Dinge weniger persönlich nehmen

Menschen beziehen es häufig auf sich, wenn etwas nicht gut läuft. Das ist kräftezehrend. Ein amerikanischer Therapeut zeigt, wie man das überwindet.

Die Illustration zeigt ein Mann in gebückter Haltung, der auf seinem Rücken eine sehr große Last trägt aus bunten Wolken und Steinen
"Die Verkaufszahlen sinken, weil ich so ein schlechter Verkäufer bin!" Übertragen wir die Schuld immer auf uns selbst, erschweren wir uns das Leben. © Francesco Ciccolella für Psychologie Heute

Nachdem sie neun Monate lang zusammen gewesen waren, beschlossen Cyrus und Ella, ihre Beziehung zu beenden. Cyrus wollte in den nächsten Jahren eine Familie gründen, wohingegen die karriereorientierte und frischgebackene Professorin Ella nicht wusste, ob sie sich überhaupt Kinder wünschte.

Obwohl sie sich darüber einig waren, dass das ein Trennungsgrund war, passten sie ansonsten als Paar gut zusammen. Das machte es für beide besonders schwer. Ella war einige Monate lang traurig, fand sich dann aber…

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mit ihrer Entscheidung ab und verabredete sich wieder mit Männern. Cyrus kam weniger gut zurecht. Ihn deprimierte nicht nur der Verlust von Ella, er gab sich zudem die Schuld an der Trennung. Er war sich sicher, dass „sein Egoismus“ verhindern werde, dass er jemals wieder eine richtige Beziehung führen könne.

Cyrus’ Freundinnen und Freunde versuchten ihn davon zu überzeugen, dass er kein Egoist war, sie meinten, er habe regelmäßig Ellas Bedürfnisse über seine eigenen gestellt. Und sie sagten, dass sein Wunsch nach einer Familie zu wichtig sei, als dass er in der Frage hätte klein beigeben können. Dennoch gelang es Cyrus nicht, von der Überzeugung loszukommen, die Beziehung sei an seinem Egoismus gescheitert.

Zwei problematische Denkmuster

Er hielt sich zudem für einen introvertierten Bücherwurm, der in den Augen der Frauen ein „echter Nerd“ sei. Cyrus glaubte, dass er wenig Chancen bei ihnen habe. Als er sich dennoch schließlich dazu durchrang, es wieder zu versuchen, war er bei den Verabredungen sichtlich nervös. Die Frauen, die er traf, fühlten sich aufrichtig zu ihm hingezogen und bemühten sich, ihn zu beruhigen. Doch er dachte: „Sie waren nur nett, weil ich ihnen leidtat.“ So sehr Cyrus sich anstrengte, optimistisch zu bleiben: Es gelang ihm nicht, die selbstkritischen Gedanken zu überwinden. Er blieb überzeugt, dass auch andere diese negativen Eigenschaften wahrnehmen würden und dass sein Liebesleben hoffnungslos sei. Schließlich gab er die Versuche ganz auf.

Obwohl Rückschläge wie eine Trennung niederschmetternd sein können, ist mitunter die Art und Weise, wie wir über sie denken, dass weitaus größere Problem. Vor allem wenn unsere Gedanken übermäßig kritisch sind. Wie so viele Menschen in einer solchen Situation hatte Cyrus mit seiner Trennung und der Herausforderung, sich wieder zu verabreden, zu kämpfen. Seine Tendenz, die Dinge zu persönlich zu nehmen, machte es ihm besonders schwer, damit fertigzuwerden. Cyrus’ Bild von sich selbst entstand aus verzerrten, unrealistischen Gedanken, sogenannten kognitiven Verzerrungen.

Gerade Menschen, die Dinge allzu persönlich nehmen, haben häufig zwei Denkmuster, die zu erheblichen und anhaltenden Problemen führen. Eines davon ist das Personalisieren, also die Vorstellung: „Ich muss dafür verantwortlich sein, wenn etwas Schlimmes passiert“, selbst wenn es nur teilweise zutrifft, dass man Schuld daran hat, oder es sogar Beweise für das Gegenteil gibt. Obwohl augenscheinlich klar war, dass die Trennung eine Folge von unvereinbaren Lebenszielen war, konnte Cyrus nicht von der Idee abrücken, dass die Beziehung an seinem Egoismus zerbrochen sei.

