Mein Name ist Luise

Was verändert sich, wenn man den eigenen Vornamen ersetzt? Schriftstellerin Louise Brown stößt beim Schreiben auf erhellende und verwirrende Antworten.

Die Schriftstellerin hält ihren britischen Pass in einer Hand vor ihre eine Gesichtshälfte
Louise Brown arbeitet als Journalistin und verfasst eigene Bücher. Seit Jahren ist sie auch als Trauerrednerin tätig. © Hanna Lenz für Psychologie Heute

Diese Geschichte beginnt mit einer hellbraunen Karte und einer Abbildung darauf von vier Putten, die ein Banner mit dem Namen „Luise Viktoria Brown“ hochhalten. Unter der Zeichnung steht in eleganten Buchstaben auf Englisch: „Richard und Margret Brown freuen sich, die Geburt ihrer Tochter Luise Viktoria anzukündigen, am Dienstag, den 11. Februar 1975. Gewicht 8 Pfund, 3½ Unzen.“

Die Karte hat mein Vater entworfen, der von Beruf Grafiker war, nachdem er als junger Mann Drucksetzer gelernt hatte, und der immer…

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entworfen, der von Beruf Grafiker war, nachdem er als junger Mann Drucksetzer gelernt hatte, und der immer schon ein Faible für Gedrucktes, Buchstaben und Papier hatte. Beim Betrachten der Karte stelle ich mir vor, wie er schon vor meiner Geburt Bild und Schrift aussuchte, so wie er im späteren Leben schon im Sommer seine eigenen Weihnachtskarten entwarf. Solange ich denken kann, steckt die Karte mit der Ankündigung meiner Geburt auf der ersten Seite eines Fotoalbums, das meine Mutter mit meinen Babyfotos gefüllt hat.

Als ich das Album öffne, was ich selten tue, weil ich mir bis heute nicht gut alte Fotos anschauen kann, die das Leben für mich weniger festhalten als die Menschen darin erstarren lassen, und die Seiten beim Blättern leicht knarzen, als würden sie zum Leben erwachen, berührt mich dieser zu Papier gewordene Stolz meines Vaters, den er mir als Kind damals ansonsten schwer zeigen konnte. Ebenso bewegt es mich, meinen gesamten Namen – Luise Viktoria Brown – vor mir zu sehen, wie er heute selten vor mir steht. Ein Name, der mir vertraut und doch über die Jahre fremd geworden ist. Denn seit dreißig Jahren nenne ich mich nicht mehr Luise, sondern Louise.

Von London ins ländliche Norddeutschland

Es soll mein britischer Vater gewesen sein, der meinen deutschen Vornamen für mich ausgesucht hat. Ich weiß nicht, woher ich diese Information habe; sie gehört zu den Tatsachen, die in einer Familie als gegeben gelten, ohne dass sie jemals hinterfragt werden. Sicher weiß ich nur, dass mein britischer Vater immer schon von einem besonderen Interesse an Deutschland infiziert war. Möglicherweise lag dies an der Verzahnung beider Länder durch den Zweiten Weltkrieg. Zu Kriegszeiten aufgewachsen, ging mein Vater als Teenager zur British Army. Mit siebzehn wurde er als Besatzungssoldat im Raum Paderborn stationiert. Von dieser Zeit schwärmte er Jahre später, vor allem von den Menschen in Deutschland und davon, wie freundlich sie zu den britischen Soldaten gewesen waren. So sehr prägte ihn diese Zeit, dass, als er die Armee verlassen und eine Laufbahn als Drucksetzer begonnen hatte, es sein Traum blieb, eines Tages in Deutschland zu leben.

Bis er diesen verwirklichen konnte, engagierte er sich für einen Club, der sich für die Annäherung beider Länder einsetzte. Dort organisierte er Ausflüge für junge Zugezogene aus Deutschland, zu denen meine Mutter gehörte, die Ende der 50er Jahre als Au-pair nach London gezogen war. Wäre es nach meiner Mutter gegangen, hätte ihr gemeinsames Leben für immer in London stattfinden sollen, während mein Vater wiederholt versucht haben soll, nach Deutschland umzusiedeln. Bis er sein Lebensziel erreichte, musste seine Verbundenheit zu Deutschland auf andere Weise Ausdruck finden. Dazu gehörte, mir zu meinem unmissverständlich klingenden britischen Nachnamen einen deutschen Vor- und Mittelnamen zu verpassen.

