Passiv-aggressiv: Warum sticheln Menschen?

Manche Menschen lassen uns auflaufen. Sie weichen aus, mauern, sticheln. Von passiv-aggressivem Verhalten – und wie man sich dagegen zur Wehr setzt.

Eine Frau redet auf einen Mann ein, der abweisend zur Seite schaut und ihr die kalte Schulter zeigt
Alles prallt von ihm ab! Was steckt hinter diesem Verhalten? © Orlando Hoetzel

Zwei Kolleginnen sollen gemeinsam an einem prestigeträchtigen Projekt arbeiten. Eine der beiden verhält sich seitdem seltsam: Ständig lässt sie provokante Bemerkungen über die andere los, nennt sie mal ehrgeizig, mal stichelt sie über deren Kleidungsstil. Die Projekttreffen lässt sie oft kurzfristig platzen. Als die andere sie zur Rede stellt, sagt die feindselige Kollegin: „Du bist aber empfindlich. Wenn überhaupt, war das doch nur Spaß!“

Eine Frau fragt ihren Freund, ob man gemeinsam einen Urlaub planen…

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b planen soll. „Gern“, antwortet er – und unternimmt dann nichts mehr. Die Frau schlägt verschiedene Reiseziele vor, mal am Meer, mal in den Bergen – für den Freund hat alles einen Haken. Und irgendwann schmollt er schon, wenn die Rede auf das Thema Ferien kommt. Darauf angesprochen, sagt er: „Ist doch kein Wunder, dass ich keine Lust habe, mit dir zu verreisen, du setzt mich permanent unter Druck.“

Die Beziehungskonstellation in diesen beiden Beispielen ist unterschiedlich. Doch im Kern geht es um das gleiche, weitverbreitete Verhaltensmuster: Einer der Beziehungspartner verhält sich passiv-aggressiv und löst damit immense Konflikte aus, denn das Opfer bekommt den Aggressor nicht zu fassen.

Dieser leugnet jeden Affront und jede böse Absicht – und dreht damit implizit sogar den Spieß um, lässt das Opfer als Provokateur dastehen. Menschen, die sich passiv-aggressiv verhalten, sind für andere schwer auszuhalten. Denn sie agieren ambivalent, unverbindlich und verletzend, leugnen jedoch gleichzeitig jeden Affront.

Eine große Ambivalenz

„Passiv-aggressiv“: Fast jeder hat diesen Begriff schon gehört oder ihn für energieraubende Mitmenschen verwendet. Doch was genau besagt er? „Die Bezeichnung passiv-aggressiv ist sehr plastisch, eine gelungene Wortkombination“, sagt der Wiener Psychiater und Psychotherapeut Raphael Bonelli. „Bereits im Begriff steckt die große Ambivalenz, die dieses Verhalten charakterisiert: Hier hat man es mit Personen zu tun, die auf der einen Seite freundlich, kooperativ und nachgiebig erscheinen, die aber auf der anderen Seite keineswegs auf Aggression verzichten und diese hintenherum einbringen.“

Das Verhalten dieser Menschen hat immer einen starken Beigeschmack von Herabsetzung, Abwehr, Ablehnung oder Ignoranz. Offen nachweisen kann man dem anderen diese Absichten aber nicht. Das Gegenüber hat also kaum eine Möglichkeit, sich offen und direkt zu den Feindseligkeiten zu positionieren. Und sobald man es dennoch versucht, zieht der andere sich entweder schmollend zurück oder reagiert verständnislos: Aggressiv soll er gewesen sein? Das muss man sich eingebildet haben!

Charakteristisch für Menschen mit einem passiv-aggressiven Persönlichkeitsstil ist laut der Hamburger Psychotherapeutin Andrea Patzer eine ständige Kippbewegung zwischen Gefügigkeit und Aggression.

So wirken laut Patzer Menschen mit unterschwellig feindseligen Verhaltensweisen oft zwischendurch entgegenkommend und harmlos – doch immer wieder streuen sie dann Wut, Ignoranz und Abwehrverhalten ein. Die ambivalenten Signale sind für das Gegenüber ein weiterer schwieriger Faktor. Man weiß nie, woran man ist. Ist der andere nun ein Netter oder ein Aggressor?

Die Psychologin Ozlem Ayduk von der University of California in Berkeley hat gemeinsam mit Kollegen in einer Tagebuchstudie das Konfliktverhalten von 56 Paaren untersucht und festgestellt, dass Partner, die sich zunächst im Fragebogen als besonders sensibel, vorsichtig und einfühlsam beschrieben hatten, im Laufe von drei Wochen Beobachtungszeit bei kleinen Konflikten am meisten zu Kälte, Schweigen und Schmollen neigten und ihr Gegenüber mit passiv-aggressiven Mitteln auflaufen ließen.

