Es war ein Mord, der für großes Aufsehen sorgte. Am Morgen des 9. September 1924 fand eine Bedienstete Hermine Hug-Hellmuth scheinbar friedlich schlafend in ihrem Bett vor. Mit Entsetzen stellte die Frau fest, dass ihre Arbeitgeberin erwürgt worden war. Bereits am darauffolgenden Tag wurde der Täter gefasst: Es war Rudolf Hug, der 18-jährige Neffe der Ermordeten, der in Geldnöten war und seine Tante bestehlen wollte.
Die Wiener Tageszeitung Neue Freie Presse berichtete ausführlich über dieses Verbrechen:…
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bestehlen wollte.
Die Wiener Tageszeitung Neue Freie Presse berichtete ausführlich über dieses Verbrechen: „Er war durch das Fenster in die ebenerdig gelegene Wohnung seiner Tante eingestiegen, und als die Frau aus dem Schlafe aufschrak und um Hilfe rief, will er zuerst nur beabsichtigt haben, sie zum Schweigen zu bringen. Aber die Hand, die sich um die Kehle des Opfers spannte, drückte fester und fester. Der als Dieb gekommen war, hat als Mörder den Rückweg durch das Fenster genommen.“
Wer war diese Frau, die durch die Hand ihres eigenen Neffen starb?
Das Genie Freud
Hermine Hug Edle von Hugenstein, die sich später Hermine Hug-Hellmuth nannte, gilt als die erste Kinderpsychoanalytikerin. Sie wurde 1871 in Wien geboren. Ihr Vater, den sie bewunderte und fürchtete, war Offizier. Die kränkliche Mutter starb früh, Hermine war damals knapp zwölf Jahre alt. Sie wuchs zusammen mit ihrer Halbschwester Antonia auf, besuchte eine höhere Mädchenschule und eine Lehrerinnenbildungsanstalt, bevor sie als Volksschullehrerin arbeitete. Hermine Hug-Hellmuth gehörte zu den ersten Frauen, die an der Wiener Universität studieren durften.
Durch ihren Hausarzt Isidor Sadger lernte Hug-Hellmuth die Psychoanalyse kennen. In einem Artikel berichtete sie über ihre Erziehung, in der sexuelle Themen tabuisiert waren. Sigmund Freuds Lehren betrachtete sie offenbar als eine Art Befreiung von dieser Prüderie. Zwischen 1910 und 1912 ließ sie sich vom Schuldienst pensionieren und beschäftigte sich intensiv mit psychoanalytischen Themen. Ab 1913 nahm sie an Vortragsabenden der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung teil und hielt dort selbst Vorträge, vor allem über Kinderpsychologie. Freuds Theorien standen schon damals in der Kritik. Der Arzt und Psychotherapeut Alfred Adler und seine Anhänger hatten deshalb die Vereinigung verlassen. Doch Hug-Hellmuth stand vorbehaltlos hinter den „genialen Lehren“ Sigmund Freuds.
Nasenbohren als verschobene Selbstbefriedigung?
Dieser übertrug ihr daher gerne die Verantwortung für die Rubrik Vom wahren Wesen der Kinderseele in der psychoanalytischen Zeitschrift Imago. In verschiedenen Veröffentlichungen berichtete sie über ihren Neffen, den unehelichen Sohn ihrer Halbschwester, und interpretierte dessen Äußerungen und Verhalten im Sinne von Freuds Theorien. In dem Buch Aus dem Seelenleben des Kindes betonte sie die „ungeheure Tragweite der Sexualität“, die schon in der frühen Kindheit eine entscheidende Rolle spiele. Über ihren Neffen schrieb sie, „dass der ganze Ausdruck seines Gesichts beim Lutschen, das er von frühester Zeit bis jetzt (im siebenten Lebensjahr) intensiv übt, deutlich den Stempel der sexuellen Erregtheit zu Beginn, der wohligen Erschlaffung beim allmählichen Einschlafen trägt“.