Menschen, die Dinge zu persönlich nehmen, kämpfen zudem mit einem mind-reading bias, also einer voreingenommenen Auffassung darüber, was sich in den Köpfen anderer abspielt. Sie glauben dann etwa: „Die Leute denken schlecht über mich“, ohne dass es ein entsprechendes Feedback gegeben hätte oder diese Annahme durch ein bestimmtes Erlebnis gestützt werden könnte. Angesichts der Ungewissheit, die mit Blind Dates einhergeht, war Cyrus felsenfest davon überzeugt, dass die Frauen, die er kennenlernte, nur aus Mitleid nett waren.

Emotionale Überwältigung

Cyrus gibt es nicht wirklich, in seiner Geschichte verbinde ich das Schicksal von verschiedenen Patientinnen und Patienten, die ich behandelt habe. Blickt man auf sein Personalisierungsmuster und seinen mind-reading bias, fällt es schwer zu glauben, dass jemand sich allein von solchen Einbildungen leiten lässt. Dabei können selbstkritische Vorstellungen dieser Art jedem von uns Schwierigkeiten bereiten – gerade wenn sie zumindest teilweise wahr sind oder wir zu wenig Informationen haben, um ganz sicher zu sein, dass sie das eben nicht sind.

In solchen Momenten kann es helfen, auf die Prinzipien der kognitiven Verhaltenstherapie (KVT) zurückzugreifen, eines pragmatischen Therapieansatzes, der die Verbindungen zwischen Situationen, Gedanken, Gefühlen und Verhalten in den Blick nimmt. Diese Zusammenhänge zu analysieren macht es einfacher, Situationen objektiv zu betrachten, man kommt in die Lage, potenzielle Lösungen für eine Veränderung zu erkennen.

Aus Sicht der KVT kann man in Cyrus’ Trennung und in seinen Versuchen, neue Frauen kennenzulernen, Momente sehen, die viele schwierige Gedanken auslösten: Zweifel an sich selbst mit seinen Wünschen und Bedürfnissen, an seiner Attraktivität und somit auch an seinen Aussichten auf eine ernsthafte Beziehung. Dadurch fühlte er sich schuldig, deprimiert und ängstlich und verhielt sich wenig vorteilhaft: Er kritisierte sich selbst, zog sich aus sozialen Aktivitäten zurück und gab früh auf, wenn er jemanden kennenlernte.

Auch wenn es für uns alle hart ist, eine Beziehung zu verlieren und eine neue Partnerin oder einen neuen Partner zu suchen: Cyrus hatte besonders stark damit zu kämpfen. Weil er seine Gedanken als wahr erachtete, überwältigten sie ihn emotional und er resignierte schnell. Das wiederum ließ ihn noch stärker daran glauben, die schlechte Meinung über sich selbst sei zutreffend – und ebenso das unvorteilhafte Bild, das die Frauen über ihn haben könnten.

Mit Selbstkritik in die Ohnmacht

Ursachen für eine so skeptische Einstellung gegenüber uns selbst gibt es viele. Manchmal sind es unsere Handlungen, die ein Problem erst verursachen oder dazu beitragen. Ein andermal beurteilen uns andere negativ, aber sprechen es nicht offen aus, so dass wir aus der Beobachtung ihres mehrdeutigen Verhaltens, unseren Gefühlen und dem, was wir über uns denken, schlussfolgern: Die haben eine schlechte Meinung über mich.

Entsprechen solche Mutmaßungen der Realität, hilft es, sie anzuerkennen und aktiv zu werden, indem wir uns beispielsweise entschuldigen, um Rückmeldung bitten, ein von uns verursachtes Problem beheben oder Veränderungen vornehmen, die künftig zu besseren Resultaten und Reaktionen führen. Aber was passiert, wenn wir es damit übertreiben? Wenn wir uns selbst übermäßig an einer Sache die Schuld geben, für die wir gar nichts oder nur wenig können?

