Insa ist irritiert. Sie steht nur auf Männer, doch in ihrer liebsten sexuellen Fantasie sieht sie nackte Frauen. Sie tragen Blütenkränze im Haar und liebkosen sie, während sie die Berührungen auf einer Liege genießt. In der Ferne sieht sie die Statue eines Mannes, der dem David von Michelangelo gleicht. Ihr Freund kommt in der Fantasie nicht vor und im Raum steht die Frage: Warum fantasiere ich etwas, was ich real gar nicht erleben will?
Insa, die in Wirklichkeit anders heißt, bespricht ihr Thema mit der sys…
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was ich real gar nicht erleben will?
Insa, die in Wirklichkeit anders heißt, bespricht ihr Thema mit der systemischen Therapeutin Angelika Eck, die den Fall später in ihrem Buch beschreibt: Sexuelle Fantasien in der Therapie. Der Titel sorgt im ICE einen Sitz weiter gerade für hochgezogene Augenbrauen. In meinem Rucksack stecken Ecks andere Bücher: Schlafzimmerblick und Der erotische Raum. Über mir leuchtet auf einer Anzeige mein Ziel: Karlsruhe. Dort will ich Eck in ihrer Praxis besuchen.
Neben den Büchern habe ich Fragen im Gepäck: Wie bewegt man einen Menschen dazu, offen über das intime Kopfkino zu sprechen? Wie reagiert man therapeutisch, wenn Menschen unter ihren Fantasien leiden? Wie entstehen überhaupt sexuelle Fantasien und begleiten uns bestimmte Bilder lebenslang?
Vor allem aber bin ich neugierig auf die Frau, die ich bislang nur aus ihren Büchern und Videos kenne. Eine Psychologin, die sehr pointiert über sexuelle Themen spricht. Die in ihrer Kolumne „Schlafzimmerblick“ für Zeit Online fünf Jahre lang intime Fragen von Leserinnen und Lesern beantwortet hat.
Einer ihrer Sätze ist mir besonders im Gedächtnis geblieben. Verena B., 47, will wissen: „Wie bringe ich meinen Freund dazu, wieder mit mir zu knutschen?“, und Eck antwortet: „Küssen Sie mit Poesie und Sie können den Frosch vielleicht daran erinnern, dass er mal ein Prinz war.“ Zudem steuert Angelika Eck regelmäßig Paargeschichten aus ihrer Praxis für die Rubrik Therapiestunde in Psychologie Heute bei. Die Sexualität steht dabei manchmal, aber nicht immer im Mittelpunkt.
Über den Umweg der Musik
Als ich mich der Praxis nähere, die in einer ruhigen Seitenstraße der Karlsruher Weststadt liegt, grüßt Eck schon aus dem offenen Fenster. Lange lockige Haare, weite Leinenhose, schwarzes Top – so steht sie dann an der Tür und bittet mich herein.
Ihre Praxis ist ein heller Raum. Eine Seite bedeckt ein Bücherregal. Links vor uns steht ein helles Sofa, gegenüber zwei Sessel. Dazwischen eine gepflegte Pflanze im Topf, auf einem Tischchen dampfender Tee. Angelika Eck spricht überraschend ruhig, fast leise, aber hin und wieder lacht sie laut auf.
Zur Psychologie hat sie über den Umweg der Musik gefunden. „Ich habe immer Bratsche gespielt“, erzählt Eck, „es war etwas, was zu mir gehörte.“ Aus „Konschtanz“, wie sie es ausspricht, kommt sie nach Karlsruhe, um Musik zu studieren. Doch bereits nach sechs Semestern ist Schluss, sie bricht das Studium ab. „Meine Beziehung zum Instrument war nicht tragfähig“, sagt sie heute, „und ich hatte viel Angst aufzutreten.“ Es ist eine schwierige Zeit, die ihrem Leben eine neue Wendung gibt.
Sie entscheidet sich für ein Psychologiestudium in Landau und für die Liebe in Karlsruhe. Denn dort hat sie schon vor dem Fachwechsel ihren späteren Mann kennengelernt. „Er war mein Schüler“, erzählt sie, „und spielte bereits sehr gut Bratsche.“ Heute hat das Paar zwei Kinder und Eck einen Beruf, der passt. Auch eine Sexual- und Paartherapeutin braucht Taktgefühl und ein gutes Ohr – für Zwischentöne, Stimmungen und Pausen.