Besonders die „netten Typen“ und „zurückhaltenden Frauen“ scheinen also oft schon bei kleinen Konflikten erstaunlich biestig und unterschwellig aggressiv zu reagieren.

Die verleugnete Aggression

Doch was macht es so schwer, mit passiv-aggressiven Mitmenschen zurechtzukommen? Nach der ersten Beschreibung könnte man meinen, dass diese Leute heimtückisch und durchtrieben agieren, anderen ihre fiesen Absichten zunächst verschleiern – und dann aus dem Hinterhalt zuschlagen. Doch so verschlagen und geplant, wie es wirkt, ist das Verhalten oft gar nicht.

Und genau darin liegt die Hauptschwierigkeit für alle anderen: „Viele ausgeprägt passiv-aggressive Menschen setzen das Verhalten komplett unbewusst ein“, sagt Raphael Bonelli. Nicht nur dass sie ihre aggressiven Tendenzen verdeckt ausleben. Sie können ihre Wut und Fiesheit oft nicht einmal vor sich selbst zugeben und müssen sie leugnen und abwehren.

Wenn man sich die beiden Eingangsbeispiele genau anschaut, wird klar, dass die Kommunikation immer an dem Punkt problematisch wird, wo die passiv-aggressive Person ihr herabsetzendes, aggressives Verhalten nicht anerkennt – weil sie es womöglich gar nicht registriert. Die Kollegin empfindet ihre permanenten spitzen Bemerkungen vielleicht wirklich nur als einen „Spaß“, den die andere überbewertet. Und der mauernde, weder ja noch nein sagende Partner fühlt sich tatsächlich bedrängt und sieht sich somit im Recht, sich von den Urlaubsplänen ganz zu distanzieren.

An dieser Stelle zeigen die Beziehungspartner eine beinahe unausweichliche Reaktion: Sie werden wütend! Und zwar umso mehr, je harmloser der passiv-aggressive Gesprächspartner sich darstellt. „Man kann durchaus sagen, dass der passiv-aggressive Beziehungspartner seine eigene unbewusste Wut auf sein Gegenüber projiziert. Man wird dann von Situation zu Situation wütender und verwirrter“, sagt Andrea Patzer.

Wut, Ärger und Ambivalenz werden also wie ein schwarzer Peter weitergeschoben zum Interaktionspartner, der den Kontakt von seiner Seite aus bisher sachlich oder freundlich gestaltet hat. Hier kann man leicht in die Falle gehen: Je stärker man sich als Betroffener von der hinübergeschobenen Wut leiten lässt, indem man nörgelt, brüllt oder Beschuldigungen rauslässt, desto ruhiger, distanzierter und unschuldiger gibt sich der Passiv-Aggressive.

Deshalb ist die wichtigste Faustregel für den Umgang mit versteckt aggressiven Menschen: Lassen Sie sich von ihnen möglichst nicht die Wut zuschieben und agieren Sie diese nicht aus. Bleiben Sie bei Ihrer Klarheit, Freundlichkeit und Bestimmtheit. Benennen Sie deutlich, wo Ihre eigene Grenze ist, sagen Sie, was Sie stört, aber bleiben Sie zugewandt. Sonst geraten Sie in eine Verstrickung mit dem passiv-aggressiven Muster, die schnell eskaliert.

Ja sagen, nein meinen

Weil passiv-aggressive Menschen oft leugnen, in irgendeiner Weise gemein, verletzend oder abwehrend gewesen zu sein, wird das Gegenüber auf Dauer immer irritierter und kann die Absichten des anderen nicht mehr richtig lesen. Deshalb ist es laut Andrea Patzer wichtig, Klarheit zu gewinnen und zu verstehen, was der passiv-aggressive Kommunikationspartner mit seinen ambivalenten Signalen ausdrücken will. Hilfreich könne dabei folgende Vorstellung sein: „Man hat es hier immer mit einer Person zu tun, die ja sagt, aber eigentlich nein meint.“

Ein Beispiel: Der nette Nachbar klingelt und will das Auto ausleihen. Er bekommt es unter der Bedingung, es abends wieder vor die Tür zu stellen. „Selbstverständlich“, beteuert er beflissen. Am Abend ist weder das Auto da, noch trudelt ein Anruf vom Nachbarn ein. Man muss ihm hinterhertelefonieren, erreicht niemanden, nimmt zum eigenen Abendtermin ein Taxi. Am nächsten Tag bringt der Nachbar das Auto mit zerknirschten Entschuldigungen zurück – er habe unterwegs Freunde getroffen und, na so was, doch glatt die Zeit vergessen.

