Als sich Laura und ihr Partner vor vier Jahren trennten, war für beide klar, dass sie sich gemeinsam um die zwei Töchter kümmern wollten. Viel Glück ermöglichte ein alltagstaugliches Wechselmodell: Über Freunde bekam er eine nur einen Steinwurf von ihrem bisherigen gemeinsamen Zuhause entfernte Wohnung. Seither leben die nun sieben und neun Jahre alten Töchter eine Woche beim Vater und eine bei der Mutter.
„Ich kann es mir nicht anders vorstellen“, sagt Laura (die in Wirklichkeit anders heißt) und erntet…
Sie wollen den ganzen Artikel downloaden? Mit der PH+-Flatrate haben Sie unbegrenzten Zugriff auf über 2.000 Artikel. Jetzt bestellen
Mutter.
„Ich kann es mir nicht anders vorstellen“, sagt Laura (die in Wirklichkeit anders heißt) und erntet damit hin und wieder erstaunte Nachfragen: Vermisst sie ihre Töchter nicht in der Woche, in der sie beim Vater sind? Ist das für die Kinder gesund, wenn sie ständig hin- und herziehen?
Sorge oder Umgang, Residenz oder Wechsel?
Laut dem Familien- und Beziehungspanel pairfam wächst jedes vierte Kind in Deutschland mit getrennten Eltern auf. Was vielen nicht klar ist: Losgelöst von der Frage, wie das Sorgerecht aufgeteilt ist, haben in der Regel beide Elternteile ein Recht auf Umgang. Mit dem Sorgerecht wird geregelt, wer weitreichende Entscheidungen für das Kind treffen darf, zum Beispiel auf welche Schule es gehen soll. Die Sorgeberechtigten sind für den Schutz und die Fürsorge ihres Kindes verantwortlich. Das Umgangsrecht sorgt dagegen dafür, dass Eltern mit ihrem Kind Zeit verbringen – eine wichtige Voraussetzung, damit sich eine gute Beziehung entwickeln kann. Im Bürgerlichen Gesetzbuch heißt es: „Sie sind zum Umgang mit ihrem Kind berechtigt und verpflichtet.“
Was so banal klingt, ist zwischen getrennten Eltern oft ein heikles Thema. Wer wie viel und wann Umgang mit den Kindern hat und wie sich die Familienmitglieder darüber verständigen, wirkt sich massiv auf die Lebenswirklichkeit aller Betroffenen aus. Und natürlich auf das Klima und die Beziehungen innerhalb der Familie.
Welches Arrangement besser ist, fragen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler allerdings erst seit ein paar Jahren. Sie unterscheiden dabei zwei Kategorien von Modellen: Beim Residenzmodell leben die Kinder bei einem Elternteil, fast immer der Mutter. Den anderen Elternteil besuchen sie nur gelegentlich, etwa jedes zweite Wochenende. Daneben existiert das sogenannte Wechselmodell, bei dem die Kinder gleiche oder nahezu gleiche Zeitanteile bei Vater und Mutter verbringen. Nur ein kleiner Teil der Kinder in Trennungsfamilien lebt in Deutschland gegenwärtig im Wechselmodell. Verschiedenen Erhebungen zufolge sind es unter fünf Prozent.
Ständig die Sachen packen
In der Realität ist der Übergang zwischen beiden Modellen fließend. Als „asymmetrisches Wechselmodell“ wird eine Aufteilung bezeichnet, bei der die Kinder ungefähr ein Drittel der Zeit bei einem Elternteil und die übrigen zwei Drittel beim anderen verbringen.
Die Allgemeinheit stehe dem Wechselmodell eher skeptisch gegenüber, berichtet die Soziologin Anja Steinbach von der Universität Duisburg-Essen aus ihrer eigenen Erhebung. „Es kommen Äußerungen wie: ‚Das muss doch sehr stressig für die Kinder sein, ständig die Sachen zu packen.‘“
Väterverbände setzen sich dagegen für das Wechselmodell ein, und einige Staaten haben es zum normativen Ideal erkoren, um die Gleichstellung der Geschlechter in der Erwerbstätigkeit, im Haushalt wie auch in der Kindererziehung voranzubringen. Dazu gehören Schweden, Australien und Kanada. Kinder getrennter Eltern sollen dort nach Auffassung des Staates möglichst bei beiden Eltern aufwachsen. In Schweden setzen seit einigen Jahren stabil rund 35 Prozent der Väter und Mütter dieses Ideal um. 1992 lag der Anteil bei nur 5 Prozent.