Ich war zwölf, als wir von London ins ländliche Norddeutschland zogen. Dort lebte ich erstmals in einem Umfeld, in dem die Menschen meinen deutschen Vornamen korrekt aussprechen konnten, wie es in England oft nicht der Fall gewesen war, nun aber über meinen britischen Nachnamen stolperten.

Was das „o“ ausdrückt

Warum erzähle ich das alles? Warum beschäftige ich mich auf diesen Seiten mit meinem Namen? Mit jener Bezeichnung, die, wie mir soeben beim Schreiben deutlich wurde, ihre eigene Geschichte hat. Die man, wenn man das Glück hat, viele Jahrzehnte zu leben, oft ebenso lange mit sich trägt. Die so selbstverständlich zum eigenen Leben gehört, dass sie Teil der eigenen Identität und Lebensgeschichte wird. Bei anderen wiederum wird der Name weniger zur Selbstverständlichkeit als zu einer Last, die im Laufe eines Lebens schwerer zu tragen wird, bis dieser von seinem Träger geändert oder ausgetauscht wird.

Zu den Menschen, die ihren Namen geändert haben, gehöre auch ich. Zwar legte ich als junge Erwachsene meinen Geburtsnamen nicht ganz ab, aber zumindest veränderte ich ihn so, dass er mir passender erschien. Diese Anpassung gelang mir, indem ich meinen Vornamen mithilfe von nur einem Buchstaben veränderte.

Ich war Anfang zwanzig, als das „o“ in meinen Vornamen einzog. Offiziell war ich zum Politikstudium nach Berlin gezogen. Vielmehr jedoch war ich in die Stadt gezogen, um ein Praktikum bei einer Berliner Zeitung zu absolvieren. Als mein erster Bericht in der Zeitung erschien, schlug mein Puls höher, war es doch bislang fraglich gewesen, ob ich mit meinem holprigen Deutsch meinen Wunschberuf als Journalistin ergreifen konnte. Somit stellte jener erste Artikel einen Meilenstein in meinem journalistischen Leben dar. Im Rückblick jedoch nicht nur in meinem Berufsleben: Fast symbolisch erscheint es mir heute, dass mein Name über dem Text falsch geschrieben wurde, und zwar mit „o“: Louise Brown. Ein Fehler, nach dem ich nicht, wie man meinen könnte, den verantwortlichen Redakteur bat, die Schreibweise meines Namens für künftige Artikel zu korrigieren. Denn mit dem Falschschreiben meines Namens wurde etwas anderes in mir korrigiert.

Luise, das war die Person, die ich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr sein wollte. Das war die Unsportliche, Anders­aussehende, Ungelenke, in der sich aufgrund ihrer gefühlten Unzulänglichkeiten in der deutschen Sprache, beim Sport und im Umgang mit ihren Gleichaltrigen eine tiefe Scham festgesetzt hatte. Die zwar wohlwollend und freundlich von ihren Mitschülerinnen in Deutschland aufgenommen worden war, sich aber dort nie zugehörig fühlte und sich nie wieder ganz wie in London fühlen würde, als wäre etwas in ihr mit dem Schritt in die neue Heimat zersprungen.

Louise wiederum war die, die ich werden wollte: die dynamische und selbstbewusste Journalistin, die in einer Stadt lebte, die Ende der 90er Jahre dabei war, sich neu zu erfinden, und in der es auch für mich möglich erschien, mich zu wandeln. Die sich als Britin in Deutschland zwar von ihren Mitmenschen unterschied, jedoch weniger durch ihre Unzulänglichkeiten als vielmehr durch jene von den Deutschen „bewunderte kulturelle Selbstverständlichkeit“, so der Autor Philip Oltermann. Ein Selbstverständnis, das sich durch das „o“ auszudrücken schien, mit dem aus einem biederen deutschen ein fließender britischer Vorname wurde und aus jener hakeligen Mischung aus einem deutschen Vor- und einem englischen Nachnamen ein gleichmäßiger Fluss, mit dem sich auch etwas in mir zu glätten schien.