Das Verhalten, das auf den ersten Blick vielleicht nur gedankenlos wirkt, hat mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit einen latent aggressiven Hintergrund. So stimmt der Nachbar zwar vollmundig zu, dass das Auto zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein hat. Doch meint er es auch ernst? Offenbar nicht, denn er ignoriert die Absprache und sagt damit im Grunde: „Nein, ich will nicht pünktlich sein, aber das werde ich dir nicht auf die Nase binden!“

Auch die abwertende Kollegin im Eingangsbeispiel sagt letztlich: „Ich will nicht mit dir arbeiten, aber das sage ich dir nicht ins Gesicht.“ Und der Partner drückt aus: „Ich will so nicht mit dir in den Urlaub fahren, aber das musst du selbst rausfinden.“

Die Botschaft hinter dem passiv-aggressiven Verhalten zu entschlüsseln könne für den Betroffenen verletzend und beängstigend sein, sagt Patzer. Doch der Blick hinter die Fassade bietet auch eine Chance: Er gibt dem Betroffenen einen Eindruck, wie sich der passiv-aggressive Partner oder Freund fühlen mag.

Innerlich scheint dieser nämlich oft zu empfinden wie ein bockiges Kind, das sich jeglicher Beeinflussung, Kontrolle und Anforderung von anderen entzieht – besonders von Menschen, die es irgendwie als Autoritäten oder Bezugspersonen ansieht. „Ich lasse mich nicht von dir kontrollieren“ sei dementsprechend ebenfalls ein Satz, der oft hinter einem passiv-aggressiven Verhalten stecke, erklärt Andrea Patzer.

Wie ein bockiges Kind

Als Beziehungs- oder Kommunikationspartner stellt man sich dann natürlich als Nächstes die Frage, was ein derart kindisches, bockiges Verhalten bewirken soll. Klarer wird das bei einem Blick auf die Entstehungsgeschichte von passiv-aggressiven Mustern in der Kindheit, über die unter anderem die amerikanischen Psychotherapeuten Lorna Smith Benjamin und Scott Wetzler geschrieben haben.

Beide gehen davon aus, dass Menschen, die sich häufig passiv-aggressiv verhalten, in ihrer Kindheit gelernt haben, dass es gefährlich ist, offen nein zu sagen oder Opposition zu beziehen. Grund dafür kann eine autoritäre Erziehung mit Gewalt oder dem Zwang zum Gehorsam gewesen sein. Oder aber ein Elternhaus, das instabil war, in dem Vater und Mutter zwar liebevoll, aber so wenig belastbar waren, dass man sich ihnen ohnehin ständig fügte und auf sie Rücksicht nahm.

Aus der Prägung in solchen Elternhäusern könnte man auch als angepasster Jasager hervorgehen. Wenn man das für sich aber nicht als Option sieht, wird man zum Ja-aber-Sager, der jedes Ja durch eine sabotierende Handlung und Bemerkung zurücknimmt und sich trotzig-subversiv weigert, verbindliche Beziehungen einzugehen.

Der Blick auf die Prägung von Menschen mit passiv-aggressiven Tendenzen soll diese nicht entschuldigen. Er ist für betroffene Beziehungspartner, Kollegen und Nachbarn aber wertvoll, weil er hilft, ein Gefühl dafür zu entwickeln, wie wenig das Schweigen, Sticheln und Verbummeln mit einem selbst zu tun hat. Der Passiv-Aggressive überträgt seine Beziehungsgeschichte mit den eigenen Eltern, von denen er sich nicht kontrollieren und gängeln lassen wollte, auf jeden, der ihm näherkommt und der Verbindlichkeiten einfordert.

Aus diesem Wissen folgt für Menschen, die solchen getarnten und verleugneten Attacken ausgesetzt sind, konkret: Was eine Person mit passiv-aggressivem Persönlichkeitsstil in die Beziehung einbringt, hat wenig mit ihrem Partner zu tun. Es ist ein persönlicher innerer Kampf.

Fragen Sie sich also nicht zu häufig, ob Sie zu fordernd, einengend, kleinlich oder überempfindlich sind. Falls Sie viel mit einem passiv-aggressiven Gegenüber zu tun haben, ist die entscheidende Frage nicht „Was habe ich falsch gemacht?“, sondern „Wie kann ich mit dem passiv-aggressiven Verhalten des anderen so umgehen, dass es mir selbst besser geht?“.

Cool bleiben oder emotional werden?

Wie man sich am besten gegen die passiv-aggressiven Akte von anderen abgrenzt und damit umgeht, hat entscheidend damit zu tun, in welcher Beziehung man zu ihnen steht. Bei Bekannten, Arbeitskollegen oder Beziehungspartnern sind jeweils andere Strategien hilfreich. „Im beruflichen und privaten Kontext gelten verschiedene Spielregeln für das Klären von Problemen“, sagt Ursula Wawrzinek, Konflikttrainerin in Unternehmen und Autorin.