Die systemische Therapeutin betreibt heute nicht nur ihre eigene Praxis, sondern gibt ihr Wissen gerne weiter: Sie lehrt Paar-und Sexualtherapie und lässt sich bei der Arbeit über die Schulter blicken: In der Weiterbildungsreihe „life lessons“, in der Schauspielerinnen und Schauspieler die Rolle der Ratsuchenden in einer Therapiesitzung übernehmen, gewährt sie online Einblicke in ihre therapeutische Praxis. Noch mehr Menschen hat sie ab 2018 mit ihrer erwähnten Ratgeberkolumne erreicht. Dabei war es nie ihr Ziel, eine öffentliche Person zu werden. Im Gegenteil. Sie schätzt ihre Privatsphäre.
Das kleine schlaue Nesthäkchen
Wenn sie aus ihrem Leben erzählt, von Kongressen, Forschungsprojekten und Weiterbildungen, fällt auf: Eck spricht immer auch von den Menschen, die sie inspiriert, von Begegnungen, die sie bereichert haben. Während ihres Praktikums an einem Weiterbildungsinstitut in Heidelberg rennen sie buchstäblich ineinander:
Angelika Eck und Ulrich Clement, Psychologieprofessor und Lehrtherapeut für systemische Therapie. „Vielleicht werden sich unsere Wege noch häufiger kreuzen“, meint er damals zu ihr. Über Clement findet sie den Eingang ins systemische Denken. Erst wird sie seine studentische Hilfskraft, später eine Kollegin. Er habe sie ermutigt, sagt sie, und ihr in schwierigen Situationen geholfen. Manchmal allein mit den Worten: „Du kannst das!“
Über Clement lernt Eck auch die New Yorker Paartherapeutin Esther Perel kennen, als er diese zu einer Tagung nach Heidelberg einlädt: „Da war sie noch kein Popstar“, sagt Eck und lächelt. Was beeindruckt sie besonders an der amerikanischen Kollegin, die mit ihrem Podcast Where Should We Begin? ein Millionenpublikum erreicht? Eck muss nicht lange nachdenken: „Sie kann leicht und tief sein.“ Das liege vielleicht auch an ihrem biografischen Hintergrund. Perels Eltern haben den Holocaust überlebt und nach der Zeit im KZ wieder ins Leben zurückgefunden. Mehr als vier Jahre lang nimmt Eck an einer von Perel geleiteten Supervisionsgruppe teil und beschreibt sie als „warmen, vielschichtigen“ Menschen, ein „weibliches Vorbild“.
Und dann ist da noch David Schnarch, der 2020 verstorbene amerikanische Paar- und Sexualtherapeut, der etwa über Die Psychologie sexueller Leidenschaft geschrieben hat. Auch bei ihm hat Angelika Eck eine Fortbildung besucht. „Schnarch hat die Sexual- und Paartherapie auf seine Art wunderbar zusammengeführt“, sagt Eck.
Angelika Eck hat Vorbilder, vor denen sie aber nicht in Ehrfurcht verstummt. Schon immer habe sie „mit relativ wenig Angst auf die großen Leute zugehen können“. Eck erklärt sich diese Haltung aus ihrer Herkunft: Ihre drei Geschwister – ein Bruder, zwei Schwestern – seien, obwohl deutlich älter als sie, immer sehr „einladend“ gegenüber ihrer kleinen Schwester gewesen: „Ich galt als das kleine schlaue Nesthäkchen, das immer mitkommen durfte.“
Fehlende Beine und spiritistische Anwandlungen
Sie wächst auf dem Land auf, in Gailingen, einer Gemeinde im Landkreis Konstanz. Bis zu ihrem 16. Lebensjahr lebt sie an der Schweizer Grenze, unter weniger als 3000 Einwohnern. Wie muss man sich das dort vorstellen? „Schön“, sagt Eck mit Nachdruck und erzählt, nein schwärmt. Von der Landschaft, durch die der Hochrhein fließt. Und vom Schwimmen im Fluss. Das mache sie immer noch sehr gern, wenn sie mal da sei.