In Hug-Hellmuths Schriften findet man viele Interpretationen, in denen sie alltägliche Verhaltensweisen von Kindern auf sexuelle Motive zurückführt: Wenn Jungen mit Gegenständen werfen, deutet Hug-Hellmuth dies als „unbewusste Betätigung des Sexualtriebs“ und des Sadismus: „Die Aggressivität des Knaben, die stete Bereitschaft, zu ringen, andere zu unterwerfen, sind in der Tat Vorbereitungen für das einstige Verhalten beim Geschlechtsakt; das Vorsichhinwerfen, das Zielen ließe sich gleicherweise als Symbol der Erektion, die auch dem jugendlichen Alter nicht fehlt, betrachten.“
Selbst dem Nasebohren schrieb sie eine geheime Bedeutung zu: „Auch das Nasenbohren der Kinder ist sowohl eine Verschiebung der verbotenen Selbstbefriedigung an eine harmlose Zone, als bei Knaben die Realisierung des Wunsches, in eine Öffnung möglichst tief einzudringen.“
Hug-Hellmuth hoffte, auf pädagogischem Gebiet könne das Studium der infantilen Seele und der unbewussten Motive des Kindes dazu führen, „ein frohes, freies Geschlecht zu schaffen, das die morschen Schranken einer überlebten Zeit niederreißt“.
Ein kleines Juwel
Allerdings waren ihre Arbeiten schon damals sehr umstritten: Freud selbst stellte zufrieden fest, sie habe in ihrer Arbeit über die kindliche Entwicklung „dem vernachlässigten sexuellen Faktor vollauf Rechnung getragen“. Professor William Stern, der wichtige Arbeiten zur kindlichen Entwicklung veröffentlicht hatte, kam zu einer völlig anderen Einschätzung: Er kritisierte heftig das „allseitige Wittern von Sexuellem“ bei Kindern. Die Arbeit von Hug-Hellmuth, die die ganze Psychologie der frühen Kindheit in Sexualpsychoanalyse auflösen wolle, sei gänzlich absurd. Diese Art von Deutungen könne bei Kindern einen unheilbaren Schaden anrichten und zu einer „Entharmlosung“ führen.
Der Zürcher Pfarrer Oskar Pfister, der sich vor allem mit pädagogischen Fragen beschäftigte, verteidigte hingegen die Psychoanalyse gegen Sterns Kritik; sie sei ein wertvolles Mittel zur Heilung von Kindern, die unter psychischen Problemen litten. Viele Deutungen von Hug-Hellmuth hielt aber auch er für höchst problematisch und lehnte sie wegen ihrer Verstiegenheit und Lächerlichkeit ab.
Der Internationale Psychoanalytische Verlag veröffentlichte 1919 als ersten Band der Quellenschriften zur seelischen Entwicklung das Tagebuch eines halbwüchsigen Mädchens (Von 11 bis 14½ Jahren). Die anonyme Herausgeberin teilte mit, sie habe an den Aufzeichnungen – abgesehen von Orts- und Personennamen – nichts verändert. In einem Geleitwort bezeichnete Freud dieses Tagebuch als „ein kleines Juwel“. Er betonte, man habe niemals in solcher Klarheit und Wahrhaftigkeit in die Seelenregungen eines Mädchens hineinblicken können. Das Geheimnis des Geschlechtslebens tauche erst verschwommen auf, um dann von der kindlichen Seele Besitz zu nehmen. Diese Aufzeichnungen müssten Erziehern und Psychologen das größte Interesse einflößen. Freuds Empfehlung trug sicherlich entscheidend zum Erfolg des Buches bei. Bereits 1921 erschienen die zweite Auflage und eine englische Übersetzung.
Wichtiges Dokument oder Fälschung?
Der Schriftsteller Stefan Zweig äußerte sich begeistert über das Tagebuch. Der englische Schulpsychologe Cyril Burt fand die Aufzeichnungen dagegen aus verschiedenen Gründen sehr ungewöhnlich und er bezweifelte, dass sie von einer Jugendlichen stammten. Aufgrund der stilistischen Merkmale des Textes nahm er an, dass eine ältere Person ihre früheren Erlebnisse und Gedanken geschildert habe.