„Während man mit einem Beziehungspartner alles offen besprechen und auch mal emotional werden kann, weil man eine gute Beziehungsbasis hat, ist das im Berufsleben nicht ratsam.“ Laut Wawrzinek sollte man mit passiv-aggressiven Kollegen nie emotionale Belange oder die eigene Kränkung diskutieren, sondern auf der Sachebene rund um berufliche Aufgaben bleiben (siehe das Interview unten).

Bei privaten Kontakten bringt es dagegen nichts, passiv-aggressives Verhalten zu ignorieren. Klarheit ist angesagt. Bei Bekannten und loseren Freundschaften sollte man pragmatisch vorgehen: „Freunden kann man oft deutlich sagen, was einem gerade nicht passt – und dann neue Regelungen finden“, sagt die Verhaltenstherapeutin Gitta Jacob aus Hamburg. Auch weil sich in Freundschaften die passiv-aggressiven Aktionen oft auf kleine Sticheleien und Unzuverlässigkeit beschränken.

Ein klassisches Beispiel sind etwa chronisch verspätete Freunde, die einen im Restaurant oder vorm Kino warten lassen. Dieses Verhalten ist ignorant, herabsetzend und passiv-aggressiv. Wenn die Beziehung ansonsten aber entspannt und herzlich ist, hat man dennoch die Möglichkeit, selbst zu entscheiden, was man als Betroffener machen will. „Man kann sich fragen, wie schlimm man diese Art der passiven Aggression findet, und auch, wie verbunden man mit der betreffenden Person ist“, sagt Gitta Jacob.

Dann kann man seine Schlüsse ziehen und beispielsweise konkret fordern: „Ich mag dich, ich geh aber nicht mehr mit dir ins Kino, denn ich habe keine Lust, permanent zu warten.“ Oder man sagt: „Bei mir zu Hause bist du immer willkommen. Da finde ich es auch nicht schlimm, wenn du etwas später kommst.“

Wenn man das passiv-aggressive Verhalten wirklich nur als einen Aspekt von vielen bei Freund oder Freundin erlebt, funktioniert so eine praktische Regelung oft gut. Man schützt damit nicht nur sich selbst, sondern gibt dem anderen auch einen Spielraum – er darf quasi in Maßen passiv-aggressiv sein. Manchmal wird dann beim Freund die permanente Rebellion gegen Verbindlichkeiten nicht so stark angestachelt und das passiv-aggressive Verhalten zeigt sich seltener.

All das ist allerdings Ermessenssache: Wenn der unzuverlässige oder wankelmütige Freund sich in keiner Weise auf Ihre Kompromisslösungen einstellt, kann es ratsam sein, die Freundschaft auslaufen zu lassen. Sie sind nicht verpflichtet, ein passiv-aggressives Gegenüber zu tolerieren.

Grundsätzliche Gespräche

In Liebesbeziehungen ist die Lage anders. Praktische Absprachen versagen dort oft, weil das Problem tiefer liegt. Denn natürlich sind Verbindlichkeiten und ein klares Ja die Basis für Partnerschaften – und eben diese Anforderungen führen bei Menschen mit passiv-aggressiven Mustern immer dazu, dass sie mit Abwehr, Herabsetzung und Ambivalenz reagieren. Hier geht es also um viel mehr. „Ich habe Beziehungen erlebt, die am passiv-aggressiven Verhalten eines Partners gescheitert sind“, erklärt Raphael Bonelli. Es sei also unabdingbar, das Problem offen anzugehen und Lösungen zu finden.

Auch weil es sich in einer festen Partnerschaft mit einem passiv-aggressiv agierenden Partner kaum leben lässt: Sie lassen sich nicht auf Termine festlegen, interpretieren Vereinbarungen um, „vergessen“ das Auto in der Werkstatt, zeigen sich mal verliebt und mal ablehnend, schmollen, wenn man etwas von ihnen verlangt, schweigen beharrlich, wenn ihnen etwas nicht passt.

Dazu kommt, dass in engen Beziehungen die Wut, die passiv-aggressive Menschen in ihren Partnern auslösen, irgendwann permanent im Raum steht – wie ein rosa Elefant, den alle deutlich sehen, aber über den keiner spricht.

Wer in einer Beziehung steckt, auf die diese Beschreibung passt, tut gut daran, mit dem Partner ein sachliches Grundsatzgespräch zu führen. Dabei hilft es, den Partner aufzufordern, einmal auf der Metaebene – also mit ein wenig analytischer Distanz – auf verschiedene Situationen und Beziehungsszenen zu gucken, in denen passiv-aggressive Dynamiken am Werk waren.