Jahrhundertelang war der Ort mitgeprägt von seiner großen jüdischen Gemeinde, heute ist der Jüdische Friedhof ein geschütztes Kulturdenkmal. Am Rande der Ortschaft liegen die neurologischen Kliniken. „Mein Alltag war davon geprägt, dass Leute, die stark versehrt waren, durch den Ort rollerten.“ Der Zusammenhalt in der Dorfgemeinschaft ist gut und „Schrullen“, wie sie es nennt, gehören dazu: „Dem einen fehlte ein Bein, der andere hatte spiritistische Anwandlungen.“
Oft geht es mit den Eltern über den Rhein hinüber in die Schweiz, wo die Familie im Wallis eine Ferienwohnung hat. Der Vater arbeitet als EDV-Berater, die Mutter führt den Haushalt. In der Familie, geprägt von der neuapostolischen Gemeinde, gibt es klare Werte und eine konservative Haltung – auch zu sexuellen Themen. Früh zu Hause sein ist eher erwünscht, als lange auszugehen. „Bis heute“, sagt Angelika Eck, „bin ich verklemmt beim Tanzen, weil ich nicht in Diskotheken unterwegs war.“
Wie schwer ist dein Gepäck?
Sexuelle Empfindungen ohne Herzensbeziehung zu haben sei „fast ein Tabu“ gewesen, was es für sie als Teenager nicht immer einfach machte: „Ich musste erst lernen, dass Liebe und sexuelles Begehren sich voneinander unterscheiden können.“ Trotzdem habe sie intuitiv einen guten Zugang zu ihrer Sexualität gefunden. „Ich hatte auch mal einen Schundroman unter meinem Bett, der für mich so etwas wie erotisches Material darstellte, als ich vielleicht zwölf oder dreizehn war“, erinnert sie sich.
Die Ehe der Eltern ist für die spätere Paartherapeutin „kein so gutes Beispiel“. Als sie noch ein Teenager ist, verlässt der Vater die Mutter. „Die Trennung war sinnvoll“, meint Eck heute. Auch wenn das Familienleben unterschwellig von einer „emotionalen Spannung“ gezeichnet gewesen sei, habe sie das nicht nachhaltig beeinträchtigt – vor allem dank der guten Beziehung zu ihren drei Geschwistern.
Wenn sie heute mit Paaren oder einzelnen Klienten arbeitet, spielt die Vergangenheit, das „Gepäck“, das Menschen aus ihren Herkunftsfamilien mitbringen, bewusst oder unbewusst eine Rolle: bei persönlichen Schwierigkeiten, in der Paarbeziehung und auch in der Sexualität.
Sexualisierung der Erfahrung
Vorab habe ich mir einen Satz notiert, den Eck in einem Video auf YouTube sagt: „Was wir erotisieren, wird relativ früh in unserer Kindheit und Jugend angelegt, so dass wir vielleicht emotional bedeutsame Situationen oder sogar emotionale Konflikte mit etwas Sexuellem verknüpfen.“ Wie genau funktioniert so eine Verschaltung?
Im Laufe des Lebens könne natürlich noch einiges hinzukommen, betont Eck zunächst. Dann konstruiert sie ein Beispiel: „Ich werde in der Grundschule gejagt und verkrieche mich. Irgendwo im Dunkeln bin ich auf engem Raum – und stimuliere mich da.“ So könne es ablaufen. „Vielleicht kenne ich das schon und es ist mir in diesem Moment ein Trost.“ Und im späteren Leben, hake ich nach, finde ich es dann womöglich besonders erregend, wenn mich jemand schikaniert? Ja, sagt Eck, auch wenn das jetzt natürlich sehr holzschnittartig sei. „Es gibt auch rein emotionale Erfahrungen, die später sexualisiert werden.“
Aus sexualwissenschaftlicher Sicht sei klar: Frühe Lernprozesse spielen eine Rolle. „Der Erregungsreflex ist schon im Mutterleib nachweisbar.“
Neugier für die Vielfalt
Über sexuelle Themen zu reden fällt Menschen allerdings besonders schwer. Manchmal braucht es einen gewissen Leidensdruck, um den Weg in die therapeutische Praxis zu finden. Gerade weil es so viele Tabus um die Sexualität gebe, sei es für Klienten schon hilfreich zu hören, dass sie mit ihren Schwierigkeiten nicht allein sind.
Als Sexual- und Paartherapeutin kennt Eck die gesamte Klaviatur zwischenmenschlicher Beziehungen – und möglicher Konflikte. Ihr begegnen Menschen, „für die Sexualität vollkommen unwichtig ist, und Menschen, für die sie alles bedeutet“. Menschen, die auf diesem Gebiet viel erlebt, und „solche, die noch nie im Leben ihre Genitalien berührt haben“.