Manchmal kritisieren wir uns bis zu einem Punkt, an dem wir die Gedanken nicht mehr loswerden und – niedergedrückt von schmerzhaften Gefühlen – schließlich zur Überzeugung gelangen: Ich bin zu hilflos, um etwas zu tun, damit es mir wieder gutgeht. An dieser Stelle ist es wichtig, sich bewusstzumachen: Es ist eine Sache, diese Gedanken zu haben, aber eine andere, sie zu glauben und sich ihnen zu verschreiben.

Selbstkritische Gedanken zu haben bedeutet noch lange nicht, dass sie auch stimmen. Womöglich zeigt sich darin nur, dass wir durch frühere Erfahrungen gelernt haben, so zu denken. Es hilft, diese Gedanken als automatische Verhaltensweise zu sehen, als eine Reihe gut gelernter Reaktionen, die absichtslos und wie auf Kommando auftreten, wenn die Dinge nicht gut laufen.

Der Verstand kommt möglicherweise auf Ideen, die aus verschiedenen Gründen nicht ganz mit der Realität übereinstimmen. Wenn frühere Handlungen zu einer Reihe kostspieliger, folgenschwerer Fehler beigetragen haben, haben wir vielleicht begonnen zu verallgemeinern. Wir glauben dann, dass wir ausschließlich selbst die Schuld an unerwünschten Ergebnissen tragen.

Selbstkritik als Gewohnheit

Vielleicht wurde man auch von einer Vorgesetzten, einem Partner oder Elternteil wiederholt und unfairerweise kritisiert – bis zu dem Punkt, da man seinem eigenen Urteil nicht mehr glauben konnte und die Angriffe verinnerlicht hat. Dann verfällt man in schwierigen Lagen gewohnheitsmäßig in Selbstkritik. Es könnte sogar sein, dass es einem in der Vergangenheit geholfen hat, Fehltritte zu bekennen. Diese Erfahrungen haben womöglich die Überzeugung gestärkt, dass es unsere Schuld sein muss, wenn die Dinge nicht gut laufen.

Zum Beispiel könnte man sich einmal für ein wichtiges Arbeitsmeeting nicht vorbereitet haben; die Punkte, die man besprechen wollte, hatte man vorab nicht präzise genug herausgearbeitet und dann strauchelte man, als man sie vorbringen musste. Sich diesen Fehler einzugestehen war hilfreich, um sich beim nächsten Mal besser vorzubereiten. Aber man könnte dadurch auch gelernt haben, generell die Verantwortung für Rückschläge zu übernehmen und sich in schwierigen Situationen immer zu fragen, was man selbst dazu beigetragen hat. Auch bei Problemen, die wenig mit einem selbst zu tun haben.

Zu wissen, dass diese Gedanken mehr mit unserer Vergangenheit zu tun haben und weniger ursächlich sind für einen Rückschlag oder eine irritierende menschliche Interaktion, ist ein wichtiger erster Schritt. Nehmen wir hingegen alles hochgradig persönlich oder betrachten unsere Interpretation von fremden Gedanken als unumstößliche Wahrheit, hat das Konsequenzen. Die Überzeugungen sind nicht nur unzutreffend, sondern auch selbstbegrenzend. Die Vorstellung, man hätte mehr tun müssen, um ein ungewolltes Resultat zu verhindern oder ein besseres Ergebnis zu erzielen, wird zudem zu Schuldgefühlen führen.

Die Schlussfolgerung, man sei mangelhaft oder eine Versagerin, kann Scham auslösen. Und der Gedanke, dass man sich selbst und andere im Stich gelassen hat, vermag Frust oder Wut zu entfesseln. Durch die intensiven Gefühle kommen einem die verzerrten Gedanken noch wichtiger vor – eben weil Gedanken und Gefühle miteinander in Verbindung stehen. Eine weitere verdrehte Überzeugung bringt einen dann noch stärker in Bedrängnis: „Wären diese Gedanken nicht wahr, würde ich mich nicht so schlecht fühlen.“

Mit schädlichen Gedanken umgehen

Nehmen wir die Dinge zu persönlich, zieht dies auch eine Veränderung unseres Verhaltens mit sich. Beispielsweise unterlassen wir dann Aktivitäten, die uns eigentlich Freude bereiten oder ein Erfolgsgefühl vermitteln. Wir denken: „Was bringt es, sich anzustrengen, wenn mein Handeln oder meine Fehlerhaftigkeit so viele Probleme verursacht?“ Zudem führt der mind-reading bias und die daraus resultierende Überzeugung: „Die Leute denken schlecht über mich“, oft zu sozialem Rückzug.