In der dritten Auflage des Tagebuchs wurde Hug-Hellmuth als Herausgeberin genannt. In einem Geleitwort wies sie Burts Argumente zurück und beteuerte die Echtheit des Textes. Die Tagebuchblätter habe sie von der Schreiberin erhalten, die 1914 gestorben sei. Nach dieser Erklärung galt Hermine Hug-Hellmuth in analytischen Kreisen als Herausgeberin eines wichtigen Dokuments zur seelischen Entwicklung.
Auch der Gymnasiallehrer Josef Krug fand das Tagebuch recht merkwürdig und entschloss sich, es genauer zu untersuchen. 1926, zwei Jahre nach Hug-Hellmuths Tod, veröffentlichte er die Ergebnisse seiner Recherchen: Er stellte fest, dass die Datumsangaben zum Osterfest in den drei aufeinanderfolgenden Jahren nicht stimmen konnten. Die Angaben über die einzelnen Wochentage seien völlig widersprüchlich. Es handle sich nicht um gelegentliche Fehler der Jugendlichen, sondern um eine heillose Verwirrung kalendarischer Verhältnisse. Außerdem würden in dem Text Ereignisse geschildert, die noch nicht eingetreten waren, als das Tagebuch angeblich geschrieben wurde. Damit entlarvte Josef Krug Hug-Hellmuths Tagebuch als Fälschung. Der Internationale Psychoanalytische Verlag sah sich nach der Untersuchung gezwungen, das Tagebuch eines halbwüchsigen Mädchens aus dem Buchhandel zurückzuziehen.
Vermutlich hatte Hug-Hellmuth in dem Tagebuch eigene Kindheitserlebnisse verarbeitet; möglicherweise verwendete sie auch einige Passagen aus einem Tagebuch eines jungen Mädchens. Wir wissen nicht, weshalb sie dem von ihr verehrten Freud dieses Kuckucksei ins Nest legte. War es ihr wichtig, von ihm anerkannt zu werden? Die Affäre weckt jedenfalls Zweifel an anderen Arbeiten zur psychoanalytischen Lehre, die Hug-Hellmuth veröffentlichte. Vielleicht ist der Betrug ein Grund dafür, dass selbst Analytiker ihr Werk lange Zeit nicht mehr erwähnten.
In spielerischer Therapie
Hug-Hellmuth beschäftigte sich aber nicht nur in ihren schriftlichen Arbeiten mit psychoanalytischen Themen, sie behandelte auch Kinder und Jugendliche mit psychischen Problemen. Ihre Erfahrungen schilderte sie 1920 in dem Vortrag Zur Technik der Kinderanalyse beim 6. Internationalen Psychoanalytischen Kongress in Den Haag. Sie betonte, dass Kinder nicht „durch ein zu gewaltsames Bohren im Gefühls- und Gedankenkreis“ eingeschüchtert werden dürften, denn dies führe eher dazu, ihre Seele zu verwirren statt sie zu befreien. Wahrscheinlich hatte sie die Erfahrung gemacht, dass ihre oft sehr spekulativen Deutungen von den Kindern nicht verstanden wurden.
Hug-Hellmuth betonte, es sei hilfreich, mit dem Kind zu spielen: „Beim Kinde von sieben, acht Jahren ist ein Eingehen auf seine Spiele oft der Bahnbrecher, und zugleich lassen sich in den Spielformen manche Symptome, Eigenheiten und Charakterzüge erkennen; bei solchen sehr jugendlichen Patienten wird mitunter das Spiel seine Rolle während der ganzen Behandlung behaupten.“
Sie plädierte auch für eine „aktive Therapie“: Bei einer Reihe von Analysanden sei es angezeigt, ihnen kleine Aufgaben aufzutragen. Die erfolgreiche Erledigung einer solchen Aufgabe stärke das Selbstvertrauen von Patienten, die unter Minderwertigkeitsgefühlen litten. Es sei nicht günstig, Kindern direkt etwas zu verbieten, man solle stattdessen mit ihnen gemeinsam Vorteile und Nachteile eines bestimmten Verhaltens abwägen. Hermine Hug-Hellmuth empfahl für die „heilerziehliche Analyse“ von Jungen und Mädchen also Methoden, die sich deutlich von dem Vorgehen bei der psychoanalytischen Behandlung Erwachsener unterschieden. Aufgrund dieser Pionierleistung wird sie in der Fachliteratur als erste Kinderanalytikerin bezeichnet; Anna Freud und Melanie Klein entwickelten erst später ihre psychoanalytischen Ansätze zur Behandlung von Kindern.