Wie reagiert sie als Therapeutin auf diese Bandbreite? Eine Antwort hat sie in Schlafzimmerblick gegeben, ihrem Buch zur Kolumne. Sie wolle „keine Agenda verfolgen“, schreibt sie darin, sondern „der Vielfalt neugierig begegnen“. Und dann kommt noch ein entscheidender Satz: „Intime und sexuelle Bedürfnisse zur Sprache zu bringen und die Fragenden darin zu bestärken, sich selbst dabei anzunehmen, ist meine Leidenschaft.“
Insa, die Klientin, die von Berührungen mit Frauen träumte, hat im Laufe ihrer Therapie bei Eck übrigens erkannt: Hinter der Fantasie steht keine homoerotische Neigung, sondern der Wunsch nach mehr Zärtlichkeit. Vielleicht gerade mit dem Menschen, der in der Fantasie gar nicht vorkam: ihrem Freund. „Menschen fantasieren über viele Dinge, die sie real nicht wünschen oder praktizieren“, hat Angelika Eck beobachtet.
Mein "Schatzkästchen" öffnen
Und jetzt die heikle Frage: Soll ich vor meinem Partner, meiner Partnerin mein „Schatzkästchen“ öffnen, wie Eck die sexuellen Fantasien einmal bezeichnet hat? Belebt oder belastet es die Beziehung eher, die mentalen erotischen Bilder des Gegenübers zu kennen? Erst einmal sei wichtig, „nicht davon auszugehen, dass wir uns ähnlich sind oder sein müssen“, betont Angelika Eck. Während die einen schon schockiert seien, wenn sie hörten, dass ihr Partner masturbiere, erzählten sich andere, dass sie beim Sex eine dritte Person im Kopf hätten. „Ich denke da immer sehr pragmatisch“, sagt Eck. „Wenn die beiden ihren Sex genießen, ist es okay.“ Problematisch werde es, sobald jemand leidet, sei es unter den eigenen Fantasien, sei es unter den sexuellen Vorlieben der Partnerin.
So befriedigend Fantasien auch sein können – in Ecks Büchern gibt es eindrückliche Beispiele, wie sie Menschen belasten. So sehr, dass sie schließlich therapeutische Hilfe suchen. Ich bitte die Psychologin, mir einen solchen Fall zu schildern und auch, wie sie damit in der Praxis umgegangen ist. „In der Fantasie wird die Klientin von zwei Männern verbal beleidigt“, schildert Eck die Ausgangssituation. „Außerdem unterhalten sie sich abfällig über die Frau in deren Beisein, während sie sie sexuell berühren und mit ihr verkehren.“ Eine Fantasie, die ihr in der realen Beziehung mit ihrer Partnerin im Weg steht, die sie aber braucht, um zum Orgasmus zu kommen. Das verstört Ecks Klientin. Sie möchte diese Bilder loslassen, aber trotzdem stark erregt sein können.
Fantasien weichzeichnen
Die Leitfrage sei nun: Kann ich mich besser verstehen lernen im Licht dieser Fantasie? Dafür fragt Eck die Klientin nach den intensivsten Gefühlen, die dabei aufkommen. Und es stellt sich heraus: „Die intensivste negative Empfindung war jene, ausgeschlossen oder entwertet zu sein.“ Über eine sogenannte „Affektbrücke“ könne man mit diesem Gefühl nun gedanklich zurückgehen und überlegen: Wo gab es schon früher eine solche Empfindung? Da sei die Klientin dann in einer Phase ihrer Schulzeit herausgekommen: Als Jugendliche hatte sie gehäuft Ausgrenzung erlebt.
„Über Mitgefühl für dieses jüngere Selbst konnte das verknüpft und integriert werden“, erzählt Eck weiter. Die Frau erlebte, dass die Fantasie zu etwas in ihr „passte“. Und zwar „gar nicht auf der sexuellen, sondern auf der emotionalen Ebene“, erklärt die Therapeutin. „Dadurch verlor die Fantasie an sexueller Brisanz und konnte freundlich angeschaut werden.“ Die Klientin habe die Szene dann „weichgezeichnet, das heißt besonders herabwürdigende Elemente weggelassen“.
Aber kann das neue Drehbuch am Ende wirklich genauso erregen wie das vorherige? „Ja“, bekräftigt Eck, „das ist ja das Tolle.“ Wenn es eine starke Fixierung gebe, es etwa um Fetische gehe, könne es auch schwieriger oder langwierig sein. „Aber in diesem Fall war die Klientin eine psychisch flexible Person.“
Eine befreiende Vorstellung: Wir sind unseren Fantasien nicht ausgeliefert, können sie verändern oder variieren. In unserem Gespräch wird ein Gedanke immer klarer: Es geht bei diesen Fragen in der Therapie nie um rein sexuelle Konflikte. Vielmehr kommen nach und nach existenzielle Themen auf den Tisch, emotionale Wendepunkte, biografische Leitmotive.