Eine Fotoalbumseite zeigt die zwei Monate alte Schriftstellerin Louise Brown in den Armen ihrer Mutter
Stolz ist der Mutter ins Gesicht geschrieben. Auf der Fotoalbumseite ist Louise Brown als Baby in den Armen ihrer Mutter zu sehen.
Eine Fotoalbumseite zeigt die zwei Monate alte Schriftstellerin Louise Brown in den Armen ihrer Mutter
Stolz ist der Mutter ins Gesicht geschrieben. Auf der Fotoalbumseite ist Louise Brown als Baby in den Armen ihrer Mutter zu sehen.

„Wie darf ich Sie bei der Begrüßung gleich nennen?“

Warum beschäftigte ich mich zum ersten Mal jetzt mit meinem Namen? Liegt es daran, dass ich nach zehn Jahren als Trauerrednerin das Leben der verschiedensten Menschen in ihrer Komplexität anschauen durfte und ich dadurch erlebt habe, wie sich eine Lebensgeschichte durch einen einzigen Moment wenden kann? Dass diese Wendungen oft erst mit dem Abstand des Alters erkennbar werden und ich nun vor meinem 50. Geburtstag an die Momente im eigenen Leben denke, in denen es eine neue und entscheidende Richtung einschlug, zu denen sicher auch die gehörte, dass ich meinen Namen änderte?

Vielleicht denke ich gerade mehr über meinen Namen nach, weil ich als Autorin nach drei Büchern an einem vierten arbeite und mir, wenn ich die Cover der bisherigen Titel erblicke, nun öfter der Gedanke durch den Kopf geht, ob auf dem Deckblatt des nächsten Werkes nicht besser „Luise Brown“ stehen sollte. Ob ich damit der Luise, die als kleines Kind schon eine Leidenschaft fürs Lesen hegte und davon träumte, später Bücher zu schreiben, auf eine Weise die Anerkennung schenken könnte, die sie verdient hat.

Vielleicht beschäftige ich mich deshalb intensiver damit, wie ich heiße, weil ich mit meinen Büchern in den letzten Jahren viel unterwegs war, und mir immer wieder vor einer Lesung eine Buchhändlerin oder ein Moderator zuflüstert: „Wie darf ich Sie bei der Begrüßung gleich nennen, Louise oder Luise?“ Vor genau einer solchen Lesung stand eine Schulfreundin vor der Tür, die ich seit dreißig Jahren nicht gesehen hatte und die mich in unserem regelmäßigen Austausch seither wie zur Schulzeit nennt, Luise. Auch bei einem Treffen mit unserem damaligen Abiturjahrgang nach ebenfalls dreißig Jahren wurde ich erstmals seit langer Zeit wieder mit meinem damaligen Ich, mit Luise konfrontiert.

Möglicherweise führen all diese Gründe dazu, dass derzeit kein Tag vorbeizugehen scheint, an dem mir nicht durch den Kopf geht: Wie sollte ich nun heißen? Warum spielt es eine Rolle, wie wir uns nennen? Und warum haben unsere Namen eine solche Macht über uns?

Der Wolf in Wolfram

“What’s in a name?”, heißt es in der Tragödie Romeo und Julia von William Shakespeare. Und dann weiter: „Eine Rose mit einem anderen Namen würde genauso süß duften.“ Eine Aussage, mit der Julia signalisiert, dass es ihr egal ist, ob Romeo aus einer rivalisierenden Familie stammt, da sie ihn dennoch lieben wird. Denn so, wie eine Rose genauso duftet und aussieht, selbst wenn sie anders bezeichnet wird, wird Romeo für sie immer der Gleiche bleiben.