Aus akuter Geldnot
Aufgrund ihrer Erfahrungen wurde Hug-Hellmuth an das neugegründete Berliner Psychoanalytische Institut eingeladen, wo sie einen Kurs über Psychoanalyse und Erziehung leitete. 1923 übernahm sie die Leitung der Erziehungsberatungsstelle des Psychoanalytischen Ambulatoriums in Wien. Diesen beruflichen Erfolg konnte sie wegen schwerwiegender Probleme mit ihrem Neffen allerdings nicht genießen.
Rudolf Hug kam 1906 als unehelicher Sohn von Hug-Hellmuths Halbschwester Antonia auf die Welt. Antonia arbeitete in einem Vorort von Wien als Lehrerin, und Tante Hermine hatte öfter Kontakt mit ihrem Neffen. Das Kind wurde von einer Nachbarin, die es zeitweise betreute, als außerordentlich frühreif und intelligent beschrieben. Rudolf habe schon damals schlechte Gewohnheiten gehabt und seiner Mutter Geld gestohlen. Hug-Hellmuth berichtete von seinem frühen starken Interesse an sexuellen Themen.
Antonia Hug erkrankte 1913 so schwer, dass sie nicht mehr unterrichten konnte. Sie zog mit ihrem Sohn mehrmals um und starb 1915 in Bozen. Danach lebte Rudolf zwei Jahre bei einer Pflegemutter, bevor Hug-Hellmuth ihn zu sich nahm. Sie war aber offensichtlich nicht in der Lage, ihn konsequent zu erziehen. Er bestahl sie häufig, wenn sie seiner Ansicht nach zu geizig war; später geriet er in schlechte Gesellschaft. Nach dem Diebstahl eines Geldtäschchens meldete ihn sein Vormund, der Psychoanalytiker Isidor Sadger, von der Gewerbeschule ab und brachte ihn in einem „Schutzheim für verwahrloste Kinder“ unter. Über die Abmeldung von der Schule war Rudolf Hug verbittert; sie nahm ihm offenbar den letzten Halt. Er arbeitete danach einige Zeit als Vertreter, war aber wenig erfolgreich. Akute Geldnöte führten zu seinem Entschluss, in die Wohnung der Tante einzubrechen.
„Er war nicht mehr zu retten“
Er habe seine Tante nur zum Schweigen bringen, aber nicht töten wollen, sagte er später im Prozess. Das Verfahren gegen Rudolf Hug im März 1925 erregte großes Aufsehen. In einem Zeitungsbericht wird er als hübscher blonder Junge mit sorgfältig frisiertem Haar beschrieben, der gewandt und klar auf Fragen antwortete. Sein Vormund Isidor Sadger sagte aus, der Junge sei von seiner Mutter, die ihm keinen Wunsch abgeschlagen habe, übermäßig verwöhnt worden: „Er war nicht mehr zu retten. […] Wir Psychoanalytiker stehen auf dem Standpunkt, dass der Mensch längstens mit dem fünften Lebensjahr fertig ist. Später gibt es vielleicht noch eine Heilmethode, aber keine Erziehungsmethode mehr.“ Die Richter verurteilten Rudolf Hug wegen gemeinen Mordes und Diebstahls zu zwölf Jahren Gefängnis.
Alfred Adler, der sich von Freud wegen unterschiedlicher theoretischer Ansichten getrennt hatte, kritisierte in einem Vortrag heftig Sadgers Äußerung, nach der der Mensch nach dem fünften Lebensjahr fertig entwickelt sei. Weder die Familie noch der Staat hätten auf die Misserfolge in Rudolfs Erziehung richtig reagiert.
Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis wandte sich Rudolf an die Wiener Psychoanalytische Vereinigung und forderte finanzielle Hilfe und eine psychoanalytische Behandlung. Die Analytikerin Helene Deutsch, die auf Wunsch eines Kollegen die Behandlung übernehmen sollte, lehnte dies entsetzt ab. Sie fürchtete, Rudolf könne seinen Hass und seine Aggressionen von der verstorbenen Tante auf seine Therapeutin übertragen.
Die tapfere Vorkämpferin
Hermine Hug-Hellmuth wurde nach ihrem gewaltsamen Tod in einer psychoanalytischen Zeitschrift als „tapfere Vorkämpferin für die Erkenntnisse der Psychoanalyse“ gewürdigt. Durch ihre Arbeiten habe sie Freuds kühne Aussagen über das wahre Wesen des Kindes bestätigt. William Stern äußerte dagegen in einem Bericht über die „Tragödie Hug-Hellmuth“, ihre Kinderpsychologie sei „zu einem großen Teil Neffenpsychologie“ gewesen. Sie habe ihre Ansichten über die normale kindliche Entwicklung von den Beobachtungen ihres Neffen abgeleitet, der „in sexueller Hinsicht abnorm frühreif“ gewesen sei.
Nach Sterns Ansicht hätte eine überlegte und kraftvolle Erziehung die bedenkliche Veranlagung des Kindes zurückdrängen können. Durch die psychoanalytische Atmosphäre im Zusammenleben mit Hug-Hellmuth sei aber der Egoismus des Jugendlichen weiter gefördert worden. In diesem Fall habe „die Psychoanalyse als allgemeine Kindespsychologie theoretisch geirrt und als Erziehungsatmosphäre praktisch versagt“.
Die Beobachtungen, die Hermine Hug-Hellmuth über das Verhalten von Kindern sammelte, sind aus heutiger Sicht durchaus interessant, aber ihre Deutungen oft krampfhaft bemüht, die „genialen Lehren Freuds“ über die infantile Sexualität zu bestätigen. Eine bedeutsame Leistung war die Entwicklung von Techniken der Kinderanalyse. Im Kontakt mit jüngeren Kindern verzichtete sie weitgehend auf spekulative Interpretationen und plädierte für ein einfühlsames und geduldiges Vorgehen. Ihre Ratschläge für Eltern, auf Einschüchterung und Drohungen, aber auch auf übermäßiges Verwöhnen zu verzichten, erscheinen sehr sinnvoll.
Die Schweizer Psychologin Angela Graf-Nold veröffentlichte 1988 eine ausführliche Biografie über Hug-Hellmuth. Zum wissenschaftlichen Wert ihrer Schriften äußerte sie sich sehr skeptisch: Die Arbeiten seien Propagandaschriften im Dienst von Freuds Interessen gewesen. Sehr viel positiver fällt das Urteil der französischen Analytiker Claudine und Pierre Geissmann aus: Hug-Hellmuth sei zwar schüchtern und zurückhaltend gewesen, sie habe keine großen theoretischen Systeme entworfen und vielleicht zu rasch die Verehrung für ihren adeligen Vater gegen den Glauben an Freud und seine grenzenlose Verehrung eingetauscht. Dennoch schildern die Geissmanns sie als „eine intelligente, kultivierte, sensible und loyale Frau, die ihr ganzes Talent und ihre Zähigkeit in den Dienst der psychoanalytischen Sache stellte; sie war eine tapfere Verfechterin der freudschen Sache, die nie zögerte, sich an die vorderste Front zu begeben, ohne sich um die Schläge zu kümmern, die sie einsteckte“.
Christof T. Eschenröder ist Psychotherapeut mit eigener Praxis in Bremen. Er hat mehrere Bücher geschrieben, unter anderem Hier irrte Freud. Zur Kritik der psychoanalytischen Theorie und Praxis (1984) und Streifzüge durch die Geschichte der Verhaltenstherapie (2019).
Quellen
Angela Graf-Nold: Der Fall Hermine Hug-Hellmuth. Eine Geschichte der frühen Kinder-Psychoanalyse. Verlag Internationale Psychoanalyse 1988
George MacLean, Ulrich Rappen: Hermine Hug-Hellmuth. Her Life and Work. Routledge 1991