Umgang oder Unterhalt?
Studien aus dem skandinavischen und angloamerikanischen Raum stellen seit einigen Jahren die Vorbehalte gegenüber dem Wechselmodell infrage. Die schwedische Kinderpsychologin Malin Bergström und die US-amerikanische Psychologin Linda Nielsen kamen in ihren Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass es Kindern, die bei beiden getrennt lebenden Elternteilen aufwachsen, psychisch tendenziell besser geht. Sie bemerkten aber auch, dass das Wechselmodell eher dann zustande kommt, wenn die Eltern weniger Konflikte miteinander haben. Daraus ergaben sich die entscheidenden Fragen: Geht es den Kindern im Wechselmodell grundsätzlich besser? Oder geht es ihnen besser, wenn (und weil) sich die getrennten Eltern gut verstehen?
Während bei vielen Forschungsfragen Studien aus anderen Ländern eine gute Grundlage für die Bewertung der Situation in Deutschland bilden, ist die Übertragung der Ergebnisse bei Umgangsmodellen schwierig. Denn mit dem Umgangsmodell sind viele rechtliche Folgen verknüpft, und diese Bestimmungen unterscheiden sich von Land zu Land. Besonders wichtig für die Situation hierzulande: Das Pensum des Umgangs entscheidet über die Höhe des Unterhalts.
Wer über Umgang spricht, muss in Deutschland zwingend Geld thematisieren. Denn der Anspruch auf Kindesunterhalt ist an das Umgangsmodell gekoppelt: Lebt das Kind überwiegend bei einem Elternteil, ist der andere Elternteil in vollem Umfang unterhaltspflichtig. Der Unterhalt für ein sechs- bis zwölfjähriges Kind liegt bei 502 bis 1004 Euro pro Monat, abhängig vom Einkommen.
Knappes Budget
Im Wechselmodell entfallen diese Ansprüche bei gleichen Einkommen beider Elternteile. Der geteilte Umgang erhöht aber die laufenden Ausgaben für beide Seiten: Beide Elternteile müssen für ihr Kind ein Kinderzimmer haben und einrichten, Kleidung kaufen, für die Verpflegung sorgen. So wundert es nicht, dass vor allem sozioökonomisch bessergestellte Eltern das Wechselmodell wählen.
Die Studie „Familienmodelle in Deutschland“ von 2021 kommt außerdem zu dem Ergebnis, dass Eltern im Wechselmodell häufiger in Vollzeit arbeiten und seltener arbeitslos sind. Diese Zusammenhänge sind wichtig. Denn der sozioökonomische Status hat schon für sich genommen massive Wirkungen auf die psychische Gesundheit der Kinder. Wer in Armut lebt, hat es schwerer und ist vulnerabler für seelische Belastungen.
Die finanziellen Folgen können aber auch Motive für oder gegen ein Betreuungsarrangement sein. „Wegen des Gender-Pay-Gaps zwischen Frauen und Männern sind viele Mütter darauf angewiesen, die Kinder im Residenzmodell zu betreuen und von ihrem Ex-Partner den Unterhalt zu erhalten, um über die Runden zu kommen.“ So beschreibt Nina Weimann-Sandig, Sozialwissenschaftlerin an der Evangelischen Hochschule Dresden, eine typische Familienkonstellation in heterosexuellen Partnerschaften.
Umgangsarrangements ergeben sich folglich nicht selten aus äußeren Zwängen und einem Aushandlungsprozess zwischen den getrennten Eltern, bei dem sich manchmal ein Elternteil gegen den anderen durchsetzt. Diesen Fall beschreibt eine Frau, deren Tochter im Wechselmodell lebt: „Wir sind schon seit der Geburt getrennt. Er möchte aber leider nur deshalb nicht auf den Umgang mit unserer Tochter verzichten, weil er mir nie Unterhalt zahlen würde. Er nimmt sie nun, aber weniger als die Hälfte der Zeit, und es ist schwierig, überhaupt verbindliche Absprachen im Vorfeld zu treffen.“ Aufgrund der angespannten Lage hat sie ihre Selbständigkeit aufgegeben; ihr finanzielles Budget ist knapp.