Dabei kann man klarmachen, wie zermürbt und verletzt man sich in solchen Situationen fühlt und dass man das Gefühl hat, dass die Beziehung an solchen Stellen ernsthaft Schaden nimmt. Psychotherapeutin Andrea Patzer konnte beobachten, dass ein offenes, direktes Gespräch ohne Schuldzuweisungen viel verändern kann.

Hier ist der Videobeweis!

Voraussetzung ist, dass der Partner sich dem kritischen Blick mit etwas Abstand auf die Situation auch öffnet und seine Beteiligung an der Lage deutlicher wahrnimmt. „Es ist allerdings oft schwer, die Unbewusstheit zu durchbrechen und dem passiv-aggressiven Partner zu verdeutlichen, wie feindselig er sich in der Beziehung verhält“, sagt Raphael Bonelli.

Ob jemand bereit ist, sich für die Sichtweise und Empfindungen des Partners zu öffnen und die eigenen Anteile von Bockigkeit, Abwehr und Abwertung in Zukunft bewusster zu erkennen und Verantwortung dafür zu übernehmen – damit steht und fällt letztlich die Beziehung.

Direkte Rückmeldung über passiv-aggressives Verhalten ist übrigens auch in Psychotherapien ein Mittel der Wahl. Verhaltenstherapeutin Gitta Jacob arbeitet zum Beispiel häufiger mit Videofeedback und spiegelt den Patienten durch den „Videobeweis“, wie meckerig, abwertend oder passiv-schlaff sie sich in den Sitzungen gegeben haben. „Die Reaktion ist ganz erstaunlich. Oft sind die Patienten vollkommen entsetzt, wie sie rüberkommen.“

Im therapeutischen Setting mag das zu Aha-Effekten führen. Zu Hause kann man dem Partner sein Verhalten nicht in einer derartigen Deutlichkeit spiegeln. Doch je klarer der passiv-aggressive Partner selbst die Dynamik sieht, versteht und annimmt, desto einfacher wird es.

Noch mehr Transparenz bekommen Beziehungen mit einem passiv-aggressiven Partner, wenn man diesen häufiger dazu auffordert, klar seine Meinung zu sagen. Die Frau, deren Freund in Sachen Urlaub mauert und abwehrt, könnte fragen: „Was willst du denn eigentlich?“ Oder: „Falls du nicht mit mir wegfahren willst, sag es einfach. Ist mir lieber als das Versteckspiel.“ Auch wenn der Partner sich dann zu einem Nein durchringt: Alles, was in die Richtung einer klaren und auch tragfähigen Posi­tionierung geht, ist ein Fortschritt, ist eine gute Alternative zu der Kippfigur aus Nettigkeit und Gemeinheit.

Ist Veränderung möglich?

Es soll hier aber nicht verschwiegen werden, dass eine Beziehung, in der einer der Partner ein ausgeprägt passiv-aggressives Verhalten an den Tag legt, sehr schwer zu gestalten ist. Anders als bei vielen anderen Kommunikationsmustern, bei denen Psychologen davon ausgehen, dass immer zwei Leute zum Problem dazugehören und jeder bei sich selbst und den eigenen Schwächen mit der Veränderung anfangen sollte, ist bei einem passiv-aggressiven Beziehungspartner diese Sicht eher kontraproduktiv. Dennoch hilft es auch nichts, dem anderen eine Art Diagnose oder Schuldzuweisungen zuzuschieben.

All das ist ein ziemlich schwieriger Balanceakt. Raphael Bonelli ist deshalb der Meinung, dass Paare, die durch passiv-aggressive Anteile sehr verstrickt sind, gut daran tun, sich Hilfe von außen zu holen, etwa in einer Paartherapie. Auch dort kann aber nicht jedem geholfen werden: Es gibt Menschen, die so sehr in ihrer Verbindlichkeitsverweigerung und Bockigkeit gefangen sind und diesen Wesenszug so wenig als Problem wahrnehmen, dass sie auch bei Menschen, die ihnen viel bedeuten, das passiv-aggressive Verhaltensmuster nicht verlassen.

Dann kann es eine Option sein, die Beziehung aufzugeben. Das heißt nicht, passiv zu sein. Das heißt nicht, aggressiv zu sein. Dass heißt nur: klar zu sein.

Störung oder Stil?

Unter Psychiatern und Psychologen galt dauerhaft passiv-aggressives Verhalten lange Zeit als Störung der Persönlichkeit. In früheren Versionen des weltweit verwendeten Diagnostischen und Statistischen Manuals Psychischer Störungen (DSM) war die Kategorie „passiv-aggressive Persönlichkeitsstörung“ noch vertreten, auch wenn sie in der Praxis selten diagnostiziert wurde. In der 2013 erschienenen aktuellen Ausgabe des Manuals (DSM-5) taucht die Diagnose dann nicht mehr auf.