Wenn man jedoch erkennt, dass man unabsichtlich in solchen Verzerrungen feststeckt und die harten Urteile nicht der Wahrheit entsprechen, eröffnen sich neue Möglichkeiten, flexibel auf sie einzugehen. Mit realistischeren und nützlicheren inneren Dialogen, größerer Akzeptanz und Toleranz gegenüber verwirrenden Gedanken und Emotionen sowie gezieltem Verhalten können wir übermäßig kritische Gedanken widerlegen und unser Selbstvertrauen stärken.

Der erste Schritt, um effektiver auf verzerrte Gedanken zu reagieren, besteht darin, sie wahrzunehmen. Neben den Gedanken, die wir als solche der Personalisierung und des mind-reading identifizieren können, hilft es auch, diejenigen zu erkennen, die mit der Situation verbunden sind. Außerdem können wir Urteile und Bedenken gegenüber anderen bemerken sowie zukunftsorientierte Bedrohungen oder Unsicherheiten. Wenn man regelmäßig übt, derartige Gedanken zu erkennen, wird man lernen, die Muster zu entdecken, die zu Befangenheit und Bedrückung führen.

Aufschreiben und prüfen

Durchläuft man diesen Prozess zu schnell, wird es vielleicht schwierig sein, die bedeutsamsten und folgenreichsten Gedanken herauszufiltern. Am besten nimmt man sich also Zeit und notiert die Gedanken. Das Schreiben hilft, systematischer vorzugehen, besonders wenn es um kompliziertere und emotional aufgeladene Gedanken geht. Mit wachsender Erfahrung wird man möglicherweise zu der Entscheidung kommen, dass es ausreicht, darüber nachzudenken. Wichtig ist, so präzise wie möglich zu sein.

Eine gute Methode besteht darin, das Gefühl oder Verhalten zu benennen, gefolgt von „weil…“ und dem Auslöser für diese Emotion oder dieses Handeln. Der Satzbeginn: „Ich war traurig, weil…“, könnte beispielsweise so fortgeführt werden: „…ich dachte, mein Freund hasst mich“; „…ich mich nicht dazu aufraffen konnte, sie zu besuchen“; „…ich nie die Gefühle der anderen über die meinen stelle“; „…meine Freunde nicht mehr gerne Zeit mit mir verbringen“; „…ich egoistisch bin und netter zu den Menschen sein sollte, die mir wichtig sind“. Stechen ein oder zwei Gedanken heraus, die uns besonders stark treffen, lohnt es sich, sie zu kennzeichnen.

Danach werfen wir einen Blick auf die notierten Gedanken und prüfen, wie realistisch sie sind. Wir sollten damit beginnen, verschiedene kognitive Fehler und Verzerrungen in Betracht zu ziehen (siehe Kasten unten). Menschen, die Dinge zu persönlich nehmen, tappen häufig in diese Denkfallen. Obwohl wir alle diese Gedanken zumindest gelegentlich haben, kann es sein, dass einige von ihnen als wiederkehrende Muster auftauchen, die einem besondere Probleme bereiten. Zusätzlich sollten wir sämtliche Anzeichen notieren, die die ursprünglichen Überzeugungen stützen, und dann solche hinzufügen, die nahelegen, dass sie falsch sind.

Nicht gegen Gefühle ankämpfen

Auch hilft es, nach weiteren Überzeugungen oder Interpretationen zu suchen, die eine neue Sicht auf das Geschehen bieten (Beispiele für realistischere und alternative Erklärungen finden Sie hier). Mit ihnen wollen wir arbeiten: Beobachten Sie, wie es sich anfühlt, mit diesen realistischeren Gedanken auf die Situation zu reagieren. Haben die Gefühle dadurch an Intensität verloren oder erschienen sie weniger hinderlich als zuvor? Konnten Sie dadurch besser mit ihnen umgehen, ein aktuelles Problem einfacher lösen? Werden Sie damit womöglich in Zukunft souveräner agieren? Häufig hilft es auch, zunächst Abstand zu Selbstvorwürfen und anderen hinderlichen Gedanken zu gewinnen. Danach fällt es leichter, das Problem klar genug zu erkennen, um sich darauf zu konzentrieren, was getan werden kann.