„Mütter, die sich ein schönes Leben machen“
Ist einer von beiden Elternteilen zu einem Umgangsmodell gezwungen oder muss er mehr arbeiten als gewünscht, kann dies zu einer Belastung der Familie führen – und auch die Kinder beeinträchtigen, fand Sozialwissenschaftlerin Weimann-Sandig in einer Befragung von 155 Eltern-Kind-Paaren heraus. Jene Mütter, die mit dem Modell unzufrieden waren, urteilten fast ausnahmslos, dass es ihrem Kind schlechter damit gehe.
Ein deutliches Ergebnis ihrer Studie war, dass Wechselmodelle meist auf das Betreiben der Väter zurückgehen. Tendenziell wählen Väter, die sich schon vor der Trennung mehr für ihr Kind engagiert haben, dieses Modell häufiger. Aber auch räumliche Gegebenheiten spielen eine große Rolle: Je näher die Elternteile beieinanderwohnen, desto eher wurde der geteilte Umgang verwirklicht. 45 Prozent der Mütter waren zwar mit dem geteilten Umgang einverstanden oder wollten ihn beibehalten, ein Drittel der Frauen war jedoch unzufrieden damit und würde das Modell gern verändern, wenn es die Möglichkeit gäbe.
Weimann-Sandig führt diese Unzufriedenheit nicht nur auf persönliche Motive der Frauen zurück, sondern auch auf Erwartungen und gesellschaftliche Normen. Denn Mütter im Wechselmodell geben an, weniger Rückhalt durch Familie und den Freundeskreis zu erfahren. Sie gelten als „Single-Teilzeitmütter“, die sich jede zweite Woche ein schönes Leben machen, was ihnen nicht zugestanden wird.
Mehr Stress durch ständigen Wechsel?
Bekannte fragten tatsächlich manchmal nach, berichtet Laura, wie sie die Kinder guten Gewissens dem Vater überlassen könne. „Ich weiß aber doch, dass es ihnen beim Papa gutgeht, und ich höre auch die Woche über von ihnen“, erzählt sie. Dennoch erfährt sie selbst im weltoffenen Berlin mit einem hohen Anteil an Trennungsfamilien und Menschen, die unterschiedliche Lebensmodelle verwirklichen, dass das Wechselmodell keine breite gesellschaftliche Akzeptanz genießt. Ihren und seinen Eltern wäre es recht, Laura und ihr Ex-Partner wären für die Kinder zusammengeblieben. „So bin ich aufgewachsen: Mit Eltern, die sich die ganze Zeit gestritten haben, bis sie sich scheiden ließen, als ich 19 Jahre alt war. Das wollte ich für meine Kinder nicht“, sagt sie.
Der Forschung zufolge müssen sich Väter im Wechselmodell offenbar keine irritierten Fragen anhören. Sobald sie mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen als der Durchschnitt, würden sie oft „heroisiert“, kritisiert Weimann-Sandig. Nur 33 Prozent der Mütter fühlen sich mit dem Wechselmodell anerkannt, aber 99 Prozent der Väter, ergab ihre Befragung.
Und die Kinder? Oft ist es aus Gründen des Datenschutzes schwierig, sie direkt zu fragen, so dass sich die meisten Forschenden bei den Eltern nach dem Wohl der Kinder erkundigen müssen. In der Studie „Familienmodelle in Deutschland“ sprach die Soziologin Anja Steinbach beispielsweise mit 1554 Eltern. Gut 600 lebten in symmetrischen oder asymmetrischen Wechselmodellen und weitere 600 in Residenzmodellen. Der übrige Teil waren traditionelle Zwei-Eltern-Familien.
Steinbach erhob, wie häufig die Heranwachsenden beispielsweise Kopfschmerzen, Schwindel, schlaflose Nächte und andere Beschwerden plagten. Solche körperlichen Reaktionen können Ausdruck von psychischen Belastungen sein. Doch die Leiden der Kinder unterschieden sich nicht nennenswert zwischen den Gruppen. Nicht einmal der Stresslevel der Kinder war bei häufigen Wechseln zwischen den Haushalten erhöht, wie oft angenommen wird. Das Hin und Her zwischen dem Wohnort der Mutter und dem des Vaters schade nicht, schloss Steinbach daraus. Den Kindern ging es losgelöst vom Umgangsmodell gleichermaßen gut.