Im wirklichen Leben scheint diese Sichtweise weniger zu gelten. Ein Name ist nie nur ein Wort, sondern stets mehr als das. Die Wahl unseres Namens erzählt eine Geschichte darüber, wo wir herkommen und welche Menschen unsere Vorfahren waren. Er ist Zeichen kultureller, familiärer und historischer Verbindungen. Er schenkt uns ein Gefühl dafür, zu welchen Gemeinschaften wir gehören. Ein Name kann Ausdruck gelebter und ungelebter Träume sein. Er kann Macht ausdrücken, Verantwortung mit sich bringen, einen Charakter bestimmen, Fluch und Segen zugleich sein. Ein Name ist mehr als eine Bezeichnung, sondern Kultur, Herkunft, Identifikation und Verbundenheit.

Dass ein Name immer schon mehr als eine Ansammlung von Buchstaben war, mit der ein Mensch oder ein Objekt durch wenige Laute von einem anderen unterschieden werden kann, zeigt ein Blick in die Geschichte. Bereits bei den Germanen wurden Namen mit Wünschen oder Botschaften verknüpft. Siegmund etwa beinhaltet die Begriffe Sieg und Schutz. In dem Namen Wolfram steckt der Wolf, ein in der germanischen Mythologie wichtiges Tier. Der römische Kaiser Gaius Julius Caesar trug den Namen Julius nicht nur als zweiten Vornamen; vielmehr wies dieser darauf hin, dass der Kaiser dem angesehenen altrömischen Patriziergeschlecht der Julier entstammte.

„Kevin ist kein Name, sondern eine Diagnose!“

Schon durch das Hören oder Lesen des Namens einer Person lässt sich ein Bild von dieser machen, bevor der erste Eindruck durch Gesichtsmerkmale, Kleidung, Stimme und Körperhaltung bestimmt wird. Das bestätigt eine Studie zur sozialen Wahrnehmung von Vornamen von der Technischen Universität Chemnitz: „Wenn wir einen Vornamen hören oder lesen, assoziieren wir damit automatisch bestimmte Merkmale der betreffenden Person, beispielsweise das Geschlecht, Alter, Intelligenz sowie auch ethnische Zugehörigkeit und soziale Klasse“, heißt es dort. Dass Namen Signale darüber senden, wer wir sind, woher wir kommen, aber auch mit welchen Vor- oder Nachteilen wir dadurch ausgestattet sind, wurde mehrfach nachgewiesen.

In einer schwedischen Studie wurden Einwanderer, die ihre slawischen, asiatischen oder afrikanischen Namen aus ihrer Geburtsregion behalten hatten, mit denen verglichen, die diese mit schwedisch klingenden Namen wie Lindberg und Johnson ausgetauscht hatten. Die Ökonomen Mahmood Arai und Peter Skogman Thoursie von der Universität Stockholm fanden heraus, dass diese Art der Namensänderung das Einkommen erheblich verbesserte: Die Einwanderer mit neuen Namen verdienten im Durchschnitt 26 Prozent mehr als diejenigen, die ihren Namen behalten wollten.

Die Auswirkungen der Namensgebung setzen oft bereits vor dem Eintritt einer Person in den Arbeitsmarkt ein. Die Ungleichheiten von Bildungschancen könnten schon mit dem Eintrag des Vornamens des Kindes ins Standesamtsregister beginnen, so eine Studie der Oldenburger Erziehungswissenschaftlerin Astrid Kaiser und ihrer Mitarbeiterin Julia Kube. Bestimmte Vornamen führten bei vielen Lehrern und Lehrerinnen zu Vorannahmen, was die Fähigkeiten und das Verhalten der Kinder betrifft, heißt es dort. So wurden von dem überwiegenden Anteil der befragten Grundschullehrkräfte Schüler und Schülerinnen mit Vornamen wie Charlotte, Sophie, Marie, Hannah, Alexander, Maximilian, Simon, Lukas oder Jakob als eher freundlich, leistungsstärker und verhaltensunauffällig wahrgenommen, während Namen wie Chantal, Mandy, Angelina, Kevin, Justin oder Maurice eher mit Leistungsschwäche und Verhaltensauffälligkeit bei der Lehrerschaft assoziiert wurden. Auf einem Fragebogen befand sich der inzwischen bekannte Kommentar: „Kevin ist kein Name, sondern eine Diagnose!“