Wenn Sie jedoch feststellen, dass Sie trotz aller Bemühungen unbeirrbar an den unrealistischen Gedanken festhalten und in Ihnen entsprechende Gefühle aufsteigen, sollten Sie wissen: Gegen sie anzukämpfen oder sich mit aller Kraft davon zu distanzieren wird wahrscheinlich nach hinten losgehen. Die Gedanken und Gefühle werden bestehenbleiben. Denn die Anstrengungen, unangenehme Gedanken zu kontrollieren oder zu ignorieren, festigen nur die Überzeugung, dass sie wichtig und richtig sind. Wir meinen dann, dass sie Aufmerksamkeit und Energie verdienen. Denkfehler mit all den einhergehenden Emotionen und in ihrer Dringlichkeit anzuerkennen kann einen unterstützen, nicht so hart mit sich selbst zu sein und sich nicht allzu sehr mit ihnen zu beschäftigen.

Einigen Menschen fällt es schwer, das Konzept der Akzeptanz, nun ja, zu akzeptieren. Das Unkontrollierbare anzunehmen ist Menschen, die stolz auf ihre Handlungsfähigkeit und Problemlösungskompetenz sind, zuwider. Besonders wenn es ihnen in der Vergangenheit gelungen ist, schwierige Situationen nicht nur zu meistern, sondern daraus gestärkt hervorzugehen. Selbstkritischeren Naturen erscheint Akzeptanz oftmals als ein Synonym für Aufgeben – eine noch hoffnungslosere Sichtweise, als sie ohnehin gewohnheitsmäßig einnehmen.

Akzeptieren und umsteuern

Anstatt Akzeptanz als bloßen Euphemismus für „ich gebe auf“ zu verstehen, sollte man sie besser als Chance sehen: als Gelegenheit, die Gedanken, Emotionen und Dringlichkeiten zu reinterpretieren und dann zu wählen, wie man mit ihnen umgehen will. Das würde helfen, neue, förderlichere Denk- und Verhaltensweisen zu entwickeln. Vielleicht hilft es, sich Akzeptanz als zweistufigen Prozess vorzustellen: „akzeptieren und umsteuern“. Wenn man verwirrende, ablenkende und unangenehme innere Gefühlszustände bemerkt, besteht dann der erste Schritt darin, sie als das zu sehen, was sie sind, und zu akzeptieren, dass man von ihnen herausgefordert wird.

Der zweite Schritt liegt darin, die Aufmerksamkeit und das Verhalten wieder auf das zu lenken, was in diesem Moment wichtiger oder bedeutsamer ist, sich wieder auf die gegenwärtige Situation zu konzentrieren. Wenn man daran gewöhnt ist, selbstkritische Gedanken zum Anlass zu nehmen, über frühere Enttäuschungen oder eine beängstigende und unsichere Zukunft zu grübeln, kann man versuchen, den Gedanken zu identifizieren – ohne auf ihn zu reagieren. Ihn einfach nur wahrzunehmen und zu lassen, wie er gerade ist.

Möglicherweise wird man dabei eine körperliche Reaktion wahrnehmen, als ob einen Gehirn und Körper dazu bringen wollen, die Wirkung des Gedankens zu spüren und ihn ernst zu nehmen. Vielleicht bemerkt man auch den Drang, an etwas anderes denken zu wollen oder ein inneres Streitgespräch zu führen, etwa indem man nach Argumenten sucht, die den Gedanken widerlegen.

Unerwünschte wiederkehrende Empfindungen, Gedanken, Gefühle und innere Zwänge lassen sich auch mit anderen Ärgernissen des Lebens vergleichen, vor allem mit jenen, die sich dem Versuch entziehen, sie zu beherrschen. Solche Situationen kennen Eltern gut, deren Kind einen Wutanfall bekommt, weil es Aufmerksamkeit, ein Spielzeug oder Nachtisch haben will. Jeder Versuch, vernünftig zu argumentieren, führt nur dazu, dass sich das Kind noch mehr in seine Wut reinsteigert. Gibt man den Wünschen dann doch nach, lernt es nur eins: beim nächsten Mal einen noch heftigeren Wutanfall zu bekommen.