Wenn gerade Vaterwoche ist
Gerade im Wechselmodell fühlen sich viele Kinder wohl, erfuhr Weimann-Sandig, als sie 20 Jugendliche befragte. Sie gaben an, mit dem Modell zufrieden zu sein und Kontakt zu beiden Elternteilen zu wünschen. Statt eines starren Umgangs bevorzugten sie aber eine flexible Aufteilung nach ihren eigenen Vorstellungen: Ihnen missfiel etwa, dass sie bestimmte Freunde und Freundinnen nicht besuchen konnten, weil gerade „Mutter-“ oder „Vaterwoche“ war.
Im Jugendalter werden Wechselmodelle im Übrigen seltener, weil nun die Wünsche der Kinder in den Vordergrund rücken. Die Heranwachsenden wollen dann mehr Zeit mit ihren Freunden verbringen, was durch das Pendeln zwischen entfernten Wohnungen erschwert wird.
Die Aussagen der Jugendlichen liefern einen deutlichen Hinweis, worauf es nach einer Trennung wirklich ankommt: Sie wollen nicht in die Streitigkeiten der Eltern hineingezogen werden. Besonders negativ wirken Loyalitätskonflikte. Die Kinder leiden aufgrund ihrer Nähe zu beiden Bezugspersonen darunter, wenn ein Elternteil schlecht über den anderen spricht.
Es ist der wichtigste Befund, den die Studien der vergangenen Jahre zutage förderten: Wenn die getrennten Elternteile sich gut absprechen und ihre Verantwortung teilen können, steigen das Wohlbefinden und die psychische Gesundheit ihrer Kinder. „Und weil Eltern, die wenig Konflikte haben, eher ein Wechselmodell realisieren, geht es ihren Kindern genauso gut wie jenen im Residenzmodell oder tendenziell sogar ein klein wenig besser“, sagt Anja Steinbach. Das liege aber nicht am Modell an sich, sondern zuvörderst an den besseren familiären Beziehungen, vor allem zwischen den getrennten Elternteilen.
Kein Aufeinanderzugehen mehr
Streiten sich die Eltern indes schon zum Zeitpunkt der Trennung viel, wird es im Wechselmodell oft nicht besser. Auf dieses Risiko weist Sabine Walper, Psychologin und Direktorin des Deutschen Jugendinstituts in München, in ihren Studien hin: Ist das Verhältnis der Eltern sehr konfliktreich oder sogar durch Gewalt geprägt, besteht die Gefahr, dass ein Wechselmodell die Familiensituation weiter verschärft. Aus diesem Grund wählen zerstrittene Elternteile dieses Betreuungsarrangement oft gar nicht erst.
Wenn die Eltern sich nicht verständigen können und wegen des Umgangs vor ein Familiengericht ziehen, sei das besonders verheerend, berichtet Weimann-Sandig aus ihrer Erfahrung. „Dann verhärten sich die Fronten so sehr, dass es fast gar kein Aufeinanderzugehen mehr gibt.“ Ordnen die Richterinnen oder Richter eine Umgangsregelung an, gilt diese fortan. Die Beteiligten erleben das als Demütigung und Einschränkung ihrer Freiheit. Meist leiden letztlich alle darunter.
Zugleich sind Wechselmodelle auch bei harmonischen Elternkonstellationen mit mehr Auseinandersetzungen über die Kindererziehung verbunden, arbeitete Walper heraus. Denn die Notwendigkeit, sich miteinander abzustimmen, ist enorm groß.
Der kleine Reisekoffer
Laura erzählt: „Wir tauschen uns täglich, mitunter mehrmals täglich aus. Wir haben einen kleinen Koffer, in den wir alles hineinpacken, was die Kinder in der nächsten Woche brauchen: Skihosen, wenn es gerade geschneit hat. Ganz wichtig: die Krankenkassenkarten, Spielsachen, Bücher, die die Kinder haben wollen.“ Trotzdem hätten beide Eltern die Bekleidung für die Töchter inzwischen separat gekauft. Die Ausgaben für alles vom Heft bis zum T-Shirt teilen sie sich am Ende der Woche je zur Hälfte. Es war schlicht nicht zu bewältigen, die Wäsche schnell genug bis zum Wechseltag zu waschen.