Inzwischen herrscht häufig die Lesart, dass passiv-aggressives Verhalten keine Störung im klinischen Sinn ist, sondern eher eine fest eingebrannte Gewohnheit im Umgang mit Konflikten. Viele Psychotherapeuten sprechen von einem passiv-aggressiven Persönlichkeitsstil, der durch gemeinsames Auftreten von willfährigen und aggressiven Verhaltensweisen gekennzeichnet ist. Mauern, ausweichen, sticheln, Dinge vergessen, andere herabsetzen, sich Anforderungen entziehen, nörgeln, Pläne sabotieren und eine ausgeprägte Abwehr gegenüber Autoritätspersonen – all das gehört dazu.

Die Ausprägungsgrade dieses Stils sind aber unterschiedlich stark. Hilfreich ist deshalb, bei einem passiv-aggressiven Gegenüber einzuschätzen, ob es entsprechendes Verhalten nur gelegentlich zeigt oder fast durchgängig. Denn das gibt Hinweise darauf, ob man eine Chance hat, mit dem passiv-aggressiven Partner, Freund oder Kollegen zurechtzukommen und Beziehungsmuster zu verändern.

Wie reagieren?

Passiv-aggressive Zeitgenossen sind oft kränkbar und reagieren schnell mit Rückzug oder Gegenangriff, wenn sie das Gefühl haben, ohne Respekt in die Schranken gewiesen zu werden. Konfliktberaterin Ursula Wawrzinek schlägt anhand von Beispielen angemessene Antworten vor

1 Der Zweifler im Job

Auf einen Vorschlag, den Sie im Team einbringen, sagt der passiv-aggressive Kollege: „Okay, wenn Sie das so sehen…“ Oder: „Haben Sie das immer schon so gemacht?“ Antwort: „Was überrascht Sie daran?“ Oder: „Das klingt jetzt nach Überraschung.“ Es geht darum, den zynischen Unterton einfach zu ignorieren und sachlich-freundlich nachzufragen. So bleiben Sie auf der Sachebene.

Mit der Rückfrage beziehen Sie den Skeptiker aber auch aktiv mit ein, laden ihn ein, etwas beizutragen. Sie können ihn auch noch expliziter auffordern, seine Meinung zu sagen: „Wie denken Sie denn über die Sache?“

Ein Freund kommt zu spät

Nachdem Sie sich über die halbstündige Verspätung beschwert haben, schmollt der verspätete Freund und sagt: „Entschuldige, hätte ich gewusst, dass dich die paar Minuten so aufregen, hätte ich mich noch mehr gehetzt.“ Antwort: Eine gute Entgegnung wäre: „Tut mir leid, wenn du dich hetzen musstest. Aber ich hasse es einfach, wenn ich dastehe wie bestellt und nicht abgeholt.“

Hier teilen Sie Ihre Antwort also in zwei Schritte: Zunächst zeigen Sie Empathie, dann sagen Sie, wie Sie sich selbst fühlen. Falls der Zuspätkommer ein guter Freund oder der Partner ist, können Sie den Empathieteil auch weglassen: „Mensch, das ärgert mich einfach!“

3 Abwertung unter Bekannten

Bei einer Feier kommentiert eine Bekannte Ihr Outfit mit den Worten: „Trägt man diese Strumpfhosen jetzt wieder?“ Antwort: Wehren Sie sich einfach mit einer lo­ckeren Replik wie: „Klar, hast du den Trend noch nicht mitbekommen?“ Hier geht es nicht um Diplomatie oder Empathie, sondern nur darum, den Ball zurückzuspielen und die kleine Gemeinheit nicht kommentarlos auf sich sitzen zu lassen.

Abwälzen von Arbeit

Sie sprechen den Kollegen darauf an, ob er eine bestimmte Aufgabe fertig hat. Er sagt daraufhin: „Ich übernehme diese zusätzlichen Arbeiten ja gerne. Aber ich bin einfach nicht dazu gekommen. Vielleicht nächsten Monat.“ Antwort: Hier sabotiert jemand Ihre Arbeitsabläufe. Im Jobkontext ist in diesem Fall eine ganz klare Ansprache notwendig. Etwa so: „Das ist schade. Nächsten Monat ist es zu spät. Ich brauche das dringend nächste Woche!“

5 Opfergeste nach Kritik

Nachdem Sie gegenüber einem Kollegen oder dem Partner ein kritisches Wort gewagt haben, sagt dieser in leidendem Ton: „Wenn ich mich aufrege, kriege ich immer so schreckliche Kopfschmerzen!“ Antwort: Kollegial wäre eine Antwort wie: „Ach, du Armer, du solltest dich doch gar nicht aufregen!“ Daraufhin können Sie dann noch mal sachlich Ihr Anliegen formulieren. Bei Freunden oder beim Partner dürfen Sie deutlicher werden: „Ganz ehrlich, so kommen wir nicht weiter!“ Und dann ebenfalls wiederholen, um was es Ihnen inhaltlich geht.