Das Gehrin und seine Spam-E-Mails

So nervtötend die kindlichen Ausbrüche auch sein mögen, kann es mitunter das Beste sein, sie einfach geschehen zu lassen, denn so erfährt das Kind unmittelbar, dass es für sein schlechtes Verhalten nicht belohnt wird. Sich das eigene Gehirn als forderndes Kind vorzustellen ist eine gute Art und Weise, sich von dem emotionalen Getöse zu lösen. Weitere Beispiele für tolerierbare Belästigungen, die man am besten ignoriert, sind Hunde, die Leckerlis erbetteln, Restaurantbesucherinnen, die in ihr Handy quasseln, Spam-E-Mails und Internetwerbung. Indem man diese Störgeräusche einfach im Hintergrund belässt, lernt man, trotz allem weiterzumachen. Mentale Störfaktoren kann man genauso behandeln.

Schließlich lässt sich Akzeptanz üben, indem man Warmherzigkeit, Geduld und Selbstmitgefühl hervorbringt, wann immer das Leben sich schwierig gestaltet. Allzu oft begegnen wir unseren selbstquälerischen Gedanken mit noch härteren Urteilen, dann greifen wir uns selbst dafür an, dass wir überreagieren, uns von Gefühlen runterziehen lassen oder suboptimale Entscheidungen treffen, obwohl wir unser Bestes tun, um all das zu bewältigen.

Neigt man dazu, sich beim Gefühl der Überforderung selbst zu verurteilen, kann man sich fragen: Wäre ich genauso streng, wenn mir ein geliebter Mensch seine emotionalen Probleme anvertraute? Die meisten von uns neigen dazu, zu sich selbst härter zu sein als zu anderen. Wenn ich andere mitfühlend unterstütze, kann ich aber womöglich auch mir selbst Verständnis und Wohlwollen zukommen lassen.

Anker in der Realität

Die wirksamste Methode zur Bekämpfung von Denkfehlern besteht jedoch darin, sie in der Realität zu widerlegen. Mit anderen Worten: Wenn man nicht davon überzeugt ist, dass die Gedanken falsch sind, stellt man sie am besten auf die Probe, indem man sein Verhalten ändert. Die Frage lautet: „Was würde ich tun, wenn diese Gedanken nicht wahr wären?“ Wenn man weiß, was das wäre, kann man es tun. Auf diese Weise wird man langsam neue, förderlichere Denkweisen über sich selbst entwickeln.

Auch Cyrus, unserem prototypischen Patienten, gelang es auf diese Weise, zu hilfreicheren Überzeugungen zu kommen. Er dachte darüber nach, dass es der Schmerz über das Ende der Beziehung sein könnte, der sein Denken so trübte. Und er zog in Erwägung, dass seine persönliche Überzeugung „Ich bin zu egoistisch“ nicht ganz so zutreffend sein könnte, wie er lange gedacht hatte. Cyrus überlegte, wie er handeln würde, wenn seine Gedanken nicht stimmten.

Auch versuchte er, objektiver zu sein. Statt weiter in einem „Alles oder nichts“-Denken verhaftet zu bleiben, in dem er davon ausging, dass Menschen entweder egoistisch sind oder nichtegoistisch, arbeitete er die Aspekte einer Beziehung heraus, die für ihn am bedeutsamsten waren – zum Beispiel Kinder zu haben –, und andere Bereiche, in denen er offen für Kompromisse war.