Trotz der vielen Absprachen läuft Laura manchmal schnell zu ihrem Ex-Partner, weil irgendetwas dort liegt, das die Kinder gerade brauchen. Und wenn eine ihrer Töchter am Montag eine Hausaufgabe erwähnt, die bis Dienstag fertig sein soll, muss sie schon mal nachfragen, was davon am Wochenende erledigt wurde. „Dann kann es hektisch werden“, sagt sie. Auch Anja Steinbach, die Soziologin von der Uni Duisburg-Essen, praktiziert mit ihren Kindern ein Wechselmodell und bestätigt, dass jeden Tag mehrmals Abstimmungen nötig seien.
"Dann wird das Kind zum Objekt"
„Das Wechselmodell erfordert die Bereitschaft und Fähigkeit beider Elternteile zur Zusammenarbeit“, schreibt die Forschungsgruppe PETRA. Sie hat im Auftrag des Bundesfamilienministeriums ab 2015 untersucht und schließlich gemeinsam mit anderen Forschenden beschrieben, wie das Umgangsmodell das Kindeswohl beeinflusst. Die im Jahr 2023 vorgelegte Studie enthält neben den Antworten von 360 Müttern und 130 Vätern auch die von 296 Kindern.
Problematisch wird es immer dann, wenn frühere Konflikte oder Eigeninteressen der Eltern über den Umgang ausgetragen werden. Das gilt unabhängig vom gewählten Modell. Dass der Umgang in Tagen gezählt wird und sich auf den Geldbeutel auswirkt, schürt zusätzlich Besitzdenken und Machtansprüche, wie die Äußerung eines Vaters zeigt: „Wenn dann mein Kind am Wochenende zu einem Freund will, geht das ja nur, wenn ich von meinen Tagen etwas abgebe.“
Im Vordergrund steht hier nicht das Kindeswohl, sondern „seine Zahl der Tage“ oder der Gedanke, dass die Mutter im Verhältnis zu ihm „mehr haben könnte“. „Das ist schlimm, weil es in diesen Fällen nicht um das Kind geht“, sagt Steinbach. Ebenso wenig dürfe das Wechselmodell als Lösung zur Befriedung von elterlichen Konflikten genutzt werden.
Dies ist zum Beispiel bei jener Mutter der Fall, die ihr Kind nur deshalb im Wechselmodell betreut, weil sie weiß, dass ihr ehemaliger Partner keinen Unterhalt zahlen würde. Im Residenzmodell könnte sie Unterhaltskostenvorschuss vom Staat bekommen. Der Staat würde dann wiederum versuchen, dieses Geld vom Vater einzutreiben. Das würde absehbar für Spannungen zwischen Mutter und Vater sorgen. Da die Mutter diesen Konflikt vermeiden möchte, akzeptiert sie ein Wechselmodell, ohne es allerdings für sich und ihre Tochter zu wollen. „Dann wird das Kind zum Objekt“, bedauert Steinbach.
Bei aller Liebe zum Tier
Wie viel Selbstreflexion und Reife nötig sind, um ein gelingendes Wechselmodell zu praktizieren, macht Laura deutlich: „Irgendwann kaufte er einen Hund. Die Kinder waren Feuer und Flamme für das Tier und wollten dann auf einmal nur noch zum Papa.“ Sie habe gesagt: „Ihr müsst nicht bei mir sein. Ihr könnt auch mehr zu Papa, wenn er Zeit hat.“ Innerlich, gesteht sie, habe es ihr einen großen Stich gegeben, obwohl sie rational wusste, dass die Präferenz nichts mit ihrem Ex-Partner, sondern mit dem Hund zu tun hatte.
