen an die Oberfläche?
Ja. Und das erklärt auch, warum unsere Kommentare plötzlich so eine Schärfe bekommen, die der Situation eigentlich gar nicht angemessen ist. Wenn jemand den Blinker zu früh setzt, muss man nicht unbedingt sagen: „Mein Gott, wie du wieder fährst.“ Wenn der Affekt nicht zur aktuellen Situation passt, dann rührt das meistens aus einem biografisch früheren Erleben, das ins Hier und Jetzt hineinstrahlt. Und ganz oft hat das eigentlich gar nichts mit der Partnerin oder dem Partner zu tun, sondern mit der eigenen Geschichte, den inneren Wunden, die wir vor langer Zeit erlitten haben.
Ein häufiger Grund für Konflikte ist Kritik an der Fahrweise. Für zwei Drittel aller Befragten ist das die größte Sünde, die Beifahrende begehen können. Warum kratzt es so sehr am Ego, wenn man uns am Steuer die Kompetenz abspricht?
Wenn man uns kritisiert, fühlen wir uns an diesem Punkt infrage gestellt. Je nachdem wie stark wir uns über die kritisierte Fähigkeit definieren, kann uns das erheblich in unserem Selbstwert treffen. Daher reagieren wir darauf so dünnhäutig, und zwar vor allem dann, wenn noch Stress dazukommt. Vielleicht ist das in Deutschland noch einmal ausgeprägter als anderswo, weil wir uns hier so stark mit dem Auto identifizieren und weil bei uns die Situation auf den Straßen oft so unentspannt ist, egal ob in den Innenstädten oder auf den Autobahnen. Ich habe viel in Frankreich zu tun und fahre dort manchmal Strecken von 1000 Kilometern. Dennoch komme ich nach vielen Stunden Autobahn erholt an. Das ist in Deutschland gewiss nicht der Fall. Hier nehme ich inzwischen immer mehr den Zug, wenn ich zu Tagungen fahre, weil mich das Autofahren sehr erschöpft.
Benötigen wir manchmal als Beifahrerin oder Beifahrer etwas mehr Fingerspitzengefühl – nach dem Motto: Kann ich mir jetzt einen kritischen Kommentar erlauben oder sollte ich ihn mir besser verkneifen?
Ja, das ist ganz gewiss so. Grundsätzlich sind Kommentare, in denen es um die Sicherheit geht, eher hilfreich: „Achtung, da kommt einer.“ Sicher, als Fahrerin oder Fahrer kann man davon auch genervt sein, weil man den anderen Wagen schon längst gesehen hat. Eine wichtige Rolle spielt daher die Haltung, aus der heraus dieser Hinweis gegeben wurde: Wenn ich merke, dass mein Beifahrer es gut meint und mich unterstützen möchte, dann fällt es mir leichter, den Kommentar anzunehmen. Ich kann als Fahrerin oder Fahrer sogar explizit um Hilfe bitten: „Kannst du mal schauen, ob von rechts einer kommt?“ Dadurch begibt man sich in einen Modus der gegenseitigen Kooperation.
Anders ist es, wenn man schon an der Stimmlage erkennt, dass es nicht um Hilfe geht, sondern um Dominanz: „Schalt doch mal runter, nicht so hart kuppeln, fahr die Kurve nicht so eng.“ Das ist nicht Kooperation, sondern Kampf. Es gibt eben unterschiedliche Fahrstile. Das sollte man akzeptieren. Wir neigen aber leider in Paarbeziehungen dazu, uns Partnerinnen oder Partner zu wünschen, die uns möglichst ähnlich sind. Die so denken wie wir, so sprechen wie wir, die Kinder so erziehen wie wir und so fahren wie wir. Diese Sehnsucht nach Symbiose ist vielleicht auch ein Grund, warum wir als Beifahrer an der Person hinterm Steuer so herumkritteln.
Was ist, wenn es mich wirklich beängstigt, wie die Person am Steuer fährt?
Meiner Überzeugung nach bespricht man Probleme besser nicht während der Krise. Unser Gehirn ist in diesen Situationen nicht zu förderlichen Gesprächen in der Lage. Sinnvoller ist, das Thema in einem ruhigen Moment anzubringen: „Ich stelle immer wieder fest, dass ich Angst bekomme, wenn wir zusammen fahren. Ich weiß, du siehst das anders und du hast die Situation vielleicht aus deiner Sicht gut im Griff, aber ich kann das nicht abstellen. Siehst du eine Möglichkeit, darauf Rücksicht zu nehmen?“
Sie können mit Ihrer Partnerin oder Ihrem Partner auch ein Zeichen ausmachen, zum Beispiel dass Sie die Hand heben, wenn es Ihnen zu schnell wird. Ein nonverbales Zeichen hat den Vorteil, dass es anders als die Sprache nicht zugleich Aggression transportiert. Das wäre aus meiner Sicht ein gutes Arrangement.