Doch nicht nur die Wahrnehmung von außen, sondern auch die des eigenen Namens kann Einfluss auf das Leben haben, von der Berufswahl über die Auswahl des Ortes, in dem wir leben, bis zur Entscheidung, wofür wir unser Geld ausgeben. Teilen wir etwa ein Initial mit dem Namen eines Hurrikans, ist es wahrscheinlicher, dass wir an einen relevanten Hilfsfonds spenden. Da die meisten Menschen positive Assoziationen mit sich selbst haben, so der Psychologieprofessor Brett Pelham, bevorzugen sie Dinge, die mit ihnen verbunden sind, wie auch die Buchstaben im eigenen Namen. Demnach müsste sich ein Mensch mit dem Namen Ben besonders zum Beruf des Bäckers hingezogen fühlen. Andere Studien widerlegen derartige als Beweis für einen sogenannten impliziten Egoismus interpretierten Erkenntnisse, die auch daher kommen können, dass der Name Ben einfach weit verbreitet ist.

Ein Rütteln an der Vergangenheit

Wenn aber eine Wahrheit in der Tatsache liegt, dass wir uns zu Personen, Orten und Dingen hingezogen fühlen, die unserem Namen ähneln, könnte es sein, dass ich meinen britisch klingenden Vornamen – Louise – auch deshalb gewählt habe, weil er mit seinem „o“ klanglich näher an der Bezeichnung Großbritannien liegt? Dass ich damit etwas zu beanspruchen versuchte, das mir mit dem Schritt nach Deutschland zu entgleiten schien, nämlich meine britische Identität?

Oder könnte es auch sein, dass ich mit der Entscheidung, mich von nun an Louise zu nennen, unbewusst an einem Namenskonstrukt rüttelte, das mir nicht nur zu eng geworden, sondern auch belastet war? Denn zu den von mir bekannten, aber nicht hinterfragten Informationen in meiner Familie gehört auch die: dass mein britischer Vater mich – wenn auch in umgekehrter Reihenfolge – nach der preußischen Prinzessin Viktoria Luise genannt hatte.

Wenn Eltern mit der Vergabe eines Namens die Geschichte, Traditionen und Kultur einer Familie widerspiegeln; wenn sie damit bestimmte Eigenschaften oder Werte für ihr Kind ausdrücken möchten; wenn sie mit der Namenswahl ihre eigenen Werte und Überzeugungen weitergeben und Einfluss auf das Selbstbild eines Kindes nehmen können: Welche Vorstellungen hatte mein Vater für mich, als er für mich die Vornamen Viktoria Luise auswählte? Warum nannte mein Vater mich ausgerechnet nach dieser Person? Mit dieser Frage nimmt die Geschichte meines Namens eine Wendung, die mich fragen lässt, warum ich vor diesem Text nie ernsthaft über diese Frage nachgedacht habe. Oder zumindest einmal einen Blick auf die Wikipedia-Seite der Prinzessin geworfen habe.

Dort lese ich nun in der deutschen Ausgabe, dass Viktoria Luise Adelheid Mathilde Charlotte von Preußen, 1892 in Potsdam geboren, 1980 in Hannover gestorben, durch Geburt Prinzessin von Preußen und durch Heirat Herzogin zu Braunschweig-Lüneburg, Prinzessin von Hannover, Prinzessin von Großbritannien und Irland wurde. Dass sie den Namen Viktoria nach ihrer Großmutter Victoria – britische Princess Royal und als Gemahlin Friedrichs III. für 99 Tage deutsche Kaiserin – und ihrer Urgroßmutter Queen Victoria erhielt und den zweiten Vornamen Luise, indem sie nach Königin Luise von Preußen benannt wurde.

Deine Namen gehören dir!