Das Ereignis macht deutlich: Im Wechselmodell kommt es leicht zu einer Konkurrenz zwischen den getrennten Eltern, da beide um die Gunst der Kinder bemüht sind, wissend, dass Sohn oder Tochter sie ablehnen und den anderen Elternteil bevorzugen könnten. Das kann die Möglichkeit der Eltern schwächen, in der Erziehung Grenzen zu setzen. Darf das Kind beim einen Elternteil drei Stunden am Tag Filme schauen, ist es für den anderen schwerer, dasselbe Pensum nur einmal in der Woche zu erlauben. „Natürlich hat man im Hinterkopf: Wenn ich zu streng bin, finden sie es vielleicht bei mir nicht mehr so toll“, sagt Laura.
Das Modell kippt
Derartige Dynamiken können das Modell gefährden. Zum Kipppunkt kommt es aber meist erst dann, wenn ein Elternteil eine neue Partnerschaft eingeht. Sowohl die Forschungsgruppe PETRA als auch Weimann-Sandig erfuhren in ihren Studien, dass die Betreuung dann oft anders aufgeteilt wird. Die Motive dafür sind vielfältig: Manchmal möchte der Elternteil mehr Zeit mit der neuen Partnerin verbringen und ist froh, dass der andere Elternteil die Kinder mehr betreut. Ein andermal akzeptieren die Kinder das neue Haushaltsmitglied nicht. Manche fühlen sich zurückgesetzt oder nicht angenommen durch Stiefvater oder Stiefmutter. Dann kann das Wechselmodell mit dem Protest des Kindes enden.
Doch es gibt wenig Forschung dazu, wie sich neue Partnerschaften auf die Kinder auswirken. Steinbach hat gerade erst eine Studie abgeschlossen und erfragt, ob das Umgangsmodell das Verhältnis zum Stiefvater verändert. „Es könnte ja sein, dass Kinder den Stiefvater eher ablehnen, wenn sie einen intensiven Kontakt zum Vater haben“, sagt sie. Doch die Erhebung zeigte, dass das Umgangsmodell abermals keinen Einfluss hatte.
Mehr Zeit, bessere Beziehung
Gesichert ist dagegen aus den bisherigen Studien zu Umgangsmodellen, dass die Beziehung zwischen Kind und leiblichem Vater bei einem Wechselmodell oft intensiver ist. Das überrascht nicht, da zwischenmenschliche Beziehungen in aller Regel als umso besser beurteilt werden, je mehr Kontakt besteht. Kinder öffnen sich ihrem Vater eher, wenn sie mehr Zeit mit ihm verbringen, besagt die internationale Untersuchung Health Behaviour in School-aged Children. Allerdings wählen eher Väter das Wechselmodell, die sich schon vor der Trennung viel um ihre Kinder gekümmert hatten. Sie dürften per se einen besseren Kontakt zu ihnen haben.
Nur wenn Kinder die Beziehung zur Mutter oder zum Vater negativ erleben, leiden sie unter den Wechseln. Denn auch das gibt es: dass es jedes zweite Wochenende oder jede Woche heißt, „du musst jetzt zum Vater“ (zur Mutter), auch wenn das Kind das überhaupt nicht möchte. Die psychische Gesundheit von Kindern beeinträchtigt es am meisten, wenn Umgangsregeln gegen ihren Willen getroffen werden, leitet die Forschungsgruppe PETRA aus ihren Daten ab.
Es gibt also keine bestimmte Art des Umgangs, die für das Kindeswohl und die Teilungsfamilien pauschal die Beste ist. Im Idealfall orientiert sich das Arrangement am Verhältnis aller Familienmitglieder zueinander und an den Möglichkeiten der Eltern genauso wie an den Bedürfnissen der Kinder.
Quellen
Nina Weimann-Sandig: Perspektiven von Familienmitgliedern auf das Wechselmodell. Ergebnisse einer explorativen Untersuchung. Schriftenreihe ehs-Forschung, 2, 2021
Anja Steinbach u.a.: Erste Ergebnisse der Studie „Familienmodelle in Deutschland“ (FAMOD): Zur Bedeutung des Wechselmodells für das kindliche Wohlbefinden nach elterlicher Trennung oder Scheidung. Zeitschrift für das gesamte Familienrecht, 68/10, 2021, 729–740
Stefan Rücker u.a.: Befunde der Studie „Kindeswohl und Umgangsrecht“ – Wohlergehen von Kindern in Trennungsfamilien. Forschungsgruppe PETRA, 2023