Gleich nach einem zweiten Date fragen

Als er sich wieder mit Frauen traf, sprach er über die Werte, die ihm in einer Beziehung wichtig waren, und über seine Hoffnungen für die Zukunft. Er fragte auch die Frauen nach ihren Prioritäten und versuchte herauszufinden, ob sie und er die Flexibilität besaßen, in einer Beziehung kompatibel zu sein. Mit etwas Zeit und Erfahrung veränderte sich seine Einstellung von „Ich bin egoistisch“ zu einer realistischeren: „Eine gesunde Beziehung bedeutet unter anderem, dass man ehrlich über seine Bedürfnisse ist. Und man muss auch Kompromisse machen können, um auf die Bedürfnisse der Partnerin einzugehen – ich glaube, ich mache beides gut.“

Um etwas gegen seine Befürchtung zu tun, dass er für Frauen zu unattraktiv sei, beschloss er, ein kleines Risiko einzugehen, wann immer er eine Verabredung gut fand. Egal wie Treffen bisher verlaufen waren, Cyrus hatte sich immer Sorgen darüber gemacht, wie sein Gegenüber über ihn denken könnte. Er entschied sich nun dafür, die Zweifel zu prüfen: indem er nach einem zweiten Date fragte.

Diese einfachen Veränderungen zahlten sich aus. Cyrus erwarb mehr Selbstvertrauen und fand es mit der Zeit einfacher, die mentalen Störgeräusche des Personalisierens und seines mind-reading bias zu ignorieren. Er konnte den Fokus weg von diesen Denkhindernissen lenken und hin zur Verbindung mit seinem Gegenüber. Wenig überraschend, dass seine Treffen mit Frauen erfüllender wurden. Letztlich gelang ihm sogar, worauf er so lange gehofft hatte. Er gründete eine Familie.

Übersetzung: Elke Hartmann-Wolff

Joel Minden ist Psychologe, kognitiver Verhaltenstherapeut und Dozent an der psychologischen Fakultät der California State University in Chico.

Kognitive Verhaltenstherapie

Die kognitive Verhaltenstherapie kam in den 1970er Jahren auf. Sie gilt als soge­nannte „zweite Welle“ der Verhaltenstherapie und betrachtet anders als frühere Formen auch das Innenleben und nicht nur das Verhalten des Menschen. Die hierzulande angebotene Form der Verhaltenstherapie ist meist eine kognitive Verhaltenstherapie. Neuere Strömungen, die als „dritte Welle“ bezeichnet werden, setzen weniger auf kognitive Kontrolle, zentral sind stattdessen Achtsamkeit und Akzeptanz.

Typische Denkfehler

Im Alltag unterlaufen uns oft unbewusste Verzerrungen im Denken, etwa die folgenden:

Übermäßiges Verallgemeinern: Was man aus vereinzelten Erfahrungen weiß, wird auf alles übertragen. Zum Beispiel: „Mein ganzes Leben ist ein einziges Chaos.“ „Seit Stunden arbeite ich daran, dieses Problem zu lösen, und es wird mir nie gelingen.“

Schwarz-Weiß-Denken: Nuancen und Ausnahmen werden übersehen und undifferenzierte, unbarmherzige Urteile gefällt. Beispiele: „Ich kapiere das nicht, weil ich dumm bin.“ „Ich halte mich von meinen Schwiegereltern fern, weil sie gemein sind.“

Emotionales Argumentieren: Die Gedanken, die schwierige Gefühle auslösen, werden aufgrund ihrer Intensität oder langen Dauer als unumstößliche Fakten gesehen. Beispiele: „Es besteht keine Hoffnung für mich, weil ich nicht aufhören kann, traurig zu sein.“ „Ich weiß, dass ich ein schlechter Freund bin, ich fühle mich so schuldig, weil ich Mark nicht beim Umzug geholfen habe.“

Die Aussagen „sollen“ und „müssen“: Festhalten an starren und unrealistischen Regeln, wie man selbst zu sein hat oder was von anderen zu erwarten ist. Etwa: „Ich muss stets pünktlich sein.“ „Damit ich mich besser fühle, darf ich nur das Positive sehen.“

Katastrophisieren: Davon ausgehen, dass die größtmögliche Katastrophe eintritt, auch wenn das höchst unwahrscheinlich ist. Beispiele: „Wenn ich meine Cousine besuche, werden wir unentwegt streiten und eine schreckliche Zeit haben.“ „Ich brauche gar nicht erst zum Vorstellungsgespräch zu erscheinen, denn der Personalchef wird wütend auf mich sein, weil ich seine Zeit verschwende.“

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 7/2023: Dinge weniger persönlich nehmen