Ah, denke ich, daher kommt also die Inspiration meines Vaters zu meinem Namen. Offenbar nannte er mich nach einer Person, die die Vernetzung der beiden Königshäuser verkörpert. Dann lese ich weiter: In einem Bericht der Historikerin Karina Urbach, dass Viktoria Luise laut der amerikanischen Journalistin Sigrid Schultz, die sich in den 1930er Jahren in den höchsten Nazikreisen bewegte, „eine fanatische Nazisse“ gewesen sei. Dass sie bei Parteitagen der NSDAP wie bei den Olympischen Spielen 1936 wichtige britische Personen betreut und mit ihrem Mann die NSDAP finanziell unterstützt habe. Bekannt ist auch, dass Viktoria Luise von 1965 bis 1974 mit Ghostwritern sieben Bestseller über ihr Leben veröffentlicht hat. Lebenserinnerungen, so Urbach, „die allesamt von starker Amnesie geprägt waren“, in denen sie mit den Nazis kaum etwas zu tun gehabt habe.

Als ich diese Zeilen lese, sinkt etwas in mir. Ein Gemisch an Emotionen wechselt sich in mir ab: Enttäuschung, Frustration, Verwunderung. Fragen rauschen durch meinen Kopf, zu denen vor allem die gehört, was meinen Vater dazu bewogen haben könnte, mich nach einer „fanatische Nazisse“ zu benennen. Auf der englischen Wikipedia-Seite ist von den Verbindungen der Prinzessin zu den Nationalsozialisten interessanterweise nichts zu lesen.

Ich rufe den britischen Historiker Bill Niven an, Professor für zeitgenössische deutsche Geschichte an der Nottingham Trent University; in einem Videocall spekulieren wir darüber, warum mein Vater, wenn er nach den Jahren als Besatzungssoldat in Deutschland eine tiefe Sympathie für die Deutschen empfand, mich nicht einfach Bettina oder Sandra nannte. Ob er eine entscheidende Erfahrung in der Zeit als Soldat gemacht haben könnte, die er mit der Prinzessin verband. Niven glaubt nicht, dass mein Vater mir diesen Namen gegeben hätte, wenn er gewusst hätte, dass Viktoria Luise eine Naziverehrerin war. Oder dass mein Vater zur Zeit meiner Geburt von ihren Verbindungen zu den Nationalsozialisten etwas gewusst hat. Eher glaubt er, dass er in der Prinzessin ein Symbol der deutsch-britischen Symbiose sah, die den Krieg überdauert hatte. Als Bill Niven die Skepsis in meinem Gesicht sieht, sagt er freundlich: „Viktoria und Luise sind auch deine Namen, mit denen du etwas gemacht hast.“

Die Brüche, die mich zum Schreiben bringen

Die Frage, wie es zu dem Namen auf der Karte kam, die damals meine Geburt ankündigte, werde ich nicht beantworten können. Und erst jetzt bekomme ich eine Ahnung davon, warum ich mich nicht schon eher mit dem Hintergrund meines Namens beschäftigt habe. Die Geschichte meiner Namensgeberin dagegen, die der Prinzessin Viktoria Luise, werde ich nun ernsthafter recherchieren. Auch kann ich mich mit der Rolle der britischen Besatzung in Deutschland befassen, um möglicherweise dadurch einen Ansatz eines Verständnisses gewinnen zu können, was meinen Vater mit dieser Person verbunden haben mag.

Während der Hintergrund meines Namens weiter eine Frage bleiben wird, wird mir heute deutlich, wie maßgeblich jene subtile Namensänderung für mich als 20-Jährige war. Dass jene Schwäche, die mein Geburtsname Luise für mich symbolisierte, möglicherweise auch mit meiner damals empfundenen Machtlosigkeit gegenüber der Entscheidung meines Vaters zusammenhing, in ein neues Land zu ziehen. Und auch das wird mir klar: dass der Versuch, meinen Namen zu glätten und damit etwas in mir, heute eher die Erinnerung an die Brüche in mir wachhält. Lange Zeit empfand ich meinen deutsch-britischen Namen als eine Schwachstelle in dem Kitt, der mich als Mensch zusammenhielt. Heute erkenne ich jedoch, dass ich ohne diese Spannung in mir gar nicht schreiben würde und dass diese möglicherweise sogar eine Stärke darstellt.