Humor schafft Distanz
Ist das also am Ende der Grund, warum sich Eck als Therapeutin diesem Feld so gerne widmet? „Absolut“, bekräftigt sie. „Sexualität ist ziemlich profan. Natürlich geht es darum, konkrete Probleme damit zu lösen.“ Wirklich erfüllend sei die Arbeit dann, wenn der ganze Mensch mit seiner Geschichte ins Spiel komme. „Die Sexualität ist ein Fenster, durch das eine große Bandbreite von Themen zugänglich gemacht werden kann.“ Oft ist Sexualität in einer Paartherapie auch von Anfang an nicht das bestimmende Thema.
Die Psychologin als Weggefährtin – eine schöne Vorstellung. Sie leitet ihre Klienten an und begleitet sie – auch auf dem Weg in die eigene Terra incognita. Eine Reise, die nicht ohne Risiken ist, aber Ziele hat: sich besser zu verstehen, sich anzunehmen, sich zu entwickeln. Innere Widerstände und widersprüchliche Empfindungen inklusive.
„Es ist ein Privileg für mich, die Auseinandersetzung mit sehr intimen und oft existenziellen Themen begleiten zu dürfen“, sagt Eck. Als Therapeutin helfe sie dabei, emotionale Anspannung zu regulieren und aufzufinden, was darunter an Bedürfnissen und Sehnsüchten liege. Immer wieder konfrontiere sie ihre Klientinnen auch mit dem, was diese ausblenden: „Ich bin Übersetzerin innerer und zwischenmenschlicher Phänomene.“
Dabei könne es in der Therapie auch durchaus heiter zugehen. „Humor schafft Distanz“, weiß Eck. Auf die Frage, was Paare vor allem zu ihr führt, sagt sie: „Häufiger Streit, große Unterschiede in den Bedürfnissen, alte oder aktuelle Verletzungen.“ Und fragt man weiter, was die Therapeutin an der Arbeit mit ihnen begeistert, bringt sie ein anschauliches Bild. „So eine Paarbeziehung ist wie ein eigenes Wesen, das mit den beiden Personen zur Tür hereinkommt. Ich schaue neugierig: Wie machen die das?“
Folgen und Fühlen
Im Museum sei ihr einmal ein Gemälde von Matisse aufgefallen, auf dem Flächen in verschiedenen Farben nebeneinander zu sehen waren. Ein Kunstwerk, das sie an Paare denken ließ: Was macht es mit einer Farbe und deren Wirkung, neben einer bestimmten anderen Farbe zu sein? „Diese Interdependenz und diese permanente Bewegung zwischen: Ich bin und wir sind. Die finde ich faszinierend.“
Wenn die Partner vor ihr auf dem Sofa sitzen, achtet sie auch auf Zeichen von Anspannung. Innerlich nehme sie immer wieder den Standpunkt einer Beobachterin ein, erzählt Eck: „Sind beide mit mir in einem guten Kontakt? Können sie zuhören, klar denken, aufmerksam sein oder ist jemand von Gefühlen überwältigt und benötigt etwas, um damit umzugehen?“ Es sei „ein Pendeln“ zwischen Beobachten und Einfühlen, ein „Folgen und Führen“.
Besonders gern arbeite sie aktuell mit queeren Paaren oder Beziehungskonstellationen, sagt sie. Es sei „erfrischend“ für sie, weil diese Menschen jenseits des Mainstreams erst herausfinden müssten, was zu ihnen passt.
Was ist für sie der schönste Aspekt ihrer Arbeit, will ich wissen. Es seien die Begegnungen und die kleinen Momente, die am meisten bewegen. Wenn sich etwa ein Paar einander neu zuwendet, auch ganz praktisch auf dem breiten Sofa. Und dann nennt sie den Produktnamen ihres Möbelstücks: Vuelta. Das spanische Wort kann sowohl eine weitere „Runde“ bedeuten als auch „Wendung“. Zwischen diesen Möglichkeiten bewegen sich auch die Menschen, die hier Platz nehmen.