6 Stichelei über Arbeitszeiten

Der Kollege sagt im Meeting: „Nicht tragisch, das kannst du während deiner langen Fehlzeiten ja nicht mitbekommen haben.“ Antwort: Die angemessene Reaktion auf die Stichelei wäre etwa ein schlichtes: „Stimmt, da war ich nicht da. Erkläre mir doch kurz, was da los war.“ Wieder ist es wichtig, dass Sie auf den inhaltlichen Teil der Aussage eingehen und den vorwurfsvollen Ton einfach ignorieren.

„Wer Konfrontation vermeidet, entwickelt verdruckste Strategien“

Am Arbeitsplatz ist passiv-aggressives Verhalten ein übliches Mittel, um unangenehme Aufgaben zu umgehen und Streit zu vermeiden. Die Münchner Konfliktberaterin Ursula Wawrzinek erklärt, warum das so ist und wie man es schafft, sich nicht provozieren zu lassen

Frau Wawrzinek, Sie haben jahrelange Erfahrung in der Beratung von Unternehmen in Konfliktlagen: Was ist für Sie ein typisch passiv-aggressives Verhalten in der Arbeitswelt?

Das ist nicht ganz leicht zu beantworten. Denn passiv-aggressives Verhalten ist im Berufsleben weit verbreitet. Es tritt immer auf, wenn Menschen nicht die Fähigkeit oder Möglichkeit haben, Ärger angemessen auszudrücken oder damit umzugehen. Das betrifft etwa unsichere Mitarbeiter, die Konflikte nicht aushalten und nicht angemessen gestalten können. Sie vermeiden Konfrontation, können nicht nein sagen und entwickeln deshalb passive, verdruckste Strategien, um sich unliebsamen Vereinbarungen zu entziehen.

Zum Beispiel machen sie Aufgaben einfach nicht, die ihrer Ansicht nach nicht in ihren Bereich fallen. Das ist ungeschickt und behindert Arbeitsabläufe. Durch persönliches Coaching können diese Menschen aber oft schnell ihr Verhalten ändern. Darüber hinaus gibt es in jeder Firma Leute, die ständig nörgelig, passiv, sabotierend sind. Dann ist das passiv-aggressive Verhalten in der Persönlichkeit verankert und schwer korrigierbar. Diese „schwierigen Menschen“ sind aber seltener, als man denkt.

Warum sind denn gerade am Arbeitsplatz unterschwellige Aggressionen so weit verbreitet?

Bei der Arbeit ist es meistens nicht angebracht, offen aggressiv zu sein. Deshalb ist unterschwellige Feindseligkeit nicht nur häufig, sondern auch verständlich. Eine gewisse Art von humorvollen Sticheleien unter Kollegen oder versteckte Respektlosigkeiten gegenüber dem Chef, dem man beispielsweise einen heimlichen lustigen Spitznamen verpasst, dienen häufig als Ventil. Diesen Druckabbau finde ich durchaus gesund.

Übrigens begünstigt auch die generelle Situation in Unternehmen passiv-aggressives Verhalten: Es gibt feste Hierarchien und dazu noch ständig Veränderungen, die der einzelne Mitarbeiter nicht beeinflussen kann, etwa die Vorgabe, dass ab dem nächsten Monat alle mit einem neuen Computersystem arbeiten. Die Mitarbeiter sind hier real ohnmächtig – und das macht sie wütend.

Viele, vor allem ältere, die schon viele Veränderungen mitgemacht haben, finden aus diesem Zustand der Wut oft nicht mehr heraus, suchen aber auch nicht aktiv Lösungen. Hier bahnt sich dann der schwelende Ärger andere Wege: Sie treten ein bisschen kürzer, hören nicht mehr so genau auf Anweisungen, vergessen Aufträge, lästern mehr über Kollegen oder Vorgesetzte. Das ist dann ihre Art, ihren Widerstand auszudrücken und zu sagen: „Das passt mir hier alles nicht.“

Wie bewerten Sie dieses Verhalten?