Gerade Männer sind immer für einen Ratschlag gut, Stichwort Mansplaining. Nervt das Frauen besonders?
Sie dürfen nicht vergessen, dass Autofahren lange Zeit ein sehr männlich dominierter Bereich war. Früher gab es nach der Tagesschau immer eine kurze Informationssendung zur Verkehrserziehung, Der 7. Sinn. Bis in die siebziger Jahre zeigte man dort Frauen, die nicht einparken konnten, die Probleme mit dem Gurt über der Brust hatten oder die sich im Rückspiegel die Lippen nachzogen. Und dann sagte der Kommentator noch: „Das ist halt typisch Frau am Steuer.“ Bei manchen Männern wirkt das unbewusst noch heute nach und ist tief verankert. Ihre Ratschläge sind vielleicht wohlmeinend – schließlich wollen sie das „hilflose weibliche Wesen“ unterstützen. Aber gleichzeitig schubsen sie die Frauen dadurch wieder zurück in ihre zugeschriebene, angeblich inkompetente Rolle.
Hilft es denn, öfter einmal die Rollen zu tauschen? Wenn beispielsweise der Mann meistens fährt, ganz bewusst öfter die Partnerin ans Steuer zu lassen?
Ja, das ist vemutlich eine nützliche Idee. Denn solche Rollenwechsel schaffen einerseits Empathie und können andererseits Vorurteile korrigieren helfen. Das ist aber kein Muss. Wenn der Partner oder die Partnerin etwas wirklich besser kann, sollte man sich das auch eingestehen und sich damit arrangieren. Dem anderen fällt es dafür leichter, Geschenke einzupacken oder den Computer zu reparieren. Dieses „Gleichgleich“ setzt auch unter Druck. Eigentlich sollten in einer Beziehung beide ihre unterschiedlichen Kompetenzen in den Dienst der gemeinsamen Sache stellen, um ein entspanntes Paarleben zu führen. Dann werden aus diesen Unterschieden gemeinsame Ressourcen. Wenn wir mit Wohlwollen und Anerkennung würdigen können, was die Partnerin oder der Partner uns voraushat, dann werden viele Machtkämpfe unnötig.
Sie sagen, eine kooperative Haltung im Auto sei wichtig für die Stimmung. Wie kann ich das fördern?
Beispielsweise indem Sie die Aufgaben zwischen sich aufteilen: Die eine fährt, der andere kümmert sich um die Musik und die Verpflegung. Das kann sehr liebevoll sein: Schau mal, ich habe dir einen Tee gemacht, aber ich behalte ihn noch etwas in der Hand, damit er nicht so heiß ist. Auf diese Weise können wir mit liebevollen Gesten zeigen, dass uns der andere wichtig ist. Dazu gehört auch, hin und wieder zu loben: „Danke, dass du dich um die Getränke gekümmert hast.“
Kann das nicht auch herablassend wirken?
Wenn man darauf gebürstet ist, Botschaften negativ zu dekodieren, wird es einem gelingen. Wie etwas ankommt, hat immer auch etwas mit dem inneren Erleben und den Prägungen der anderen Person zu tun. Manche Menschen sind bei jedem Kompliment skeptisch, einfach weil sie bisher selten erlebt haben, dass jemand ihnen etwas Nettes sagt und das auch noch ernst meint. Deswegen ist es ja mit allgemeinen Ratschlägen auch so schwierig: Jede Botschaft, die ich sende, fällt immer auf einen bestimmten Boden der Persönlichkeit. Und dieser entscheidet, wie etwas verstanden wird.
Mein Mann fährt sehr gerne und gut Auto. Wenn ich beruflich unterwegs bin, setze ich mich selbst hinters Steuer, aber wenn wir zusammen verreisen, überlasse ich das gerne ihm. Während längerer Fahrten massiere ich manchmal seine Schultern oder seinen Nacken, und hinterher bedanke ich mich für die angenehme Fahrt. Ich finde, das ist eine Form, sich gegenseitig wertzuschätzen. Somit wird auch die nächste Fahrt wieder entspannt verlaufen.
Die Diplompsychologin Friederike von Tiedemann ist approbierte Psychotherapeutin und systemische Paartherapeutin. Sie leitet das renommierte Hans-Jellouschek-Institut, das in Freiburg und Hamburg nach einem schulenübergreifenden Konzept paartherapeutische Fortbildungen anbietet.
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Quellen
Dieter Ellinghaus, Bernhard Schlag: Beifahrer. Eine Untersuchung über die psychologischen und soziologischen Aspekte des Zusammenspiels von Fahrer und Beifahrer. Uniroyal-Verkehrsuntersuchung, 26, 2001
Samuel G. Charlton, Nicola J. Starkey: Co-driving: Passenger actions and distractions. Accident Analysis & Prevention, 144, 2020, 105624
Sandra Ittner u.a.: The discomfort of riding shotgun – why many people don’t like to be co-driver. Frontiers in Psychology, 11, 2020