Während Louise zur treibenden Kraft in meinem beruflichen Leben wurde, so wäre ich ohne die stille Außenseiterin und damit die Beobachterin Luise nie Autorin oder Trauerrednerin geworden. Auch bin ich seit dem Tod meiner Eltern bei meiner deutschen Verwandtschaft wie bei meinen alten Schulfreunden, zu denen es neue Verbindungen gibt, noch immer als Luise bekannt. In meinem britischen Reisepass wie auch seit dem Brexit in meinem deutschen Personalausweis steht mein Geburtsname Luise Viktoria.

Während unsere Identität sich aus verschiedenen Fragmenten zusammensetzt, aus unserem Umfeld, unseren Beziehungen, Gedanken und Erinnerungen, und ständig im Wandel ist, steht unser Name wie eine gleichbleibende Front oft Jahrzehnte davor. Wie sehr wir alle multiple Ichs in uns tragen, die nebeneinander existieren, wird mir erst jetzt mit fast fünfzig Jahren deutlich. Können wir für diese Personen nicht auch verschiedene Namen tragen? Ich bin nicht mein Name. Vielmehr ist mein Name ein Teil von mir, etwas, das mich auszeichnet, das aber nicht starr sein muss, sondern sich auch mit mir wandeln kann.

DER ESSAY

In unserer Serie schrieben zuletzt:

Georg Milzner über Archetypen in Videospielen und die Gaming-Gewohnheiten seiner Familie: Supermario für die Seele, Heft 10/2024

Melitta Breznik über ihre Reise auf den Spuren ihrer in der NS-Psychiatrie ermordeten Oma: Die Großmutter, die mir ähnlich sah, Heft 6/2024

Ilona Jerger über das Beobachten von Vögeln und wie es die Angst lindert: Der Vogelfuß und ich, Heft 2/2024

Theresa Pleitner über die übergriffige Seite der Wohltätigkeit: Über die Widersprüche des Helfens, Heft 10/2023

Karoline Klemke über ihre Lehrjahre im Studium und im Leben: Psychologie, meine Liebe, Heft 6/2023

…und viele mehr. Sie finden diese Essays auf unserer Website psychologie-heute.de

Erinnern und Abschied

„Nichts hat mich mehr über Krankheit und Gesundheit, Kraft und Verletzlichkeit, Schicksal und Selbstbestimmung gelehrt als der Tod.“ Das schreibt Louise Brown in ihrem Buch über ihre Arbeit als Trauerrednerin. Sie lässt Leserinnen und Leser aber nicht nur an ihrer persönlichen Auseinandersetzung mit Verlust, Trauer oder der Angst vor der eigenen Beerdigung teilhaben. Sie würdigt in den rund vierzig kurzen Kapiteln auch Menschen, für deren Beerdigungen sie Reden geschrieben hat, mit deren Kindern sie gesprochen hat, deren Fotoalben sie durchgesehen hat. Dabei greift die Autorin sowohl kleine Eigenheiten als auch große Wendungen im Leben der anderen auf. Sie beschreibt die Liebe zu einer bestimmten Apfelsorte ebenso wie den Tag, an dem einem damals jungen Mann im Krieg ein Bein amputiert wurde. Die Texte zeigen, wie es gelingen kann, Verstorbene zu würdigen, sich zu erinnern, einen Zugang zum Abschiednehmen zu bekommen. Ein behutsamer, zarter Text, dessen Ton tröstet.

Louise Brown: Was bleibt, wenn wir sterben. Erfahrungen einer Trauerrednerin. Diogenes 2021

Louise Brown wurde 1975 in London geboren und zog mit ihrer Familie als Jugendliche nach Norddeutschland. Sie ist Politikwissenschaftlerin, arbeitet als Journalistin und verfasst eigene Bücher. Seit Jahren ist sie auch als Trauerrednerin tätig. Mit ihrem Partner und ihren zwei Kindern lebt sie in Hamburg.

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 2/2025: Stürmische Zeiten - stabiles Ich