Bewusstsein für das kleine Glück
Als ich sie noch frage, was sie als Therapeutin über sich und für das eigene Leben in der Paarbeziehung gelernt hat, meint sie, die eigene Entwicklung vollziehe sich „in Runden und Schlaufen“. Und was ihre eigene Beziehung angeht, gibt sie zu: „Ich merke, dass ich zu Hause eine Partnerin bin, die den Vorsprung einer Therapeutin nicht hat.“ Das verbinde sie unmittelbar mit ihren Klientinnen und Klienten. „Ich streite, ich liebe, ich bin meinen Mustern wiederkehrend ausgesetzt.“
Allerdings wachse ihr Bewusstsein für „das kleine Glück“, wie Eck es formuliert. Dazu gehört für sie: „Dass es möglich ist, ich selbst zu sein, ohne Anstrengung, und mein Mann das bei sich auch so erlebt. Dass wir großzügig mit den Fehlern des anderen sein können. Dass wir viel lachen und uns unmittelbar freuen, einander zu sehen.“ Oder auch darüber, zusammen einen Steinpilz zu finden.
Das kleine Glück in einem endlichen Leben – diesen Gedanken findet sie auch in ihren Lieblingsversen des Dichters Rainer Maria Rilke wieder, die sie zitiert: Immer wieder, ob wir der Liebe Landschaft auch kennen/und den kleinen Kirchhof mit seinen klagenden Namen/und die furchtbar verschweigende Schlucht, in welcher die anderen/enden: immer wieder gehn wir zu zweien hinaus/unter die alten Bäume, lagern uns immer wieder/zwischen die Blumen, gegenüber dem Himmel.
Angelika Eck, die so viele Menschen in entscheidenden Momenten ihres Lebens therapeutisch begleitet, hat für sich erkannt: „Ich sehe eine unspektakulär-liebevolle Ruhe heute mehr denn je als etwas Rares und Fragiles, für das wir wach und tätig sein sollten.“ Und auch „dankbar“, ergänzt sie, sollten wir gerade für dieses Unspektakulär-Friedvolle in der Paarbeziehung sein, „im Bewusstsein, dass es abhandenkommen kann“.
DAS PORTRÄT
In unserer Serie erschienen zuletzt:
Kristin Neff – Die streitbare Mitfühlende. Heft 12/2023
Brent Roberts – Der Wandelbare. Heft 8/2023
Tim Lomas – Der Kartograf des Fühlens. Heft 4/2023
Ralf T. Vogel – Der Vielseitige. Heft 12/2022
Ulrike Ehlert – Die Stressforscherin. Heft 8/2022
…und viele mehr. Sie finden diese Beiträge auf unserer Website psychologie-heute.de
Drei Bücher von Angelika Eck
„Wir haben keinen Sex mehr. Was können wir tun?“ „Wie gelingt es mir nach einer Brustkrebs-OP, meinem Mann sexuell wieder nahezukommen oder er mir?“ „Soll man einer Frau sagen, wo ihr Mann überall baggert?“ – Fragen wie diese erreichten Angelika Eck über Zeit Online. Schlafzimmerblick ist das Buch zur gleichnamigen Kolumne. Kaum ein Thema, das hier nicht abgedeckt wird. Dabei gibt die Paar- und Sexualtherapeutin erhellende und teils überraschende Antworten. HarperCollins 2021
Sexuelle Fantasien in der Therapie
„Sexualität ist ohne mentale Repräsentation nur ein körperliches Reizgeschehen“, schreibt Angelika Eck im Eingangskapitel. „Erst die Aufladung mit Vorstellungen, Bildern, Sehnsüchten macht sie bedeutungsvoll.“ In dem schmalen Band, der sich an Fachleute richtet, behandelt die Autorin Grundlagen für die Beschäftigung mit sexuellen Fantasien in der beruflichen Praxis. Von Fragetechniken bis zum Umgang mit schwierigen Momenten in der Therapie erörtert sie vielfältige Aspekte des Themas. Vandenhoeck & Ruprecht 2020
Der Band mit dem Untertitel „Fragen der weiblichen Sexualität in der Therapie“ versammelt neben einem Aufsatz der Herausgeberin zu „Fantasien in der Therapie – Minus- und Plussymptome als Zugang zur erotischen Entwicklung“ wissenschaftliche Beiträge von unter anderem Ulrich Clement, Elsbeth Freudenfeld, Angelika Beck und Dania Schiftan. Es geht um Themen wie die „Ausweitung der Lustzone – Wie Frauen ihren Weg zum Orgasmus finden“ oder „Raum für die eigene Lust – Was Frauen brauchen, damit sie wollen können.“ Carl-Auer 2022 (3. Auflage)