Es ist nicht zu vermeiden, dass diese Art unterschwelligen Ärgers in Unternehmen entsteht. Die meisten Mitarbeiter, die sich so verhalten, handeln nicht aus böser Absicht, und es bringt auch nichts, diese zu unterstellen. Es hilft, wenn man als Kollegin oder Chefin das passiv-aggressive Verhalten des anderen zwar kritisch sieht, aber eben auch nicht als einen persönlichen Angriff wertet.

Manchmal – etwa wenn jemand nach einer schweren Krankheit in den Job zurückkehrt – finde ich es sogar sinnvoll, wenn man sich schützt und ein bisschen defensiv-widerständig ist, nicht immer ja ruft, wenn Aufgaben verteilt werden.

Wirklich problematisch wird unterschwellig aggressives Verhalten, wenn eine Person kaum andere Handlungsmöglichkeiten hat, sich immer nur wegduckt, ständig Aufgaben liegenlässt und die Arbeit des ganzen Teams sabotiert. Oder wenn jemand in einem destruktiven Ausmaß nörgelt, stichelt und lästert.

Wie kann man als Kollege auf passiv-aggressives Verhalten reagieren? Soll man den anderen direkt zur Rede stellen?

Nein. Es gibt für den Umgang mit Konflikten im Job ganz andere Spielregeln als im Privatleben. Privat kann man direkt und emotional sein. Denn mit dem Partner hat man eine Beziehungsbasis, die Emotionalität und Irrationalität aushält. Bei Kollegen oder Vorgesetzten gibt es diese Basis nicht. Deshalb sollte man Wut, Ärger, Verletzung im Berufsleben nie ungebremst zeigen, das gefährdet die Arbeitsbeziehung.

Wenn man also sauer wird – und das passiert bei passiv-aggressiven Aktionen von andern ja schnell –, gilt es, erst mal runterzukommen, die persönliche Ebene auszuklammern und dann sachlich über die Faktoren zu sprechen, die für den Job und das Gelingen von Aufgaben wichtig sind.

Stichelt beispielsweise jemand im Team permanent über die Chefin oder eine Kollegin, kann man sagen: „Es mag sein, dass du recht hast, doch ich will so nicht denken, das ist eine Kollegin, das ist unsere Vorgesetzte, und ich möchte mit ihr zusammenarbeiten und jetzt mit dieser Sache hier weiterkommen.“

Aber ist es nicht ziemlich schwierig, derart neutral und sachlich zu bleiben?

Es gibt in der Konfliktberatung ein paar Kniffe, zum Beispiel eine Strategie, die ich „Staunen statt Ärgern“ nenne. Statt sich darüber aufzuregen, dass die Kollegin schon wieder lästert oder Aufgaben unerledigt lässt, wundert man sich einfach mal darüber, wie die andere die Dinge sieht und handhabt, lässt aber das Problem beim passiv-aggressiven Gegenüber.

Außerdem hilft es angesichts eines passiv-aggressiven Kollegen, gut für sich selbst zu sorgen und schlicht darauf zu achten, dass der andere einen nicht anficht oder übertölpelt. Das heißt, dass man den emotionalen Teil der passiv-aggressiven Aussage einfach ausblendet, zum Beispiel den Vorwurf des Kollegen: „Ich muss immer so viel machen und ihr macht nichts!“ Statt sich darüber innerlich zu echauffieren, achtet man lieber konkret darauf, dass der andere seine Aufgaben bei sich behält und nicht zu einem rüberschiebt.

Im Beruf seine eigenen Interessen sachlich und wachsam zu vertreten, so dass man gut arbeiten kann und sich nicht noch Zusatzarbeiten aufhalst, und sich nicht provozieren zu lassen: Das ist in der Regel schon ein ausreichender Selbstschutz gegen passiv-aggressive Aktionen.

INTERVIEW: ANNE OTTO

Ursula Wawrzinek ist Konflikttrainerin und berät seit vielen Jahren Führungskräfte und Mitarbeiter von Unternehmen. Sie hat mehrere Bücher zu dem Thema geschrieben, etwa Vom Umgang mit sturen Eseln und beleidigten Leberwürsten

Literatur

Scott Wetzler: Warum Männer mauern. Wie Sie Ihren passiv-aggressiven Mann besser verstehen und mit ihm glücklich werden. Goldmann, München 2013

Raphael M. Bonelli: Frauen brauchen Männer (und umgekehrt). Couchgeschichten eines Wiener Psychiaters. Kösel, München 2018

Gitta Jacob: Raus aus Schema F. Psychische Muster erkennen und die eigene Persönlichkeit entfalten. Beltz, Weinheim 2017

Lesen Sie auch unser Themenheft Schwierige Menschen aus der Reihe Psychologie Heute compact.

Dieser Artikel befindet sich in der Ausgabe: Psychologie Heute 10/2019: Passiv-Aggressiv